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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Antilopen. -- Die Gabelgemse.
auf den Boden, daß man die einzelnen Glieder, wie die Speichen eines sich drehenden Rades nicht
mehr unterscheiden kann. Wenn sie flüchtig werden, pflegen sie zunächst etwa dreißig bis vierzig
Schritt weit zu trotten und zwar nach Art des Damwildes, indem sie mit allen vier Läufen zugleich
aufspringen. Nach dieser Einleitung aber strecken sie ihren Leib und durchmessen in voller Flucht
mehrere Meilen im Verlauf weniger Minuten. Auch schwimmen sie, wie Audubon und der
Prinz versichern, über breite Ströme mit größter Leichtigkeit. Ein aufgescheuchtes Rudel, welches in
der Nähe eines Stromes weidet und keinen anderen Ausweg zur Flucht sieht, pflegt sich ohne Be-
denken in die Wogen zu stürzen. Das leitende Thier zieht voran, die übrigen bilden allgemach die
indianische Reihe, und so setzt das ganze Rudel in schönster Ordnung über den Strom. Auch wenn
es gilt, bessere Aeßung aufzusuchen, durchkreuzen sie die Gewässer, und die Jndianer haben sogar
hierauf eine besondere Jagdweise begründet.

Die Gabelgemsen sind scharfsinnige Thiere. Sie äugen in weite Ferne, vernehmen ausgezeich-
net und wittern den unter dem Wind heranschleichenden Feind auf mehrere hundert Schritte. Dabei
sind sie klug, immer vorsichtig und selbst scheu. Sie kennen den Menschen und fürchten ihn, sie ken-
nen auch ihre übrigen Feinde und lassen sich nur höchst selten diese so nahe auf den Leib rücken, daß
sie ihnen gefährlich werden können. Das leitende Thier faßt den sich nahenden Menschen scharf ins
Auge, richtet das Gehör nach ihm hin, beobachtet ihn genau und stampft im geeigneten Augenblick
mit einem der Vorderfüße auf den Boden oder läßt ein scharfes, pfeifendes Schnaufen vernehmen,
wie andere Antilopen auch. Damit gibt es das Zeichen zur Flucht, welche augenblicklich beginnt und
mit unermüdlicher Ausdauer fortgesetzt wird, so lange es nöthig. Nur manchmal verlockt unsere
Thiere die auch ihnen eigene Neugier, einen sich nähernden Gegenstand ins Auge zu fassen, und
darauf gründet der tückische Mensch und namentlich der listige Jndianer seine verderblichen Pläne.

Die Brunstzeit beginnt im September. Ungefähr sechs Wochen lang zeigen sich die Böcke sehr
erregt und fechten unter sich mit großem Muthe, ja, mit einer gewissen Wildheit. Wenn ein Bock
den anderen herbeikommen sieht oder zufällig mit ihm zusammentrifft, schauen sich beide ärgerlich an,
rennen dann mit niedergebeugten Köpfen wüthend gegen einander los, und der Kampf beginnt.
Beide Gegner bringen sich mit großer Schnelligkeit und Heftigkeit Stöße bei, oft sehr gefährliche, bis
der eine genug hat und dem anderen das Feld überläßt. Das Thier setzt ungefähr zu derselben Zeit,
wie das Wild, frühestens im Mai, spätestens Mitte Junis. Gewöhnlich bringt es zwei, den
Eltern gleichgefärbte, ungefleckte Kälber zur Welt; Schmalthiere haben selten mehr als ein ein-
ziges. Die Mutter verweilt bei ihrem Kalbe während der ersten Tage nach seiner Geburt und
äßt sich unmittelbar in der Nähe desselben. Wenn das Kalb einmal vierzehn Tage alt ist, hat
es hinlängliche Kraft und Schnelligkeit erlangt, um mit der schnellläufigen Mutter einer Verfolgung
des Wolfes oder eines anderen vierfüßigen Feindes zu entgehen. Zuweilen geschieht es, daß Jse-
grimm ein noch hilfloses Kalb entdeckt. Dann entfaltet die Alte den bewunderungswürdigsten Muth
dem furchtbaren Feinde gegenüber. Sie springt gegen ihn an, versucht, ihm mit dem kurzen Gehörn
einen Stoß beizubringen, gebraucht auch wohl ihre Vorderläufe, mit welchen sie tüchtige Schläge zu
geben weiß, und wenn der Wolf nicht gerade in voller Kraft oder vom Hunger arg gepeinigt ist,
schlägt sie denselben wirklich in die Flucht und sucht sich für ihr Kalb eine sicherere Weide, gewöhnlich
eine schwer zu erkletternde Felswand. Prinz von Wied fand zu Ende Aprils ein eben gesetztes Kälb-
chen in der Prairie. Es duckte sich beim Erscheinen der Reiter auf den Boden nieder und hätte leicht
mitgenommen werden können, wäre man mit den nöthigen Einrichtungen hierzu versehen gewesen. Die
Mutter dieses Thierchens war nicht in der Nähe; wahrscheinlich war sie gerade nach Aeßung ausge-
gangen und hatte an dem bestimmten Platze das Junge zurückgelassen, wie Dies unsere Hirscharten
auch zu thun pflegen.

Das kurze saftige Gras der Prairien bildet die Hauptäßung der Gabelgemse; außerdem nimmt
sie Mos, Zweige und ähnliche Stoffe an. Wie die meisten Wiederkäuer liebt sie salziges Wasser oder
reines Salz ganz ungemein. Jn der Nähe salzhaltiger Stellen sieht man sie stundenlang liegen,

Die Antilopen. — Die Gabelgemſe.
auf den Boden, daß man die einzelnen Glieder, wie die Speichen eines ſich drehenden Rades nicht
mehr unterſcheiden kann. Wenn ſie flüchtig werden, pflegen ſie zunächſt etwa dreißig bis vierzig
Schritt weit zu trotten und zwar nach Art des Damwildes, indem ſie mit allen vier Läufen zugleich
aufſpringen. Nach dieſer Einleitung aber ſtrecken ſie ihren Leib und durchmeſſen in voller Flucht
mehrere Meilen im Verlauf weniger Minuten. Auch ſchwimmen ſie, wie Audubon und der
Prinz verſichern, über breite Ströme mit größter Leichtigkeit. Ein aufgeſcheuchtes Rudel, welches in
der Nähe eines Stromes weidet und keinen anderen Ausweg zur Flucht ſieht, pflegt ſich ohne Be-
denken in die Wogen zu ſtürzen. Das leitende Thier zieht voran, die übrigen bilden allgemach die
indianiſche Reihe, und ſo ſetzt das ganze Rudel in ſchönſter Ordnung über den Strom. Auch wenn
es gilt, beſſere Aeßung aufzuſuchen, durchkreuzen ſie die Gewäſſer, und die Jndianer haben ſogar
hierauf eine beſondere Jagdweiſe begründet.

Die Gabelgemſen ſind ſcharfſinnige Thiere. Sie äugen in weite Ferne, vernehmen ausgezeich-
net und wittern den unter dem Wind heranſchleichenden Feind auf mehrere hundert Schritte. Dabei
ſind ſie klug, immer vorſichtig und ſelbſt ſcheu. Sie kennen den Menſchen und fürchten ihn, ſie ken-
nen auch ihre übrigen Feinde und laſſen ſich nur höchſt ſelten dieſe ſo nahe auf den Leib rücken, daß
ſie ihnen gefährlich werden können. Das leitende Thier faßt den ſich nahenden Menſchen ſcharf ins
Auge, richtet das Gehör nach ihm hin, beobachtet ihn genau und ſtampft im geeigneten Augenblick
mit einem der Vorderfüße auf den Boden oder läßt ein ſcharfes, pfeifendes Schnaufen vernehmen,
wie andere Antilopen auch. Damit gibt es das Zeichen zur Flucht, welche augenblicklich beginnt und
mit unermüdlicher Ausdauer fortgeſetzt wird, ſo lange es nöthig. Nur manchmal verlockt unſere
Thiere die auch ihnen eigene Neugier, einen ſich nähernden Gegenſtand ins Auge zu faſſen, und
darauf gründet der tückiſche Menſch und namentlich der liſtige Jndianer ſeine verderblichen Pläne.

Die Brunſtzeit beginnt im September. Ungefähr ſechs Wochen lang zeigen ſich die Böcke ſehr
erregt und fechten unter ſich mit großem Muthe, ja, mit einer gewiſſen Wildheit. Wenn ein Bock
den anderen herbeikommen ſieht oder zufällig mit ihm zuſammentrifft, ſchauen ſich beide ärgerlich an,
rennen dann mit niedergebeugten Köpfen wüthend gegen einander los, und der Kampf beginnt.
Beide Gegner bringen ſich mit großer Schnelligkeit und Heftigkeit Stöße bei, oft ſehr gefährliche, bis
der eine genug hat und dem anderen das Feld überläßt. Das Thier ſetzt ungefähr zu derſelben Zeit,
wie das Wild, früheſtens im Mai, ſpäteſtens Mitte Junis. Gewöhnlich bringt es zwei, den
Eltern gleichgefärbte, ungefleckte Kälber zur Welt; Schmalthiere haben ſelten mehr als ein ein-
ziges. Die Mutter verweilt bei ihrem Kalbe während der erſten Tage nach ſeiner Geburt und
äßt ſich unmittelbar in der Nähe deſſelben. Wenn das Kalb einmal vierzehn Tage alt iſt, hat
es hinlängliche Kraft und Schnelligkeit erlangt, um mit der ſchnellläufigen Mutter einer Verfolgung
des Wolfes oder eines anderen vierfüßigen Feindes zu entgehen. Zuweilen geſchieht es, daß Jſe-
grimm ein noch hilfloſes Kalb entdeckt. Dann entfaltet die Alte den bewunderungswürdigſten Muth
dem furchtbaren Feinde gegenüber. Sie ſpringt gegen ihn an, verſucht, ihm mit dem kurzen Gehörn
einen Stoß beizubringen, gebraucht auch wohl ihre Vorderläufe, mit welchen ſie tüchtige Schläge zu
geben weiß, und wenn der Wolf nicht gerade in voller Kraft oder vom Hunger arg gepeinigt iſt,
ſchlägt ſie denſelben wirklich in die Flucht und ſucht ſich für ihr Kalb eine ſicherere Weide, gewöhnlich
eine ſchwer zu erkletternde Felswand. Prinz von Wied fand zu Ende Aprils ein eben geſetztes Kälb-
chen in der Prairie. Es duckte ſich beim Erſcheinen der Reiter auf den Boden nieder und hätte leicht
mitgenommen werden können, wäre man mit den nöthigen Einrichtungen hierzu verſehen geweſen. Die
Mutter dieſes Thierchens war nicht in der Nähe; wahrſcheinlich war ſie gerade nach Aeßung ausge-
gangen und hatte an dem beſtimmten Platze das Junge zurückgelaſſen, wie Dies unſere Hirſcharten
auch zu thun pflegen.

Das kurze ſaftige Gras der Prairien bildet die Hauptäßung der Gabelgemſe; außerdem nimmt
ſie Mos, Zweige und ähnliche Stoffe an. Wie die meiſten Wiederkäuer liebt ſie ſalziges Waſſer oder
reines Salz ganz ungemein. Jn der Nähe ſalzhaltiger Stellen ſieht man ſie ſtundenlang liegen,

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[538/0568] Die Antilopen. — Die Gabelgemſe. auf den Boden, daß man die einzelnen Glieder, wie die Speichen eines ſich drehenden Rades nicht mehr unterſcheiden kann. Wenn ſie flüchtig werden, pflegen ſie zunächſt etwa dreißig bis vierzig Schritt weit zu trotten und zwar nach Art des Damwildes, indem ſie mit allen vier Läufen zugleich aufſpringen. Nach dieſer Einleitung aber ſtrecken ſie ihren Leib und durchmeſſen in voller Flucht mehrere Meilen im Verlauf weniger Minuten. Auch ſchwimmen ſie, wie Audubon und der Prinz verſichern, über breite Ströme mit größter Leichtigkeit. Ein aufgeſcheuchtes Rudel, welches in der Nähe eines Stromes weidet und keinen anderen Ausweg zur Flucht ſieht, pflegt ſich ohne Be- denken in die Wogen zu ſtürzen. Das leitende Thier zieht voran, die übrigen bilden allgemach die indianiſche Reihe, und ſo ſetzt das ganze Rudel in ſchönſter Ordnung über den Strom. Auch wenn es gilt, beſſere Aeßung aufzuſuchen, durchkreuzen ſie die Gewäſſer, und die Jndianer haben ſogar hierauf eine beſondere Jagdweiſe begründet. Die Gabelgemſen ſind ſcharfſinnige Thiere. Sie äugen in weite Ferne, vernehmen ausgezeich- net und wittern den unter dem Wind heranſchleichenden Feind auf mehrere hundert Schritte. Dabei ſind ſie klug, immer vorſichtig und ſelbſt ſcheu. Sie kennen den Menſchen und fürchten ihn, ſie ken- nen auch ihre übrigen Feinde und laſſen ſich nur höchſt ſelten dieſe ſo nahe auf den Leib rücken, daß ſie ihnen gefährlich werden können. Das leitende Thier faßt den ſich nahenden Menſchen ſcharf ins Auge, richtet das Gehör nach ihm hin, beobachtet ihn genau und ſtampft im geeigneten Augenblick mit einem der Vorderfüße auf den Boden oder läßt ein ſcharfes, pfeifendes Schnaufen vernehmen, wie andere Antilopen auch. Damit gibt es das Zeichen zur Flucht, welche augenblicklich beginnt und mit unermüdlicher Ausdauer fortgeſetzt wird, ſo lange es nöthig. Nur manchmal verlockt unſere Thiere die auch ihnen eigene Neugier, einen ſich nähernden Gegenſtand ins Auge zu faſſen, und darauf gründet der tückiſche Menſch und namentlich der liſtige Jndianer ſeine verderblichen Pläne. Die Brunſtzeit beginnt im September. Ungefähr ſechs Wochen lang zeigen ſich die Böcke ſehr erregt und fechten unter ſich mit großem Muthe, ja, mit einer gewiſſen Wildheit. Wenn ein Bock den anderen herbeikommen ſieht oder zufällig mit ihm zuſammentrifft, ſchauen ſich beide ärgerlich an, rennen dann mit niedergebeugten Köpfen wüthend gegen einander los, und der Kampf beginnt. Beide Gegner bringen ſich mit großer Schnelligkeit und Heftigkeit Stöße bei, oft ſehr gefährliche, bis der eine genug hat und dem anderen das Feld überläßt. Das Thier ſetzt ungefähr zu derſelben Zeit, wie das Wild, früheſtens im Mai, ſpäteſtens Mitte Junis. Gewöhnlich bringt es zwei, den Eltern gleichgefärbte, ungefleckte Kälber zur Welt; Schmalthiere haben ſelten mehr als ein ein- ziges. Die Mutter verweilt bei ihrem Kalbe während der erſten Tage nach ſeiner Geburt und äßt ſich unmittelbar in der Nähe deſſelben. Wenn das Kalb einmal vierzehn Tage alt iſt, hat es hinlängliche Kraft und Schnelligkeit erlangt, um mit der ſchnellläufigen Mutter einer Verfolgung des Wolfes oder eines anderen vierfüßigen Feindes zu entgehen. Zuweilen geſchieht es, daß Jſe- grimm ein noch hilfloſes Kalb entdeckt. Dann entfaltet die Alte den bewunderungswürdigſten Muth dem furchtbaren Feinde gegenüber. Sie ſpringt gegen ihn an, verſucht, ihm mit dem kurzen Gehörn einen Stoß beizubringen, gebraucht auch wohl ihre Vorderläufe, mit welchen ſie tüchtige Schläge zu geben weiß, und wenn der Wolf nicht gerade in voller Kraft oder vom Hunger arg gepeinigt iſt, ſchlägt ſie denſelben wirklich in die Flucht und ſucht ſich für ihr Kalb eine ſicherere Weide, gewöhnlich eine ſchwer zu erkletternde Felswand. Prinz von Wied fand zu Ende Aprils ein eben geſetztes Kälb- chen in der Prairie. Es duckte ſich beim Erſcheinen der Reiter auf den Boden nieder und hätte leicht mitgenommen werden können, wäre man mit den nöthigen Einrichtungen hierzu verſehen geweſen. Die Mutter dieſes Thierchens war nicht in der Nähe; wahrſcheinlich war ſie gerade nach Aeßung ausge- gangen und hatte an dem beſtimmten Platze das Junge zurückgelaſſen, wie Dies unſere Hirſcharten auch zu thun pflegen. Das kurze ſaftige Gras der Prairien bildet die Hauptäßung der Gabelgemſe; außerdem nimmt ſie Mos, Zweige und ähnliche Stoffe an. Wie die meiſten Wiederkäuer liebt ſie ſalziges Waſſer oder reines Salz ganz ungemein. Jn der Nähe ſalzhaltiger Stellen ſieht man ſie ſtundenlang liegen,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/568>, abgerufen am 16.07.2024.