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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Muntjak oder Kidang. -- Die Girafe.
sich mit solchem Ungestüm der Jagd hin, daß sie fast jede Minute ein Mal ihr Leben oder wenigstens
ihre Glieder aufs Spiel setzen.

Jn Banka hängt man zwischen zwei nahe stehende Bäume eine Menge von Schlingen und
zäunt von den Bäumen aus in schiefer Richtung zwei Wände, welche mehr und mehr sich verbreitern.
Da hinein treibt man den Kidang vermittelst der Hunde. Das arme Wild stürzt, blind vor Furcht,
willenlos in diese tückisch gelegten Schlingen zwischen den Bäumen, welche ihm einen Ausweg und
Rettung vor seinen Verfolgern verheißen. Außer dem Menschen stellen Tiger und Panther dem
Kidang eifrig nach. Doch das milde Klima mit seinem Reichthum an Nahrung sagt diesem Thiere so
außerordentlich zu, daß alle Verluste, welche Mensch und Raubthier dem Wildstande bringen, schnell
gedeckt werden.

Für die Gefangenschaft eignet sich der Kidang seines ungeduldigen Wesens halber nicht besonders,
obwohl er sie in seinem Vaterlande sehr gut und auch in Europa recht leidlich aushält. Man fin-
det ihn oft im Besitze der Europäer und Eingeborenen; doch verlangt er, wenn er sich wohl befinden
soll, einen großen Raum und ein ausgewähltes Futter. Bei guter Behandlung wird er bald sanft,
zahm und zutraulich.

Das Wildpret des Kidang wird gern von den Europäern gegessen; die Eingeborenen aber ge-
nießen es nur dann, wenn es vom Bock herrührt, weil einige Eigenheiten in den Sitten der Weibchen
ihnen Abscheu vor diesen beigebracht haben; auch glauben sie wohl, daß der Genuß ihnen Krantheiten
erzeuge u. dgl. m. Das Fell findet keine Verwendung.

Jn der Neuzeit hat man noch vier andere, hierher gehörige Arten von Muntjakhirschen unter-
schieden; ob mit Recht oder Unrecht, lassen wir dahingestellt.



Auch unter den Wiederkäuern gibt es Gestalten, welche mit der jetzt lebenden Schöpfung
gleichsam nicht mehr in Einklang zu bringen sind und an die märchenhaften Gebilde längst ver-
gangener Erdentage erinnern: das auffallendste Thier von allen aber ist die Girafe. Der alte
Horaz hat so unrecht nicht, wenn er dieses sonderbare Geschöpf "ein Gemisch von Panther und Ka-
mel" nennt, und die viel später Lebenden waren sicherlich in ihrem Rechte, wenn sie die von den
egyptischen Denkmälern herrührenden Abbildungen eines ihnen wieder entfremdeten Thieres als
Traumgebilde einer übermüthigen Künstlerfantasie bezeichneten. Die Römer staunten gewiß auch
nicht mehr über die Girafen, welche ihnen zu den Spielen des Julius Cäsar und später noch
einige Male vorgeführt wurden, als wir gebildeten Europäer heute noch staunen, wenn wir das
uns durch eine Menge von Abbildungen bekannte märchengestaltige Wesen zum ersten Male vor
uns sehen.

Die Girafe ist der Vertreter einer eigenen Familie, welcher man den altlateinischen, durch die
mitgetheilten Horazischen Worte erklärten Namen Camelopardalis gelassen hat. Jn dem Sivatherium,
dessen versteinten Schädel man in Jndien ausgrub, glaubt man ein zu derselben Familie zu rechnendes
Geschöpf entdeckt zu haben; in der gegenwärtigen Schöpfung aber ist die afrikanische Girafe (Camelo-
pardalis Girafa
) der alleinige Vertreter der merkwürdigen Familie, welche durch den, alles ge-
wohnte Maß überschreitenden, langen Hals, die hohen Beine, den dicken Rumpf mit abschüssigem
Rücken, den zierlich gebauten, feinen Kopf, mit großen, schönen, klaren Augen und durch zwei
sonderbare, mit Haut überkleidete Knochenzapfen gekennzeichnet ist. Die hohen Läufe und der
lange Hals machen die Girafe zu dem höchsten und verhältnißmäßig kürzesten aller Säugethiere.
Jhre Leibeslänge beträgt nämlich blos 7 Fuß, die Schulterhöhe dagegen bereits 10 Fuß und die Höhe
des Kopfes 15 bis 19 Fuß. Der Schwanz wird mit der Haarquaste über 4 Fuß, ohne dieselbe nur
21/2 Fuß lang. Das Kreuz ist fast 2 Fuß niedriger, als der Widerrist. Die Entfernung von der

Der Muntjak oder Kidang. — Die Girafe.
ſich mit ſolchem Ungeſtüm der Jagd hin, daß ſie faſt jede Minute ein Mal ihr Leben oder wenigſtens
ihre Glieder aufs Spiel ſetzen.

Jn Banka hängt man zwiſchen zwei nahe ſtehende Bäume eine Menge von Schlingen und
zäunt von den Bäumen aus in ſchiefer Richtung zwei Wände, welche mehr und mehr ſich verbreitern.
Da hinein treibt man den Kidang vermittelſt der Hunde. Das arme Wild ſtürzt, blind vor Furcht,
willenlos in dieſe tückiſch gelegten Schlingen zwiſchen den Bäumen, welche ihm einen Ausweg und
Rettung vor ſeinen Verfolgern verheißen. Außer dem Menſchen ſtellen Tiger und Panther dem
Kidang eifrig nach. Doch das milde Klima mit ſeinem Reichthum an Nahrung ſagt dieſem Thiere ſo
außerordentlich zu, daß alle Verluſte, welche Menſch und Raubthier dem Wildſtande bringen, ſchnell
gedeckt werden.

Für die Gefangenſchaft eignet ſich der Kidang ſeines ungeduldigen Weſens halber nicht beſonders,
obwohl er ſie in ſeinem Vaterlande ſehr gut und auch in Europa recht leidlich aushält. Man fin-
det ihn oft im Beſitze der Europäer und Eingeborenen; doch verlangt er, wenn er ſich wohl befinden
ſoll, einen großen Raum und ein ausgewähltes Futter. Bei guter Behandlung wird er bald ſanft,
zahm und zutraulich.

Das Wildpret des Kidang wird gern von den Europäern gegeſſen; die Eingeborenen aber ge-
nießen es nur dann, wenn es vom Bock herrührt, weil einige Eigenheiten in den Sitten der Weibchen
ihnen Abſcheu vor dieſen beigebracht haben; auch glauben ſie wohl, daß der Genuß ihnen Krantheiten
erzeuge u. dgl. m. Das Fell findet keine Verwendung.

Jn der Neuzeit hat man noch vier andere, hierher gehörige Arten von Muntjakhirſchen unter-
ſchieden; ob mit Recht oder Unrecht, laſſen wir dahingeſtellt.



Auch unter den Wiederkäuern gibt es Geſtalten, welche mit der jetzt lebenden Schöpfung
gleichſam nicht mehr in Einklang zu bringen ſind und an die märchenhaften Gebilde längſt ver-
gangener Erdentage erinnern: das auffallendſte Thier von allen aber iſt die Girafe. Der alte
Horaz hat ſo unrecht nicht, wenn er dieſes ſonderbare Geſchöpf „ein Gemiſch von Panther und Ka-
mel‟ nennt, und die viel ſpäter Lebenden waren ſicherlich in ihrem Rechte, wenn ſie die von den
egyptiſchen Denkmälern herrührenden Abbildungen eines ihnen wieder entfremdeten Thieres als
Traumgebilde einer übermüthigen Künſtlerfantaſie bezeichneten. Die Römer ſtaunten gewiß auch
nicht mehr über die Girafen, welche ihnen zu den Spielen des Julius Cäſar und ſpäter noch
einige Male vorgeführt wurden, als wir gebildeten Europäer heute noch ſtaunen, wenn wir das
uns durch eine Menge von Abbildungen bekannte märchengeſtaltige Weſen zum erſten Male vor
uns ſehen.

Die Girafe iſt der Vertreter einer eigenen Familie, welcher man den altlateiniſchen, durch die
mitgetheilten Horaziſchen Worte erklärten Namen Camelopardalis gelaſſen hat. Jn dem Sivatherium,
deſſen verſteinten Schädel man in Jndien ausgrub, glaubt man ein zu derſelben Familie zu rechnendes
Geſchöpf entdeckt zu haben; in der gegenwärtigen Schöpfung aber iſt die afrikaniſche Girafe (Camelo-
pardalis Girafa
) der alleinige Vertreter der merkwürdigen Familie, welche durch den, alles ge-
wohnte Maß überſchreitenden, langen Hals, die hohen Beine, den dicken Rumpf mit abſchüſſigem
Rücken, den zierlich gebauten, feinen Kopf, mit großen, ſchönen, klaren Augen und durch zwei
ſonderbare, mit Haut überkleidete Knochenzapfen gekennzeichnet iſt. Die hohen Läufe und der
lange Hals machen die Girafe zu dem höchſten und verhältnißmäßig kürzeſten aller Säugethiere.
Jhre Leibeslänge beträgt nämlich blos 7 Fuß, die Schulterhöhe dagegen bereits 10 Fuß und die Höhe
des Kopfes 15 bis 19 Fuß. Der Schwanz wird mit der Haarquaſte über 4 Fuß, ohne dieſelbe nur
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[489/0515] Der Muntjak oder Kidang. — Die Girafe. ſich mit ſolchem Ungeſtüm der Jagd hin, daß ſie faſt jede Minute ein Mal ihr Leben oder wenigſtens ihre Glieder aufs Spiel ſetzen. Jn Banka hängt man zwiſchen zwei nahe ſtehende Bäume eine Menge von Schlingen und zäunt von den Bäumen aus in ſchiefer Richtung zwei Wände, welche mehr und mehr ſich verbreitern. Da hinein treibt man den Kidang vermittelſt der Hunde. Das arme Wild ſtürzt, blind vor Furcht, willenlos in dieſe tückiſch gelegten Schlingen zwiſchen den Bäumen, welche ihm einen Ausweg und Rettung vor ſeinen Verfolgern verheißen. Außer dem Menſchen ſtellen Tiger und Panther dem Kidang eifrig nach. Doch das milde Klima mit ſeinem Reichthum an Nahrung ſagt dieſem Thiere ſo außerordentlich zu, daß alle Verluſte, welche Menſch und Raubthier dem Wildſtande bringen, ſchnell gedeckt werden. Für die Gefangenſchaft eignet ſich der Kidang ſeines ungeduldigen Weſens halber nicht beſonders, obwohl er ſie in ſeinem Vaterlande ſehr gut und auch in Europa recht leidlich aushält. Man fin- det ihn oft im Beſitze der Europäer und Eingeborenen; doch verlangt er, wenn er ſich wohl befinden ſoll, einen großen Raum und ein ausgewähltes Futter. Bei guter Behandlung wird er bald ſanft, zahm und zutraulich. Das Wildpret des Kidang wird gern von den Europäern gegeſſen; die Eingeborenen aber ge- nießen es nur dann, wenn es vom Bock herrührt, weil einige Eigenheiten in den Sitten der Weibchen ihnen Abſcheu vor dieſen beigebracht haben; auch glauben ſie wohl, daß der Genuß ihnen Krantheiten erzeuge u. dgl. m. Das Fell findet keine Verwendung. Jn der Neuzeit hat man noch vier andere, hierher gehörige Arten von Muntjakhirſchen unter- ſchieden; ob mit Recht oder Unrecht, laſſen wir dahingeſtellt. Auch unter den Wiederkäuern gibt es Geſtalten, welche mit der jetzt lebenden Schöpfung gleichſam nicht mehr in Einklang zu bringen ſind und an die märchenhaften Gebilde längſt ver- gangener Erdentage erinnern: das auffallendſte Thier von allen aber iſt die Girafe. Der alte Horaz hat ſo unrecht nicht, wenn er dieſes ſonderbare Geſchöpf „ein Gemiſch von Panther und Ka- mel‟ nennt, und die viel ſpäter Lebenden waren ſicherlich in ihrem Rechte, wenn ſie die von den egyptiſchen Denkmälern herrührenden Abbildungen eines ihnen wieder entfremdeten Thieres als Traumgebilde einer übermüthigen Künſtlerfantaſie bezeichneten. Die Römer ſtaunten gewiß auch nicht mehr über die Girafen, welche ihnen zu den Spielen des Julius Cäſar und ſpäter noch einige Male vorgeführt wurden, als wir gebildeten Europäer heute noch ſtaunen, wenn wir das uns durch eine Menge von Abbildungen bekannte märchengeſtaltige Weſen zum erſten Male vor uns ſehen. Die Girafe iſt der Vertreter einer eigenen Familie, welcher man den altlateiniſchen, durch die mitgetheilten Horaziſchen Worte erklärten Namen Camelopardalis gelaſſen hat. Jn dem Sivatherium, deſſen verſteinten Schädel man in Jndien ausgrub, glaubt man ein zu derſelben Familie zu rechnendes Geſchöpf entdeckt zu haben; in der gegenwärtigen Schöpfung aber iſt die afrikaniſche Girafe (Camelo- pardalis Girafa) der alleinige Vertreter der merkwürdigen Familie, welche durch den, alles ge- wohnte Maß überſchreitenden, langen Hals, die hohen Beine, den dicken Rumpf mit abſchüſſigem Rücken, den zierlich gebauten, feinen Kopf, mit großen, ſchönen, klaren Augen und durch zwei ſonderbare, mit Haut überkleidete Knochenzapfen gekennzeichnet iſt. Die hohen Läufe und der lange Hals machen die Girafe zu dem höchſten und verhältnißmäßig kürzeſten aller Säugethiere. Jhre Leibeslänge beträgt nämlich blos 7 Fuß, die Schulterhöhe dagegen bereits 10 Fuß und die Höhe des Kopfes 15 bis 19 Fuß. Der Schwanz wird mit der Haarquaſte über 4 Fuß, ohne dieſelbe nur 2½ Fuß lang. Das Kreuz iſt faſt 2 Fuß niedriger, als der Widerriſt. Die Entfernung von der

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/515>, abgerufen am 16.07.2024.