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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Pampashirsch.

Jung eingefangen wird der Pampashirsch außerordentlich zahm. Er lernt alle Mitglieder des
Hauses kennen, folgt ihnen überall hin, gehorcht ihrem Rufe, spielt mit ihnen und beleckt ihnen
Hände und Gesicht; mit Haushunden und Pferden lebt er nicht nur friedlich, sondern neckt sie zu-
weilen mit Stößen; fremde Personen und fremde Hunde meidet er. Rohe und gekochte Pflanzen
der verschiedensten Art ernähren ihn; auf Salz ist er, wie seine Verwandten, besonders erpicht. Bei
schöner Witterung vergnügt er sich im Freien; in den Mittagstunden käut er wieder; bei Regenwetter
begibt er sich unter Dach.

Der erwachsene Hirsch gibt einen sehr unangenehmen, den Ausdünstungen des Negers ähnelnden
Geruch von sich, namentlich in der Brunstzeit. Dann ist er so stark, daß man ihn sogar an Stellen
wahrnimmt, wo eine Viertelstunde vorher ein Männchen vorbeigekommen ist. "Jch warf einst mit
Kugeln," sagt Rengger, "in die Geweihe des Gua-zu-y, und ließ dieselben nur solange daran,
bis ich das Thier getödtet hatte: dennoch hatten sie schon einen so stinkenden Geruch angenommen,
daß ich mich ihrer während vierzehn Tagen nicht mehr bedienen konnte. Auch besitze ich ein paar

[Abbildung] Der Pampashirsch (Blastoceros campestris).
Geweihe, an denen die noch vorhandene Hautbedeckung des Rosenstockes, jetzt nach Verlauf von acht
Jahren, noch jenen Negergeruch wahrnehmen lassen. Der Geruch stellt sich nicht vor dem ersten
Altersjahre ein und soll, wie mir ein Jäger versichert, ganz wegbleiben, wenn man das Thier in der
Jugend verschneidet."

Um den Gua-zu-y zu erlegen, muß man Treibjagden anstellen. Einige Jäger zu Pferde bil-
den auf dem Felde einen Halbkreis und erwarten das Wild, welches ihnen andere Jäger mit den
Hunden zutreiben. So wie sich Einer dem Hirsch genugsam genähert hat, sprengt er plötzlich auf
ihn zu und wirft ihm die Kugeln in die Geweihe oder zwischen die Läufe. Eine Hauptregel ist, daß
sich der Jäger nicht zu früh gegen das nahende Thier in Bewegung setzt, sonst wird er schon aus der
Ferne von diesem bemerkt und ist dann nicht mehr im Stande, das flüchtige Geschöpf einzuholen.
Wird der Hirsch lange gejagt, so macht er, wie unser Reh, häufig Seitensprünge, um die Hunde von
der Spur abzubringen, und versetzt sich endlich an einer Stelle, wo er hohes Gras findet. Jm Fall
der Noth zeigt er auch Muth und vertheidigt sich gegen Hunde und Menschen entweder mit dem Ge-
weih oder durch Schlagen mit den Vorderläufen. Zuweilen gelingt es auch, wenn man mit Vor-

Der Pampashirſch.

Jung eingefangen wird der Pampashirſch außerordentlich zahm. Er lernt alle Mitglieder des
Hauſes kennen, folgt ihnen überall hin, gehorcht ihrem Rufe, ſpielt mit ihnen und beleckt ihnen
Hände und Geſicht; mit Haushunden und Pferden lebt er nicht nur friedlich, ſondern neckt ſie zu-
weilen mit Stößen; fremde Perſonen und fremde Hunde meidet er. Rohe und gekochte Pflanzen
der verſchiedenſten Art ernähren ihn; auf Salz iſt er, wie ſeine Verwandten, beſonders erpicht. Bei
ſchöner Witterung vergnügt er ſich im Freien; in den Mittagſtunden käut er wieder; bei Regenwetter
begibt er ſich unter Dach.

Der erwachſene Hirſch gibt einen ſehr unangenehmen, den Ausdünſtungen des Negers ähnelnden
Geruch von ſich, namentlich in der Brunſtzeit. Dann iſt er ſo ſtark, daß man ihn ſogar an Stellen
wahrnimmt, wo eine Viertelſtunde vorher ein Männchen vorbeigekommen iſt. „Jch warf einſt mit
Kugeln,‟ ſagt Rengger, „in die Geweihe des Gua-zu-y, und ließ dieſelben nur ſolange daran,
bis ich das Thier getödtet hatte: dennoch hatten ſie ſchon einen ſo ſtinkenden Geruch angenommen,
daß ich mich ihrer während vierzehn Tagen nicht mehr bedienen konnte. Auch beſitze ich ein paar

[Abbildung] Der Pampashirſch (Blastoceros campestris).
Geweihe, an denen die noch vorhandene Hautbedeckung des Roſenſtockes, jetzt nach Verlauf von acht
Jahren, noch jenen Negergeruch wahrnehmen laſſen. Der Geruch ſtellt ſich nicht vor dem erſten
Altersjahre ein und ſoll, wie mir ein Jäger verſichert, ganz wegbleiben, wenn man das Thier in der
Jugend verſchneidet.‟

Um den Gua-zu-y zu erlegen, muß man Treibjagden anſtellen. Einige Jäger zu Pferde bil-
den auf dem Felde einen Halbkreis und erwarten das Wild, welches ihnen andere Jäger mit den
Hunden zutreiben. So wie ſich Einer dem Hirſch genugſam genähert hat, ſprengt er plötzlich auf
ihn zu und wirft ihm die Kugeln in die Geweihe oder zwiſchen die Läufe. Eine Hauptregel iſt, daß
ſich der Jäger nicht zu früh gegen das nahende Thier in Bewegung ſetzt, ſonſt wird er ſchon aus der
Ferne von dieſem bemerkt und iſt dann nicht mehr im Stande, das flüchtige Geſchöpf einzuholen.
Wird der Hirſch lange gejagt, ſo macht er, wie unſer Reh, häufig Seitenſprünge, um die Hunde von
der Spur abzubringen, und verſetzt ſich endlich an einer Stelle, wo er hohes Gras findet. Jm Fall
der Noth zeigt er auch Muth und vertheidigt ſich gegen Hunde und Menſchen entweder mit dem Ge-
weih oder durch Schlagen mit den Vorderläufen. Zuweilen gelingt es auch, wenn man mit Vor-

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[477/0503] Der Pampashirſch. Jung eingefangen wird der Pampashirſch außerordentlich zahm. Er lernt alle Mitglieder des Hauſes kennen, folgt ihnen überall hin, gehorcht ihrem Rufe, ſpielt mit ihnen und beleckt ihnen Hände und Geſicht; mit Haushunden und Pferden lebt er nicht nur friedlich, ſondern neckt ſie zu- weilen mit Stößen; fremde Perſonen und fremde Hunde meidet er. Rohe und gekochte Pflanzen der verſchiedenſten Art ernähren ihn; auf Salz iſt er, wie ſeine Verwandten, beſonders erpicht. Bei ſchöner Witterung vergnügt er ſich im Freien; in den Mittagſtunden käut er wieder; bei Regenwetter begibt er ſich unter Dach. Der erwachſene Hirſch gibt einen ſehr unangenehmen, den Ausdünſtungen des Negers ähnelnden Geruch von ſich, namentlich in der Brunſtzeit. Dann iſt er ſo ſtark, daß man ihn ſogar an Stellen wahrnimmt, wo eine Viertelſtunde vorher ein Männchen vorbeigekommen iſt. „Jch warf einſt mit Kugeln,‟ ſagt Rengger, „in die Geweihe des Gua-zu-y, und ließ dieſelben nur ſolange daran, bis ich das Thier getödtet hatte: dennoch hatten ſie ſchon einen ſo ſtinkenden Geruch angenommen, daß ich mich ihrer während vierzehn Tagen nicht mehr bedienen konnte. Auch beſitze ich ein paar [Abbildung Der Pampashirſch (Blastoceros campestris).] Geweihe, an denen die noch vorhandene Hautbedeckung des Roſenſtockes, jetzt nach Verlauf von acht Jahren, noch jenen Negergeruch wahrnehmen laſſen. Der Geruch ſtellt ſich nicht vor dem erſten Altersjahre ein und ſoll, wie mir ein Jäger verſichert, ganz wegbleiben, wenn man das Thier in der Jugend verſchneidet.‟ Um den Gua-zu-y zu erlegen, muß man Treibjagden anſtellen. Einige Jäger zu Pferde bil- den auf dem Felde einen Halbkreis und erwarten das Wild, welches ihnen andere Jäger mit den Hunden zutreiben. So wie ſich Einer dem Hirſch genugſam genähert hat, ſprengt er plötzlich auf ihn zu und wirft ihm die Kugeln in die Geweihe oder zwiſchen die Läufe. Eine Hauptregel iſt, daß ſich der Jäger nicht zu früh gegen das nahende Thier in Bewegung ſetzt, ſonſt wird er ſchon aus der Ferne von dieſem bemerkt und iſt dann nicht mehr im Stande, das flüchtige Geſchöpf einzuholen. Wird der Hirſch lange gejagt, ſo macht er, wie unſer Reh, häufig Seitenſprünge, um die Hunde von der Spur abzubringen, und verſetzt ſich endlich an einer Stelle, wo er hohes Gras findet. Jm Fall der Noth zeigt er auch Muth und vertheidigt ſich gegen Hunde und Menſchen entweder mit dem Ge- weih oder durch Schlagen mit den Vorderläufen. Zuweilen gelingt es auch, wenn man mit Vor-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 477. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/503>, abgerufen am 23.11.2024.