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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hirsche. -- Der virginische Hirsch.
pieren. Kein Busch in dem Garten, so werthvoll er uns auch sein mochte, war ihnen heilig; sie be-
nagten unser Kutschengeschirr und machten sich schließlich über unsere jungen Enten und Hühner
her, bissen ihnen den Kopf und die Füße ab und ließen dann den verstümmelten Leib liegen."

"Das Thier setzt erst, wenn es wenigstens zwei Jahre alt ist, und dann regelmäßig ein Kalb,
während es später deren zwei zur Welt bringt. Ein starkes und gesundes Thier gebiert oft drei Käl-
ber, und in dem Leibe eines von uns erlegten Thieres fanden wir sogar vier wohlausgebildete Junge.
Die regelmäßige Zahl der Kälber ist zwei. Das Thier liebt sein Kalb ungemein und kommt auf
seinen Ruf augenblicklich herbei. Die Jndiauer brauchen die List, auf einem Rohrstücke das Mahnen
des Kalbes nachzuahmen, um die Mutter herbeizulocken, welche dann regelmäßig ihrem Pfeil zum
Opfer fällt. Wir selbst haben zwei Mal Thiere durch Nachahmen der Stimme seines Kalbes her-
beigerufen. Dem Menschen gegenüber wagt die Mutter ihr Kind nicht zu vertheidigen, sondern
denkt nur an Flucht."

"Das Wild ist sehr gesellig und wird in den westlichen Prairien oft in ungemein zahlreichen
Rudeln von vielen hundert Stück zusammen gesehen. Nach der Brunst schlagen sich, wie wir schon
erwähnt haben, auch die Hirsche in Rudel zusammen oder vereinigen sich mit den Thieren, welche den
größten Theil des Jahres hindurch zusammenleben."

"Unser Wild ist eins der schweigsamsten aller Geschöpfe. Es läßt selten einen Laut ver-
nehmen. Das Kalb stößt ein leises Blöcken aus, welches von dem feinen Gehör seiner Mutter viel-
leicht auf eine Entfernung von hundert Ellen wahrgenommen wird; diese ruft ihr Kalb durch ein
leises Murmeln herbei. Ein lautes Schreien haben wir nur gehört, wenn das Wild verwundet wurde.
Der Bock stößt, wenn er aufgestöbert wird, ein kurzes Schnauben aus, wir haben aber auch nachts
ein schrillendes Pfeifen, ähnlich dem der Gemse, von ihm gehört, und zwar bis auf eine Entfer-
nung von ungefähr einer halben Meile. Die Witterung ist so ausgezeichnet, daß ein Stück dem an-
deren durch Spüren zu folgen im Stande ist. An einem Herbstmorgen sahen wir ein Thier an uns
vorüberlaufen; zehn Minuten später beobachteten wir einen Hirsch, welcher es mit der Nase auf dem
Boden verfolgte, und zwar auf allen Widergängen seines Laufes; eine halbe Stunde später erschien
ein zweiter Hirsch und geraume Zeit nachher ein Spießer, als dritter, und Alle folgten derselben
Fährte. Das Gesicht scheint wenig entwickelt zu sein; wenigstens haben wir beobachtet, daß das
Wild, wenn wir still standen, oft wenige Ellen vor uns vorbeiging, ohne uns zu bemerken, wäh-
rend es augenblicklich flüchtig wurde, wenn wir uns bewegten oder wenn wir ihm in den Wind
kamen. Das Gehör ist ebensofein, als der Geruch."

"Unser Wild kann ohne Wasser nicht bestehen und ist gezwungen, die Flüsse oder Quellen all-
nächtlich aufzusuchen. Jm Jahre 1850 herrschte eine allgemeine Dürre in unseren südlichen Ländern,
und die Folge davon war, daß das Wild massenweise seine Stände verließ und sich wasserreicheren
Gegenden zuzog. Sehr begierig sind die Hirsche auf Salz, und Jäger, welche Dies wissen und Salz-
lecken kennen, machen in der Nähe derselben regelmäßig gute Jagd."

"Wenn man das Wild ein nächtliches Thier nennt, muß man hinzufügen, daß es in Prairien
oder in Oertlichkeiten, wo es selten gestört wird, auch in den Morgen- und Nachmittagsstunden
seiner Aeßung nachgeht. Unter solchen Umständen ruht es gewöhnlich nur in den Mittagsstunden.
Jn den atlantischen Staaten freilich, wo es von den Jägern fortwährend belästigt wird, erhebt es
sich selten vor Sonnenuntergang von seinem Bette. Uebrigens sieht man es während des Frühlings
und Sommers öfter, als im Winter bei Tage sich äßen."

"Jn Gegenden, wo das Wild fortwährend beunruhigt wird, läßt es den Jäger weit näher an
sein Bett herankommen, als in Gauen, wo es selten gestört wird. Es bleibt ruhig liegen, aber
keineswegs weil es schläft oder nicht wachsam ist, sondern weil es fürchtet, sich laufend dem Blicke
auszusetzen und hofft, im Liegen übersehen zu werden. Wir haben es liegen sehen, die Hinterläufe
sprungfertig, das Gehör platt auf die Seiten des Nackens gepreßt, die Lichter scharf jede Bewe-
gung des Störenfrieds bewachend. Unter solchen Umständen darf der Jäger nur dann auf Erfolg

Die Hirſche. — Der virginiſche Hirſch.
pieren. Kein Buſch in dem Garten, ſo werthvoll er uns auch ſein mochte, war ihnen heilig; ſie be-
nagten unſer Kutſchengeſchirr und machten ſich ſchließlich über unſere jungen Enten und Hühner
her, biſſen ihnen den Kopf und die Füße ab und ließen dann den verſtümmelten Leib liegen.‟

„Das Thier ſetzt erſt, wenn es wenigſtens zwei Jahre alt iſt, und dann regelmäßig ein Kalb,
während es ſpäter deren zwei zur Welt bringt. Ein ſtarkes und geſundes Thier gebiert oft drei Käl-
ber, und in dem Leibe eines von uns erlegten Thieres fanden wir ſogar vier wohlausgebildete Junge.
Die regelmäßige Zahl der Kälber iſt zwei. Das Thier liebt ſein Kalb ungemein und kommt auf
ſeinen Ruf augenblicklich herbei. Die Jndiauer brauchen die Liſt, auf einem Rohrſtücke das Mahnen
des Kalbes nachzuahmen, um die Mutter herbeizulocken, welche dann regelmäßig ihrem Pfeil zum
Opfer fällt. Wir ſelbſt haben zwei Mal Thiere durch Nachahmen der Stimme ſeines Kalbes her-
beigerufen. Dem Menſchen gegenüber wagt die Mutter ihr Kind nicht zu vertheidigen, ſondern
denkt nur an Flucht.‟

„Das Wild iſt ſehr geſellig und wird in den weſtlichen Prairien oft in ungemein zahlreichen
Rudeln von vielen hundert Stück zuſammen geſehen. Nach der Brunſt ſchlagen ſich, wie wir ſchon
erwähnt haben, auch die Hirſche in Rudel zuſammen oder vereinigen ſich mit den Thieren, welche den
größten Theil des Jahres hindurch zuſammenleben.‟

„Unſer Wild iſt eins der ſchweigſamſten aller Geſchöpfe. Es läßt ſelten einen Laut ver-
nehmen. Das Kalb ſtößt ein leiſes Blöcken aus, welches von dem feinen Gehör ſeiner Mutter viel-
leicht auf eine Entfernung von hundert Ellen wahrgenommen wird; dieſe ruft ihr Kalb durch ein
leiſes Murmeln herbei. Ein lautes Schreien haben wir nur gehört, wenn das Wild verwundet wurde.
Der Bock ſtößt, wenn er aufgeſtöbert wird, ein kurzes Schnauben aus, wir haben aber auch nachts
ein ſchrillendes Pfeifen, ähnlich dem der Gemſe, von ihm gehört, und zwar bis auf eine Entfer-
nung von ungefähr einer halben Meile. Die Witterung iſt ſo ausgezeichnet, daß ein Stück dem an-
deren durch Spüren zu folgen im Stande iſt. An einem Herbſtmorgen ſahen wir ein Thier an uns
vorüberlaufen; zehn Minuten ſpäter beobachteten wir einen Hirſch, welcher es mit der Naſe auf dem
Boden verfolgte, und zwar auf allen Widergängen ſeines Laufes; eine halbe Stunde ſpäter erſchien
ein zweiter Hirſch und geraume Zeit nachher ein Spießer, als dritter, und Alle folgten derſelben
Fährte. Das Geſicht ſcheint wenig entwickelt zu ſein; wenigſtens haben wir beobachtet, daß das
Wild, wenn wir ſtill ſtanden, oft wenige Ellen vor uns vorbeiging, ohne uns zu bemerken, wäh-
rend es augenblicklich flüchtig wurde, wenn wir uns bewegten oder wenn wir ihm in den Wind
kamen. Das Gehör iſt ebenſofein, als der Geruch.‟

„Unſer Wild kann ohne Waſſer nicht beſtehen und iſt gezwungen, die Flüſſe oder Quellen all-
nächtlich aufzuſuchen. Jm Jahre 1850 herrſchte eine allgemeine Dürre in unſeren ſüdlichen Ländern,
und die Folge davon war, daß das Wild maſſenweiſe ſeine Stände verließ und ſich waſſerreicheren
Gegenden zuzog. Sehr begierig ſind die Hirſche auf Salz, und Jäger, welche Dies wiſſen und Salz-
lecken kennen, machen in der Nähe derſelben regelmäßig gute Jagd.‟

„Wenn man das Wild ein nächtliches Thier nennt, muß man hinzufügen, daß es in Prairien
oder in Oertlichkeiten, wo es ſelten geſtört wird, auch in den Morgen- und Nachmittagsſtunden
ſeiner Aeßung nachgeht. Unter ſolchen Umſtänden ruht es gewöhnlich nur in den Mittagsſtunden.
Jn den atlantiſchen Staaten freilich, wo es von den Jägern fortwährend beläſtigt wird, erhebt es
ſich ſelten vor Sonnenuntergang von ſeinem Bette. Uebrigens ſieht man es während des Frühlings
und Sommers öfter, als im Winter bei Tage ſich äßen.‟

„Jn Gegenden, wo das Wild fortwährend beunruhigt wird, läßt es den Jäger weit näher an
ſein Bett herankommen, als in Gauen, wo es ſelten geſtört wird. Es bleibt ruhig liegen, aber
keineswegs weil es ſchläft oder nicht wachſam iſt, ſondern weil es fürchtet, ſich laufend dem Blicke
auszuſetzen und hofft, im Liegen überſehen zu werden. Wir haben es liegen ſehen, die Hinterläufe
ſprungfertig, das Gehör platt auf die Seiten des Nackens gepreßt, die Lichter ſcharf jede Bewe-
gung des Störenfrieds bewachend. Unter ſolchen Umſtänden darf der Jäger nur dann auf Erfolg

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[472/0498] Die Hirſche. — Der virginiſche Hirſch. pieren. Kein Buſch in dem Garten, ſo werthvoll er uns auch ſein mochte, war ihnen heilig; ſie be- nagten unſer Kutſchengeſchirr und machten ſich ſchließlich über unſere jungen Enten und Hühner her, biſſen ihnen den Kopf und die Füße ab und ließen dann den verſtümmelten Leib liegen.‟ „Das Thier ſetzt erſt, wenn es wenigſtens zwei Jahre alt iſt, und dann regelmäßig ein Kalb, während es ſpäter deren zwei zur Welt bringt. Ein ſtarkes und geſundes Thier gebiert oft drei Käl- ber, und in dem Leibe eines von uns erlegten Thieres fanden wir ſogar vier wohlausgebildete Junge. Die regelmäßige Zahl der Kälber iſt zwei. Das Thier liebt ſein Kalb ungemein und kommt auf ſeinen Ruf augenblicklich herbei. Die Jndiauer brauchen die Liſt, auf einem Rohrſtücke das Mahnen des Kalbes nachzuahmen, um die Mutter herbeizulocken, welche dann regelmäßig ihrem Pfeil zum Opfer fällt. Wir ſelbſt haben zwei Mal Thiere durch Nachahmen der Stimme ſeines Kalbes her- beigerufen. Dem Menſchen gegenüber wagt die Mutter ihr Kind nicht zu vertheidigen, ſondern denkt nur an Flucht.‟ „Das Wild iſt ſehr geſellig und wird in den weſtlichen Prairien oft in ungemein zahlreichen Rudeln von vielen hundert Stück zuſammen geſehen. Nach der Brunſt ſchlagen ſich, wie wir ſchon erwähnt haben, auch die Hirſche in Rudel zuſammen oder vereinigen ſich mit den Thieren, welche den größten Theil des Jahres hindurch zuſammenleben.‟ „Unſer Wild iſt eins der ſchweigſamſten aller Geſchöpfe. Es läßt ſelten einen Laut ver- nehmen. Das Kalb ſtößt ein leiſes Blöcken aus, welches von dem feinen Gehör ſeiner Mutter viel- leicht auf eine Entfernung von hundert Ellen wahrgenommen wird; dieſe ruft ihr Kalb durch ein leiſes Murmeln herbei. Ein lautes Schreien haben wir nur gehört, wenn das Wild verwundet wurde. Der Bock ſtößt, wenn er aufgeſtöbert wird, ein kurzes Schnauben aus, wir haben aber auch nachts ein ſchrillendes Pfeifen, ähnlich dem der Gemſe, von ihm gehört, und zwar bis auf eine Entfer- nung von ungefähr einer halben Meile. Die Witterung iſt ſo ausgezeichnet, daß ein Stück dem an- deren durch Spüren zu folgen im Stande iſt. An einem Herbſtmorgen ſahen wir ein Thier an uns vorüberlaufen; zehn Minuten ſpäter beobachteten wir einen Hirſch, welcher es mit der Naſe auf dem Boden verfolgte, und zwar auf allen Widergängen ſeines Laufes; eine halbe Stunde ſpäter erſchien ein zweiter Hirſch und geraume Zeit nachher ein Spießer, als dritter, und Alle folgten derſelben Fährte. Das Geſicht ſcheint wenig entwickelt zu ſein; wenigſtens haben wir beobachtet, daß das Wild, wenn wir ſtill ſtanden, oft wenige Ellen vor uns vorbeiging, ohne uns zu bemerken, wäh- rend es augenblicklich flüchtig wurde, wenn wir uns bewegten oder wenn wir ihm in den Wind kamen. Das Gehör iſt ebenſofein, als der Geruch.‟ „Unſer Wild kann ohne Waſſer nicht beſtehen und iſt gezwungen, die Flüſſe oder Quellen all- nächtlich aufzuſuchen. Jm Jahre 1850 herrſchte eine allgemeine Dürre in unſeren ſüdlichen Ländern, und die Folge davon war, daß das Wild maſſenweiſe ſeine Stände verließ und ſich waſſerreicheren Gegenden zuzog. Sehr begierig ſind die Hirſche auf Salz, und Jäger, welche Dies wiſſen und Salz- lecken kennen, machen in der Nähe derſelben regelmäßig gute Jagd.‟ „Wenn man das Wild ein nächtliches Thier nennt, muß man hinzufügen, daß es in Prairien oder in Oertlichkeiten, wo es ſelten geſtört wird, auch in den Morgen- und Nachmittagsſtunden ſeiner Aeßung nachgeht. Unter ſolchen Umſtänden ruht es gewöhnlich nur in den Mittagsſtunden. Jn den atlantiſchen Staaten freilich, wo es von den Jägern fortwährend beläſtigt wird, erhebt es ſich ſelten vor Sonnenuntergang von ſeinem Bette. Uebrigens ſieht man es während des Frühlings und Sommers öfter, als im Winter bei Tage ſich äßen.‟ „Jn Gegenden, wo das Wild fortwährend beunruhigt wird, läßt es den Jäger weit näher an ſein Bett herankommen, als in Gauen, wo es ſelten geſtört wird. Es bleibt ruhig liegen, aber keineswegs weil es ſchläft oder nicht wachſam iſt, ſondern weil es fürchtet, ſich laufend dem Blicke auszuſetzen und hofft, im Liegen überſehen zu werden. Wir haben es liegen ſehen, die Hinterläufe ſprungfertig, das Gehör platt auf die Seiten des Nackens gepreßt, die Lichter ſcharf jede Bewe- gung des Störenfrieds bewachend. Unter ſolchen Umſtänden darf der Jäger nur dann auf Erfolg

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/498>, abgerufen am 16.07.2024.