auch zahlreiche Spuren des Wildes in Feldern, welche nur von fern her besucht werden. Jn den Ge- birgsgegenden bemerkt man zuweilen ein Stück auf einem hervorragenden Felspunkte niedergethan, dem Steinbock oder der Alpengemse vergleichbar; gewöhnlich aber verbirgt sich das Wild zwischen Mirten- und Lorbergebüsch, neben umgefallenen Bäumen und an ähnlichen Orten. Jn der kalten Jahreszeit bevorzugt es die geschützten und trockenen Plätze, steht dann gern unter dem Winde und läßt sich von den Sonnenstrahlen wärmen; im Sommer zieht es sich während des Tages in die schat- tigen Theile des Waldes zurück und hält sich in der Nähe kleiner Flüsse oder kühler Ströme auf. Um der Verfolgung der Mücken und Stechfliegen zu entgehen, flüchtet es sich oft in einen Fluß oder Teich und liegt hier bis zur Nase im Wasser."
"Die Aeßung des Wildes ist nach der Jahreszeit verschieden. Jm Winter geht es die Zweige und Blätter des Gebüsches an, im Frühling und Sommer wählt es sich, und zwar mit größter Lecker- haftigkeit, das zarteste Gras aus, und kommt oft, dem jungen Mais und anderen Getreide nach- gehend, in die Felder herein. Beeren verschiedener Art, Nüsse und ähnliche Früchte, namentlich auch Bücheln liebt es ganz ungemein. Bei so reichlicher Auswahl an Aeßung sollte man meinen, daß das Wild beständig gut von Wildpret sei: Dies ist jedoch nicht der Fall; denn mit Ausnahme gewisser Jahreszeiten ist dieser Hirsch sehr schlecht vom Leibe. Die Hirsche sind vom August bis zum Novem- ber feist. Wir selbst haben solche erlegt, welche 175 Pfund wogen, und sind berichtet worden, daß Einzelne ein Gewicht von mehr als 200 Pfund erreichen. Die Brunst beginnt, in Karolina we- nigstens, im November, manchmal auch etwas eher. Der Hirsch ist jetzt fortwährend auf den Beinen, fast beständig im Rennen, um seine Gegner aufzusuchen. Wenn er mit anderen Hirschen zusammentrifft, beginnt ein heftiger Zweikampf, in welchem nicht selten Einer getödtet wird, obgleich der Schwächere gewöhnlich die Flucht ergreift und dem Stärkeren höchstens achtungsvoll in einiger Entfernung folgt, immer bereit, dem siegreichen Nebenbuhler das Feld zu räumen. Nicht selten verfangen sich zwei gleich starke Hirsche so vollständig mit den Geweihen, daß sie nicht wieder von einander loskommen können und in kläglicher Weise zu Grunde gehen. Wir haben uns bemüht, derartig ver- schlungene Geweihe zu trennen, aber gefunden, daß weder unsere Geschicklichkeit, noch unsere Kraft Dies auszuführen vermochte. Verschiedene Mal haben wir zwei und ein Mal drei Paare von Ge- weihen so verfangen gesehen. Die Brunstzeit währt ungefähr zwei Monate und beginnt bei den älteren Hirschen eher, als bei den jüngeren. Gegen den Monat Januar werfen die Hirsche ab, und von dieser Zeit an leben sie friedlich mit einander vereinigt."
"Die Thiere sind am feistesten vom November bis zum Januar, fallen hierauf ab, umsomehr, je näher die Satzzeit heranrückt, und nehmen wieder zu, während ihre Kälber sie besäugen. Diese werden in Karolina im April geboren; Schmalthiere hingegen setzen gewöhnlich erst im Mai oder Juni. Jn den nördlichen Staaten tritt die Satzzeit etwas später ein, als in Florida und Tejas. Auffallend, aber vollkommen begründet ist, daß in Alabama und Florida die Mehrzahl der Kälber im November geboren werden. Das Thier verbirgt sein frisch gesetztes Kalb unter einem dichten Busch oder im dicken Gras und besucht es mehrmals des Tages, namentlich morgens, abends und während der Nacht. Erst später nimmt es das Junge mit sich fort. Wenn die Kälber erst einige Tage alt sind, liegen sie manchmal so tief im Schlafe, daß sie gefangen werden können, ehe sie die Ankunft eines Menschen wahrnehmen. Sie lassen sich sehr schnell zähmen und schließen sich ihren Fängern schon nach wenigen Stunden innig an. Ein Freund von uns besaß ein Thierkalb, welches nach seiner Gefangennahme zu einer Ziege gebracht und von dieser angenommen wurde, und wir haben andere gesehen, welche von Kühen groß gesäugt worden waren. Sie halten sich gut in der Gefangenschaft, aber wir haben gefunden, daß sie lästige Schosthierchen sind. Ein Paar, welches wir verschiedene Jahre hielten, hatte sich gewöhnt, unser Studirzimmer durch das offene Fenster zu besuchen, und führte Dies auch aus, wenn die Fenster geschlossen waren, unbekümmert um das Glas in denselben. Sie schienen überhaupt einen zerstörungslustigen Sinn zu besitzen: sie leckten und nagten an unseren Buchdeckeln und verursachten uns oft große Verwirrung unter unseren Pa-
Der virginiſche Hirſch.
auch zahlreiche Spuren des Wildes in Feldern, welche nur von fern her beſucht werden. Jn den Ge- birgsgegenden bemerkt man zuweilen ein Stück auf einem hervorragenden Felspunkte niedergethan, dem Steinbock oder der Alpengemſe vergleichbar; gewöhnlich aber verbirgt ſich das Wild zwiſchen Mirten- und Lorbergebüſch, neben umgefallenen Bäumen und an ähnlichen Orten. Jn der kalten Jahreszeit bevorzugt es die geſchützten und trockenen Plätze, ſteht dann gern unter dem Winde und läßt ſich von den Sonnenſtrahlen wärmen; im Sommer zieht es ſich während des Tages in die ſchat- tigen Theile des Waldes zurück und hält ſich in der Nähe kleiner Flüſſe oder kühler Ströme auf. Um der Verfolgung der Mücken und Stechfliegen zu entgehen, flüchtet es ſich oft in einen Fluß oder Teich und liegt hier bis zur Naſe im Waſſer.‟
„Die Aeßung des Wildes iſt nach der Jahreszeit verſchieden. Jm Winter geht es die Zweige und Blätter des Gebüſches an, im Frühling und Sommer wählt es ſich, und zwar mit größter Lecker- haftigkeit, das zarteſte Gras aus, und kommt oft, dem jungen Mais und anderen Getreide nach- gehend, in die Felder herein. Beeren verſchiedener Art, Nüſſe und ähnliche Früchte, namentlich auch Bücheln liebt es ganz ungemein. Bei ſo reichlicher Auswahl an Aeßung ſollte man meinen, daß das Wild beſtändig gut von Wildpret ſei: Dies iſt jedoch nicht der Fall; denn mit Ausnahme gewiſſer Jahreszeiten iſt dieſer Hirſch ſehr ſchlecht vom Leibe. Die Hirſche ſind vom Auguſt bis zum Novem- ber feiſt. Wir ſelbſt haben ſolche erlegt, welche 175 Pfund wogen, und ſind berichtet worden, daß Einzelne ein Gewicht von mehr als 200 Pfund erreichen. Die Brunſt beginnt, in Karolina we- nigſtens, im November, manchmal auch etwas eher. Der Hirſch iſt jetzt fortwährend auf den Beinen, faſt beſtändig im Rennen, um ſeine Gegner aufzuſuchen. Wenn er mit anderen Hirſchen zuſammentrifft, beginnt ein heftiger Zweikampf, in welchem nicht ſelten Einer getödtet wird, obgleich der Schwächere gewöhnlich die Flucht ergreift und dem Stärkeren höchſtens achtungsvoll in einiger Entfernung folgt, immer bereit, dem ſiegreichen Nebenbuhler das Feld zu räumen. Nicht ſelten verfangen ſich zwei gleich ſtarke Hirſche ſo vollſtändig mit den Geweihen, daß ſie nicht wieder von einander loskommen können und in kläglicher Weiſe zu Grunde gehen. Wir haben uns bemüht, derartig ver- ſchlungene Geweihe zu trennen, aber gefunden, daß weder unſere Geſchicklichkeit, noch unſere Kraft Dies auszuführen vermochte. Verſchiedene Mal haben wir zwei und ein Mal drei Paare von Ge- weihen ſo verfangen geſehen. Die Brunſtzeit währt ungefähr zwei Monate und beginnt bei den älteren Hirſchen eher, als bei den jüngeren. Gegen den Monat Januar werfen die Hirſche ab, und von dieſer Zeit an leben ſie friedlich mit einander vereinigt.‟
„Die Thiere ſind am feiſteſten vom November bis zum Januar, fallen hierauf ab, umſomehr, je näher die Satzzeit heranrückt, und nehmen wieder zu, während ihre Kälber ſie beſäugen. Dieſe werden in Karolina im April geboren; Schmalthiere hingegen ſetzen gewöhnlich erſt im Mai oder Juni. Jn den nördlichen Staaten tritt die Satzzeit etwas ſpäter ein, als in Florida und Tejas. Auffallend, aber vollkommen begründet iſt, daß in Alabama und Florida die Mehrzahl der Kälber im November geboren werden. Das Thier verbirgt ſein friſch geſetztes Kalb unter einem dichten Buſch oder im dicken Gras und beſucht es mehrmals des Tages, namentlich morgens, abends und während der Nacht. Erſt ſpäter nimmt es das Junge mit ſich fort. Wenn die Kälber erſt einige Tage alt ſind, liegen ſie manchmal ſo tief im Schlafe, daß ſie gefangen werden können, ehe ſie die Ankunft eines Menſchen wahrnehmen. Sie laſſen ſich ſehr ſchnell zähmen und ſchließen ſich ihren Fängern ſchon nach wenigen Stunden innig an. Ein Freund von uns beſaß ein Thierkalb, welches nach ſeiner Gefangennahme zu einer Ziege gebracht und von dieſer angenommen wurde, und wir haben andere geſehen, welche von Kühen groß geſäugt worden waren. Sie halten ſich gut in der Gefangenſchaft, aber wir haben gefunden, daß ſie läſtige Schosthierchen ſind. Ein Paar, welches wir verſchiedene Jahre hielten, hatte ſich gewöhnt, unſer Studirzimmer durch das offene Fenſter zu beſuchen, und führte Dies auch aus, wenn die Fenſter geſchloſſen waren, unbekümmert um das Glas in denſelben. Sie ſchienen überhaupt einen zerſtörungsluſtigen Sinn zu beſitzen: ſie leckten und nagten an unſeren Buchdeckeln und verurſachten uns oft große Verwirrung unter unſeren Pa-
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Der virginiſche Hirſch.
auch zahlreiche Spuren des Wildes in Feldern, welche nur von fern her beſucht werden. Jn den Ge-
birgsgegenden bemerkt man zuweilen ein Stück auf einem hervorragenden Felspunkte niedergethan, dem
Steinbock oder der Alpengemſe vergleichbar; gewöhnlich aber verbirgt ſich das Wild zwiſchen
Mirten- und Lorbergebüſch, neben umgefallenen Bäumen und an ähnlichen Orten. Jn der kalten
Jahreszeit bevorzugt es die geſchützten und trockenen Plätze, ſteht dann gern unter dem Winde und
läßt ſich von den Sonnenſtrahlen wärmen; im Sommer zieht es ſich während des Tages in die ſchat-
tigen Theile des Waldes zurück und hält ſich in der Nähe kleiner Flüſſe oder kühler Ströme auf.
Um der Verfolgung der Mücken und Stechfliegen zu entgehen, flüchtet es ſich oft in einen Fluß oder
Teich und liegt hier bis zur Naſe im Waſſer.‟
„Die Aeßung des Wildes iſt nach der Jahreszeit verſchieden. Jm Winter geht es die Zweige
und Blätter des Gebüſches an, im Frühling und Sommer wählt es ſich, und zwar mit größter Lecker-
haftigkeit, das zarteſte Gras aus, und kommt oft, dem jungen Mais und anderen Getreide nach-
gehend, in die Felder herein. Beeren verſchiedener Art, Nüſſe und ähnliche Früchte, namentlich auch
Bücheln liebt es ganz ungemein. Bei ſo reichlicher Auswahl an Aeßung ſollte man meinen, daß
das Wild beſtändig gut von Wildpret ſei: Dies iſt jedoch nicht der Fall; denn mit Ausnahme gewiſſer
Jahreszeiten iſt dieſer Hirſch ſehr ſchlecht vom Leibe. Die Hirſche ſind vom Auguſt bis zum Novem-
ber feiſt. Wir ſelbſt haben ſolche erlegt, welche 175 Pfund wogen, und ſind berichtet worden, daß
Einzelne ein Gewicht von mehr als 200 Pfund erreichen. Die Brunſt beginnt, in Karolina we-
nigſtens, im November, manchmal auch etwas eher. Der Hirſch iſt jetzt fortwährend auf den
Beinen, faſt beſtändig im Rennen, um ſeine Gegner aufzuſuchen. Wenn er mit anderen Hirſchen
zuſammentrifft, beginnt ein heftiger Zweikampf, in welchem nicht ſelten Einer getödtet wird, obgleich
der Schwächere gewöhnlich die Flucht ergreift und dem Stärkeren höchſtens achtungsvoll in einiger
Entfernung folgt, immer bereit, dem ſiegreichen Nebenbuhler das Feld zu räumen. Nicht ſelten
verfangen ſich zwei gleich ſtarke Hirſche ſo vollſtändig mit den Geweihen, daß ſie nicht wieder von einander
loskommen können und in kläglicher Weiſe zu Grunde gehen. Wir haben uns bemüht, derartig ver-
ſchlungene Geweihe zu trennen, aber gefunden, daß weder unſere Geſchicklichkeit, noch unſere Kraft
Dies auszuführen vermochte. Verſchiedene Mal haben wir zwei und ein Mal drei Paare von Ge-
weihen ſo verfangen geſehen. Die Brunſtzeit währt ungefähr zwei Monate und beginnt bei den
älteren Hirſchen eher, als bei den jüngeren. Gegen den Monat Januar werfen die Hirſche ab, und
von dieſer Zeit an leben ſie friedlich mit einander vereinigt.‟
„Die Thiere ſind am feiſteſten vom November bis zum Januar, fallen hierauf ab, umſomehr,
je näher die Satzzeit heranrückt, und nehmen wieder zu, während ihre Kälber ſie beſäugen. Dieſe
werden in Karolina im April geboren; Schmalthiere hingegen ſetzen gewöhnlich erſt im Mai oder
Juni. Jn den nördlichen Staaten tritt die Satzzeit etwas ſpäter ein, als in Florida und Tejas.
Auffallend, aber vollkommen begründet iſt, daß in Alabama und Florida die Mehrzahl der Kälber
im November geboren werden. Das Thier verbirgt ſein friſch geſetztes Kalb unter einem dichten
Buſch oder im dicken Gras und beſucht es mehrmals des Tages, namentlich morgens, abends und
während der Nacht. Erſt ſpäter nimmt es das Junge mit ſich fort. Wenn die Kälber erſt einige
Tage alt ſind, liegen ſie manchmal ſo tief im Schlafe, daß ſie gefangen werden können, ehe ſie die
Ankunft eines Menſchen wahrnehmen. Sie laſſen ſich ſehr ſchnell zähmen und ſchließen ſich ihren
Fängern ſchon nach wenigen Stunden innig an. Ein Freund von uns beſaß ein Thierkalb, welches
nach ſeiner Gefangennahme zu einer Ziege gebracht und von dieſer angenommen wurde, und wir
haben andere geſehen, welche von Kühen groß geſäugt worden waren. Sie halten ſich gut in der
Gefangenſchaft, aber wir haben gefunden, daß ſie läſtige Schosthierchen ſind. Ein Paar, welches
wir verſchiedene Jahre hielten, hatte ſich gewöhnt, unſer Studirzimmer durch das offene Fenſter zu
beſuchen, und führte Dies auch aus, wenn die Fenſter geſchloſſen waren, unbekümmert um das
Glas in denſelben. Sie ſchienen überhaupt einen zerſtörungsluſtigen Sinn zu beſitzen: ſie leckten
und nagten an unſeren Buchdeckeln und verurſachten uns oft große Verwirrung unter unſeren Pa-
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/497>, abgerufen am 23.11.2024.
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