Die Hirsche. -- Der Schweinshirsch. Die Mazamahirsche.
Unterkiefers, der Wedel auf seiner Unterseite und an der Spitze, sowie der schmale, vom Wedel be- deckte Spiegel. Die lichteren Flecken habe ich bei allen Schweinshirschen bemerkt, welche ich bisjetzt lebend sah; allerdings aber treten sie bei den lichter gefärbten Thieren immer mehr hervor, als bei den dunkelfarbigen, bei welchen sie zuweilen fast zu verschwinden scheinen; sie zeigen sich dann nur, wenn der Hirsch das Haar sträubt. Das Jugendkleid unterscheidet sich blos dadurch von dem des alten Thieres, daß die Flecken anscheinend größer und heller sind.
Wie weit das Vaterland des Schweinshirsches sich erstreckt, ist zur Zeit noch nicht ermittelt; so- viel aber wissen wir, daß er weit verbreitet und wo er vorkommt, häufig ist. Sehr gemein scheint er in Bengalen zu sein; vonhieraus erhalten wir die meisten, welche unsere Thiergärten bevölkern. Man sagt, daß er in Jndien als halbes Hausthier gehalten werde. Unser Klima erträgt er ohne große Beschwerden, verlangt aber bei strenger Witterung einen geschützten Ort zum Rückzug.
Jn seinem Betragen hat er manches Eigenthümliche. Er gehört nicht zu den Begabten unter seinen Verwandten, sondern ist eher als geistesarmes Geschöpf zu betrachten. Das Thier ist furcht- sam, scheu und unklug, der Hirsch muthig, auch gegen den Menschen, rauflustig, herrschsüchtig und zu Gewaltthätigkeiten geneigt. So vortrefflich er sich zeitweilig mit seinen Thieren verträgt, so sehr quält er sie zu anderen Zeiten. Ohne alle Veranlassung stürmt er auf sie los und mißhandelt sie oft in gefährlicher Weise. Nach der Brunstzeit muß man ihn stets von jenen entfernen. Vor der Brunst übt er seine Kraft an allem Möglichen: er rennt gegen die Bäume und Gitter, wühlt mit dem kurzen Geweih den Rasen auf und wirft die losgerissenen Stücke hin und her, bedroht Jeden, der sich nähert, indem er den Kopf zur Seite biegt und mit boshafter Miene in schiefer Richtung her- anschreitet, geht auch ohne Bedenken auf den Mann und macht dann von seiner Kraft in empfind- licher Weise Gebrauch. Der Geweihwechsel beginnt mit den ersten Monaten des Jahres. Ein Schweinshirsch des hamburger Thiergartens warf am 20. Januar ab und fegte am 2. April.
Jm Monat Juli trat er auf die Brunst, der Beschlag der Thiere erfolgte am 16. August, der Satz des Kalbes am 1. April; somit ergibt sich eine Trächtigkeitszeit von 228 Tagen. Die Kälber sind sehr niedliche, auf lichtbraunem Grunde gelblich gefleckte Thiere, welche vom ersten Tage ihres Lebens an die untersetzte Gestalt ihrer Eltern zeigen.
Soweit bekannt, hat das Thier in seiner Heimat dieselben Feinde, wie seine Verwandten. Jn Bengalen wird es oft zu Pferde gejagt und vom Sattel aus mit einem Schwertstreiche erlegt. Einzelne Jäger sind Meister in der Kunst, dem flüchtigen Wilde auf allen Wegen zu folgen und in kurzer Frist mit ihrer so ungeeignet scheinenden Waffe beizukommen. Das Wildpret gilt als wohl- schmeckend.
Jn Nordamerika wohnen die Mazamahirsche (Reduncina oder Mazama), zierlich gebaute, anmuthige Thiere, welche sich ebenso durch ihren Bau, sowie durch die Geweihe der Hirsche aus- zeichnen. Jhre Gestalt ist sehr schlank, Hals und Kopf sind lang, die Läufe mittelhoch, aber schwach, der Wedel ist ziemlich lang. Dichte, weiche Haare von lebhafter Färbung bilden die Decke; sie verlängern sich mähnenartig bei dem Hirsch und außerdem zu einer Quaste am Wedel beider Ge- schlechter. Die Geweihe krümmen sich bogenförmig von rückwärts nach außen und vorwärts und sind in drei bis fieben Sprossen verästelt, welche sämmtlich nach einwärts gehen; die Augensprosse ist vor- handen, Eis- und Mittelsprosse fehlen. Die Lichter sind groß und ausdrucksvoll, das Gehör ist ziemlich groß, lanzettförmig gestaltet, auf der Außenseite mit sehr kurzen Haaren bekleidet, so daß es fast nackt erscheint, innen dagegen, namentlich an den Seiten, reichlicher bedeckt.
Man kennt gegenwärtig ungefähr sechs Arten von hierher zu zählenden Hirschen, hat dieselben jedoch noch keineswegs mit hinreichender Schärfe unterschieden. Jhre Aehnlichkeit ist sehr groß, und deshalb wollen viele Naturforscher nicht an die Artverschiedenheiten glauben, während Alle, welche die Thiere lebend vor sich sahen, hieran nicht zu zweifeln wagen. Jn der Neuzeit sind mehrere
Die Hirſche. — Der Schweinshirſch. Die Mazamahirſche.
Unterkiefers, der Wedel auf ſeiner Unterſeite und an der Spitze, ſowie der ſchmale, vom Wedel be- deckte Spiegel. Die lichteren Flecken habe ich bei allen Schweinshirſchen bemerkt, welche ich bisjetzt lebend ſah; allerdings aber treten ſie bei den lichter gefärbten Thieren immer mehr hervor, als bei den dunkelfarbigen, bei welchen ſie zuweilen faſt zu verſchwinden ſcheinen; ſie zeigen ſich dann nur, wenn der Hirſch das Haar ſträubt. Das Jugendkleid unterſcheidet ſich blos dadurch von dem des alten Thieres, daß die Flecken anſcheinend größer und heller ſind.
Wie weit das Vaterland des Schweinshirſches ſich erſtreckt, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt; ſo- viel aber wiſſen wir, daß er weit verbreitet und wo er vorkommt, häufig iſt. Sehr gemein ſcheint er in Bengalen zu ſein; vonhieraus erhalten wir die meiſten, welche unſere Thiergärten bevölkern. Man ſagt, daß er in Jndien als halbes Hausthier gehalten werde. Unſer Klima erträgt er ohne große Beſchwerden, verlangt aber bei ſtrenger Witterung einen geſchützten Ort zum Rückzug.
Jn ſeinem Betragen hat er manches Eigenthümliche. Er gehört nicht zu den Begabten unter ſeinen Verwandten, ſondern iſt eher als geiſtesarmes Geſchöpf zu betrachten. Das Thier iſt furcht- ſam, ſcheu und unklug, der Hirſch muthig, auch gegen den Menſchen, raufluſtig, herrſchſüchtig und zu Gewaltthätigkeiten geneigt. So vortrefflich er ſich zeitweilig mit ſeinen Thieren verträgt, ſo ſehr quält er ſie zu anderen Zeiten. Ohne alle Veranlaſſung ſtürmt er auf ſie los und mißhandelt ſie oft in gefährlicher Weiſe. Nach der Brunſtzeit muß man ihn ſtets von jenen entfernen. Vor der Brunſt übt er ſeine Kraft an allem Möglichen: er rennt gegen die Bäume und Gitter, wühlt mit dem kurzen Geweih den Raſen auf und wirft die losgeriſſenen Stücke hin und her, bedroht Jeden, der ſich nähert, indem er den Kopf zur Seite biegt und mit boshafter Miene in ſchiefer Richtung her- anſchreitet, geht auch ohne Bedenken auf den Mann und macht dann von ſeiner Kraft in empfind- licher Weiſe Gebrauch. Der Geweihwechſel beginnt mit den erſten Monaten des Jahres. Ein Schweinshirſch des hamburger Thiergartens warf am 20. Januar ab und fegte am 2. April.
Jm Monat Juli trat er auf die Brunſt, der Beſchlag der Thiere erfolgte am 16. Auguſt, der Satz des Kalbes am 1. April; ſomit ergibt ſich eine Trächtigkeitszeit von 228 Tagen. Die Kälber ſind ſehr niedliche, auf lichtbraunem Grunde gelblich gefleckte Thiere, welche vom erſten Tage ihres Lebens an die unterſetzte Geſtalt ihrer Eltern zeigen.
Soweit bekannt, hat das Thier in ſeiner Heimat dieſelben Feinde, wie ſeine Verwandten. Jn Bengalen wird es oft zu Pferde gejagt und vom Sattel aus mit einem Schwertſtreiche erlegt. Einzelne Jäger ſind Meiſter in der Kunſt, dem flüchtigen Wilde auf allen Wegen zu folgen und in kurzer Friſt mit ihrer ſo ungeeignet ſcheinenden Waffe beizukommen. Das Wildpret gilt als wohl- ſchmeckend.
Jn Nordamerika wohnen die Mazamahirſche (Reduncina oder Mazama), zierlich gebaute, anmuthige Thiere, welche ſich ebenſo durch ihren Bau, ſowie durch die Geweihe der Hirſche aus- zeichnen. Jhre Geſtalt iſt ſehr ſchlank, Hals und Kopf ſind lang, die Läufe mittelhoch, aber ſchwach, der Wedel iſt ziemlich lang. Dichte, weiche Haare von lebhafter Färbung bilden die Decke; ſie verlängern ſich mähnenartig bei dem Hirſch und außerdem zu einer Quaſte am Wedel beider Ge- ſchlechter. Die Geweihe krümmen ſich bogenförmig von rückwärts nach außen und vorwärts und ſind in drei bis fieben Sproſſen veräſtelt, welche ſämmtlich nach einwärts gehen; die Augenſproſſe iſt vor- handen, Eis- und Mittelſproſſe fehlen. Die Lichter ſind groß und ausdrucksvoll, das Gehör iſt ziemlich groß, lanzettförmig geſtaltet, auf der Außenſeite mit ſehr kurzen Haaren bekleidet, ſo daß es faſt nackt erſcheint, innen dagegen, namentlich an den Seiten, reichlicher bedeckt.
Man kennt gegenwärtig ungefähr ſechs Arten von hierher zu zählenden Hirſchen, hat dieſelben jedoch noch keineswegs mit hinreichender Schärfe unterſchieden. Jhre Aehnlichkeit iſt ſehr groß, und deshalb wollen viele Naturforſcher nicht an die Artverſchiedenheiten glauben, während Alle, welche die Thiere lebend vor ſich ſahen, hieran nicht zu zweifeln wagen. Jn der Neuzeit ſind mehrere
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0494"n="468"/><fwplace="top"type="header">Die Hirſche. — Der Schweinshirſch. Die Mazamahirſche.</fw><lb/>
Unterkiefers, der Wedel auf ſeiner Unterſeite und an der Spitze, ſowie der ſchmale, vom Wedel be-<lb/>
deckte Spiegel. Die lichteren Flecken habe ich bei allen Schweinshirſchen bemerkt, welche ich bisjetzt<lb/>
lebend ſah; allerdings aber treten ſie bei den lichter gefärbten Thieren immer mehr hervor, als bei<lb/>
den dunkelfarbigen, bei welchen ſie zuweilen faſt zu verſchwinden ſcheinen; ſie zeigen ſich dann nur,<lb/>
wenn der Hirſch das Haar ſträubt. Das Jugendkleid unterſcheidet ſich blos dadurch von dem des alten<lb/>
Thieres, daß die Flecken anſcheinend größer und heller ſind.</p><lb/><p>Wie weit das Vaterland des Schweinshirſches ſich erſtreckt, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt; ſo-<lb/>
viel aber wiſſen wir, daß er weit verbreitet und wo er vorkommt, häufig iſt. Sehr gemein<lb/>ſcheint er in Bengalen zu ſein; vonhieraus erhalten wir die meiſten, welche unſere Thiergärten<lb/>
bevölkern. Man ſagt, daß er in Jndien als halbes Hausthier gehalten werde. Unſer Klima erträgt<lb/>
er ohne große Beſchwerden, verlangt aber bei ſtrenger Witterung einen geſchützten Ort zum Rückzug.</p><lb/><p>Jn ſeinem Betragen hat er manches Eigenthümliche. Er gehört nicht zu den Begabten unter<lb/>ſeinen Verwandten, ſondern iſt eher als geiſtesarmes Geſchöpf zu betrachten. Das Thier iſt furcht-<lb/>ſam, ſcheu und unklug, der Hirſch muthig, auch gegen den Menſchen, raufluſtig, herrſchſüchtig und<lb/>
zu Gewaltthätigkeiten geneigt. So vortrefflich er ſich zeitweilig mit ſeinen Thieren verträgt, ſo ſehr<lb/>
quält er ſie zu anderen Zeiten. Ohne alle Veranlaſſung ſtürmt er auf ſie los und mißhandelt ſie oft<lb/>
in gefährlicher Weiſe. Nach der Brunſtzeit muß man ihn ſtets von jenen entfernen. Vor der<lb/>
Brunſt übt er ſeine Kraft an allem Möglichen: er rennt gegen die Bäume und Gitter, wühlt mit<lb/>
dem kurzen Geweih den Raſen auf und wirft die losgeriſſenen Stücke hin und her, bedroht Jeden,<lb/>
der ſich nähert, indem er den Kopf zur Seite biegt und mit boshafter Miene in ſchiefer Richtung her-<lb/>
anſchreitet, geht auch ohne Bedenken auf den Mann und macht dann von ſeiner Kraft in empfind-<lb/>
licher Weiſe Gebrauch. Der Geweihwechſel beginnt mit den erſten Monaten des Jahres. Ein<lb/>
Schweinshirſch des hamburger Thiergartens warf am 20. Januar ab und fegte am 2. April.</p><lb/><p>Jm Monat Juli trat er auf die Brunſt, der Beſchlag der Thiere erfolgte am 16. Auguſt, der<lb/>
Satz des Kalbes am 1. April; ſomit ergibt ſich eine Trächtigkeitszeit von 228 Tagen. Die Kälber<lb/>ſind ſehr niedliche, auf lichtbraunem Grunde gelblich gefleckte Thiere, welche vom erſten Tage<lb/>
ihres Lebens an die unterſetzte Geſtalt ihrer Eltern zeigen.</p><lb/><p>Soweit bekannt, hat das Thier in ſeiner Heimat dieſelben Feinde, wie ſeine Verwandten. Jn<lb/>
Bengalen wird es oft zu Pferde gejagt und vom Sattel aus mit einem Schwertſtreiche erlegt.<lb/>
Einzelne Jäger ſind Meiſter in der Kunſt, dem flüchtigen Wilde auf allen Wegen zu folgen und in<lb/>
kurzer Friſt mit ihrer ſo ungeeignet ſcheinenden Waffe beizukommen. Das Wildpret gilt als wohl-<lb/>ſchmeckend.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jn Nordamerika wohnen die <hirendition="#g">Mazamahirſche</hi> (<hirendition="#aq">Reduncina</hi> oder <hirendition="#aq">Mazama</hi>), zierlich gebaute,<lb/>
anmuthige Thiere, welche ſich ebenſo durch ihren Bau, ſowie durch die Geweihe der Hirſche aus-<lb/>
zeichnen. Jhre Geſtalt iſt ſehr ſchlank, Hals und Kopf ſind lang, die Läufe mittelhoch, aber<lb/>ſchwach, der Wedel iſt ziemlich lang. Dichte, weiche Haare von lebhafter Färbung bilden die Decke;<lb/>ſie verlängern ſich mähnenartig bei dem Hirſch und außerdem zu einer Quaſte am Wedel beider Ge-<lb/>ſchlechter. Die Geweihe krümmen ſich bogenförmig von rückwärts nach außen und vorwärts und ſind<lb/>
in drei bis fieben Sproſſen veräſtelt, welche ſämmtlich nach einwärts gehen; die Augenſproſſe iſt vor-<lb/>
handen, Eis- und Mittelſproſſe fehlen. Die Lichter ſind groß und ausdrucksvoll, das Gehör iſt<lb/>
ziemlich groß, lanzettförmig geſtaltet, auf der Außenſeite mit ſehr kurzen Haaren bekleidet, ſo daß es<lb/>
faſt nackt erſcheint, innen dagegen, namentlich an den Seiten, reichlicher bedeckt.</p><lb/><p>Man kennt gegenwärtig ungefähr ſechs Arten von hierher zu zählenden Hirſchen, hat dieſelben<lb/>
jedoch noch keineswegs mit hinreichender Schärfe unterſchieden. Jhre Aehnlichkeit iſt ſehr groß, und<lb/>
deshalb wollen viele Naturforſcher nicht an die Artverſchiedenheiten glauben, während Alle, welche<lb/>
die Thiere lebend vor ſich ſahen, hieran nicht zu zweifeln wagen. Jn der Neuzeit ſind mehrere<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[468/0494]
Die Hirſche. — Der Schweinshirſch. Die Mazamahirſche.
Unterkiefers, der Wedel auf ſeiner Unterſeite und an der Spitze, ſowie der ſchmale, vom Wedel be-
deckte Spiegel. Die lichteren Flecken habe ich bei allen Schweinshirſchen bemerkt, welche ich bisjetzt
lebend ſah; allerdings aber treten ſie bei den lichter gefärbten Thieren immer mehr hervor, als bei
den dunkelfarbigen, bei welchen ſie zuweilen faſt zu verſchwinden ſcheinen; ſie zeigen ſich dann nur,
wenn der Hirſch das Haar ſträubt. Das Jugendkleid unterſcheidet ſich blos dadurch von dem des alten
Thieres, daß die Flecken anſcheinend größer und heller ſind.
Wie weit das Vaterland des Schweinshirſches ſich erſtreckt, iſt zur Zeit noch nicht ermittelt; ſo-
viel aber wiſſen wir, daß er weit verbreitet und wo er vorkommt, häufig iſt. Sehr gemein
ſcheint er in Bengalen zu ſein; vonhieraus erhalten wir die meiſten, welche unſere Thiergärten
bevölkern. Man ſagt, daß er in Jndien als halbes Hausthier gehalten werde. Unſer Klima erträgt
er ohne große Beſchwerden, verlangt aber bei ſtrenger Witterung einen geſchützten Ort zum Rückzug.
Jn ſeinem Betragen hat er manches Eigenthümliche. Er gehört nicht zu den Begabten unter
ſeinen Verwandten, ſondern iſt eher als geiſtesarmes Geſchöpf zu betrachten. Das Thier iſt furcht-
ſam, ſcheu und unklug, der Hirſch muthig, auch gegen den Menſchen, raufluſtig, herrſchſüchtig und
zu Gewaltthätigkeiten geneigt. So vortrefflich er ſich zeitweilig mit ſeinen Thieren verträgt, ſo ſehr
quält er ſie zu anderen Zeiten. Ohne alle Veranlaſſung ſtürmt er auf ſie los und mißhandelt ſie oft
in gefährlicher Weiſe. Nach der Brunſtzeit muß man ihn ſtets von jenen entfernen. Vor der
Brunſt übt er ſeine Kraft an allem Möglichen: er rennt gegen die Bäume und Gitter, wühlt mit
dem kurzen Geweih den Raſen auf und wirft die losgeriſſenen Stücke hin und her, bedroht Jeden,
der ſich nähert, indem er den Kopf zur Seite biegt und mit boshafter Miene in ſchiefer Richtung her-
anſchreitet, geht auch ohne Bedenken auf den Mann und macht dann von ſeiner Kraft in empfind-
licher Weiſe Gebrauch. Der Geweihwechſel beginnt mit den erſten Monaten des Jahres. Ein
Schweinshirſch des hamburger Thiergartens warf am 20. Januar ab und fegte am 2. April.
Jm Monat Juli trat er auf die Brunſt, der Beſchlag der Thiere erfolgte am 16. Auguſt, der
Satz des Kalbes am 1. April; ſomit ergibt ſich eine Trächtigkeitszeit von 228 Tagen. Die Kälber
ſind ſehr niedliche, auf lichtbraunem Grunde gelblich gefleckte Thiere, welche vom erſten Tage
ihres Lebens an die unterſetzte Geſtalt ihrer Eltern zeigen.
Soweit bekannt, hat das Thier in ſeiner Heimat dieſelben Feinde, wie ſeine Verwandten. Jn
Bengalen wird es oft zu Pferde gejagt und vom Sattel aus mit einem Schwertſtreiche erlegt.
Einzelne Jäger ſind Meiſter in der Kunſt, dem flüchtigen Wilde auf allen Wegen zu folgen und in
kurzer Friſt mit ihrer ſo ungeeignet ſcheinenden Waffe beizukommen. Das Wildpret gilt als wohl-
ſchmeckend.
Jn Nordamerika wohnen die Mazamahirſche (Reduncina oder Mazama), zierlich gebaute,
anmuthige Thiere, welche ſich ebenſo durch ihren Bau, ſowie durch die Geweihe der Hirſche aus-
zeichnen. Jhre Geſtalt iſt ſehr ſchlank, Hals und Kopf ſind lang, die Läufe mittelhoch, aber
ſchwach, der Wedel iſt ziemlich lang. Dichte, weiche Haare von lebhafter Färbung bilden die Decke;
ſie verlängern ſich mähnenartig bei dem Hirſch und außerdem zu einer Quaſte am Wedel beider Ge-
ſchlechter. Die Geweihe krümmen ſich bogenförmig von rückwärts nach außen und vorwärts und ſind
in drei bis fieben Sproſſen veräſtelt, welche ſämmtlich nach einwärts gehen; die Augenſproſſe iſt vor-
handen, Eis- und Mittelſproſſe fehlen. Die Lichter ſind groß und ausdrucksvoll, das Gehör iſt
ziemlich groß, lanzettförmig geſtaltet, auf der Außenſeite mit ſehr kurzen Haaren bekleidet, ſo daß es
faſt nackt erſcheint, innen dagegen, namentlich an den Seiten, reichlicher bedeckt.
Man kennt gegenwärtig ungefähr ſechs Arten von hierher zu zählenden Hirſchen, hat dieſelben
jedoch noch keineswegs mit hinreichender Schärfe unterſchieden. Jhre Aehnlichkeit iſt ſehr groß, und
deshalb wollen viele Naturforſcher nicht an die Artverſchiedenheiten glauben, während Alle, welche
die Thiere lebend vor ſich ſahen, hieran nicht zu zweifeln wagen. Jn der Neuzeit ſind mehrere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/494>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.