Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Hirsche. -- Der Edelhirsch.
stehend gerundet ist, einen langen, schlanken, seitlich zusammengedrückten Hals, und einen langen,
am Hinterhaupt hohen und breiten, nach vorn zu stark verschmälerten Kopf; die Stirne ist flach,
zwischen den Augen ausgehöhlt, der Nasenrücken gerade; die Lippen sind nicht überhangend, die
Augen mittelgroß und lebhaft, ihre Sterne länglichrund. Die Thränengruben stehen schräg ab-
wärts gegen den Mundwinkel zu, sind ziemlich groß und bilden eine schmale, längliche Einbuchtung,
an deren inneren Wänden eine fettige, breiartige Masse abgesondert wird, welche das Thier später
durch Reiben an den Bäumen auspreßt. Das Geweih des Hirsches sitzt auf einem kurzen Rosenstocke
auf und ist einfach verästelt, vielsprossig und aufrechtstehend. Von der Wurzel an beugt sich die
Stange in einem ziemlich starken Bogen der Stirn gleichgerichtet nach rückwärts und auswärts; oben
krümmt sie sich wieder in sanften Bogen nach einwärts und kehrt dann ihre Spitzen etwas gegen ein-
ander. Unmittelbar über der Nase entspringt auf der Vorderseite der Stange die Augensprosse,
welche sich nach vor- und aufwärts richtet; dicht über derselben tritt die kaum minder lange und dicke
Eissprosse hervor; in der Mitte der Stange wächst die Mittelsprosse heraus und am äußeren Ende
bildet sich die Krone, welche ihre Zacken ebenfalls nach vorn ausdehnt, aber je nach dem Alter oder
der Eigenthümlichkeit des Hirsches manchfaltigem Wechsel unterworfen ist. Die Stange ist überall
rund und mit zahlreichen theils geraden, theils geschlängelten Längsfurchen durchzogen, zwischen
denen sich in der Nähe der Wurzel längliche oder rundliche, unregelmäßige Knoten oder Perlen bil-
den. Die Spitzen der Enden sind glatt. Mittelhohe, schlanke, aber doch kräftige Beine tragen den
Rumpf und gerade, spitze, schmale und schlanke Hufe umschließen die Zehen; die Afterklauen sind
länglichrund, an der Spitze flach abgestutzt und gerade herabhängend; sie berühren aber den Boden
nicht. Der Schwanz ist kegelförmig gebildet und nach der Spitze zu verschmälert. Ein feines Woll-
und ein grobes Grannenhaar deckt den Leib und liegt ziemlich glatt und dicht an. Jm Sommer wird
es dünner und kürzer, im Winter stärker und länger; am Vorderhals verlängert es sich oft bedeutend.
Die Oberlippe trägt drei Reihen dünner, langer Borsten; ähnliche Haargebilde stehen auch über den
Augen. Nach Jahreszeit, Geschlecht und Alter ändert die Färbung des Rothwilds. Jm Winter
sind die Grannen mehr graubraun, im Sommer mehr röthlichbraun; das Wollhaar ist aschgrau mit
bräunlicher Spitze. Am Maul fällt das Haar ins Schwärzliche, um den After herum ins Gelbliche.
Nur die Kälber zeigen in den ersten Monaten weiße Flecken auf der rothbraunen Grundfarbe. Man-
cherlei Farbenänderungen kommen vor, indem die Grundfarben manchmal ins Schwarzbraune,
manchmal ins Fahlgelbe übergehen. Hirsche, welche weiß auf farbigem Grunde gefleckt, oder voll-
kommen weiß sind, gelten als eine sehr seltene Erscheinung.

Da der Edelhirsch des Jägers liebstes Wild ist, wird es Niemand wunder nehmen, daß die
Waidmannssprache nicht nur für ihn, sondern auch für alle seine Leibestheile und für jede seiner Be-
wegungen, ja für alle Verhältnisse zwischen ihm und dem Menschen eigene Worte erfunden hat. Jn
früheren Zeiten wurde deren Nichtkenntniß oder Mißachtung mit einer sehr eigenthümlichen Strafe
belegt, und heute noch zieht solche Nichtachtung jedem Unkundigen ein Lächeln des echten Jägers zu.
Der männliche Hirsch heißt Hirsch, Edelhirsch oder Rothhirsch, der weibliche Thier, Roth-
thier
und Stück Wild, das Junge Kalb; mit Rücksicht des Geschlechtes aber Hirsch- oder
Wildkalb. Das Hirschkalb wird, nachdem es das erste Jahr vollendet hat, Spießer genannt, mit
dem zweiten Jahr erhält es den Titel Gabelhirsch oder Gabler, im dritten Jahr Sechsender
u. s. f., je nach der Zahl der Enden oder Sprossen des Geweihes. Wenn dieses ganz regelmäßig
gebildet erscheint, ist der Hirsch ein gerader Ender, wenn eine Stange nicht genau wie die andere
ist, ein ungerader. Erst wenn der Hirsch 12 Enden hat und 300 Pfund wiegt, wird er ein
jagdbarer oder guter Hirsch genannt; mit zehn Enden ist er noch ein schlecht jagdbarer.
Ein sehr alter und starker, guter Hirsch heißt Kapitalhirsch; er trägt ein gutes, braves,
prächtiges Gewicht
oder Geweih. Ein starker und großer Hirsch sieht gut aus, ein
magerer, schlecht aus am Leibe: -- schöne, dicke, große oder kleine, magere, schmächtige Hirsche
gibt es nicht für den Jäger. Einen irgendwie unvollkommenen Hirsch nennt man einen Kümmerer.

Die Hirſche. — Der Edelhirſch.
ſtehend gerundet iſt, einen langen, ſchlanken, ſeitlich zuſammengedrückten Hals, und einen langen,
am Hinterhaupt hohen und breiten, nach vorn zu ſtark verſchmälerten Kopf; die Stirne iſt flach,
zwiſchen den Augen ausgehöhlt, der Naſenrücken gerade; die Lippen ſind nicht überhangend, die
Augen mittelgroß und lebhaft, ihre Sterne länglichrund. Die Thränengruben ſtehen ſchräg ab-
wärts gegen den Mundwinkel zu, ſind ziemlich groß und bilden eine ſchmale, längliche Einbuchtung,
an deren inneren Wänden eine fettige, breiartige Maſſe abgeſondert wird, welche das Thier ſpäter
durch Reiben an den Bäumen auspreßt. Das Geweih des Hirſches ſitzt auf einem kurzen Roſenſtocke
auf und iſt einfach veräſtelt, vielſproſſig und aufrechtſtehend. Von der Wurzel an beugt ſich die
Stange in einem ziemlich ſtarken Bogen der Stirn gleichgerichtet nach rückwärts und auswärts; oben
krümmt ſie ſich wieder in ſanften Bogen nach einwärts und kehrt dann ihre Spitzen etwas gegen ein-
ander. Unmittelbar über der Naſe entſpringt auf der Vorderſeite der Stange die Augenſproſſe,
welche ſich nach vor- und aufwärts richtet; dicht über derſelben tritt die kaum minder lange und dicke
Eisſproſſe hervor; in der Mitte der Stange wächſt die Mittelſproſſe heraus und am äußeren Ende
bildet ſich die Krone, welche ihre Zacken ebenfalls nach vorn ausdehnt, aber je nach dem Alter oder
der Eigenthümlichkeit des Hirſches manchfaltigem Wechſel unterworfen iſt. Die Stange iſt überall
rund und mit zahlreichen theils geraden, theils geſchlängelten Längsfurchen durchzogen, zwiſchen
denen ſich in der Nähe der Wurzel längliche oder rundliche, unregelmäßige Knoten oder Perlen bil-
den. Die Spitzen der Enden ſind glatt. Mittelhohe, ſchlanke, aber doch kräftige Beine tragen den
Rumpf und gerade, ſpitze, ſchmale und ſchlanke Hufe umſchließen die Zehen; die Afterklauen ſind
länglichrund, an der Spitze flach abgeſtutzt und gerade herabhängend; ſie berühren aber den Boden
nicht. Der Schwanz iſt kegelförmig gebildet und nach der Spitze zu verſchmälert. Ein feines Woll-
und ein grobes Grannenhaar deckt den Leib und liegt ziemlich glatt und dicht an. Jm Sommer wird
es dünner und kürzer, im Winter ſtärker und länger; am Vorderhals verlängert es ſich oft bedeutend.
Die Oberlippe trägt drei Reihen dünner, langer Borſten; ähnliche Haargebilde ſtehen auch über den
Augen. Nach Jahreszeit, Geſchlecht und Alter ändert die Färbung des Rothwilds. Jm Winter
ſind die Grannen mehr graubraun, im Sommer mehr röthlichbraun; das Wollhaar iſt aſchgrau mit
bräunlicher Spitze. Am Maul fällt das Haar ins Schwärzliche, um den After herum ins Gelbliche.
Nur die Kälber zeigen in den erſten Monaten weiße Flecken auf der rothbraunen Grundfarbe. Man-
cherlei Farbenänderungen kommen vor, indem die Grundfarben manchmal ins Schwarzbraune,
manchmal ins Fahlgelbe übergehen. Hirſche, welche weiß auf farbigem Grunde gefleckt, oder voll-
kommen weiß ſind, gelten als eine ſehr ſeltene Erſcheinung.

Da der Edelhirſch des Jägers liebſtes Wild iſt, wird es Niemand wunder nehmen, daß die
Waidmannsſprache nicht nur für ihn, ſondern auch für alle ſeine Leibestheile und für jede ſeiner Be-
wegungen, ja für alle Verhältniſſe zwiſchen ihm und dem Menſchen eigene Worte erfunden hat. Jn
früheren Zeiten wurde deren Nichtkenntniß oder Mißachtung mit einer ſehr eigenthümlichen Strafe
belegt, und heute noch zieht ſolche Nichtachtung jedem Unkundigen ein Lächeln des echten Jägers zu.
Der männliche Hirſch heißt Hirſch, Edelhirſch oder Rothhirſch, der weibliche Thier, Roth-
thier
und Stück Wild, das Junge Kalb; mit Rückſicht des Geſchlechtes aber Hirſch- oder
Wildkalb. Das Hirſchkalb wird, nachdem es das erſte Jahr vollendet hat, Spießer genannt, mit
dem zweiten Jahr erhält es den Titel Gabelhirſch oder Gabler, im dritten Jahr Sechsender
u. ſ. f., je nach der Zahl der Enden oder Sproſſen des Geweihes. Wenn dieſes ganz regelmäßig
gebildet erſcheint, iſt der Hirſch ein gerader Ender, wenn eine Stange nicht genau wie die andere
iſt, ein ungerader. Erſt wenn der Hirſch 12 Enden hat und 300 Pfund wiegt, wird er ein
jagdbarer oder guter Hirſch genannt; mit zehn Enden iſt er noch ein ſchlecht jagdbarer.
Ein ſehr alter und ſtarker, guter Hirſch heißt Kapitalhirſch; er trägt ein gutes, braves,
prächtiges Gewicht
oder Geweih. Ein ſtarker und großer Hirſch ſieht gut aus, ein
magerer, ſchlecht aus am Leibe: — ſchöne, dicke, große oder kleine, magere, ſchmächtige Hirſche
gibt es nicht für den Jäger. Einen irgendwie unvollkommenen Hirſch nennt man einen Kümmerer.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0478" n="452"/><fw place="top" type="header">Die Hir&#x017F;che. &#x2014; Der Edelhir&#x017F;ch.</fw><lb/>
&#x017F;tehend gerundet i&#x017F;t, einen langen, &#x017F;chlanken, &#x017F;eitlich zu&#x017F;ammengedrückten Hals, und einen langen,<lb/>
am Hinterhaupt hohen und breiten, nach vorn zu &#x017F;tark ver&#x017F;chmälerten Kopf; die Stirne i&#x017F;t flach,<lb/>
zwi&#x017F;chen den Augen ausgehöhlt, der Na&#x017F;enrücken gerade; die Lippen &#x017F;ind nicht überhangend, die<lb/>
Augen mittelgroß und lebhaft, ihre Sterne länglichrund. Die Thränengruben &#x017F;tehen &#x017F;chräg ab-<lb/>
wärts gegen den Mundwinkel zu, &#x017F;ind ziemlich groß und bilden eine &#x017F;chmale, längliche Einbuchtung,<lb/>
an deren inneren Wänden eine fettige, breiartige Ma&#x017F;&#x017F;e abge&#x017F;ondert wird, welche das Thier &#x017F;päter<lb/>
durch Reiben an den Bäumen auspreßt. Das Geweih des Hir&#x017F;ches &#x017F;itzt auf einem kurzen Ro&#x017F;en&#x017F;tocke<lb/>
auf und i&#x017F;t einfach verä&#x017F;telt, viel&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;ig und aufrecht&#x017F;tehend. Von der Wurzel an beugt &#x017F;ich die<lb/>
Stange in einem ziemlich &#x017F;tarken Bogen der Stirn gleichgerichtet nach rückwärts und auswärts; oben<lb/>
krümmt &#x017F;ie &#x017F;ich wieder in &#x017F;anften Bogen nach einwärts und kehrt dann ihre Spitzen etwas gegen ein-<lb/>
ander. Unmittelbar über der Na&#x017F;e ent&#x017F;pringt auf der Vorder&#x017F;eite der Stange die Augen&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
welche &#x017F;ich nach vor- und aufwärts richtet; dicht über der&#x017F;elben tritt die kaum minder lange und dicke<lb/>
Eis&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;e hervor; in der Mitte der Stange wäch&#x017F;t die Mittel&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;e heraus und am äußeren Ende<lb/>
bildet &#x017F;ich die Krone, welche ihre Zacken ebenfalls nach vorn ausdehnt, aber je nach dem Alter oder<lb/>
der Eigenthümlichkeit des Hir&#x017F;ches manchfaltigem Wech&#x017F;el unterworfen i&#x017F;t. Die Stange i&#x017F;t überall<lb/>
rund und mit zahlreichen theils geraden, theils ge&#x017F;chlängelten Längsfurchen durchzogen, zwi&#x017F;chen<lb/>
denen &#x017F;ich in der Nähe der Wurzel längliche oder rundliche, unregelmäßige Knoten oder Perlen bil-<lb/>
den. Die Spitzen der Enden &#x017F;ind glatt. Mittelhohe, &#x017F;chlanke, aber doch kräftige Beine tragen den<lb/>
Rumpf und gerade, &#x017F;pitze, &#x017F;chmale und &#x017F;chlanke Hufe um&#x017F;chließen die Zehen; die Afterklauen &#x017F;ind<lb/>
länglichrund, an der Spitze flach abge&#x017F;tutzt und gerade herabhängend; &#x017F;ie berühren aber den Boden<lb/>
nicht. Der Schwanz i&#x017F;t kegelförmig gebildet und nach der Spitze zu ver&#x017F;chmälert. Ein feines Woll-<lb/>
und ein grobes Grannenhaar deckt den Leib und liegt ziemlich glatt und dicht an. Jm Sommer wird<lb/>
es dünner und kürzer, im Winter &#x017F;tärker und länger; am Vorderhals verlängert es &#x017F;ich oft bedeutend.<lb/>
Die Oberlippe trägt drei Reihen dünner, langer Bor&#x017F;ten; ähnliche Haargebilde &#x017F;tehen auch über den<lb/>
Augen. Nach Jahreszeit, Ge&#x017F;chlecht und Alter ändert die Färbung des Rothwilds. Jm Winter<lb/>
&#x017F;ind die Grannen mehr graubraun, im Sommer mehr röthlichbraun; das Wollhaar i&#x017F;t a&#x017F;chgrau mit<lb/>
bräunlicher Spitze. Am Maul fällt das Haar ins Schwärzliche, um den After herum ins Gelbliche.<lb/>
Nur die Kälber zeigen in den er&#x017F;ten Monaten weiße Flecken auf der rothbraunen Grundfarbe. Man-<lb/>
cherlei Farbenänderungen kommen vor, indem die Grundfarben manchmal ins Schwarzbraune,<lb/>
manchmal ins Fahlgelbe übergehen. Hir&#x017F;che, welche weiß auf farbigem Grunde gefleckt, oder voll-<lb/>
kommen weiß &#x017F;ind, gelten als eine &#x017F;ehr &#x017F;eltene Er&#x017F;cheinung.</p><lb/>
              <p>Da der Edelhir&#x017F;ch des Jägers lieb&#x017F;tes Wild i&#x017F;t, wird es Niemand wunder nehmen, daß die<lb/>
Waidmanns&#x017F;prache nicht nur für ihn, &#x017F;ondern auch für alle &#x017F;eine Leibestheile und für jede &#x017F;einer Be-<lb/>
wegungen, ja für alle Verhältni&#x017F;&#x017F;e zwi&#x017F;chen ihm und dem Men&#x017F;chen eigene Worte erfunden hat. Jn<lb/>
früheren Zeiten wurde deren Nichtkenntniß oder Mißachtung mit einer &#x017F;ehr eigenthümlichen Strafe<lb/>
belegt, und heute noch zieht &#x017F;olche Nichtachtung jedem Unkundigen ein Lächeln des echten Jägers zu.<lb/>
Der männliche Hir&#x017F;ch heißt <hi rendition="#g">Hir&#x017F;ch, Edelhir&#x017F;ch</hi> oder <hi rendition="#g">Rothhir&#x017F;ch,</hi> der weibliche <hi rendition="#g">Thier, Roth-<lb/>
thier</hi> und <hi rendition="#g">Stück Wild,</hi> das Junge <hi rendition="#g">Kalb;</hi> mit Rück&#x017F;icht des Ge&#x017F;chlechtes aber <hi rendition="#g">Hir&#x017F;ch-</hi> oder<lb/><hi rendition="#g">Wildkalb.</hi> Das Hir&#x017F;chkalb wird, nachdem es das er&#x017F;te Jahr vollendet hat, <hi rendition="#g">Spießer</hi> genannt, mit<lb/>
dem zweiten Jahr erhält es den Titel <hi rendition="#g">Gabelhir&#x017F;ch</hi> oder <hi rendition="#g">Gabler,</hi> im dritten Jahr <hi rendition="#g">Sechsender</hi><lb/>
u. &#x017F;. f., je nach der Zahl der Enden oder Spro&#x017F;&#x017F;en des Geweihes. Wenn die&#x017F;es ganz regelmäßig<lb/>
gebildet er&#x017F;cheint, i&#x017F;t der Hir&#x017F;ch ein <hi rendition="#g">gerader Ender,</hi> wenn eine Stange nicht genau wie die andere<lb/>
i&#x017F;t, ein <hi rendition="#g">ungerader.</hi> Er&#x017F;t wenn der Hir&#x017F;ch 12 Enden hat und 300 Pfund wiegt, wird er ein<lb/><hi rendition="#g">jagdbarer</hi> oder <hi rendition="#g">guter Hir&#x017F;ch</hi> genannt; mit zehn Enden i&#x017F;t er noch ein <hi rendition="#g">&#x017F;chlecht jagdbarer.</hi><lb/>
Ein &#x017F;ehr alter und &#x017F;tarker, guter Hir&#x017F;ch heißt <hi rendition="#g">Kapitalhir&#x017F;ch;</hi> er trägt ein <hi rendition="#g">gutes, braves,<lb/>
prächtiges Gewicht</hi> oder <hi rendition="#g">Geweih.</hi> Ein &#x017F;tarker und großer Hir&#x017F;ch <hi rendition="#g">&#x017F;ieht gut aus,</hi> ein<lb/>
magerer, <hi rendition="#g">&#x017F;chlecht aus am Leibe:</hi> &#x2014; &#x017F;chöne, dicke, große oder kleine, magere, &#x017F;chmächtige Hir&#x017F;che<lb/>
gibt es nicht für den Jäger. Einen irgendwie unvollkommenen Hir&#x017F;ch nennt man einen <hi rendition="#g">Kümmerer.</hi><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[452/0478] Die Hirſche. — Der Edelhirſch. ſtehend gerundet iſt, einen langen, ſchlanken, ſeitlich zuſammengedrückten Hals, und einen langen, am Hinterhaupt hohen und breiten, nach vorn zu ſtark verſchmälerten Kopf; die Stirne iſt flach, zwiſchen den Augen ausgehöhlt, der Naſenrücken gerade; die Lippen ſind nicht überhangend, die Augen mittelgroß und lebhaft, ihre Sterne länglichrund. Die Thränengruben ſtehen ſchräg ab- wärts gegen den Mundwinkel zu, ſind ziemlich groß und bilden eine ſchmale, längliche Einbuchtung, an deren inneren Wänden eine fettige, breiartige Maſſe abgeſondert wird, welche das Thier ſpäter durch Reiben an den Bäumen auspreßt. Das Geweih des Hirſches ſitzt auf einem kurzen Roſenſtocke auf und iſt einfach veräſtelt, vielſproſſig und aufrechtſtehend. Von der Wurzel an beugt ſich die Stange in einem ziemlich ſtarken Bogen der Stirn gleichgerichtet nach rückwärts und auswärts; oben krümmt ſie ſich wieder in ſanften Bogen nach einwärts und kehrt dann ihre Spitzen etwas gegen ein- ander. Unmittelbar über der Naſe entſpringt auf der Vorderſeite der Stange die Augenſproſſe, welche ſich nach vor- und aufwärts richtet; dicht über derſelben tritt die kaum minder lange und dicke Eisſproſſe hervor; in der Mitte der Stange wächſt die Mittelſproſſe heraus und am äußeren Ende bildet ſich die Krone, welche ihre Zacken ebenfalls nach vorn ausdehnt, aber je nach dem Alter oder der Eigenthümlichkeit des Hirſches manchfaltigem Wechſel unterworfen iſt. Die Stange iſt überall rund und mit zahlreichen theils geraden, theils geſchlängelten Längsfurchen durchzogen, zwiſchen denen ſich in der Nähe der Wurzel längliche oder rundliche, unregelmäßige Knoten oder Perlen bil- den. Die Spitzen der Enden ſind glatt. Mittelhohe, ſchlanke, aber doch kräftige Beine tragen den Rumpf und gerade, ſpitze, ſchmale und ſchlanke Hufe umſchließen die Zehen; die Afterklauen ſind länglichrund, an der Spitze flach abgeſtutzt und gerade herabhängend; ſie berühren aber den Boden nicht. Der Schwanz iſt kegelförmig gebildet und nach der Spitze zu verſchmälert. Ein feines Woll- und ein grobes Grannenhaar deckt den Leib und liegt ziemlich glatt und dicht an. Jm Sommer wird es dünner und kürzer, im Winter ſtärker und länger; am Vorderhals verlängert es ſich oft bedeutend. Die Oberlippe trägt drei Reihen dünner, langer Borſten; ähnliche Haargebilde ſtehen auch über den Augen. Nach Jahreszeit, Geſchlecht und Alter ändert die Färbung des Rothwilds. Jm Winter ſind die Grannen mehr graubraun, im Sommer mehr röthlichbraun; das Wollhaar iſt aſchgrau mit bräunlicher Spitze. Am Maul fällt das Haar ins Schwärzliche, um den After herum ins Gelbliche. Nur die Kälber zeigen in den erſten Monaten weiße Flecken auf der rothbraunen Grundfarbe. Man- cherlei Farbenänderungen kommen vor, indem die Grundfarben manchmal ins Schwarzbraune, manchmal ins Fahlgelbe übergehen. Hirſche, welche weiß auf farbigem Grunde gefleckt, oder voll- kommen weiß ſind, gelten als eine ſehr ſeltene Erſcheinung. Da der Edelhirſch des Jägers liebſtes Wild iſt, wird es Niemand wunder nehmen, daß die Waidmannsſprache nicht nur für ihn, ſondern auch für alle ſeine Leibestheile und für jede ſeiner Be- wegungen, ja für alle Verhältniſſe zwiſchen ihm und dem Menſchen eigene Worte erfunden hat. Jn früheren Zeiten wurde deren Nichtkenntniß oder Mißachtung mit einer ſehr eigenthümlichen Strafe belegt, und heute noch zieht ſolche Nichtachtung jedem Unkundigen ein Lächeln des echten Jägers zu. Der männliche Hirſch heißt Hirſch, Edelhirſch oder Rothhirſch, der weibliche Thier, Roth- thier und Stück Wild, das Junge Kalb; mit Rückſicht des Geſchlechtes aber Hirſch- oder Wildkalb. Das Hirſchkalb wird, nachdem es das erſte Jahr vollendet hat, Spießer genannt, mit dem zweiten Jahr erhält es den Titel Gabelhirſch oder Gabler, im dritten Jahr Sechsender u. ſ. f., je nach der Zahl der Enden oder Sproſſen des Geweihes. Wenn dieſes ganz regelmäßig gebildet erſcheint, iſt der Hirſch ein gerader Ender, wenn eine Stange nicht genau wie die andere iſt, ein ungerader. Erſt wenn der Hirſch 12 Enden hat und 300 Pfund wiegt, wird er ein jagdbarer oder guter Hirſch genannt; mit zehn Enden iſt er noch ein ſchlecht jagdbarer. Ein ſehr alter und ſtarker, guter Hirſch heißt Kapitalhirſch; er trägt ein gutes, braves, prächtiges Gewicht oder Geweih. Ein ſtarker und großer Hirſch ſieht gut aus, ein magerer, ſchlecht aus am Leibe: — ſchöne, dicke, große oder kleine, magere, ſchmächtige Hirſche gibt es nicht für den Jäger. Einen irgendwie unvollkommenen Hirſch nennt man einen Kümmerer.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/478
Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/478>, abgerufen am 23.11.2024.