Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kusus. geist, welcher sich bei Tage in die Höhlungen der großen, abgestorbenen Bäume verbirgt und dortschlafend den Tag verbringt. Hier ist er gesichert vor jedem seiner Feinde, mit alleiniger Ausnahme des immer hungrigen und immer wachsamen Eingeborenen von Neusüdwales, dessen Auge ohne Un- terlaß umherschweift, um etwas Eßbares zu finden, und dessen Verstand gerade hinreicht, um nach den geringfügigen Spuren, die der Taguan hinterläßt, seinen Schlafplatz aufzufinden. Ein leichter Ritz in der Rinde des Baums, einige Haare am Rande der Oeffnung, in welche das Thier einge- treten ist, berichten den dunklen Mann mit derselben Sicherheit über die ihm willkommene Beute, als wenn er sie selbst in ihre Wohnung hätte treten sehen. Er ist geübt genug, um aus den Anzeigen zu erkennen, ob die Höhlung im Baume frisch besucht oder schon vor längerer Zeit be- nutzt wurde. Sobald die Anzeigen versprechend sind, ersteigt er den Baum fast mit derselben Schnelligkeit, mit welcher ein Affe klettert, untersucht durch Klopfen, dessen Schall die Tiefe der Höhlung verkündet, wo das Thier liegt, und arbeitet sich auf eine oder die andere Weise bis zu dem schlafenden Taguan durch, faßt ihn am Schwanze, zieht ihn so schnell hervor, daß er nicht Zeit [Abbildung]
Das Beuteleichhorn oder der Taguan (Petaurus taguanoides). findet, von seinen Krallen oder Zähnen Gebrauch zu machen, schwingt ihn einmal im Kreise herum,zerschmettert ihm die Hirnschale durch einen kräftigen Schlag gegen den Stamm und wirft ihn als Leiche auf den Boden. Es ist besonders auffallend, daß der Taguan seine Höhle auch dann nicht verläßt, wenn er durch den Schall der Arthiebe erweckt wird, welche zu seinem Schlafplatze den Weg bahnen sollen. Wahrscheinlich ist der Schreck über den ungewünschten Besuch so groß, daß er dem Thiere alle Besinnung raubt. Dagegen vertheidigt er sich, falls er gesaßt wird, mit seinen starken, scharfen und gekrümmten Nägeln so vortrefflich, daß es unbedingt nöthig ist, ihn in der angegebenen Weise zu packen und schnell zu tödten, um bedeutenderen Verletzungen zu entgehen. Man versichert, daß der Taguan gereizt ein verzweifelter Kämpfer sei und seine Zähne fast eben- sogut zu gebrauchen verstände, wie seine Klauen. Das Fleisch gilt als ein Leckerbissen, und da das Thier eine ziemliche Größe erreicht, jagt man ihm des Bratens wegen eifrig nach, und zwar be- theiligen sich an dieser Jagd die Weißen ebensowohl, als die schwarzen Ureinwohner des Landes. Ohne Hilfe der Letzteren dürfte jedoch der Weiße selbst nicht in die Lage kommen, das geschätzte Fleisch zu verspeisen; denn zu der Jagd des Thieres gehört eben die von Kindheit an ausgebildete Jagdfertig- Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus. geiſt, welcher ſich bei Tage in die Höhlungen der großen, abgeſtorbenen Bäume verbirgt und dortſchlafend den Tag verbringt. Hier iſt er geſichert vor jedem ſeiner Feinde, mit alleiniger Ausnahme des immer hungrigen und immer wachſamen Eingeborenen von Neuſüdwales, deſſen Auge ohne Un- terlaß umherſchweift, um etwas Eßbares zu finden, und deſſen Verſtand gerade hinreicht, um nach den geringfügigen Spuren, die der Taguan hinterläßt, ſeinen Schlafplatz aufzufinden. Ein leichter Ritz in der Rinde des Baums, einige Haare am Rande der Oeffnung, in welche das Thier einge- treten iſt, berichten den dunklen Mann mit derſelben Sicherheit über die ihm willkommene Beute, als wenn er ſie ſelbſt in ihre Wohnung hätte treten ſehen. Er iſt geübt genug, um aus den Anzeigen zu erkennen, ob die Höhlung im Baume friſch beſucht oder ſchon vor längerer Zeit be- nutzt wurde. Sobald die Anzeigen verſprechend ſind, erſteigt er den Baum faſt mit derſelben Schnelligkeit, mit welcher ein Affe klettert, unterſucht durch Klopfen, deſſen Schall die Tiefe der Höhlung verkündet, wo das Thier liegt, und arbeitet ſich auf eine oder die andere Weiſe bis zu dem ſchlafenden Taguan durch, faßt ihn am Schwanze, zieht ihn ſo ſchnell hervor, daß er nicht Zeit [Abbildung]
Das Beuteleichhorn oder der Taguan (Petaurus taguanoides). findet, von ſeinen Krallen oder Zähnen Gebrauch zu machen, ſchwingt ihn einmal im Kreiſe herum,zerſchmettert ihm die Hirnſchale durch einen kräftigen Schlag gegen den Stamm und wirft ihn als Leiche auf den Boden. Es iſt beſonders auffallend, daß der Taguan ſeine Höhle auch dann nicht verläßt, wenn er durch den Schall der Arthiebe erweckt wird, welche zu ſeinem Schlafplatze den Weg bahnen ſollen. Wahrſcheinlich iſt der Schreck über den ungewünſchten Beſuch ſo groß, daß er dem Thiere alle Beſinnung raubt. Dagegen vertheidigt er ſich, falls er geſaßt wird, mit ſeinen ſtarken, ſcharfen und gekrümmten Nägeln ſo vortrefflich, daß es unbedingt nöthig iſt, ihn in der angegebenen Weiſe zu packen und ſchnell zu tödten, um bedeutenderen Verletzungen zu entgehen. Man verſichert, daß der Taguan gereizt ein verzweifelter Kämpfer ſei und ſeine Zähne faſt eben- ſogut zu gebrauchen verſtände, wie ſeine Klauen. Das Fleiſch gilt als ein Leckerbiſſen, und da das Thier eine ziemliche Größe erreicht, jagt man ihm des Bratens wegen eifrig nach, und zwar be- theiligen ſich an dieſer Jagd die Weißen ebenſowohl, als die ſchwarzen Ureinwohner des Landes. Ohne Hilfe der Letzteren dürfte jedoch der Weiße ſelbſt nicht in die Lage kommen, das geſchätzte Fleiſch zu verſpeiſen; denn zu der Jagd des Thieres gehört eben die von Kindheit an ausgebildete Jagdfertig- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0046" n="34"/><fw place="top" type="header">Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.</fw><lb/> geiſt, welcher ſich bei Tage in die Höhlungen der großen, abgeſtorbenen Bäume verbirgt und dort<lb/> ſchlafend den Tag verbringt. Hier iſt er geſichert vor jedem ſeiner Feinde, mit alleiniger Ausnahme<lb/> des immer hungrigen und immer wachſamen Eingeborenen von Neuſüdwales, deſſen Auge ohne Un-<lb/> terlaß umherſchweift, um etwas Eßbares zu finden, und deſſen Verſtand gerade hinreicht, um nach<lb/> den geringfügigen Spuren, die der Taguan hinterläßt, ſeinen Schlafplatz aufzufinden. Ein leichter<lb/> Ritz in der Rinde des Baums, einige Haare am Rande der Oeffnung, in welche das Thier einge-<lb/> treten iſt, berichten den dunklen Mann mit derſelben Sicherheit über die ihm willkommene Beute,<lb/> als wenn er ſie ſelbſt in ihre Wohnung hätte treten ſehen. Er iſt geübt genug, um aus den<lb/> Anzeigen zu erkennen, ob die Höhlung im Baume friſch beſucht oder ſchon vor längerer Zeit be-<lb/> nutzt wurde. Sobald die Anzeigen verſprechend ſind, erſteigt er den Baum faſt mit derſelben<lb/> Schnelligkeit, mit welcher ein <hi rendition="#g">Affe</hi> klettert, unterſucht durch Klopfen, deſſen Schall die Tiefe der<lb/> Höhlung verkündet, wo das Thier liegt, und arbeitet ſich auf eine oder die andere Weiſe bis zu<lb/> dem ſchlafenden Taguan durch, faßt ihn am Schwanze, zieht ihn ſo ſchnell hervor, daß er nicht Zeit<lb/><figure><head><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Das Beuteleichhorn oder der Taguan</hi> (<hi rendition="#aq">Petaurus taguanoides</hi>).</hi></head></figure><lb/> findet, von ſeinen Krallen oder Zähnen Gebrauch zu machen, ſchwingt ihn einmal im Kreiſe herum,<lb/> zerſchmettert ihm die Hirnſchale durch einen kräftigen Schlag gegen den Stamm und wirft ihn als<lb/> Leiche auf den Boden. Es iſt beſonders auffallend, daß der Taguan ſeine Höhle auch dann nicht<lb/> verläßt, wenn er durch den Schall der Arthiebe erweckt wird, welche zu ſeinem Schlafplatze<lb/> den Weg bahnen ſollen. Wahrſcheinlich iſt der Schreck über den ungewünſchten Beſuch ſo groß,<lb/> daß er dem Thiere alle Beſinnung raubt. Dagegen vertheidigt er ſich, falls er geſaßt wird, mit<lb/> ſeinen ſtarken, ſcharfen und gekrümmten Nägeln ſo vortrefflich, daß es unbedingt nöthig iſt, ihn in<lb/> der angegebenen Weiſe zu packen und ſchnell zu tödten, um bedeutenderen Verletzungen zu entgehen.<lb/> Man verſichert, daß der Taguan gereizt ein verzweifelter Kämpfer ſei und ſeine Zähne faſt eben-<lb/> ſogut zu gebrauchen verſtände, wie ſeine Klauen. Das Fleiſch gilt als ein Leckerbiſſen, und da das<lb/> Thier eine ziemliche Größe erreicht, jagt man ihm des Bratens wegen eifrig nach, und zwar be-<lb/> theiligen ſich an dieſer Jagd die Weißen ebenſowohl, als die ſchwarzen Ureinwohner des Landes.<lb/> Ohne Hilfe der Letzteren dürfte jedoch der Weiße ſelbſt nicht in die Lage kommen, das geſchätzte Fleiſch<lb/> zu verſpeiſen; denn zu der Jagd des Thieres gehört eben die von Kindheit an ausgebildete Jagdfertig-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [34/0046]
Die Kletterbeutelthiere, Flugbeutler oder Kuſus.
geiſt, welcher ſich bei Tage in die Höhlungen der großen, abgeſtorbenen Bäume verbirgt und dort
ſchlafend den Tag verbringt. Hier iſt er geſichert vor jedem ſeiner Feinde, mit alleiniger Ausnahme
des immer hungrigen und immer wachſamen Eingeborenen von Neuſüdwales, deſſen Auge ohne Un-
terlaß umherſchweift, um etwas Eßbares zu finden, und deſſen Verſtand gerade hinreicht, um nach
den geringfügigen Spuren, die der Taguan hinterläßt, ſeinen Schlafplatz aufzufinden. Ein leichter
Ritz in der Rinde des Baums, einige Haare am Rande der Oeffnung, in welche das Thier einge-
treten iſt, berichten den dunklen Mann mit derſelben Sicherheit über die ihm willkommene Beute,
als wenn er ſie ſelbſt in ihre Wohnung hätte treten ſehen. Er iſt geübt genug, um aus den
Anzeigen zu erkennen, ob die Höhlung im Baume friſch beſucht oder ſchon vor längerer Zeit be-
nutzt wurde. Sobald die Anzeigen verſprechend ſind, erſteigt er den Baum faſt mit derſelben
Schnelligkeit, mit welcher ein Affe klettert, unterſucht durch Klopfen, deſſen Schall die Tiefe der
Höhlung verkündet, wo das Thier liegt, und arbeitet ſich auf eine oder die andere Weiſe bis zu
dem ſchlafenden Taguan durch, faßt ihn am Schwanze, zieht ihn ſo ſchnell hervor, daß er nicht Zeit
[Abbildung Das Beuteleichhorn oder der Taguan (Petaurus taguanoides).]
findet, von ſeinen Krallen oder Zähnen Gebrauch zu machen, ſchwingt ihn einmal im Kreiſe herum,
zerſchmettert ihm die Hirnſchale durch einen kräftigen Schlag gegen den Stamm und wirft ihn als
Leiche auf den Boden. Es iſt beſonders auffallend, daß der Taguan ſeine Höhle auch dann nicht
verläßt, wenn er durch den Schall der Arthiebe erweckt wird, welche zu ſeinem Schlafplatze
den Weg bahnen ſollen. Wahrſcheinlich iſt der Schreck über den ungewünſchten Beſuch ſo groß,
daß er dem Thiere alle Beſinnung raubt. Dagegen vertheidigt er ſich, falls er geſaßt wird, mit
ſeinen ſtarken, ſcharfen und gekrümmten Nägeln ſo vortrefflich, daß es unbedingt nöthig iſt, ihn in
der angegebenen Weiſe zu packen und ſchnell zu tödten, um bedeutenderen Verletzungen zu entgehen.
Man verſichert, daß der Taguan gereizt ein verzweifelter Kämpfer ſei und ſeine Zähne faſt eben-
ſogut zu gebrauchen verſtände, wie ſeine Klauen. Das Fleiſch gilt als ein Leckerbiſſen, und da das
Thier eine ziemliche Größe erreicht, jagt man ihm des Bratens wegen eifrig nach, und zwar be-
theiligen ſich an dieſer Jagd die Weißen ebenſowohl, als die ſchwarzen Ureinwohner des Landes.
Ohne Hilfe der Letzteren dürfte jedoch der Weiße ſelbſt nicht in die Lage kommen, das geſchätzte Fleiſch
zu verſpeiſen; denn zu der Jagd des Thieres gehört eben die von Kindheit an ausgebildete Jagdfertig-
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