denen das Unschöne der Kopfbildung auffallend hervortrat, namentlich die übermäßig verlängerte Oberlippe und die langen Ohren noch nicht in der erhabenen Mächtigkeit der Schaufeln ihr Gegen- gewicht gefunden hatten. Das erste Elen, etwa von der Größe eines Rothhirsches, ging schwind- süchtig zu Grunde. Es war dasselbe Thier, welches der Langsamkeit seiner Bewegungen und namentlich der Länge seiner Ohren wegen von den "gebildeten Beschauern" gewöhnlich als ein "fremder Esel" angesprochen wurde."
"Das letzte Elen erhielt der Garten durch Vermittelung des Herrn Brunslow in Berlin, und dieser hat die Güte gehabt, mir Einsicht in ein auf das Thier bezügliches Schriftstück, einen Brief des königlich preußischen Oberförsters in Jbenhorst in Ostpreußen, zu gestatten. Es enthielt nicht un- wichtige, auf Beobachtung gegründete Fingerzeige und Belehrungen über Pflege und Wartung des an den Garten abgegebenen Zöglings, welche leider nicht mehr gefruchtet, als daß der jugendliche Pflegebefohlene bereits vier Monate nach seiner glücklichen Ankunft hierselbst, nämlich im Juni dieses Jahres, selig verblichen: -- zu früh für diese Welt und mehr noch für die Kasse des zoologischen Gar- tens. Das Elen hatte im Mai des Jahres 1860 sein Erdenwallen begonnen. Jm zarten Kindes- alter von etwa zwei Monaten fand es der Oberförster in den Jbenhorster Waldungen verlassen und trostlos, und er beschloß deshalb, es bei sich aufzuziehen. Er ließ es also in einem großen Gehege oder Garten (dessen Obstbäume es zum Dank für die Pflege später vollständig vernichtet haben soll) frei herumlaufen und ernährte es während des ersten Vierteljahres ausschließlich mit frischer Milch einer eigens dazu bestimmten Kuh, wovon es täglich 15 Stuffen (ein mir unbekanntes Maß) erhielt. Doch blieb es hierbei matt, schwächlich und gleichwohl scheu. Demnächst wurde die Menge der Milch auf sechs Stuffen täglich herabgesetzt. Es wurden dafür gleichzeitig Weidenblätter gefüttert, wieder einige Monate lang. Zuletzt erhielt es jeden Tag Roggenmehl mit drei Stuffen Milch. Außerdem äßte es sich frei im Garten mit allerlei Kräutern, mit Beeren, Runkelrübenblättern etc., verschmähte auch den reifen Roggen auf dem Felde nicht und fraß mit Begierde Knospen, Rinde und junge Zweige von Weiden, Espen, Birken, Faulbäumen, Ebereschen etc., dabei vielen Schaden anrichtend. Jm Laufe des Jahres wurde es ziemlich zahm. Bei großer Hitze hielt es sich am liebsten in einem kühl gelegenen, leeren Anbau des Hauses auf. Erst gegen Abend ging es auf Aeßung aus."
"Anfangs Februar 1861 kam es wohlbehalten in Berlin an und wurde in einem Gehege unter- gebracht, welches ihm Bewegung gestattete. Man hielt es möglichst nach den gegebenen Vorschriften und es befand sich dabei bis gegen den Sommer hin anscheinend wohl. Als die erste Hitze kam, schien ihm Dies unbehaglich, obwohl es nicht förmlich erkrankte. Ueberhaupt ist das Thier, seinem Benehmen nach zu schließen, bis ganz kurz vor seinem Tode nicht krank gewesen. Es erlag der ersten Krankheit, welche es befiel."
Jch vermag jetzt, Vorstehendes einigermaßen zu vervollständigen. Der hamburger Thiergarten besitzt seit seiner Eröffnung ein aus Schweden stammendes Elenthier, welches dermalen noch lebt, obgleich es früher nicht eben zu großen Hoffnungen für die Zukunft berechtigte. Der ausgesuchtesten Pflege ungeachtet, kränkelte es fortwährend, und wenn wir wirklich einmal glaubten, es herausgefüt- tert zu haben, fiel es immer bald wieder ab.
Seine Nahrung war anfangs sehr gemischter Art, weil es nie längere Zeit dasselbe Futter an- nehmen wollte. Alle übrigen Hirsche, welche wir halten, befinden sich bei gleichmäßigem Futter vortrefflich und verursachen keine besondere Mühe, der Elch hingegen schien der vorsorglichsten Pflege zu spotten. Wir fütterten ihn mit Laub, jungen Zweigen, auch solchen von Nadelholz, eingemaischtem Körnerfutter, Brod u. dgl., und er nahm auch das ihm gebotene Futter anscheinend mit Behagen an, immer aber nur eine Zeit lang; dann verschmähete er plötzlich dieselben Stoffe, welche ihm früher als Leckerei erschienen waren. Daß unser Thier unter solchen Umständen seinem Ende mit Riesenschritten entgegeneilte, konnte kaum zweifelhaft sein. Lange Zeit zersann ich mir den Kopf, wie dem armen Schelch wohl zu helfen: endlich kam mir der Gedanke, daß die Gefangenkost, welche wir bisher gereicht, durch einen Zusatz von Gerbstoff nur verbessert werden könnte. Der Gedanke
Der Elch oder das Elen.
denen das Unſchöne der Kopfbildung auffallend hervortrat, namentlich die übermäßig verlängerte Oberlippe und die langen Ohren noch nicht in der erhabenen Mächtigkeit der Schaufeln ihr Gegen- gewicht gefunden hatten. Das erſte Elen, etwa von der Größe eines Rothhirſches, ging ſchwind- ſüchtig zu Grunde. Es war daſſelbe Thier, welches der Langſamkeit ſeiner Bewegungen und namentlich der Länge ſeiner Ohren wegen von den „gebildeten Beſchauern‟ gewöhnlich als ein „fremder Eſel‟ angeſprochen wurde.‟
„Das letzte Elen erhielt der Garten durch Vermittelung des Herrn Brunslow in Berlin, und dieſer hat die Güte gehabt, mir Einſicht in ein auf das Thier bezügliches Schriftſtück, einen Brief des königlich preußiſchen Oberförſters in Jbenhorſt in Oſtpreußen, zu geſtatten. Es enthielt nicht un- wichtige, auf Beobachtung gegründete Fingerzeige und Belehrungen über Pflege und Wartung des an den Garten abgegebenen Zöglings, welche leider nicht mehr gefruchtet, als daß der jugendliche Pflegebefohlene bereits vier Monate nach ſeiner glücklichen Ankunft hierſelbſt, nämlich im Juni dieſes Jahres, ſelig verblichen: — zu früh für dieſe Welt und mehr noch für die Kaſſe des zoologiſchen Gar- tens. Das Elen hatte im Mai des Jahres 1860 ſein Erdenwallen begonnen. Jm zarten Kindes- alter von etwa zwei Monaten fand es der Oberförſter in den Jbenhorſter Waldungen verlaſſen und troſtlos, und er beſchloß deshalb, es bei ſich aufzuziehen. Er ließ es alſo in einem großen Gehege oder Garten (deſſen Obſtbäume es zum Dank für die Pflege ſpäter vollſtändig vernichtet haben ſoll) frei herumlaufen und ernährte es während des erſten Vierteljahres ausſchließlich mit friſcher Milch einer eigens dazu beſtimmten Kuh, wovon es täglich 15 Stuffen (ein mir unbekanntes Maß) erhielt. Doch blieb es hierbei matt, ſchwächlich und gleichwohl ſcheu. Demnächſt wurde die Menge der Milch auf ſechs Stuffen täglich herabgeſetzt. Es wurden dafür gleichzeitig Weidenblätter gefüttert, wieder einige Monate lang. Zuletzt erhielt es jeden Tag Roggenmehl mit drei Stuffen Milch. Außerdem äßte es ſich frei im Garten mit allerlei Kräutern, mit Beeren, Runkelrübenblättern ꝛc., verſchmähte auch den reifen Roggen auf dem Felde nicht und fraß mit Begierde Knospen, Rinde und junge Zweige von Weiden, Espen, Birken, Faulbäumen, Ebereſchen ꝛc., dabei vielen Schaden anrichtend. Jm Laufe des Jahres wurde es ziemlich zahm. Bei großer Hitze hielt es ſich am liebſten in einem kühl gelegenen, leeren Anbau des Hauſes auf. Erſt gegen Abend ging es auf Aeßung aus.‟
„Anfangs Februar 1861 kam es wohlbehalten in Berlin an und wurde in einem Gehege unter- gebracht, welches ihm Bewegung geſtattete. Man hielt es möglichſt nach den gegebenen Vorſchriften und es befand ſich dabei bis gegen den Sommer hin anſcheinend wohl. Als die erſte Hitze kam, ſchien ihm Dies unbehaglich, obwohl es nicht förmlich erkrankte. Ueberhaupt iſt das Thier, ſeinem Benehmen nach zu ſchließen, bis ganz kurz vor ſeinem Tode nicht krank geweſen. Es erlag der erſten Krankheit, welche es befiel.‟
Jch vermag jetzt, Vorſtehendes einigermaßen zu vervollſtändigen. Der hamburger Thiergarten beſitzt ſeit ſeiner Eröffnung ein aus Schweden ſtammendes Elenthier, welches dermalen noch lebt, obgleich es früher nicht eben zu großen Hoffnungen für die Zukunft berechtigte. Der ausgeſuchteſten Pflege ungeachtet, kränkelte es fortwährend, und wenn wir wirklich einmal glaubten, es herausgefüt- tert zu haben, fiel es immer bald wieder ab.
Seine Nahrung war anfangs ſehr gemiſchter Art, weil es nie längere Zeit daſſelbe Futter an- nehmen wollte. Alle übrigen Hirſche, welche wir halten, befinden ſich bei gleichmäßigem Futter vortrefflich und verurſachen keine beſondere Mühe, der Elch hingegen ſchien der vorſorglichſten Pflege zu ſpotten. Wir fütterten ihn mit Laub, jungen Zweigen, auch ſolchen von Nadelholz, eingemaiſchtem Körnerfutter, Brod u. dgl., und er nahm auch das ihm gebotene Futter anſcheinend mit Behagen an, immer aber nur eine Zeit lang; dann verſchmähete er plötzlich dieſelben Stoffe, welche ihm früher als Leckerei erſchienen waren. Daß unſer Thier unter ſolchen Umſtänden ſeinem Ende mit Rieſenſchritten entgegeneilte, konnte kaum zweifelhaft ſein. Lange Zeit zerſann ich mir den Kopf, wie dem armen Schelch wohl zu helfen: endlich kam mir der Gedanke, daß die Gefangenkoſt, welche wir bisher gereicht, durch einen Zuſatz von Gerbſtoff nur verbeſſert werden könnte. Der Gedanke
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[429/0455]
Der Elch oder das Elen.
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Oberlippe und die langen Ohren noch nicht in der erhabenen Mächtigkeit der Schaufeln ihr Gegen-
gewicht gefunden hatten. Das erſte Elen, etwa von der Größe eines Rothhirſches, ging ſchwind-
ſüchtig zu Grunde. Es war daſſelbe Thier, welches der Langſamkeit ſeiner Bewegungen und
namentlich der Länge ſeiner Ohren wegen von den „gebildeten Beſchauern‟ gewöhnlich als ein
„fremder Eſel‟ angeſprochen wurde.‟
„Das letzte Elen erhielt der Garten durch Vermittelung des Herrn Brunslow in Berlin, und
dieſer hat die Güte gehabt, mir Einſicht in ein auf das Thier bezügliches Schriftſtück, einen Brief
des königlich preußiſchen Oberförſters in Jbenhorſt in Oſtpreußen, zu geſtatten. Es enthielt nicht un-
wichtige, auf Beobachtung gegründete Fingerzeige und Belehrungen über Pflege und Wartung des
an den Garten abgegebenen Zöglings, welche leider nicht mehr gefruchtet, als daß der jugendliche
Pflegebefohlene bereits vier Monate nach ſeiner glücklichen Ankunft hierſelbſt, nämlich im Juni dieſes
Jahres, ſelig verblichen: — zu früh für dieſe Welt und mehr noch für die Kaſſe des zoologiſchen Gar-
tens. Das Elen hatte im Mai des Jahres 1860 ſein Erdenwallen begonnen. Jm zarten Kindes-
alter von etwa zwei Monaten fand es der Oberförſter in den Jbenhorſter Waldungen verlaſſen und
troſtlos, und er beſchloß deshalb, es bei ſich aufzuziehen. Er ließ es alſo in einem großen Gehege
oder Garten (deſſen Obſtbäume es zum Dank für die Pflege ſpäter vollſtändig vernichtet haben ſoll)
frei herumlaufen und ernährte es während des erſten Vierteljahres ausſchließlich mit friſcher Milch
einer eigens dazu beſtimmten Kuh, wovon es täglich 15 Stuffen (ein mir unbekanntes Maß) erhielt.
Doch blieb es hierbei matt, ſchwächlich und gleichwohl ſcheu. Demnächſt wurde die Menge der Milch
auf ſechs Stuffen täglich herabgeſetzt. Es wurden dafür gleichzeitig Weidenblätter gefüttert, wieder
einige Monate lang. Zuletzt erhielt es jeden Tag Roggenmehl mit drei Stuffen Milch. Außerdem
äßte es ſich frei im Garten mit allerlei Kräutern, mit Beeren, Runkelrübenblättern ꝛc., verſchmähte
auch den reifen Roggen auf dem Felde nicht und fraß mit Begierde Knospen, Rinde und junge
Zweige von Weiden, Espen, Birken, Faulbäumen, Ebereſchen ꝛc., dabei vielen Schaden anrichtend.
Jm Laufe des Jahres wurde es ziemlich zahm. Bei großer Hitze hielt es ſich am liebſten in einem
kühl gelegenen, leeren Anbau des Hauſes auf. Erſt gegen Abend ging es auf Aeßung aus.‟
„Anfangs Februar 1861 kam es wohlbehalten in Berlin an und wurde in einem Gehege unter-
gebracht, welches ihm Bewegung geſtattete. Man hielt es möglichſt nach den gegebenen Vorſchriften
und es befand ſich dabei bis gegen den Sommer hin anſcheinend wohl. Als die erſte Hitze kam,
ſchien ihm Dies unbehaglich, obwohl es nicht förmlich erkrankte. Ueberhaupt iſt das Thier, ſeinem
Benehmen nach zu ſchließen, bis ganz kurz vor ſeinem Tode nicht krank geweſen. Es erlag der
erſten Krankheit, welche es befiel.‟
Jch vermag jetzt, Vorſtehendes einigermaßen zu vervollſtändigen. Der hamburger Thiergarten
beſitzt ſeit ſeiner Eröffnung ein aus Schweden ſtammendes Elenthier, welches dermalen noch lebt,
obgleich es früher nicht eben zu großen Hoffnungen für die Zukunft berechtigte. Der ausgeſuchteſten
Pflege ungeachtet, kränkelte es fortwährend, und wenn wir wirklich einmal glaubten, es herausgefüt-
tert zu haben, fiel es immer bald wieder ab.
Seine Nahrung war anfangs ſehr gemiſchter Art, weil es nie längere Zeit daſſelbe Futter an-
nehmen wollte. Alle übrigen Hirſche, welche wir halten, befinden ſich bei gleichmäßigem Futter
vortrefflich und verurſachen keine beſondere Mühe, der Elch hingegen ſchien der vorſorglichſten Pflege
zu ſpotten. Wir fütterten ihn mit Laub, jungen Zweigen, auch ſolchen von Nadelholz, eingemaiſchtem
Körnerfutter, Brod u. dgl., und er nahm auch das ihm gebotene Futter anſcheinend mit Behagen
an, immer aber nur eine Zeit lang; dann verſchmähete er plötzlich dieſelben Stoffe, welche ihm
früher als Leckerei erſchienen waren. Daß unſer Thier unter ſolchen Umſtänden ſeinem Ende mit
Rieſenſchritten entgegeneilte, konnte kaum zweifelhaft ſein. Lange Zeit zerſann ich mir den Kopf,
wie dem armen Schelch wohl zu helfen: endlich kam mir der Gedanke, daß die Gefangenkoſt, welche
wir bisher gereicht, durch einen Zuſatz von Gerbſtoff nur verbeſſert werden könnte. Der Gedanke
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/455>, abgerufen am 23.11.2024.
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