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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Moschusthiere. -- Die Zwergmoschusthiere.
kaufte, klagt über diese Verfälschung. Die Beutel wogen 2757 Unzen, enthielten aber blos 452
Unzen reinen Moschus. Gewöhnlich vermischt man denselben mit dem Blute des Thieres oder mit
einer dunklen, leicht zerreiblichen Erde; auch werden kleine Stückchen Blei in den Beutel geworfen;
es werden sogar die Beutel aus irgend einem Stück von dem Fell des Moschusthieres künstlich ange-
fertigt und mit irgend einem Stoff gefüllt, den man mit etwas Moschus vermischt, oder man ent-
leert einen wirklichen Beutel und füllt ihn mit etwas Anderem an; Blut wird eingetrocknet und
gepulvert, zu einer Masse geknetet, in Körnchen zertheilt und hierdurch wirklichem Moschus sehr
ähnlich gemacht u. s. w. Dem Dr. Kiehnast wurde, wie Radde mittheilt, von einem lamaitischen,
mit der tibetanischen Heilkunde bekannten Priester aus Tunka erzählt, daß die Chinesen die Mo-
schusbeutel Sibiriens vor weiterem Gebrauch zubereiten, wodurch diese erst den durchdringenden Ge-
ruch bekommen. Sie sollen die Beutel einer Art Gährung unterwerfen, da, wo die Schafe gewin-
tert haben, etwa einen Fuß tief in die Erde graben, sie dort eine gewisse Zeit liegen lassen und erst,
nachdem sie so die gewünschten Eigenschaften erhalten haben, herausnehmen, trocknen und für
den Handel bereiten. Die älteren Reisenden berichten sonderbare Dinge von der Heftigkeit des
Moschusgeruchs. Tavernier und der Reisende Chardin erzählen, daß die Jäger genöthigt
wären, vor dem Abschneiden des Beutels sich Mund und Nase zu verstopfen, weil unvorsichtiges
Einathmen der Ausdünstung tödtlich werdende Blutflüsse veranlasse. Chardin versichert, daß er
nie im Stande gewesen sei, sich den Moschusverkäufern zu nähern, und von seinen Handelsfreunden
die Einkäufe habe besorgen lassen müssen. Der Geruch, sagt er, ist unerträglich, und für die un-
gewohnten Europäer geradezu gefährlich. Das Fell wird zu Kappen und Winterkleidern benutzt oder
zu sämischgarem Leder verarbeitet, welches feiner ist, als das des Rehes. Radde sagt aber, daß
die Felle in den von ihm durchreisten Gegenden sogut wie keine Verwendung finden. Nur das Fell
der Läufe benutzen die heidnischen Jagdvölker zu oft sehr geschmackvoll genähten Decken; die Häute
werden gar nicht verwerthet. Weibliche Moschusthiere, welche unglücklicherweise in eine der gestell-
ten Fallen geriethen, werden von den russischen Jägern ohne weiteres weggeworfen, meistens nicht
einmal enthäutet.

Ueber das Leben des Thieres in der Gefangenschaft fehlen noch alle ausführlichen Berichte.
Jm Jahre 1772 kam ein Moschusthier, nachdem es drei Jahre auf der Reise zugebracht hatte,
lebend nach Paris, und hielt dort drei Jahre aus. Es starb an einer Haarkugel, welche sich aus
den von ihm selbst abgeleckten Haaren gebildet und vor den Pförtner des Magens gestemmt hatte.
Bis dahin war es immer sehr wohl und munter gewesen, und deshalb glaubten die französischen
Naturforscher auch, daß man das wichtige Thier auf unseren Hochgebirgen ansiedeln und heimisch
machen könne. Man ernährte es mit eingeweichtem Reis, Brosamen, Flechten und Zweigen von
Eichen; es war lebhaft, munter und sehr beweglich, gewissermaßen ein Mittelding zwischen Reh und
Gazelle. Jmmer blieb es furchtsam und scheu, und immer war es ganz harmlos. Der Moschusgeruch,
den es verbreitete, war so stark, daß man nur der Nase zu folgen brauchte, um das Thier auf-
zufinden. -- Vor ein paar Jahren las ich in einer englischen Zeitschrift, daß ein anderes Moschus-
thier im Thiergarten zu London eingetroffen sei; ich habe aber seitdem über diesen Gefangenen Nichts
weiter vernommen.



Die Sippe der Zwergmoschusthiere (Tragulus) unterscheidet sich von der ersten haupt-
sächlich durch den Mangel des Moschusbeutels, durch den nur dreifach getheilten Magen und den
nackten, schwieligen Rand des Mittelfußes. Der Schwanz ist noch sehr kurz, aber ziemlich lang
behaart.

Alle hierher gehörigen Thiere, über deren Artselbständigkeit und bezüglich Artverschiedenheit
noch großer Zwiespalt unter den Naturforschern herrscht, sind überaus niedliche Geschöpfe. Die von
uns näher zu betrachtende Art ist der kleinste aller Wiederkäuer. Man denke sich ein rehartiges, zier-

Die Moſchusthiere. — Die Zwergmoſchusthiere.
kaufte, klagt über dieſe Verfälſchung. Die Beutel wogen 2757 Unzen, enthielten aber blos 452
Unzen reinen Moſchus. Gewöhnlich vermiſcht man denſelben mit dem Blute des Thieres oder mit
einer dunklen, leicht zerreiblichen Erde; auch werden kleine Stückchen Blei in den Beutel geworfen;
es werden ſogar die Beutel aus irgend einem Stück von dem Fell des Moſchusthieres künſtlich ange-
fertigt und mit irgend einem Stoff gefüllt, den man mit etwas Moſchus vermiſcht, oder man ent-
leert einen wirklichen Beutel und füllt ihn mit etwas Anderem an; Blut wird eingetrocknet und
gepulvert, zu einer Maſſe geknetet, in Körnchen zertheilt und hierdurch wirklichem Moſchus ſehr
ähnlich gemacht u. ſ. w. Dem Dr. Kiehnaſt wurde, wie Radde mittheilt, von einem lamaitiſchen,
mit der tibetaniſchen Heilkunde bekannten Prieſter aus Tunka erzählt, daß die Chineſen die Mo-
ſchusbeutel Sibiriens vor weiterem Gebrauch zubereiten, wodurch dieſe erſt den durchdringenden Ge-
ruch bekommen. Sie ſollen die Beutel einer Art Gährung unterwerfen, da, wo die Schafe gewin-
tert haben, etwa einen Fuß tief in die Erde graben, ſie dort eine gewiſſe Zeit liegen laſſen und erſt,
nachdem ſie ſo die gewünſchten Eigenſchaften erhalten haben, herausnehmen, trocknen und für
den Handel bereiten. Die älteren Reiſenden berichten ſonderbare Dinge von der Heftigkeit des
Moſchusgeruchs. Tavernier und der Reiſende Chardin erzählen, daß die Jäger genöthigt
wären, vor dem Abſchneiden des Beutels ſich Mund und Naſe zu verſtopfen, weil unvorſichtiges
Einathmen der Ausdünſtung tödtlich werdende Blutflüſſe veranlaſſe. Chardin verſichert, daß er
nie im Stande geweſen ſei, ſich den Moſchusverkäufern zu nähern, und von ſeinen Handelsfreunden
die Einkäufe habe beſorgen laſſen müſſen. Der Geruch, ſagt er, iſt unerträglich, und für die un-
gewohnten Europäer geradezu gefährlich. Das Fell wird zu Kappen und Winterkleidern benutzt oder
zu ſämiſchgarem Leder verarbeitet, welches feiner iſt, als das des Rehes. Radde ſagt aber, daß
die Felle in den von ihm durchreiſten Gegenden ſogut wie keine Verwendung finden. Nur das Fell
der Läufe benutzen die heidniſchen Jagdvölker zu oft ſehr geſchmackvoll genähten Decken; die Häute
werden gar nicht verwerthet. Weibliche Moſchusthiere, welche unglücklicherweiſe in eine der geſtell-
ten Fallen geriethen, werden von den ruſſiſchen Jägern ohne weiteres weggeworfen, meiſtens nicht
einmal enthäutet.

Ueber das Leben des Thieres in der Gefangenſchaft fehlen noch alle ausführlichen Berichte.
Jm Jahre 1772 kam ein Moſchusthier, nachdem es drei Jahre auf der Reiſe zugebracht hatte,
lebend nach Paris, und hielt dort drei Jahre aus. Es ſtarb an einer Haarkugel, welche ſich aus
den von ihm ſelbſt abgeleckten Haaren gebildet und vor den Pförtner des Magens geſtemmt hatte.
Bis dahin war es immer ſehr wohl und munter geweſen, und deshalb glaubten die franzöſiſchen
Naturforſcher auch, daß man das wichtige Thier auf unſeren Hochgebirgen anſiedeln und heimiſch
machen könne. Man ernährte es mit eingeweichtem Reis, Broſamen, Flechten und Zweigen von
Eichen; es war lebhaft, munter und ſehr beweglich, gewiſſermaßen ein Mittelding zwiſchen Reh und
Gazelle. Jmmer blieb es furchtſam und ſcheu, und immer war es ganz harmlos. Der Moſchusgeruch,
den es verbreitete, war ſo ſtark, daß man nur der Naſe zu folgen brauchte, um das Thier auf-
zufinden. — Vor ein paar Jahren las ich in einer engliſchen Zeitſchrift, daß ein anderes Moſchus-
thier im Thiergarten zu London eingetroffen ſei; ich habe aber ſeitdem über dieſen Gefangenen Nichts
weiter vernommen.



Die Sippe der Zwergmoſchusthiere (Tragulus) unterſcheidet ſich von der erſten haupt-
ſächlich durch den Mangel des Moſchusbeutels, durch den nur dreifach getheilten Magen und den
nackten, ſchwieligen Rand des Mittelfußes. Der Schwanz iſt noch ſehr kurz, aber ziemlich lang
behaart.

Alle hierher gehörigen Thiere, über deren Artſelbſtändigkeit und bezüglich Artverſchiedenheit
noch großer Zwieſpalt unter den Naturforſchern herrſcht, ſind überaus niedliche Geſchöpfe. Die von
uns näher zu betrachtende Art iſt der kleinſte aller Wiederkäuer. Man denke ſich ein rehartiges, zier-

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[418/0442] Die Moſchusthiere. — Die Zwergmoſchusthiere. kaufte, klagt über dieſe Verfälſchung. Die Beutel wogen 2757 Unzen, enthielten aber blos 452 Unzen reinen Moſchus. Gewöhnlich vermiſcht man denſelben mit dem Blute des Thieres oder mit einer dunklen, leicht zerreiblichen Erde; auch werden kleine Stückchen Blei in den Beutel geworfen; es werden ſogar die Beutel aus irgend einem Stück von dem Fell des Moſchusthieres künſtlich ange- fertigt und mit irgend einem Stoff gefüllt, den man mit etwas Moſchus vermiſcht, oder man ent- leert einen wirklichen Beutel und füllt ihn mit etwas Anderem an; Blut wird eingetrocknet und gepulvert, zu einer Maſſe geknetet, in Körnchen zertheilt und hierdurch wirklichem Moſchus ſehr ähnlich gemacht u. ſ. w. Dem Dr. Kiehnaſt wurde, wie Radde mittheilt, von einem lamaitiſchen, mit der tibetaniſchen Heilkunde bekannten Prieſter aus Tunka erzählt, daß die Chineſen die Mo- ſchusbeutel Sibiriens vor weiterem Gebrauch zubereiten, wodurch dieſe erſt den durchdringenden Ge- ruch bekommen. Sie ſollen die Beutel einer Art Gährung unterwerfen, da, wo die Schafe gewin- tert haben, etwa einen Fuß tief in die Erde graben, ſie dort eine gewiſſe Zeit liegen laſſen und erſt, nachdem ſie ſo die gewünſchten Eigenſchaften erhalten haben, herausnehmen, trocknen und für den Handel bereiten. Die älteren Reiſenden berichten ſonderbare Dinge von der Heftigkeit des Moſchusgeruchs. Tavernier und der Reiſende Chardin erzählen, daß die Jäger genöthigt wären, vor dem Abſchneiden des Beutels ſich Mund und Naſe zu verſtopfen, weil unvorſichtiges Einathmen der Ausdünſtung tödtlich werdende Blutflüſſe veranlaſſe. Chardin verſichert, daß er nie im Stande geweſen ſei, ſich den Moſchusverkäufern zu nähern, und von ſeinen Handelsfreunden die Einkäufe habe beſorgen laſſen müſſen. Der Geruch, ſagt er, iſt unerträglich, und für die un- gewohnten Europäer geradezu gefährlich. Das Fell wird zu Kappen und Winterkleidern benutzt oder zu ſämiſchgarem Leder verarbeitet, welches feiner iſt, als das des Rehes. Radde ſagt aber, daß die Felle in den von ihm durchreiſten Gegenden ſogut wie keine Verwendung finden. Nur das Fell der Läufe benutzen die heidniſchen Jagdvölker zu oft ſehr geſchmackvoll genähten Decken; die Häute werden gar nicht verwerthet. Weibliche Moſchusthiere, welche unglücklicherweiſe in eine der geſtell- ten Fallen geriethen, werden von den ruſſiſchen Jägern ohne weiteres weggeworfen, meiſtens nicht einmal enthäutet. Ueber das Leben des Thieres in der Gefangenſchaft fehlen noch alle ausführlichen Berichte. Jm Jahre 1772 kam ein Moſchusthier, nachdem es drei Jahre auf der Reiſe zugebracht hatte, lebend nach Paris, und hielt dort drei Jahre aus. Es ſtarb an einer Haarkugel, welche ſich aus den von ihm ſelbſt abgeleckten Haaren gebildet und vor den Pförtner des Magens geſtemmt hatte. Bis dahin war es immer ſehr wohl und munter geweſen, und deshalb glaubten die franzöſiſchen Naturforſcher auch, daß man das wichtige Thier auf unſeren Hochgebirgen anſiedeln und heimiſch machen könne. Man ernährte es mit eingeweichtem Reis, Broſamen, Flechten und Zweigen von Eichen; es war lebhaft, munter und ſehr beweglich, gewiſſermaßen ein Mittelding zwiſchen Reh und Gazelle. Jmmer blieb es furchtſam und ſcheu, und immer war es ganz harmlos. Der Moſchusgeruch, den es verbreitete, war ſo ſtark, daß man nur der Naſe zu folgen brauchte, um das Thier auf- zufinden. — Vor ein paar Jahren las ich in einer engliſchen Zeitſchrift, daß ein anderes Moſchus- thier im Thiergarten zu London eingetroffen ſei; ich habe aber ſeitdem über dieſen Gefangenen Nichts weiter vernommen. Die Sippe der Zwergmoſchusthiere (Tragulus) unterſcheidet ſich von der erſten haupt- ſächlich durch den Mangel des Moſchusbeutels, durch den nur dreifach getheilten Magen und den nackten, ſchwieligen Rand des Mittelfußes. Der Schwanz iſt noch ſehr kurz, aber ziemlich lang behaart. Alle hierher gehörigen Thiere, über deren Artſelbſtändigkeit und bezüglich Artverſchiedenheit noch großer Zwieſpalt unter den Naturforſchern herrſcht, ſind überaus niedliche Geſchöpfe. Die von uns näher zu betrachtende Art iſt der kleinſte aller Wiederkäuer. Man denke ſich ein rehartiges, zier-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/442>, abgerufen am 23.11.2024.