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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Einhufer. -- Der zahme Esel.

"Sein Gesichtsausdruck ist sehr ausgezeichnet und nur höchst selten durch den Pinsel wiederge-
geben worden. Fast immer vergißt man in den Bildern das eigentlich Eselige. Seine Kopfform ist
der des Pferdes sehr ähnlich, aber sein Blick von jenem des Rosses bedeutend verschieden."

Alle Sinne des zahmen Esels sind gut entwickelt. Obenan steht das Gehör, hierauf folgt das
Gesicht und dann der Geruch; Gefühl scheint er wenig zu haben, und der Geschmack ist wohl auch nicht
besonders ausgebildet, sonst würde er sicher begehrender, anspruchsvoller sein, als das Pferd. Seine
geistigen Fähigkeiten sind, wie uns schon Scheitlin lehrte, nicht so gering, als man gewöhnlich an-
nimmt. Er besitzt ein vortreffliches Gedächtniß und findet jeden Weg, welchen er einmal gemacht hat,
wieder auf; er ist, so dumm er aussieht, manchmal doch recht schlau und listig, auch keineswegs be-
ständig so gutmüthig, als man meint. Manchmal zeigt er sogar recht abscheuliche Tücke. Er bleibt
plötzlich auf dem Wege stehen, läßt sich selbst durch Schläge nicht zwingen, wirft sich wohl auch mit
der Ladung auf die Erde, beißt und schlägt. Manche Naturforscher meinen, daß sein empfindliches
Gehör an allem Diesen Ursache sei, daß ihn jeder Lärm betäube und erschrecke, obgleich er sonst nicht
eben furchtsam, sondern nur launisch ist. Aeußerst sonderbar benimmt sich der Esel in Gegen-
den, wo es Raubthiere gibt, welche ihm gefährlich werden können. Es ist eine wahre Lust oder
ein wahrer Jammer, wie man will, auf einem Esel oder Maulthiere durch eines der engen Ge-
birgsthäler von Habesch zu reiten. Ueberall wittert das Langohr Gefahr. Es dreht und richtet sich
nach allen Seiten, neigt sich bedeutsam einem Felsblocke zu, welcher einen guten Hinterhalt ab-
geben könnte, versucht sogar mit ein paar kühnen Drehungen das ganze oberhalb liegende Gelände
abzuhorchen, richtet sich plötzlich steif in die Höhe und lauscht angstvoll nach einer Seite hin, kurz,
hat hunderttausend Bedenken. Kommt nun gar noch der Geruch dem Gehör zu Hilfe, dann ist
es vollends vorbei mit der Seelenruhe des edlen Reitthieres. Es will nicht von der Stelle.
Gerade da, wo es steht, ist vielleicht in voriger Nacht das Schauderhafte geschehen, daß ein Löwe,
ein Leopard, eine Hiäne, ein anderes greuliches, zur höchsten Vorsicht mahnendes Raubthier
über den Weg gegangen ist! Der Esel schnoppert, äugt, lauscht; die Ohren drehen sich förmlich
auf dem Kopfe herum; er geht nicht vom Flecke, bis endlich einer der Leute ihm vorausgeht.
Dann folgt er, denn er ist schlau genug, einzusehen, daß dieser wahrscheinlich der Erste sein würde,
welcher in den Krallen des grimmigen Raubthieres verbluten muß, und geht also innerlich beruhigt
weiter. Auf seinen Reisen kann der Esel keinen seiner Sinne entbehren. Bindet man ihm die
Augen zu, so bleibt er augenblicklich stehen, verhüllt oder verstopft man ihm das Ohr, nicht minder,
erst wenn er im vollen Gebrauch seiner Sinne ist, geht er weiter. Nur seine Verliebtheit läßt ihn
Alles überwinden: wir konnten einen alten, blinden Esel, welcher bestimmt war, oben auf der
Höhe eines spanischen Berges den Geiern zur Mahlzeit zu dienen, nur dadurch auf den Berg brin-
gen, daß wir eine Eselin vor ihm herführten! Jetzt leitete ihn der Geruchssinn, und er folgte
seiner Freundin mit großem Eifer nach.

Der Esel ist, wie allbekannt, außerordentlich genügsam, er begnügt sich mit der schlechtesten Nah-
rung, mit dem kärglichsten Futter. Gras und Heu, welches eine wohlerzogene Kuh mit Abscheu
verrathendem Schnauben liegen läßt und das Pferd unwillig verschmäht, sind ihm noch Lecker-
bissen: er nimmt ja mit Disteln, dornigen Sträuchern und Kräutern vorlieb. Blos in der Wahl
des Getränkes ist er sorgsam; denn er rührt kein Wasser an, welches trübe ist; salzig, brakig darf
es, rein muß es sein. Jn Wüsten hat man oft sehr große Noth mit dem Esel, weil er, allen
Durstes ungeachtet, nicht von dem trüben Schlauchwasser trinken will.

Bei uns fällt die Roßzeit des Esels in die letzten Frühlings- und ersten Sommermonate; im
Süden ist er eigentlich das ganze Jahr hindurch brünstig. Der Hengst erklärt der Eselin mit dem
ohrzerreißenden, wohlbekannten "J -- a, J -- a" seine Liebe, und hängt den langgezogenen, fünf
bis zehn Mal wiederholten Tönen noch ein ganzes Dutzend schnaubender Seufzer an. Solche Liebes-
bewerbung ist unwiderstehlich; sie äußert selbst auf alle Nebenbuhler ihre Macht. Man muß nur in
einem Lande gelebt haben, wo es viele Esel gibt, um Dies zu erfahren. Sobald da eine Eselin ihre

Einhufer. — Der zahme Eſel.

„Sein Geſichtsausdruck iſt ſehr ausgezeichnet und nur höchſt ſelten durch den Pinſel wiederge-
geben worden. Faſt immer vergißt man in den Bildern das eigentlich Eſelige. Seine Kopfform iſt
der des Pferdes ſehr ähnlich, aber ſein Blick von jenem des Roſſes bedeutend verſchieden.‟

Alle Sinne des zahmen Eſels ſind gut entwickelt. Obenan ſteht das Gehör, hierauf folgt das
Geſicht und dann der Geruch; Gefühl ſcheint er wenig zu haben, und der Geſchmack iſt wohl auch nicht
beſonders ausgebildet, ſonſt würde er ſicher begehrender, anſpruchsvoller ſein, als das Pferd. Seine
geiſtigen Fähigkeiten ſind, wie uns ſchon Scheitlin lehrte, nicht ſo gering, als man gewöhnlich an-
nimmt. Er beſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und findet jeden Weg, welchen er einmal gemacht hat,
wieder auf; er iſt, ſo dumm er ausſieht, manchmal doch recht ſchlau und liſtig, auch keineswegs be-
ſtändig ſo gutmüthig, als man meint. Manchmal zeigt er ſogar recht abſcheuliche Tücke. Er bleibt
plötzlich auf dem Wege ſtehen, läßt ſich ſelbſt durch Schläge nicht zwingen, wirft ſich wohl auch mit
der Ladung auf die Erde, beißt und ſchlägt. Manche Naturforſcher meinen, daß ſein empfindliches
Gehör an allem Dieſen Urſache ſei, daß ihn jeder Lärm betäube und erſchrecke, obgleich er ſonſt nicht
eben furchtſam, ſondern nur launiſch iſt. Aeußerſt ſonderbar benimmt ſich der Eſel in Gegen-
den, wo es Raubthiere gibt, welche ihm gefährlich werden können. Es iſt eine wahre Luſt oder
ein wahrer Jammer, wie man will, auf einem Eſel oder Maulthiere durch eines der engen Ge-
birgsthäler von Habeſch zu reiten. Ueberall wittert das Langohr Gefahr. Es dreht und richtet ſich
nach allen Seiten, neigt ſich bedeutſam einem Felsblocke zu, welcher einen guten Hinterhalt ab-
geben könnte, verſucht ſogar mit ein paar kühnen Drehungen das ganze oberhalb liegende Gelände
abzuhorchen, richtet ſich plötzlich ſteif in die Höhe und lauſcht angſtvoll nach einer Seite hin, kurz,
hat hunderttauſend Bedenken. Kommt nun gar noch der Geruch dem Gehör zu Hilfe, dann iſt
es vollends vorbei mit der Seelenruhe des edlen Reitthieres. Es will nicht von der Stelle.
Gerade da, wo es ſteht, iſt vielleicht in voriger Nacht das Schauderhafte geſchehen, daß ein Löwe,
ein Leopard, eine Hiäne, ein anderes greuliches, zur höchſten Vorſicht mahnendes Raubthier
über den Weg gegangen iſt! Der Eſel ſchnoppert, äugt, lauſcht; die Ohren drehen ſich förmlich
auf dem Kopfe herum; er geht nicht vom Flecke, bis endlich einer der Leute ihm vorausgeht.
Dann folgt er, denn er iſt ſchlau genug, einzuſehen, daß dieſer wahrſcheinlich der Erſte ſein würde,
welcher in den Krallen des grimmigen Raubthieres verbluten muß, und geht alſo innerlich beruhigt
weiter. Auf ſeinen Reiſen kann der Eſel keinen ſeiner Sinne entbehren. Bindet man ihm die
Augen zu, ſo bleibt er augenblicklich ſtehen, verhüllt oder verſtopft man ihm das Ohr, nicht minder,
erſt wenn er im vollen Gebrauch ſeiner Sinne iſt, geht er weiter. Nur ſeine Verliebtheit läßt ihn
Alles überwinden: wir konnten einen alten, blinden Eſel, welcher beſtimmt war, oben auf der
Höhe eines ſpaniſchen Berges den Geiern zur Mahlzeit zu dienen, nur dadurch auf den Berg brin-
gen, daß wir eine Eſelin vor ihm herführten! Jetzt leitete ihn der Geruchsſinn, und er folgte
ſeiner Freundin mit großem Eifer nach.

Der Eſel iſt, wie allbekannt, außerordentlich genügſam, er begnügt ſich mit der ſchlechteſten Nah-
rung, mit dem kärglichſten Futter. Gras und Heu, welches eine wohlerzogene Kuh mit Abſcheu
verrathendem Schnauben liegen läßt und das Pferd unwillig verſchmäht, ſind ihm noch Lecker-
biſſen: er nimmt ja mit Diſteln, dornigen Sträuchern und Kräutern vorlieb. Blos in der Wahl
des Getränkes iſt er ſorgſam; denn er rührt kein Waſſer an, welches trübe iſt; ſalzig, brakig darf
es, rein muß es ſein. Jn Wüſten hat man oft ſehr große Noth mit dem Eſel, weil er, allen
Durſtes ungeachtet, nicht von dem trüben Schlauchwaſſer trinken will.

Bei uns fällt die Roßzeit des Eſels in die letzten Frühlings- und erſten Sommermonate; im
Süden iſt er eigentlich das ganze Jahr hindurch brünſtig. Der Hengſt erklärt der Eſelin mit dem
ohrzerreißenden, wohlbekannten „J — a, J — a‟ ſeine Liebe, und hängt den langgezogenen, fünf
bis zehn Mal wiederholten Tönen noch ein ganzes Dutzend ſchnaubender Seufzer an. Solche Liebes-
bewerbung iſt unwiderſtehlich; ſie äußert ſelbſt auf alle Nebenbuhler ihre Macht. Man muß nur in
einem Lande gelebt haben, wo es viele Eſel gibt, um Dies zu erfahren. Sobald da eine Eſelin ihre

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[370/0392] Einhufer. — Der zahme Eſel. „Sein Geſichtsausdruck iſt ſehr ausgezeichnet und nur höchſt ſelten durch den Pinſel wiederge- geben worden. Faſt immer vergißt man in den Bildern das eigentlich Eſelige. Seine Kopfform iſt der des Pferdes ſehr ähnlich, aber ſein Blick von jenem des Roſſes bedeutend verſchieden.‟ Alle Sinne des zahmen Eſels ſind gut entwickelt. Obenan ſteht das Gehör, hierauf folgt das Geſicht und dann der Geruch; Gefühl ſcheint er wenig zu haben, und der Geſchmack iſt wohl auch nicht beſonders ausgebildet, ſonſt würde er ſicher begehrender, anſpruchsvoller ſein, als das Pferd. Seine geiſtigen Fähigkeiten ſind, wie uns ſchon Scheitlin lehrte, nicht ſo gering, als man gewöhnlich an- nimmt. Er beſitzt ein vortreffliches Gedächtniß und findet jeden Weg, welchen er einmal gemacht hat, wieder auf; er iſt, ſo dumm er ausſieht, manchmal doch recht ſchlau und liſtig, auch keineswegs be- ſtändig ſo gutmüthig, als man meint. Manchmal zeigt er ſogar recht abſcheuliche Tücke. Er bleibt plötzlich auf dem Wege ſtehen, läßt ſich ſelbſt durch Schläge nicht zwingen, wirft ſich wohl auch mit der Ladung auf die Erde, beißt und ſchlägt. Manche Naturforſcher meinen, daß ſein empfindliches Gehör an allem Dieſen Urſache ſei, daß ihn jeder Lärm betäube und erſchrecke, obgleich er ſonſt nicht eben furchtſam, ſondern nur launiſch iſt. Aeußerſt ſonderbar benimmt ſich der Eſel in Gegen- den, wo es Raubthiere gibt, welche ihm gefährlich werden können. Es iſt eine wahre Luſt oder ein wahrer Jammer, wie man will, auf einem Eſel oder Maulthiere durch eines der engen Ge- birgsthäler von Habeſch zu reiten. Ueberall wittert das Langohr Gefahr. Es dreht und richtet ſich nach allen Seiten, neigt ſich bedeutſam einem Felsblocke zu, welcher einen guten Hinterhalt ab- geben könnte, verſucht ſogar mit ein paar kühnen Drehungen das ganze oberhalb liegende Gelände abzuhorchen, richtet ſich plötzlich ſteif in die Höhe und lauſcht angſtvoll nach einer Seite hin, kurz, hat hunderttauſend Bedenken. Kommt nun gar noch der Geruch dem Gehör zu Hilfe, dann iſt es vollends vorbei mit der Seelenruhe des edlen Reitthieres. Es will nicht von der Stelle. Gerade da, wo es ſteht, iſt vielleicht in voriger Nacht das Schauderhafte geſchehen, daß ein Löwe, ein Leopard, eine Hiäne, ein anderes greuliches, zur höchſten Vorſicht mahnendes Raubthier über den Weg gegangen iſt! Der Eſel ſchnoppert, äugt, lauſcht; die Ohren drehen ſich förmlich auf dem Kopfe herum; er geht nicht vom Flecke, bis endlich einer der Leute ihm vorausgeht. Dann folgt er, denn er iſt ſchlau genug, einzuſehen, daß dieſer wahrſcheinlich der Erſte ſein würde, welcher in den Krallen des grimmigen Raubthieres verbluten muß, und geht alſo innerlich beruhigt weiter. Auf ſeinen Reiſen kann der Eſel keinen ſeiner Sinne entbehren. Bindet man ihm die Augen zu, ſo bleibt er augenblicklich ſtehen, verhüllt oder verſtopft man ihm das Ohr, nicht minder, erſt wenn er im vollen Gebrauch ſeiner Sinne iſt, geht er weiter. Nur ſeine Verliebtheit läßt ihn Alles überwinden: wir konnten einen alten, blinden Eſel, welcher beſtimmt war, oben auf der Höhe eines ſpaniſchen Berges den Geiern zur Mahlzeit zu dienen, nur dadurch auf den Berg brin- gen, daß wir eine Eſelin vor ihm herführten! Jetzt leitete ihn der Geruchsſinn, und er folgte ſeiner Freundin mit großem Eifer nach. Der Eſel iſt, wie allbekannt, außerordentlich genügſam, er begnügt ſich mit der ſchlechteſten Nah- rung, mit dem kärglichſten Futter. Gras und Heu, welches eine wohlerzogene Kuh mit Abſcheu verrathendem Schnauben liegen läßt und das Pferd unwillig verſchmäht, ſind ihm noch Lecker- biſſen: er nimmt ja mit Diſteln, dornigen Sträuchern und Kräutern vorlieb. Blos in der Wahl des Getränkes iſt er ſorgſam; denn er rührt kein Waſſer an, welches trübe iſt; ſalzig, brakig darf es, rein muß es ſein. Jn Wüſten hat man oft ſehr große Noth mit dem Eſel, weil er, allen Durſtes ungeachtet, nicht von dem trüben Schlauchwaſſer trinken will. Bei uns fällt die Roßzeit des Eſels in die letzten Frühlings- und erſten Sommermonate; im Süden iſt er eigentlich das ganze Jahr hindurch brünſtig. Der Hengſt erklärt der Eſelin mit dem ohrzerreißenden, wohlbekannten „J — a, J — a‟ ſeine Liebe, und hängt den langgezogenen, fünf bis zehn Mal wiederholten Tönen noch ein ganzes Dutzend ſchnaubender Seufzer an. Solche Liebes- bewerbung iſt unwiderſtehlich; ſie äußert ſelbſt auf alle Nebenbuhler ihre Macht. Man muß nur in einem Lande gelebt haben, wo es viele Eſel gibt, um Dies zu erfahren. Sobald da eine Eſelin ihre

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/392>, abgerufen am 23.11.2024.