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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Einhufer. -- Der Halbesel oder Dschiggetai.
Der Angreifende jagt gehobenen Schweifes an dem Führer der Herde vorbei und schlägt im Laufe
mit den Hinterfüßen nach ihm. Mehr und mehr erhebt sich die struppige Mähne; dann, nach wenigen
Sätzen, hält er plötzlich an, wirft sich seitwärts und umkreist trabend in weitem Bogen die Herde,
deren Führer er ins Auge gefaßt. Aber der alte, wachsame Hengst wartet geduldig, bis sein frecher
Gegner ihm nahe genug kommt. Jm geeigneten Augenblicke wirst er sich rasch auf ihn, beißt und
schlägt, und nicht selten büßen die Kämpfer ein Stück Fell oder die Hälfte des glatten Schweifes
ein." -- Alle von Radde erlegten Hengste bewiesen durch ihre zahlreichen, verharrschten Narben,
wie kampflustig diese schnellen Pferde sind.

Es hat große Schwierigkeiten, das Leben des Halbesels zu beobachten. Er ist ein wundervoll
flüchtiges Thier, welches im Laufe auch mit dem schnellsten Pferde nicht eingeholt werden kann.
Dabei ist er scheu, und seine scharfen Sinne verrathen ihm jeden annähernden Menschen schon in
weiter Ferne: er soll einige Werste weit wittern können. Bei ruhigem Gange hält er seinen
Hirschhals beständig stolz empor; wenn er flüchtig wird, wirst er den Kopf ganz in die Höhe, um
hinter sich zu schauen, und hebt den Schwanz auf. Der Hengst ist außerordentlich wachsam und
hält seine Stuten vorsichtig zusammen. Wenn ein Mitglied der Herde Etwas von ferne erblickt,
springt der Hengst vor und sucht sich dem Gegenstande durch Umschweifen solange zu nähern, bis er
die Gefahr inne wird. Zuweilen streift er den auf der Erde lauernden Jägern zwei oder drei Mal
entgegen, und manchmal wird er bei solchen Gelegenheiten auch niedergeschossen; merkt er aber die
Gefahr, so treibt er seine zurückgelassene Herde mit unglaublicher Schnelligkeit in die Flucht. Die
Mongolen halten den Dschiggetai für das schnellste aller wilden Thiere, und die Tibetaner geben ihn
ihrem Gott des Feuers und des Krieges zum Reitpferde.

Ein starker Hengst scheint zum Bestehen der Herde unumgänglich nothwendig zu sein. Wird
der Führer niedergeschossen, so zerstreuen sich die Stuten, und es gibt dann gute Jagd, weil sie bei
weitem nicht so wachsam sind, als die Hengste. Aber auch die Zeit der Kämpfe zwischen den Führern
der Herden wird von den Tungusen zur Jagd benutzt.

"Der Jäger," fährt Radde fort, "zieht, um das sehr scheue Thier zu erlegen, am frühen
Morgen, auf einem hellgelben Pferde reitend, in das Gebirge. Ueber Berg und Thal reitet
er langsam durch die Einöde, in welcher die Murmelthiere auf ihren Hügeln sich sonnen und
die Adler hoch in den Lüften kreisen. Sobald er die Höhe eines Gebirges erreicht hat, blickt er in die
Ferne, um zu sehen, ob nicht ein dunkler Flecken das ersehnte Wild ihm verrathe. Wenn er es
erspäht, reitet er rasch vorwärts. Der Weg ist lang; denn es darf nur in den Thälern und gegen
den Wind geritten werden. Zu derjenigen Höhe, welcher der Dschiggetai am nächsten steht, kriecht
der erfahrene Jäger mit der größten Vorsicht. Das Thier steht, wie festgebannt; es blickt fest nach
Norden hin. Bald ist das diesseitige scheidende Thal überschritten, und nun erst beginnt die eigent-
liche Jagd."

"Dem raschen Klepper werden die losen Schweifhaare oben zusammengebunden, damit sie nicht
im Winde hin- und herfliegen; dann bringt man das Reitthier auf die Höhe des Berges, wo es zu
grasen beginnt. Der Jäger legt sich, etwa hundert Schritt von ihm entfernt, glatt auf den Boden;
seine, in eine kurze Gabel gelegte Büchse ist zum Abfeuern bereit. So wartet er. Der Dschiggetai
bemerkt das Pferd, hält es für eine Stute seines Geschlechts und stürmt im Galopp auf das Thier zu.
Aber er wird stutzig, sobald er in die Nähe kommt; er hält an, er bleibt stehen. Jetzt ist der
Augenblick zum Schusse gekommen. Der Jäger zielt am liebsten auf die Brust und erlegt nicht
selten das Wild auf dem Platze; zuweilen aber bekommt der Dschiggetai fünf Kugeln, bevor er
fällt. -- Oefters gelingt es auch, das Thier trotz seiner feinen Witterung zu beschleichen, wenn es
an stürmischen Tagen an der Mündung eines Thales grast und langsam geht."

Der Gewinn der Jagd ist nicht unbedeutend. Dem Tungusen ist das Fleisch des Dschiggetai
ein Leckerbissen; das Fell wird von den Mongolen sehr gut bezahlt, und in der Haut des Schweifes
mit der langen Quaste liegt, nach dem Volksglauben, eine wunderbare Heilkraft. Wenn man ein

Einhufer. — Der Halbeſel oder Dſchiggetai.
Der Angreifende jagt gehobenen Schweifes an dem Führer der Herde vorbei und ſchlägt im Laufe
mit den Hinterfüßen nach ihm. Mehr und mehr erhebt ſich die ſtruppige Mähne; dann, nach wenigen
Sätzen, hält er plötzlich an, wirft ſich ſeitwärts und umkreiſt trabend in weitem Bogen die Herde,
deren Führer er ins Auge gefaßt. Aber der alte, wachſame Hengſt wartet geduldig, bis ſein frecher
Gegner ihm nahe genug kommt. Jm geeigneten Augenblicke wirſt er ſich raſch auf ihn, beißt und
ſchlägt, und nicht ſelten büßen die Kämpfer ein Stück Fell oder die Hälfte des glatten Schweifes
ein.‟ — Alle von Radde erlegten Hengſte bewieſen durch ihre zahlreichen, verharrſchten Narben,
wie kampfluſtig dieſe ſchnellen Pferde ſind.

Es hat große Schwierigkeiten, das Leben des Halbeſels zu beobachten. Er iſt ein wundervoll
flüchtiges Thier, welches im Laufe auch mit dem ſchnellſten Pferde nicht eingeholt werden kann.
Dabei iſt er ſcheu, und ſeine ſcharfen Sinne verrathen ihm jeden annähernden Menſchen ſchon in
weiter Ferne: er ſoll einige Werſte weit wittern können. Bei ruhigem Gange hält er ſeinen
Hirſchhals beſtändig ſtolz empor; wenn er flüchtig wird, wirſt er den Kopf ganz in die Höhe, um
hinter ſich zu ſchauen, und hebt den Schwanz auf. Der Hengſt iſt außerordentlich wachſam und
hält ſeine Stuten vorſichtig zuſammen. Wenn ein Mitglied der Herde Etwas von ferne erblickt,
ſpringt der Hengſt vor und ſucht ſich dem Gegenſtande durch Umſchweifen ſolange zu nähern, bis er
die Gefahr inne wird. Zuweilen ſtreift er den auf der Erde lauernden Jägern zwei oder drei Mal
entgegen, und manchmal wird er bei ſolchen Gelegenheiten auch niedergeſchoſſen; merkt er aber die
Gefahr, ſo treibt er ſeine zurückgelaſſene Herde mit unglaublicher Schnelligkeit in die Flucht. Die
Mongolen halten den Dſchiggetai für das ſchnellſte aller wilden Thiere, und die Tibetaner geben ihn
ihrem Gott des Feuers und des Krieges zum Reitpferde.

Ein ſtarker Hengſt ſcheint zum Beſtehen der Herde unumgänglich nothwendig zu ſein. Wird
der Führer niedergeſchoſſen, ſo zerſtreuen ſich die Stuten, und es gibt dann gute Jagd, weil ſie bei
weitem nicht ſo wachſam ſind, als die Hengſte. Aber auch die Zeit der Kämpfe zwiſchen den Führern
der Herden wird von den Tunguſen zur Jagd benutzt.

„Der Jäger,‟ fährt Radde fort, „zieht, um das ſehr ſcheue Thier zu erlegen, am frühen
Morgen, auf einem hellgelben Pferde reitend, in das Gebirge. Ueber Berg und Thal reitet
er langſam durch die Einöde, in welcher die Murmelthiere auf ihren Hügeln ſich ſonnen und
die Adler hoch in den Lüften kreiſen. Sobald er die Höhe eines Gebirges erreicht hat, blickt er in die
Ferne, um zu ſehen, ob nicht ein dunkler Flecken das erſehnte Wild ihm verrathe. Wenn er es
erſpäht, reitet er raſch vorwärts. Der Weg iſt lang; denn es darf nur in den Thälern und gegen
den Wind geritten werden. Zu derjenigen Höhe, welcher der Dſchiggetai am nächſten ſteht, kriecht
der erfahrene Jäger mit der größten Vorſicht. Das Thier ſteht, wie feſtgebannt; es blickt feſt nach
Norden hin. Bald iſt das diesſeitige ſcheidende Thal überſchritten, und nun erſt beginnt die eigent-
liche Jagd.‟

„Dem raſchen Klepper werden die loſen Schweifhaare oben zuſammengebunden, damit ſie nicht
im Winde hin- und herfliegen; dann bringt man das Reitthier auf die Höhe des Berges, wo es zu
graſen beginnt. Der Jäger legt ſich, etwa hundert Schritt von ihm entfernt, glatt auf den Boden;
ſeine, in eine kurze Gabel gelegte Büchſe iſt zum Abfeuern bereit. So wartet er. Der Dſchiggetai
bemerkt das Pferd, hält es für eine Stute ſeines Geſchlechts und ſtürmt im Galopp auf das Thier zu.
Aber er wird ſtutzig, ſobald er in die Nähe kommt; er hält an, er bleibt ſtehen. Jetzt iſt der
Augenblick zum Schuſſe gekommen. Der Jäger zielt am liebſten auf die Bruſt und erlegt nicht
ſelten das Wild auf dem Platze; zuweilen aber bekommt der Dſchiggetai fünf Kugeln, bevor er
fällt. — Oefters gelingt es auch, das Thier trotz ſeiner feinen Witterung zu beſchleichen, wenn es
an ſtürmiſchen Tagen an der Mündung eines Thales graſt und langſam geht.‟

Der Gewinn der Jagd iſt nicht unbedeutend. Dem Tunguſen iſt das Fleiſch des Dſchiggetai
ein Leckerbiſſen; das Fell wird von den Mongolen ſehr gut bezahlt, und in der Haut des Schweifes
mit der langen Quaſte liegt, nach dem Volksglauben, eine wunderbare Heilkraft. Wenn man ein

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[360/0382] Einhufer. — Der Halbeſel oder Dſchiggetai. Der Angreifende jagt gehobenen Schweifes an dem Führer der Herde vorbei und ſchlägt im Laufe mit den Hinterfüßen nach ihm. Mehr und mehr erhebt ſich die ſtruppige Mähne; dann, nach wenigen Sätzen, hält er plötzlich an, wirft ſich ſeitwärts und umkreiſt trabend in weitem Bogen die Herde, deren Führer er ins Auge gefaßt. Aber der alte, wachſame Hengſt wartet geduldig, bis ſein frecher Gegner ihm nahe genug kommt. Jm geeigneten Augenblicke wirſt er ſich raſch auf ihn, beißt und ſchlägt, und nicht ſelten büßen die Kämpfer ein Stück Fell oder die Hälfte des glatten Schweifes ein.‟ — Alle von Radde erlegten Hengſte bewieſen durch ihre zahlreichen, verharrſchten Narben, wie kampfluſtig dieſe ſchnellen Pferde ſind. Es hat große Schwierigkeiten, das Leben des Halbeſels zu beobachten. Er iſt ein wundervoll flüchtiges Thier, welches im Laufe auch mit dem ſchnellſten Pferde nicht eingeholt werden kann. Dabei iſt er ſcheu, und ſeine ſcharfen Sinne verrathen ihm jeden annähernden Menſchen ſchon in weiter Ferne: er ſoll einige Werſte weit wittern können. Bei ruhigem Gange hält er ſeinen Hirſchhals beſtändig ſtolz empor; wenn er flüchtig wird, wirſt er den Kopf ganz in die Höhe, um hinter ſich zu ſchauen, und hebt den Schwanz auf. Der Hengſt iſt außerordentlich wachſam und hält ſeine Stuten vorſichtig zuſammen. Wenn ein Mitglied der Herde Etwas von ferne erblickt, ſpringt der Hengſt vor und ſucht ſich dem Gegenſtande durch Umſchweifen ſolange zu nähern, bis er die Gefahr inne wird. Zuweilen ſtreift er den auf der Erde lauernden Jägern zwei oder drei Mal entgegen, und manchmal wird er bei ſolchen Gelegenheiten auch niedergeſchoſſen; merkt er aber die Gefahr, ſo treibt er ſeine zurückgelaſſene Herde mit unglaublicher Schnelligkeit in die Flucht. Die Mongolen halten den Dſchiggetai für das ſchnellſte aller wilden Thiere, und die Tibetaner geben ihn ihrem Gott des Feuers und des Krieges zum Reitpferde. Ein ſtarker Hengſt ſcheint zum Beſtehen der Herde unumgänglich nothwendig zu ſein. Wird der Führer niedergeſchoſſen, ſo zerſtreuen ſich die Stuten, und es gibt dann gute Jagd, weil ſie bei weitem nicht ſo wachſam ſind, als die Hengſte. Aber auch die Zeit der Kämpfe zwiſchen den Führern der Herden wird von den Tunguſen zur Jagd benutzt. „Der Jäger,‟ fährt Radde fort, „zieht, um das ſehr ſcheue Thier zu erlegen, am frühen Morgen, auf einem hellgelben Pferde reitend, in das Gebirge. Ueber Berg und Thal reitet er langſam durch die Einöde, in welcher die Murmelthiere auf ihren Hügeln ſich ſonnen und die Adler hoch in den Lüften kreiſen. Sobald er die Höhe eines Gebirges erreicht hat, blickt er in die Ferne, um zu ſehen, ob nicht ein dunkler Flecken das erſehnte Wild ihm verrathe. Wenn er es erſpäht, reitet er raſch vorwärts. Der Weg iſt lang; denn es darf nur in den Thälern und gegen den Wind geritten werden. Zu derjenigen Höhe, welcher der Dſchiggetai am nächſten ſteht, kriecht der erfahrene Jäger mit der größten Vorſicht. Das Thier ſteht, wie feſtgebannt; es blickt feſt nach Norden hin. Bald iſt das diesſeitige ſcheidende Thal überſchritten, und nun erſt beginnt die eigent- liche Jagd.‟ „Dem raſchen Klepper werden die loſen Schweifhaare oben zuſammengebunden, damit ſie nicht im Winde hin- und herfliegen; dann bringt man das Reitthier auf die Höhe des Berges, wo es zu graſen beginnt. Der Jäger legt ſich, etwa hundert Schritt von ihm entfernt, glatt auf den Boden; ſeine, in eine kurze Gabel gelegte Büchſe iſt zum Abfeuern bereit. So wartet er. Der Dſchiggetai bemerkt das Pferd, hält es für eine Stute ſeines Geſchlechts und ſtürmt im Galopp auf das Thier zu. Aber er wird ſtutzig, ſobald er in die Nähe kommt; er hält an, er bleibt ſtehen. Jetzt iſt der Augenblick zum Schuſſe gekommen. Der Jäger zielt am liebſten auf die Bruſt und erlegt nicht ſelten das Wild auf dem Platze; zuweilen aber bekommt der Dſchiggetai fünf Kugeln, bevor er fällt. — Oefters gelingt es auch, das Thier trotz ſeiner feinen Witterung zu beſchleichen, wenn es an ſtürmiſchen Tagen an der Mündung eines Thales graſt und langſam geht.‟ Der Gewinn der Jagd iſt nicht unbedeutend. Dem Tunguſen iſt das Fleiſch des Dſchiggetai ein Leckerbiſſen; das Fell wird von den Mongolen ſehr gut bezahlt, und in der Haut des Schweifes mit der langen Quaſte liegt, nach dem Volksglauben, eine wunderbare Heilkraft. Wenn man ein

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/382>, abgerufen am 23.11.2024.