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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das Pferd.
Habe gerettet. Wie schnell erkennt es den Gasthof wieder, in welchem es einmal eingekehrt ist,
aber auch wie hartnäckig glaubt es wieder einkehren zu dürfen! Es ist, als ob es meine, der Führer,
der Reiter kenne den Gasthof nicht so gut, als es ihn kenne; es ist, als ob es ihn zurechtweisen
müsse. Jst es einmal beim Gasthof vorüber, so läuft es wieder ganz willig. Es scheint nun sich
selbst zu berichtigen und zu denken, sein Führer habe nicht Unrecht; denn er wolle nun einmal
da nicht einkehren. Doch erkennt es den Gasthof als solchen nicht am Schilde. Willig läuft es
bei denen vorbei, in welchen es noch nie gewesen. Seinen ehemaligen Herrn und Knecht erkennt
es nach vielen Jahren noch sogleich wieder, läuft auf ihn zu, wiehert ihn an, leckt ihn und be-
zeigt eine gar innige Freude; es weiß nur nicht recht, wie es seine Freude äußern soll. Es
merkt augenblicklich, ob ein anderer Mensch, als der gewöhnliche, auf seinem Rücken sitzt. Bis-
weilen schaut es rückwärts, sich darüber völlig ins Reine zu setzen. Vollkommen erkennt es den
Sinn der Worte des Wärters und vollkommen gehorcht es denselben. Es tritt aus dem Stalle
zum Brunnen, zum Wagen, läßt sich das Geschirr an- und auflegen, läuft dem Knechte wie ein
Hund nach, geht von selbst wieder in den Stall. Einen neuen Knecht oder ein neues Neben-
pferd schaut es sinnvoll an, in ganz anderer Weise, als die Kuh das neue Thor. Alles Neue
erregt es stark, ein neuer Wagen, eine neue Kutsche ist ihm wichtig. Wo etwas Neues, Auf-
fallendes durch Größe, Form und Farbe zu sehen ist, trabt es herzu, schaut und schnauft es an."

"Seine Wahrnehmungsgabe, sein Gedächtniß und seine Gutmüthigkeit machen es möglich,
ihm alle Künste des Elefanten, Esels und Hundes beizubringen. Es muß Räthsel lösen, Fragen
beantworten, durch Bewegen mit dem Kopfe Ja und Nein sagen, durch Schläge mit dem Fuße
Zahlengrößen der Uhr u. s. w. bezeichnen. Es sieht auf die Bewegung der Hände und Füße
des Lehrers, versteht die Bedeutung der Schwingung der Peitsche und diejenige der Worte, so
daß es schon ein kleines Wörterbuch in der Seele hat. Aufs Wort stellt es sich krank, steht es
dumm mit ausgebreiteten Beinen und hängt es den Kopf, schwankt es traurig und matt, sinkt
langsam, plumpt auf die Erde, liegt wie todt, läßt auf sich sitzen, die Beine auseinander legen,
am Schwanze zerren, die Finger in die so sehr empfindlichen Ohren stecken u. s. w., aber aufs
hingeworfene Wort, es durch den Henker abholen zu lassen, springt es wieder auf und rüstet
sich wieder munter und froh: es hat den Befehl völlig verstanden. Daß ihm der Spaß, den es
oft wiederholen muß, gefalle, nimmt man nicht wahr; ihm kann nur Laufen und Springen be-
hagen. Wie lange wird man's lehren müssen, bis es durch zwei große Reife springt, die ziem-
lich weit von einander entfernt mit weißem Papier scheibenartig sich ihm wie eine weiße Mauer
darstellen? Wer sieht nicht gern Bereiterkünste? Es ist dabei nicht der Mensch, sondern das
Pferd das Merkwürdigste. Daß der Mensch lernen kann und will, nimmt uns nicht wunder,
sondern, daß das Pferd lernen kann. Man muß wirklich nicht fragen: Was kann es lernen?
sondern: was kann es nicht lernen?"

"Wer einem Pferde etwas Menschliches lehren will, muß es, anfangs wenigstens, rein mensch-
lich, d. h. nicht durch Prügel, noch Drohungen, noch Hunger lehren wollen, sondern nur das gute
Wort brauchen und es geradeso behandeln, wie ein guter, verständiger Mensch einen guten, verstän-
digen Menschen behandelt. Was auf den Menschen wirkt, wirkt auch aufs Pferd. Will es sich z. B.
nicht beschlagen, den Fuß nicht aufheben lassen, so streichelt man es, streichelt seinen Fuß, gibt ihm
gute Worte, verweist ihm seine Ungeduld, seinen Ungehorsam, hält ihm, um es zu zerstreuen, Hafer
vor; frißt es, so probirt man den Fuß aufzuheben, will es solches nicht geschehen lassen, so entzieht
man ihm den Hafer, schaut es diesem nach, so hält man ihm diesen wieder vor, probirt es nochmals
mit dem Fuße u. s. w. So gewinnt man alle Pferde, die früher nicht mißhandelt, nicht schlechter
erzogen worden sind. Der Regel nach sind die Pferde völlig Kinder im Guten und Bösen."

"Das Pferd hat neben seinem Ortsgedächtniß auch Zeitsinn. Es lernt im Takte gehen, trotten,
galoppen und tanzen. Es kennt auch Zeitunterschiede im Großen, es weiß, ob es Morgen, Mittag
oder Abendzeit. Es ermangelt selbst des Tonsinns nicht. Wie der Krieger, liebt es den Trompeten-

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Das Pferd.
Habe gerettet. Wie ſchnell erkennt es den Gaſthof wieder, in welchem es einmal eingekehrt iſt,
aber auch wie hartnäckig glaubt es wieder einkehren zu dürfen! Es iſt, als ob es meine, der Führer,
der Reiter kenne den Gaſthof nicht ſo gut, als es ihn kenne; es iſt, als ob es ihn zurechtweiſen
müſſe. Jſt es einmal beim Gaſthof vorüber, ſo läuft es wieder ganz willig. Es ſcheint nun ſich
ſelbſt zu berichtigen und zu denken, ſein Führer habe nicht Unrecht; denn er wolle nun einmal
da nicht einkehren. Doch erkennt es den Gaſthof als ſolchen nicht am Schilde. Willig läuft es
bei denen vorbei, in welchen es noch nie geweſen. Seinen ehemaligen Herrn und Knecht erkennt
es nach vielen Jahren noch ſogleich wieder, läuft auf ihn zu, wiehert ihn an, leckt ihn und be-
zeigt eine gar innige Freude; es weiß nur nicht recht, wie es ſeine Freude äußern ſoll. Es
merkt augenblicklich, ob ein anderer Menſch, als der gewöhnliche, auf ſeinem Rücken ſitzt. Bis-
weilen ſchaut es rückwärts, ſich darüber völlig ins Reine zu ſetzen. Vollkommen erkennt es den
Sinn der Worte des Wärters und vollkommen gehorcht es denſelben. Es tritt aus dem Stalle
zum Brunnen, zum Wagen, läßt ſich das Geſchirr an- und auflegen, läuft dem Knechte wie ein
Hund nach, geht von ſelbſt wieder in den Stall. Einen neuen Knecht oder ein neues Neben-
pferd ſchaut es ſinnvoll an, in ganz anderer Weiſe, als die Kuh das neue Thor. Alles Neue
erregt es ſtark, ein neuer Wagen, eine neue Kutſche iſt ihm wichtig. Wo etwas Neues, Auf-
fallendes durch Größe, Form und Farbe zu ſehen iſt, trabt es herzu, ſchaut und ſchnauft es an.‟

„Seine Wahrnehmungsgabe, ſein Gedächtniß und ſeine Gutmüthigkeit machen es möglich,
ihm alle Künſte des Elefanten, Eſels und Hundes beizubringen. Es muß Räthſel löſen, Fragen
beantworten, durch Bewegen mit dem Kopfe Ja und Nein ſagen, durch Schläge mit dem Fuße
Zahlengrößen der Uhr u. ſ. w. bezeichnen. Es ſieht auf die Bewegung der Hände und Füße
des Lehrers, verſteht die Bedeutung der Schwingung der Peitſche und diejenige der Worte, ſo
daß es ſchon ein kleines Wörterbuch in der Seele hat. Aufs Wort ſtellt es ſich krank, ſteht es
dumm mit ausgebreiteten Beinen und hängt es den Kopf, ſchwankt es traurig und matt, ſinkt
langſam, plumpt auf die Erde, liegt wie todt, läßt auf ſich ſitzen, die Beine auseinander legen,
am Schwanze zerren, die Finger in die ſo ſehr empfindlichen Ohren ſtecken u. ſ. w., aber aufs
hingeworfene Wort, es durch den Henker abholen zu laſſen, ſpringt es wieder auf und rüſtet
ſich wieder munter und froh: es hat den Befehl völlig verſtanden. Daß ihm der Spaß, den es
oft wiederholen muß, gefalle, nimmt man nicht wahr; ihm kann nur Laufen und Springen be-
hagen. Wie lange wird man’s lehren müſſen, bis es durch zwei große Reife ſpringt, die ziem-
lich weit von einander entfernt mit weißem Papier ſcheibenartig ſich ihm wie eine weiße Mauer
darſtellen? Wer ſieht nicht gern Bereiterkünſte? Es iſt dabei nicht der Menſch, ſondern das
Pferd das Merkwürdigſte. Daß der Menſch lernen kann und will, nimmt uns nicht wunder,
ſondern, daß das Pferd lernen kann. Man muß wirklich nicht fragen: Was kann es lernen?
ſondern: was kann es nicht lernen?‟

„Wer einem Pferde etwas Menſchliches lehren will, muß es, anfangs wenigſtens, rein menſch-
lich, d. h. nicht durch Prügel, noch Drohungen, noch Hunger lehren wollen, ſondern nur das gute
Wort brauchen und es geradeſo behandeln, wie ein guter, verſtändiger Menſch einen guten, verſtän-
digen Menſchen behandelt. Was auf den Menſchen wirkt, wirkt auch aufs Pferd. Will es ſich z. B.
nicht beſchlagen, den Fuß nicht aufheben laſſen, ſo ſtreichelt man es, ſtreichelt ſeinen Fuß, gibt ihm
gute Worte, verweiſt ihm ſeine Ungeduld, ſeinen Ungehorſam, hält ihm, um es zu zerſtreuen, Hafer
vor; frißt es, ſo probirt man den Fuß aufzuheben, will es ſolches nicht geſchehen laſſen, ſo entzieht
man ihm den Hafer, ſchaut es dieſem nach, ſo hält man ihm dieſen wieder vor, probirt es nochmals
mit dem Fuße u. ſ. w. So gewinnt man alle Pferde, die früher nicht mißhandelt, nicht ſchlechter
erzogen worden ſind. Der Regel nach ſind die Pferde völlig Kinder im Guten und Böſen.‟

„Das Pferd hat neben ſeinem Ortsgedächtniß auch Zeitſinn. Es lernt im Takte gehen, trotten,
galoppen und tanzen. Es kennt auch Zeitunterſchiede im Großen, es weiß, ob es Morgen, Mittag
oder Abendzeit. Es ermangelt ſelbſt des Tonſinns nicht. Wie der Krieger, liebt es den Trompeten-

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[355/0377] Das Pferd. Habe gerettet. Wie ſchnell erkennt es den Gaſthof wieder, in welchem es einmal eingekehrt iſt, aber auch wie hartnäckig glaubt es wieder einkehren zu dürfen! Es iſt, als ob es meine, der Führer, der Reiter kenne den Gaſthof nicht ſo gut, als es ihn kenne; es iſt, als ob es ihn zurechtweiſen müſſe. Jſt es einmal beim Gaſthof vorüber, ſo läuft es wieder ganz willig. Es ſcheint nun ſich ſelbſt zu berichtigen und zu denken, ſein Führer habe nicht Unrecht; denn er wolle nun einmal da nicht einkehren. Doch erkennt es den Gaſthof als ſolchen nicht am Schilde. Willig läuft es bei denen vorbei, in welchen es noch nie geweſen. Seinen ehemaligen Herrn und Knecht erkennt es nach vielen Jahren noch ſogleich wieder, läuft auf ihn zu, wiehert ihn an, leckt ihn und be- zeigt eine gar innige Freude; es weiß nur nicht recht, wie es ſeine Freude äußern ſoll. Es merkt augenblicklich, ob ein anderer Menſch, als der gewöhnliche, auf ſeinem Rücken ſitzt. Bis- weilen ſchaut es rückwärts, ſich darüber völlig ins Reine zu ſetzen. Vollkommen erkennt es den Sinn der Worte des Wärters und vollkommen gehorcht es denſelben. Es tritt aus dem Stalle zum Brunnen, zum Wagen, läßt ſich das Geſchirr an- und auflegen, läuft dem Knechte wie ein Hund nach, geht von ſelbſt wieder in den Stall. Einen neuen Knecht oder ein neues Neben- pferd ſchaut es ſinnvoll an, in ganz anderer Weiſe, als die Kuh das neue Thor. Alles Neue erregt es ſtark, ein neuer Wagen, eine neue Kutſche iſt ihm wichtig. Wo etwas Neues, Auf- fallendes durch Größe, Form und Farbe zu ſehen iſt, trabt es herzu, ſchaut und ſchnauft es an.‟ „Seine Wahrnehmungsgabe, ſein Gedächtniß und ſeine Gutmüthigkeit machen es möglich, ihm alle Künſte des Elefanten, Eſels und Hundes beizubringen. Es muß Räthſel löſen, Fragen beantworten, durch Bewegen mit dem Kopfe Ja und Nein ſagen, durch Schläge mit dem Fuße Zahlengrößen der Uhr u. ſ. w. bezeichnen. Es ſieht auf die Bewegung der Hände und Füße des Lehrers, verſteht die Bedeutung der Schwingung der Peitſche und diejenige der Worte, ſo daß es ſchon ein kleines Wörterbuch in der Seele hat. Aufs Wort ſtellt es ſich krank, ſteht es dumm mit ausgebreiteten Beinen und hängt es den Kopf, ſchwankt es traurig und matt, ſinkt langſam, plumpt auf die Erde, liegt wie todt, läßt auf ſich ſitzen, die Beine auseinander legen, am Schwanze zerren, die Finger in die ſo ſehr empfindlichen Ohren ſtecken u. ſ. w., aber aufs hingeworfene Wort, es durch den Henker abholen zu laſſen, ſpringt es wieder auf und rüſtet ſich wieder munter und froh: es hat den Befehl völlig verſtanden. Daß ihm der Spaß, den es oft wiederholen muß, gefalle, nimmt man nicht wahr; ihm kann nur Laufen und Springen be- hagen. Wie lange wird man’s lehren müſſen, bis es durch zwei große Reife ſpringt, die ziem- lich weit von einander entfernt mit weißem Papier ſcheibenartig ſich ihm wie eine weiße Mauer darſtellen? Wer ſieht nicht gern Bereiterkünſte? Es iſt dabei nicht der Menſch, ſondern das Pferd das Merkwürdigſte. Daß der Menſch lernen kann und will, nimmt uns nicht wunder, ſondern, daß das Pferd lernen kann. Man muß wirklich nicht fragen: Was kann es lernen? ſondern: was kann es nicht lernen?‟ „Wer einem Pferde etwas Menſchliches lehren will, muß es, anfangs wenigſtens, rein menſch- lich, d. h. nicht durch Prügel, noch Drohungen, noch Hunger lehren wollen, ſondern nur das gute Wort brauchen und es geradeſo behandeln, wie ein guter, verſtändiger Menſch einen guten, verſtän- digen Menſchen behandelt. Was auf den Menſchen wirkt, wirkt auch aufs Pferd. Will es ſich z. B. nicht beſchlagen, den Fuß nicht aufheben laſſen, ſo ſtreichelt man es, ſtreichelt ſeinen Fuß, gibt ihm gute Worte, verweiſt ihm ſeine Ungeduld, ſeinen Ungehorſam, hält ihm, um es zu zerſtreuen, Hafer vor; frißt es, ſo probirt man den Fuß aufzuheben, will es ſolches nicht geſchehen laſſen, ſo entzieht man ihm den Hafer, ſchaut es dieſem nach, ſo hält man ihm dieſen wieder vor, probirt es nochmals mit dem Fuße u. ſ. w. So gewinnt man alle Pferde, die früher nicht mißhandelt, nicht ſchlechter erzogen worden ſind. Der Regel nach ſind die Pferde völlig Kinder im Guten und Böſen.‟ „Das Pferd hat neben ſeinem Ortsgedächtniß auch Zeitſinn. Es lernt im Takte gehen, trotten, galoppen und tanzen. Es kennt auch Zeitunterſchiede im Großen, es weiß, ob es Morgen, Mittag oder Abendzeit. Es ermangelt ſelbſt des Tonſinns nicht. Wie der Krieger, liebt es den Trompeten- 23*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/377>, abgerufen am 23.11.2024.