vielfache Unglücksfälle verschulden. Die kühnen Reiter der Steppen, welche den größten Theil des Lebens auf dem Pferde zubringen, werden häufig genug durch die Arbeit der Gürtelthiere im höchsten Grade belästigt. Das Pferd, welches in gestrecktem Galopp dahinjagt, tritt plötzlich in eine Höhle und wirft den Reiter ab, daß er in weitem Bogen dahinschießt. Pferde und Rinder brechen auch wohl ein Bein bei solchen Gelegenheiten, und deshalb verfolgen die Eigenthümer aller Meiereien die armen Pauzerträger auf das erbittertste und grausamste. Außer den Menschen stellen ihnen auch noch die größeren Katzenarten, der brasilianische Wolf und der südamerikanische Fuchs, nach; doch scheinen ihnen alle diese Feinde nicht eben viel Schaden zu thun, da sie an den Orten, wo sie der Mensch in Ruhe läßt, immer in großer Anzahl vorkommen.
Nur äußerst selten werden in Paraguay Tatus aufgezogen. Sie sind zu traurige und ihres Gra- bens wegen auch zu schädliche Hausgenossen, als daß der Mensch sich besonders mit ihnen befreunden könnte. Sie halten sich den ganzen Tag über in einem Winkel ihres Käfigs ganz ruhig, ziehen die Beine unter ihren Panzer zurück und senken die spitze Schnauze gegen den Boden. Bei einbrechender Nacht dagegen beginnen sie umher zu laufen, nehmen die ihnen vorgelegte Nahrung zu sich und ver- suchen von Zeit zu Zeit mit ihren Nägeln ein Loch in den Käfig zu graben. Läßt man sie in einem Hofe frei umherlaufen, so graben sie sich zuweilen schon bei Tage, gewiß aber in der ersten Nacht in die Erde ein und leben dann wie im Zustande der Freiheit, d. h. zeigen sich blos bei Nacht, und gra- ben sich alle drei oder vier Tage eine neue Höhle. Niemals beweisen sie durch irgend eine Handlung, daß sie Verstand besitzen. Den Menschen scheinen sie kaum von anderen Geschöpfen, mit denen sie leben, zu unterscheiden; doch gewöhnen sie sich daran, von ihm berührt und herumgetragen zu werden, während sie vor Hunden und Katzen zu fliehen suchen. Erschreckt man sie durch einen Schlag oder starken Laut, so springen sie einige Schritte weit fort und versuchen sogleich ein Loch zu graben. Jn ihrem Laufe achten sie weder auf leblose Gegenstände noch auf lebende Thiere, die ihnen im Wege liegen, sondern rennen über Alles hinweg. Unter ihren Sinnen ist der Geruch der vorzüglichste; das Gehör ist schwächer, und die Augen werden vom hellen Sonnenschein vollständig geblendet und sind auch in der Dämmerung nur zum Beschauen ganz nahe liegender Gegenstände befähigt.
Die Nahrung besteht in der Gefangenschaft aus Würmern, Kerbthieren, Larven und rohem oder gekochtem Fleisch, welches man ihnen aber in kleinen Stücken vorwerfen muß, weil sie von größeren Nichts abbeißen können. Sie ergreifen die Speise mit den Lippen oder mit ihrer sehr ausdehnbaren und mit vielen Warzen bedeckten Zunge. Man hat häufig Gürtelthiere nach Europa gebracht; doch haben sie hier die Gefangenschaft nicht lange ausgehalten. Jm Thiergarten zu London brachte man sie zur Paarung. Die Jungen kamen blind zur Welt und ihre noch weiche Haut zeigte alle Falten und Felder des erwachsenen Thieres. Jhr Wachsthum ging außerordentlich schnell vor sich, eins hatte in Zeit von zehn Wochen 52 Unzen an Gewicht gewonnen und 91/2 Zoll an Größe zugenommen. -- Jm kölner Thiergarten warf ein Weibchen zwei Mal je zwei Junge. Herr Dr.Bodinus war so gütig, mich hierüber genauer zu unterrichten. "Ueber die Fortpflanzungsgeschichte dieser merkwür- digen Thiere bin ich, trotzdem ich die Gefangenen täglich vor Augen habe, noch ziemlich im Dunkel geblieben. Jch kann nur sagen, daß die Begierde des Männchens zur Begattungszeit geradezu un- gezügelt ist. Es überfällt sein Weibchen in jeder Lage und treibt es lange umher. Die Geburt der Jungen überraschte mich; denn die Geschlechter sind schwer zu unterscheiden, und ich hatte durchaus keine Aenderung in dem Umfange des Weibchens wahrgenommen. Jhre verhältnißmäßig sehr großen Jungen wurden halbtodt vor Kälte in der Streu des Käfigs gefunden. Das Weibchen bemühte sich, dort sie zu verscharren. Dabei stieß es die Jungen in der rohesten Weise umher, kratzte und schlug mit seinen Nägeln auf die armen Geschöpfe los, daß sie blutrünstig wurden, und erneuerte dieses Verfahren immer wieder, nachdem die Jungen, als sie fortgenommen und wieder erwärmt worden waren, hingelegt wurden, um sich saugend an der Mutter zu ernähren. Daran war aber nicht zu denken. Es war mir unmöglich, irgend eine Spur von Milch zu entdecken; die Milchdrüfen waren auch nicht im geringsten angeschwollen."
Brehm, Thierleben. II. 19
Die Gürtelthiere.
vielfache Unglücksfälle verſchulden. Die kühnen Reiter der Steppen, welche den größten Theil des Lebens auf dem Pferde zubringen, werden häufig genug durch die Arbeit der Gürtelthiere im höchſten Grade beläſtigt. Das Pferd, welches in geſtrecktem Galopp dahinjagt, tritt plötzlich in eine Höhle und wirft den Reiter ab, daß er in weitem Bogen dahinſchießt. Pferde und Rinder brechen auch wohl ein Bein bei ſolchen Gelegenheiten, und deshalb verfolgen die Eigenthümer aller Meiereien die armen Pauzerträger auf das erbittertſte und grauſamſte. Außer den Menſchen ſtellen ihnen auch noch die größeren Katzenarten, der braſilianiſche Wolf und der ſüdamerikaniſche Fuchs, nach; doch ſcheinen ihnen alle dieſe Feinde nicht eben viel Schaden zu thun, da ſie an den Orten, wo ſie der Menſch in Ruhe läßt, immer in großer Anzahl vorkommen.
Nur äußerſt ſelten werden in Paraguay Tatus aufgezogen. Sie ſind zu traurige und ihres Gra- bens wegen auch zu ſchädliche Hausgenoſſen, als daß der Menſch ſich beſonders mit ihnen befreunden könnte. Sie halten ſich den ganzen Tag über in einem Winkel ihres Käfigs ganz ruhig, ziehen die Beine unter ihren Panzer zurück und ſenken die ſpitze Schnauze gegen den Boden. Bei einbrechender Nacht dagegen beginnen ſie umher zu laufen, nehmen die ihnen vorgelegte Nahrung zu ſich und ver- ſuchen von Zeit zu Zeit mit ihren Nägeln ein Loch in den Käfig zu graben. Läßt man ſie in einem Hofe frei umherlaufen, ſo graben ſie ſich zuweilen ſchon bei Tage, gewiß aber in der erſten Nacht in die Erde ein und leben dann wie im Zuſtande der Freiheit, d. h. zeigen ſich blos bei Nacht, und gra- ben ſich alle drei oder vier Tage eine neue Höhle. Niemals beweiſen ſie durch irgend eine Handlung, daß ſie Verſtand beſitzen. Den Menſchen ſcheinen ſie kaum von anderen Geſchöpfen, mit denen ſie leben, zu unterſcheiden; doch gewöhnen ſie ſich daran, von ihm berührt und herumgetragen zu werden, während ſie vor Hunden und Katzen zu fliehen ſuchen. Erſchreckt man ſie durch einen Schlag oder ſtarken Laut, ſo ſpringen ſie einige Schritte weit fort und verſuchen ſogleich ein Loch zu graben. Jn ihrem Laufe achten ſie weder auf lebloſe Gegenſtände noch auf lebende Thiere, die ihnen im Wege liegen, ſondern rennen über Alles hinweg. Unter ihren Sinnen iſt der Geruch der vorzüglichſte; das Gehör iſt ſchwächer, und die Augen werden vom hellen Sonnenſchein vollſtändig geblendet und ſind auch in der Dämmerung nur zum Beſchauen ganz nahe liegender Gegenſtände befähigt.
Die Nahrung beſteht in der Gefangenſchaft aus Würmern, Kerbthieren, Larven und rohem oder gekochtem Fleiſch, welches man ihnen aber in kleinen Stücken vorwerfen muß, weil ſie von größeren Nichts abbeißen können. Sie ergreifen die Speiſe mit den Lippen oder mit ihrer ſehr ausdehnbaren und mit vielen Warzen bedeckten Zunge. Man hat häufig Gürtelthiere nach Europa gebracht; doch haben ſie hier die Gefangenſchaft nicht lange ausgehalten. Jm Thiergarten zu London brachte man ſie zur Paarung. Die Jungen kamen blind zur Welt und ihre noch weiche Haut zeigte alle Falten und Felder des erwachſenen Thieres. Jhr Wachsthum ging außerordentlich ſchnell vor ſich, eins hatte in Zeit von zehn Wochen 52 Unzen an Gewicht gewonnen und 9½ Zoll an Größe zugenommen. — Jm kölner Thiergarten warf ein Weibchen zwei Mal je zwei Junge. Herr Dr.Bodinus war ſo gütig, mich hierüber genauer zu unterrichten. „Ueber die Fortpflanzungsgeſchichte dieſer merkwür- digen Thiere bin ich, trotzdem ich die Gefangenen täglich vor Augen habe, noch ziemlich im Dunkel geblieben. Jch kann nur ſagen, daß die Begierde des Männchens zur Begattungszeit geradezu un- gezügelt iſt. Es überfällt ſein Weibchen in jeder Lage und treibt es lange umher. Die Geburt der Jungen überraſchte mich; denn die Geſchlechter ſind ſchwer zu unterſcheiden, und ich hatte durchaus keine Aenderung in dem Umfange des Weibchens wahrgenommen. Jhre verhältnißmäßig ſehr großen Jungen wurden halbtodt vor Kälte in der Streu des Käfigs gefunden. Das Weibchen bemühte ſich, dort ſie zu verſcharren. Dabei ſtieß es die Jungen in der roheſten Weiſe umher, kratzte und ſchlug mit ſeinen Nägeln auf die armen Geſchöpfe los, daß ſie blutrünſtig wurden, und erneuerte dieſes Verfahren immer wieder, nachdem die Jungen, als ſie fortgenommen und wieder erwärmt worden waren, hingelegt wurden, um ſich ſaugend an der Mutter zu ernähren. Daran war aber nicht zu denken. Es war mir unmöglich, irgend eine Spur von Milch zu entdecken; die Milchdrüfen waren auch nicht im geringſten angeſchwollen.‟
Brehm, Thierleben. II. 19
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[289/0309]
Die Gürtelthiere.
vielfache Unglücksfälle verſchulden. Die kühnen Reiter der Steppen, welche den größten Theil des
Lebens auf dem Pferde zubringen, werden häufig genug durch die Arbeit der Gürtelthiere im höchſten
Grade beläſtigt. Das Pferd, welches in geſtrecktem Galopp dahinjagt, tritt plötzlich in eine Höhle
und wirft den Reiter ab, daß er in weitem Bogen dahinſchießt. Pferde und Rinder brechen auch
wohl ein Bein bei ſolchen Gelegenheiten, und deshalb verfolgen die Eigenthümer aller Meiereien die
armen Pauzerträger auf das erbittertſte und grauſamſte. Außer den Menſchen ſtellen ihnen auch
noch die größeren Katzenarten, der braſilianiſche Wolf und der ſüdamerikaniſche Fuchs, nach; doch
ſcheinen ihnen alle dieſe Feinde nicht eben viel Schaden zu thun, da ſie an den Orten, wo ſie der
Menſch in Ruhe läßt, immer in großer Anzahl vorkommen.
Nur äußerſt ſelten werden in Paraguay Tatus aufgezogen. Sie ſind zu traurige und ihres Gra-
bens wegen auch zu ſchädliche Hausgenoſſen, als daß der Menſch ſich beſonders mit ihnen befreunden
könnte. Sie halten ſich den ganzen Tag über in einem Winkel ihres Käfigs ganz ruhig, ziehen die
Beine unter ihren Panzer zurück und ſenken die ſpitze Schnauze gegen den Boden. Bei einbrechender
Nacht dagegen beginnen ſie umher zu laufen, nehmen die ihnen vorgelegte Nahrung zu ſich und ver-
ſuchen von Zeit zu Zeit mit ihren Nägeln ein Loch in den Käfig zu graben. Läßt man ſie in einem
Hofe frei umherlaufen, ſo graben ſie ſich zuweilen ſchon bei Tage, gewiß aber in der erſten Nacht in
die Erde ein und leben dann wie im Zuſtande der Freiheit, d. h. zeigen ſich blos bei Nacht, und gra-
ben ſich alle drei oder vier Tage eine neue Höhle. Niemals beweiſen ſie durch irgend eine Handlung,
daß ſie Verſtand beſitzen. Den Menſchen ſcheinen ſie kaum von anderen Geſchöpfen, mit denen ſie
leben, zu unterſcheiden; doch gewöhnen ſie ſich daran, von ihm berührt und herumgetragen zu werden,
während ſie vor Hunden und Katzen zu fliehen ſuchen. Erſchreckt man ſie durch einen Schlag oder
ſtarken Laut, ſo ſpringen ſie einige Schritte weit fort und verſuchen ſogleich ein Loch zu graben. Jn
ihrem Laufe achten ſie weder auf lebloſe Gegenſtände noch auf lebende Thiere, die ihnen im Wege
liegen, ſondern rennen über Alles hinweg. Unter ihren Sinnen iſt der Geruch der vorzüglichſte; das
Gehör iſt ſchwächer, und die Augen werden vom hellen Sonnenſchein vollſtändig geblendet und ſind
auch in der Dämmerung nur zum Beſchauen ganz nahe liegender Gegenſtände befähigt.
Die Nahrung beſteht in der Gefangenſchaft aus Würmern, Kerbthieren, Larven und rohem oder
gekochtem Fleiſch, welches man ihnen aber in kleinen Stücken vorwerfen muß, weil ſie von größeren Nichts
abbeißen können. Sie ergreifen die Speiſe mit den Lippen oder mit ihrer ſehr ausdehnbaren und mit
vielen Warzen bedeckten Zunge. Man hat häufig Gürtelthiere nach Europa gebracht; doch haben ſie
hier die Gefangenſchaft nicht lange ausgehalten. Jm Thiergarten zu London brachte man ſie zur
Paarung. Die Jungen kamen blind zur Welt und ihre noch weiche Haut zeigte alle Falten und
Felder des erwachſenen Thieres. Jhr Wachsthum ging außerordentlich ſchnell vor ſich, eins hatte
in Zeit von zehn Wochen 52 Unzen an Gewicht gewonnen und 9½ Zoll an Größe zugenommen. —
Jm kölner Thiergarten warf ein Weibchen zwei Mal je zwei Junge. Herr Dr. Bodinus war ſo
gütig, mich hierüber genauer zu unterrichten. „Ueber die Fortpflanzungsgeſchichte dieſer merkwür-
digen Thiere bin ich, trotzdem ich die Gefangenen täglich vor Augen habe, noch ziemlich im Dunkel
geblieben. Jch kann nur ſagen, daß die Begierde des Männchens zur Begattungszeit geradezu un-
gezügelt iſt. Es überfällt ſein Weibchen in jeder Lage und treibt es lange umher. Die Geburt der
Jungen überraſchte mich; denn die Geſchlechter ſind ſchwer zu unterſcheiden, und ich hatte durchaus
keine Aenderung in dem Umfange des Weibchens wahrgenommen. Jhre verhältnißmäßig ſehr großen
Jungen wurden halbtodt vor Kälte in der Streu des Käfigs gefunden. Das Weibchen bemühte ſich,
dort ſie zu verſcharren. Dabei ſtieß es die Jungen in der roheſten Weiſe umher, kratzte und ſchlug
mit ſeinen Nägeln auf die armen Geſchöpfe los, daß ſie blutrünſtig wurden, und erneuerte dieſes
Verfahren immer wieder, nachdem die Jungen, als ſie fortgenommen und wieder erwärmt worden
waren, hingelegt wurden, um ſich ſaugend an der Mutter zu ernähren. Daran war aber nicht zu
denken. Es war mir unmöglich, irgend eine Spur von Milch zu entdecken; die Milchdrüfen waren
auch nicht im geringſten angeſchwollen.‟
Brehm, Thierleben. II. 19
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/309>, abgerufen am 23.11.2024.
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