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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Faulthiere.
dessen unangenehmer Geruch und Geschmack den Europäer anekelt. Aus dem sehr zähen, starken
und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Taschen. Hierauf beschränkt sich aber auch die Ver-
werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Geschöpf natürlich nicht verursachen,
da es in ebendemselben Maße verschwindet, als der Mensch sich ausbreitet. Auch das Faulthier steht
auf der Liste der Thiere, welche einem sichern Untergang entgegengehen; nur in den tiefsten und un-
durchdringlichsten Wäldern vermag es sich zu halten, und solange noch die herrlichen Bäume, welche
ihm Obdach und Nahrung gewähren, verschont bleiben von der mörderischen Art des immer weiter
und weiter sich ausbreitenden Europäers, solange wird es noch sein freudeloses Leben fristen. Jeder
Ansiedler in solchem Walde aber verdrängt schon durch sein Erscheinen, durch das Fällen der Bäume
die Faulthiere, welche sonst dort gehaust haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich
dazu bei, das ohnehin nur langsam sich vermehrende Thier auszurotten.

Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die sonderbarsten Sagen und Märchen ver-
breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche so viele Leute kundgeben. Die ersten
Nachrichten, welche wir über das Thier haben, stammen von Gonsalvo Ferdinando Oviedo,
welcher ungefähr Folgendes sagt: "Der Perillo Ligero ist das trägste Thier, welches man in der
Welt sehen kann. Es ist so schwerfällig und langsam, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur
funfzig Schritte weit zu kommen. Die ersten Christen, welche es gesehen, erinnerten sich, daß man
in Spanien die Neger "weiße Häuse" zu nennen pflegte und gaben ihnen daher spottweise den
Namen hurtiges Hündchen. Es ist eins der seltsamsten Thiere wegen seines Mißverhältnisses
mit allen anderen. Ausgewachsen ist es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat
vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwachsen sind. Weder die Klauen,
noch die Füße sind so beschaffen, daß sie den schweren Körper tragen können, und daher schleppt der
Bauch fast auf der Erde. Der Hals steht aufrecht und gerade, ist gleich dick, wie der Stößel eines
Mörsers, und der Kopf sitzt fast ohne Unterschied oben darauf, mit einem runden Gesicht, das dem
einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben ist, so daß es nur etwas länger erscheint als
breit. Die Augen sind klein und rund, die Nasenlöcher wie bei den Affen, das Maul ist klein. Es
bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es staune. Sein einziger Wunsch und sein
Vergnügen ist, sich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher
sieht man es oft an Bäumen, an welchen es langsam hinaufklettert und sich immer mit den Klauen
festhält. Sehr verschieden ist seine Stimme von der anderer Thiere; es singt immer nur bei Nacht,
und zwar von Zeit zu Zeit allemal sechs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als
wenn Jemand mit fallender Stimme spräche: la, la, sol, fa, mer, re, at. So sagt es sechs Mal:
hahaha, hahaha, daß man sehr wohl von ihm sagen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver-
anlassung geben können. Hat es einmal gesungen, so wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann
Dasselbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, sowie seiner kleinen Augen wegen, für ein Nacht-
thier. Bisweilen fangen es die Christen und tragen es nach Hause; dann läuft es mit seiner natür-
lichen Langsamkeit und läßt sich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be-
wegen, als es ohne äußere Anreizung sonst zu besitzen pflegt. Findet es einen Baum, so klettert es
sogleich auf den Gipfel der höchsten Aeste, und bleibt daselbst zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne
daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hause gehabt, und nach meiner Erfahrung muß
es von der Luft leben, und dieser Meinung sind noch viele Andere auf diesem Festlande; denn Nie-
mand hat es irgend Etwas fressen sehen. Es wendet auch meistens den Kopf und das Maul nach
der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft sehr angenehm sein muß. Es
beißt nicht und kann es auch nicht, wegen seines sehr kleinen Maules; es ist auch nicht giftig.
Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein so dummes und kein so unnützes Thier gesehen wie dieses."

Man sieht, daß der genannte Berichterstatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von
Dem, was er sagt, ist vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur
glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen erst später vor, z. B. bei Stedmann,

Die Faulthiere.
deſſen unangenehmer Geruch und Geſchmack den Europäer anekelt. Aus dem ſehr zähen, ſtarken
und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Taſchen. Hierauf beſchränkt ſich aber auch die Ver-
werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Geſchöpf natürlich nicht verurſachen,
da es in ebendemſelben Maße verſchwindet, als der Menſch ſich ausbreitet. Auch das Faulthier ſteht
auf der Liſte der Thiere, welche einem ſichern Untergang entgegengehen; nur in den tiefſten und un-
durchdringlichſten Wäldern vermag es ſich zu halten, und ſolange noch die herrlichen Bäume, welche
ihm Obdach und Nahrung gewähren, verſchont bleiben von der mörderiſchen Art des immer weiter
und weiter ſich ausbreitenden Europäers, ſolange wird es noch ſein freudeloſes Leben friſten. Jeder
Anſiedler in ſolchem Walde aber verdrängt ſchon durch ſein Erſcheinen, durch das Fällen der Bäume
die Faulthiere, welche ſonſt dort gehauſt haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich
dazu bei, das ohnehin nur langſam ſich vermehrende Thier auszurotten.

Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die ſonderbarſten Sagen und Märchen ver-
breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche ſo viele Leute kundgeben. Die erſten
Nachrichten, welche wir über das Thier haben, ſtammen von Gonſalvo Ferdinando Oviedo,
welcher ungefähr Folgendes ſagt: „Der Perillo Ligero iſt das trägſte Thier, welches man in der
Welt ſehen kann. Es iſt ſo ſchwerfällig und langſam, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur
funfzig Schritte weit zu kommen. Die erſten Chriſten, welche es geſehen, erinnerten ſich, daß man
in Spanien die Neger „weiße Häuſe‟ zu nennen pflegte und gaben ihnen daher ſpottweiſe den
Namen hurtiges Hündchen. Es iſt eins der ſeltſamſten Thiere wegen ſeines Mißverhältniſſes
mit allen anderen. Ausgewachſen iſt es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat
vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwachſen ſind. Weder die Klauen,
noch die Füße ſind ſo beſchaffen, daß ſie den ſchweren Körper tragen können, und daher ſchleppt der
Bauch faſt auf der Erde. Der Hals ſteht aufrecht und gerade, iſt gleich dick, wie der Stößel eines
Mörſers, und der Kopf ſitzt faſt ohne Unterſchied oben darauf, mit einem runden Geſicht, das dem
einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben iſt, ſo daß es nur etwas länger erſcheint als
breit. Die Augen ſind klein und rund, die Naſenlöcher wie bei den Affen, das Maul iſt klein. Es
bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es ſtaune. Sein einziger Wunſch und ſein
Vergnügen iſt, ſich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher
ſieht man es oft an Bäumen, an welchen es langſam hinaufklettert und ſich immer mit den Klauen
feſthält. Sehr verſchieden iſt ſeine Stimme von der anderer Thiere; es ſingt immer nur bei Nacht,
und zwar von Zeit zu Zeit allemal ſechs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als
wenn Jemand mit fallender Stimme ſpräche: la, la, ſol, fa, mer, re, at. So ſagt es ſechs Mal:
hahaha, hahaha, daß man ſehr wohl von ihm ſagen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver-
anlaſſung geben können. Hat es einmal geſungen, ſo wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann
Daſſelbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, ſowie ſeiner kleinen Augen wegen, für ein Nacht-
thier. Bisweilen fangen es die Chriſten und tragen es nach Hauſe; dann läuft es mit ſeiner natür-
lichen Langſamkeit und läßt ſich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be-
wegen, als es ohne äußere Anreizung ſonſt zu beſitzen pflegt. Findet es einen Baum, ſo klettert es
ſogleich auf den Gipfel der höchſten Aeſte, und bleibt daſelbſt zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne
daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hauſe gehabt, und nach meiner Erfahrung muß
es von der Luft leben, und dieſer Meinung ſind noch viele Andere auf dieſem Feſtlande; denn Nie-
mand hat es irgend Etwas freſſen ſehen. Es wendet auch meiſtens den Kopf und das Maul nach
der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft ſehr angenehm ſein muß. Es
beißt nicht und kann es auch nicht, wegen ſeines ſehr kleinen Maules; es iſt auch nicht giftig.
Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein ſo dummes und kein ſo unnützes Thier geſehen wie dieſes.‟

Man ſieht, daß der genannte Berichterſtatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von
Dem, was er ſagt, iſt vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur
glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen erſt ſpäter vor, z. B. bei Stedmann,

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[281/0301] Die Faulthiere. deſſen unangenehmer Geruch und Geſchmack den Europäer anekelt. Aus dem ſehr zähen, ſtarken und dauerhaften Leder macht man Ueberzüge und Taſchen. Hierauf beſchränkt ſich aber auch die Ver- werthung eines erbeuteten Faulthieres. Schaden kann das Geſchöpf natürlich nicht verurſachen, da es in ebendemſelben Maße verſchwindet, als der Menſch ſich ausbreitet. Auch das Faulthier ſteht auf der Liſte der Thiere, welche einem ſichern Untergang entgegengehen; nur in den tiefſten und un- durchdringlichſten Wäldern vermag es ſich zu halten, und ſolange noch die herrlichen Bäume, welche ihm Obdach und Nahrung gewähren, verſchont bleiben von der mörderiſchen Art des immer weiter und weiter ſich ausbreitenden Europäers, ſolange wird es noch ſein freudeloſes Leben friſten. Jeder Anſiedler in ſolchem Walde aber verdrängt ſchon durch ſein Erſcheinen, durch das Fällen der Bäume die Faulthiere, welche ſonſt dort gehauſt haben, und der frevelnde Muthwille des Jägers trägt redlich dazu bei, das ohnehin nur langſam ſich vermehrende Thier auszurotten. Es darf uns nicht wundern, daß über die Faulthiere die ſonderbarſten Sagen und Märchen ver- breitet wurden, einfach durch die Sucht der Uebertreibung, welche ſo viele Leute kundgeben. Die erſten Nachrichten, welche wir über das Thier haben, ſtammen von Gonſalvo Ferdinando Oviedo, welcher ungefähr Folgendes ſagt: „Der Perillo Ligero iſt das trägſte Thier, welches man in der Welt ſehen kann. Es iſt ſo ſchwerfällig und langſam, daß es einen ganzen Tag braucht, um nur funfzig Schritte weit zu kommen. Die erſten Chriſten, welche es geſehen, erinnerten ſich, daß man in Spanien die Neger „weiße Häuſe‟ zu nennen pflegte und gaben ihnen daher ſpottweiſe den Namen hurtiges Hündchen. Es iſt eins der ſeltſamſten Thiere wegen ſeines Mißverhältniſſes mit allen anderen. Ausgewachſen iſt es zwei Spannen lang und nicht viel weniger dick. Es hat vier dünne Füße, deren Zehen wie die der Vögel mit einander verwachſen ſind. Weder die Klauen, noch die Füße ſind ſo beſchaffen, daß ſie den ſchweren Körper tragen können, und daher ſchleppt der Bauch faſt auf der Erde. Der Hals ſteht aufrecht und gerade, iſt gleich dick, wie der Stößel eines Mörſers, und der Kopf ſitzt faſt ohne Unterſchied oben darauf, mit einem runden Geſicht, das dem einer Eule ähnelt und kreisförmig von Haaren umgeben iſt, ſo daß es nur etwas länger erſcheint als breit. Die Augen ſind klein und rund, die Naſenlöcher wie bei den Affen, das Maul iſt klein. Es bewegt den Hals von einer Seite zur anderen, als wenn es ſtaune. Sein einziger Wunſch und ſein Vergnügen iſt, ſich an die Bäume zu hängen oder an irgend Etwas, wo es klettern kann, und daher ſieht man es oft an Bäumen, an welchen es langſam hinaufklettert und ſich immer mit den Klauen feſthält. Sehr verſchieden iſt ſeine Stimme von der anderer Thiere; es ſingt immer nur bei Nacht, und zwar von Zeit zu Zeit allemal ſechs Töne, einen höher, als den anderen, und immer tiefer, als wenn Jemand mit fallender Stimme ſpräche: la, la, ſol, fa, mer, re, at. So ſagt es ſechs Mal: hahaha, hahaha, daß man ſehr wohl von ihm ſagen kann, es hätte zur Erfindung der Tonleiter Ver- anlaſſung geben können. Hat es einmal geſungen, ſo wartet es eine Zeit lang und wiederholt dann Daſſelbe, aber nur bei Nacht, und darum halte ich es, ſowie ſeiner kleinen Augen wegen, für ein Nacht- thier. Bisweilen fangen es die Chriſten und tragen es nach Hauſe; dann läuft es mit ſeiner natür- lichen Langſamkeit und läßt ſich weder durch Drohungen noch Stoßen zu größerer Schnelligkeit be- wegen, als es ohne äußere Anreizung ſonſt zu beſitzen pflegt. Findet es einen Baum, ſo klettert es ſogleich auf den Gipfel der höchſten Aeſte, und bleibt daſelbſt zehn, zwölf, ja zwanzig Tage, ohne daß man weiß, was es frißt. Jch habe es auch zu Hauſe gehabt, und nach meiner Erfahrung muß es von der Luft leben, und dieſer Meinung ſind noch viele Andere auf dieſem Feſtlande; denn Nie- mand hat es irgend Etwas freſſen ſehen. Es wendet auch meiſtens den Kopf und das Maul nach der Gegend, woher der Wind weht, woraus folgt, daß ihm die Luft ſehr angenehm ſein muß. Es beißt nicht und kann es auch nicht, wegen ſeines ſehr kleinen Maules; es iſt auch nicht giftig. Uebrigens habe ich bis zur Stunde kein ſo dummes und kein ſo unnützes Thier geſehen wie dieſes.‟ Man ſieht, daß der genannte Berichterſtatter im ganzen gut beobachtet hat; denn Vieles von Dem, was er ſagt, iſt vollkommen begründet, und das übrige Fabelhafte von ihm eben auch nur glaubhaft aufgenommen. Die Uebertreibungen kommen erſt ſpäter vor, z. B. bei Stedmann,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/301>, abgerufen am 23.11.2024.