Auf der Erde sind die armseligen Baumsklaven fremd. Jhr Gang ist ein so mühseliges Fortschleppen des Leibes, daß er immer das Mitleid des Beschauers wach ruft. Der langsamen Landschildkröte vergleichbar, sucht das Faulthier die plumpe Leibesmasse fortzuschaffen. Mit weit von sich gestreckten Gliedern, auf die Ellbogen gestützt, die einzelnen Beine langsam im Kreis wei- ter bewegend, schiebt es sich höchst allmählich vorwärts; der Bauch schleppt dabei fast beständig auf der Erde, und Kopf und Hals bewegen sich fortwährend langsam von einer Seite zur anderen, als müßten sie das Gleichgewicht des so überaus unbeholfenen Geschöpfes vermitteln. Die Zehen der Füße werden während des Ganges in die Höhe gezogen und die Krallen nach innen geschlagen. Der Fuß berührt also mit dem Außenrande und fast nur mit dem Handknochen den Boden. Es leuchtet ein, daß ein solches Gehen mit unglaublicher Langsamkeit vor sich gehen muß. Man ist durch Nichts, nicht einmal durch Stöße im Stande, diese Bewegungsart zu beschleunigen. Auf der Erde erkennt selbst das Faulthier, so stumpf und gleichgiltig es sonst auch ist, seine traurige, hilf- lose Lage. Ueberrascht man es zufällig bei seinem Gange oder setzt man ein gefangenes auf die flache Erde, so streckt es den kleinen Kopf auf seinem langen Halse empor, richtet den Vordertheil des Lei- bes etwas auf und bewegt langsam und mechanisch einen seiner Arme im Halbkreis gegen seine Brust, als wolle es seinen Feind mit den gewaltigen Krallen umklammern. Die Unbeholfenheit und Lang- samkeit verleiht ihm einen eigenthümlich kläglichen Ausdruck, welcher selbst den Forscher ergreift, der doch ein Thier in seinem wahren Werthe zu würdigen versteht. -- Man sollte nicht meinen, daß dieses Geschöpf, welches so traurig dahinhaspelt, fähig wäre, sich aus dem Wasser zu retten, wenn es durch irgend ein Mißgeschick in dasselbe geräth. Aber es ist wirklich so; das Faulthier, welches in einen Fluß fällt, schwimmt ganz leidlich, indem es sich rascher, als beim Klettern selbst bewegt, den Kopf hoch über den Wasserspiegel emporhält, die Wellen ziemlich leicht durchschneidet und wirklich das feste Land wieder gewinnt. Hieraus geht hervor, daß der Name Faulthier, so richtig er im Grunde auch ist, sich doch eigentlich blos auf die Gehbewegungen unseres Thieres bezieht; denn auf den Bäu- men ist seine Trägheit, wie bemerkt, lange nicht so groß, als man früher annehmen zu müssen glaubte, irrgeleitet durch die übertriebenen Schilderungen der ersten Beobachter. Jetzt weiß man, daß das Faulthier eine Höhe von hundert Fuß in weniger als zwanzig Minuten ersteigen kann, also in einer Minute sich doch immer ganze sechs Fuß weit fortbewegt. -- Wahrhaft komisch ist die außer- ordentliche Vorsicht und staunenswerthe Sicherheit, mit welcher alle Kletterbewegungen ausgeführt werden. Wie erwähnt, sind die Sichelkrallen des Thieres ganz und gar geeignet, sein eigenthüm- liches Baumleben möglich zu machen. Aber das Faulthier scheint demnach wenig Vertrauen in seine ausgezeichneten Werkzeuge zu setzen. Wenn es an einem Baume emporklettert, prüft es erst äußerst sorgfältig jeden Ast oder jede Unebenheit der Rinde und scheinbar seine Klauen selbst, um sich ja zu versichern, daß Alles in Ordnung sei. Es ist im Stande, sich mit einem Fuß an einen höhern Ast festzuhaken und dann ganz sicher daran frei zu hängen, indem es nicht nur die volle Last des Leibes an einem Gliede tragen, sondern auch bis zum Anhaltepunkt emporziehen kann. Gleichwohl strebt es mit äußerster Sorgfalt immer darnach, für alle seine Glieder sichere Stützpunkte zu finden, und scheut sich fast, mit einem Fuße loszulassen, bevor es für ihn wieder einen verläßlichen Punkt zum Anhalten gefunden hat.
Außerordentlich schwer hält es, ein Faulthier, welches sich fest an einen Ast geklammert hat, von demselben los zu machen. Ein Jndianer, welcher Schomburgk begleitete, bemerkte ein drei- zehiges Faulthier auf den hervorragenden Wurzelästen einer Rhizophora, welches dort ausruhte, und als man es ergreifen wollte, nur wehmüthig bittende Blicke zur Abwehr zu haben schien. Aber man bemerkte bald, daß die Ergreifung leichter war, als die wirkliche Gefangennahme. Es war fast unmöglich, das Thier von den Wurzelästen zu trennen, an welchen es sich mit einer Kralle festge- klammert hatte. Erst, nachdem ihm die beiden Vorderfüße, seine einzige, aber wegen der scharf her- vorstehenden Klauen, höchst gefährliche Vertheidigungswaffe, gebunden waren, gelang es drei Jndianern, unter Aufbietung aller Kräfte, es von dem Baume los zu reißen.
18*
Die Faulthiere.
Auf der Erde ſind die armſeligen Baumſklaven fremd. Jhr Gang iſt ein ſo mühſeliges Fortſchleppen des Leibes, daß er immer das Mitleid des Beſchauers wach ruft. Der langſamen Landſchildkröte vergleichbar, ſucht das Faulthier die plumpe Leibesmaſſe fortzuſchaffen. Mit weit von ſich geſtreckten Gliedern, auf die Ellbogen geſtützt, die einzelnen Beine langſam im Kreis wei- ter bewegend, ſchiebt es ſich höchſt allmählich vorwärts; der Bauch ſchleppt dabei faſt beſtändig auf der Erde, und Kopf und Hals bewegen ſich fortwährend langſam von einer Seite zur anderen, als müßten ſie das Gleichgewicht des ſo überaus unbeholfenen Geſchöpfes vermitteln. Die Zehen der Füße werden während des Ganges in die Höhe gezogen und die Krallen nach innen geſchlagen. Der Fuß berührt alſo mit dem Außenrande und faſt nur mit dem Handknochen den Boden. Es leuchtet ein, daß ein ſolches Gehen mit unglaublicher Langſamkeit vor ſich gehen muß. Man iſt durch Nichts, nicht einmal durch Stöße im Stande, dieſe Bewegungsart zu beſchleunigen. Auf der Erde erkennt ſelbſt das Faulthier, ſo ſtumpf und gleichgiltig es ſonſt auch iſt, ſeine traurige, hilf- loſe Lage. Ueberraſcht man es zufällig bei ſeinem Gange oder ſetzt man ein gefangenes auf die flache Erde, ſo ſtreckt es den kleinen Kopf auf ſeinem langen Halſe empor, richtet den Vordertheil des Lei- bes etwas auf und bewegt langſam und mechaniſch einen ſeiner Arme im Halbkreis gegen ſeine Bruſt, als wolle es ſeinen Feind mit den gewaltigen Krallen umklammern. Die Unbeholfenheit und Lang- ſamkeit verleiht ihm einen eigenthümlich kläglichen Ausdruck, welcher ſelbſt den Forſcher ergreift, der doch ein Thier in ſeinem wahren Werthe zu würdigen verſteht. — Man ſollte nicht meinen, daß dieſes Geſchöpf, welches ſo traurig dahinhaſpelt, fähig wäre, ſich aus dem Waſſer zu retten, wenn es durch irgend ein Mißgeſchick in daſſelbe geräth. Aber es iſt wirklich ſo; das Faulthier, welches in einen Fluß fällt, ſchwimmt ganz leidlich, indem es ſich raſcher, als beim Klettern ſelbſt bewegt, den Kopf hoch über den Waſſerſpiegel emporhält, die Wellen ziemlich leicht durchſchneidet und wirklich das feſte Land wieder gewinnt. Hieraus geht hervor, daß der Name Faulthier, ſo richtig er im Grunde auch iſt, ſich doch eigentlich blos auf die Gehbewegungen unſeres Thieres bezieht; denn auf den Bäu- men iſt ſeine Trägheit, wie bemerkt, lange nicht ſo groß, als man früher annehmen zu müſſen glaubte, irrgeleitet durch die übertriebenen Schilderungen der erſten Beobachter. Jetzt weiß man, daß das Faulthier eine Höhe von hundert Fuß in weniger als zwanzig Minuten erſteigen kann, alſo in einer Minute ſich doch immer ganze ſechs Fuß weit fortbewegt. — Wahrhaft komiſch iſt die außer- ordentliche Vorſicht und ſtaunenswerthe Sicherheit, mit welcher alle Kletterbewegungen ausgeführt werden. Wie erwähnt, ſind die Sichelkrallen des Thieres ganz und gar geeignet, ſein eigenthüm- liches Baumleben möglich zu machen. Aber das Faulthier ſcheint demnach wenig Vertrauen in ſeine ausgezeichneten Werkzeuge zu ſetzen. Wenn es an einem Baume emporklettert, prüft es erſt äußerſt ſorgfältig jeden Aſt oder jede Unebenheit der Rinde und ſcheinbar ſeine Klauen ſelbſt, um ſich ja zu verſichern, daß Alles in Ordnung ſei. Es iſt im Stande, ſich mit einem Fuß an einen höhern Aſt feſtzuhaken und dann ganz ſicher daran frei zu hängen, indem es nicht nur die volle Laſt des Leibes an einem Gliede tragen, ſondern auch bis zum Anhaltepunkt emporziehen kann. Gleichwohl ſtrebt es mit äußerſter Sorgfalt immer darnach, für alle ſeine Glieder ſichere Stützpunkte zu finden, und ſcheut ſich faſt, mit einem Fuße loszulaſſen, bevor es für ihn wieder einen verläßlichen Punkt zum Anhalten gefunden hat.
Außerordentlich ſchwer hält es, ein Faulthier, welches ſich feſt an einen Aſt geklammert hat, von demſelben los zu machen. Ein Jndianer, welcher Schomburgk begleitete, bemerkte ein drei- zehiges Faulthier auf den hervorragenden Wurzeläſten einer Rhizophora, welches dort ausruhte, und als man es ergreifen wollte, nur wehmüthig bittende Blicke zur Abwehr zu haben ſchien. Aber man bemerkte bald, daß die Ergreifung leichter war, als die wirkliche Gefangennahme. Es war faſt unmöglich, das Thier von den Wurzeläſten zu trennen, an welchen es ſich mit einer Kralle feſtge- klammert hatte. Erſt, nachdem ihm die beiden Vorderfüße, ſeine einzige, aber wegen der ſcharf her- vorſtehenden Klauen, höchſt gefährliche Vertheidigungswaffe, gebunden waren, gelang es drei Jndianern, unter Aufbietung aller Kräfte, es von dem Baume los zu reißen.
18*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0295"n="275"/><fwplace="top"type="header">Die Faulthiere.</fw><lb/><p>Auf der Erde ſind die armſeligen Baumſklaven fremd. Jhr Gang iſt ein ſo mühſeliges<lb/>
Fortſchleppen des Leibes, daß er immer das Mitleid des Beſchauers wach ruft. Der langſamen<lb/>
Landſchildkröte vergleichbar, ſucht das Faulthier die plumpe Leibesmaſſe fortzuſchaffen. Mit weit<lb/>
von ſich geſtreckten Gliedern, auf die Ellbogen geſtützt, die einzelnen Beine langſam im Kreis wei-<lb/>
ter bewegend, ſchiebt es ſich höchſt allmählich vorwärts; der Bauch ſchleppt dabei faſt beſtändig<lb/>
auf der Erde, und Kopf und Hals bewegen ſich fortwährend langſam von einer Seite zur anderen,<lb/>
als müßten ſie das Gleichgewicht des ſo überaus unbeholfenen Geſchöpfes vermitteln. Die Zehen<lb/>
der Füße werden während des Ganges in die Höhe gezogen und die Krallen nach innen geſchlagen.<lb/>
Der Fuß berührt alſo mit dem Außenrande und faſt nur mit dem Handknochen den Boden. Es<lb/>
leuchtet ein, daß ein ſolches Gehen mit unglaublicher Langſamkeit vor ſich gehen muß. Man iſt<lb/>
durch Nichts, nicht einmal durch Stöße im Stande, dieſe Bewegungsart zu beſchleunigen. Auf der<lb/>
Erde erkennt ſelbſt das Faulthier, ſo ſtumpf und gleichgiltig es ſonſt auch iſt, ſeine traurige, hilf-<lb/>
loſe Lage. Ueberraſcht man es zufällig bei ſeinem Gange oder ſetzt man ein gefangenes auf die flache<lb/>
Erde, ſo ſtreckt es den kleinen Kopf auf ſeinem langen Halſe empor, richtet den Vordertheil des Lei-<lb/>
bes etwas auf und bewegt langſam und mechaniſch einen ſeiner Arme im Halbkreis gegen ſeine Bruſt,<lb/>
als wolle es ſeinen Feind mit den gewaltigen Krallen umklammern. Die Unbeholfenheit und Lang-<lb/>ſamkeit verleiht ihm einen eigenthümlich kläglichen Ausdruck, welcher ſelbſt den Forſcher ergreift, der<lb/>
doch ein Thier in ſeinem wahren Werthe zu würdigen verſteht. — Man ſollte nicht meinen, daß dieſes<lb/>
Geſchöpf, welches ſo traurig dahinhaſpelt, fähig wäre, ſich aus dem Waſſer zu retten, wenn es<lb/>
durch irgend ein Mißgeſchick in daſſelbe geräth. Aber es iſt wirklich ſo; das Faulthier, welches<lb/>
in einen Fluß fällt, ſchwimmt ganz leidlich, indem es ſich raſcher, als beim Klettern ſelbſt bewegt, den<lb/>
Kopf hoch über den Waſſerſpiegel emporhält, die Wellen ziemlich leicht durchſchneidet und wirklich das<lb/>
feſte Land wieder gewinnt. Hieraus geht hervor, daß der Name Faulthier, ſo richtig er im Grunde<lb/>
auch iſt, ſich doch eigentlich blos auf die Gehbewegungen unſeres Thieres bezieht; denn auf den Bäu-<lb/>
men iſt ſeine Trägheit, wie bemerkt, lange nicht ſo groß, als man früher annehmen zu müſſen<lb/>
glaubte, irrgeleitet durch die übertriebenen Schilderungen der erſten Beobachter. Jetzt weiß man,<lb/>
daß das Faulthier eine Höhe von hundert Fuß in weniger als zwanzig Minuten erſteigen kann, alſo<lb/>
in einer Minute ſich doch immer ganze ſechs Fuß weit fortbewegt. — Wahrhaft komiſch iſt die außer-<lb/>
ordentliche Vorſicht und ſtaunenswerthe Sicherheit, mit welcher alle Kletterbewegungen ausgeführt<lb/>
werden. Wie erwähnt, ſind die Sichelkrallen des Thieres ganz und gar geeignet, ſein eigenthüm-<lb/>
liches Baumleben möglich zu machen. Aber das Faulthier ſcheint demnach wenig Vertrauen in ſeine<lb/>
ausgezeichneten Werkzeuge zu ſetzen. Wenn es an einem Baume emporklettert, prüft es erſt äußerſt<lb/>ſorgfältig jeden Aſt oder jede Unebenheit der Rinde und ſcheinbar ſeine Klauen ſelbſt, um ſich ja zu<lb/>
verſichern, daß Alles in Ordnung ſei. Es iſt im Stande, ſich mit einem Fuß an einen höhern Aſt<lb/>
feſtzuhaken und dann ganz ſicher daran frei zu hängen, indem es nicht nur die volle Laſt des Leibes an<lb/>
einem Gliede tragen, ſondern auch bis zum Anhaltepunkt emporziehen kann. Gleichwohl ſtrebt es<lb/>
mit äußerſter Sorgfalt immer darnach, für alle ſeine Glieder ſichere Stützpunkte zu finden, und<lb/>ſcheut ſich faſt, mit einem Fuße loszulaſſen, bevor es für ihn wieder einen verläßlichen Punkt<lb/>
zum Anhalten gefunden hat.</p><lb/><p>Außerordentlich ſchwer hält es, ein Faulthier, welches ſich feſt an einen Aſt geklammert hat,<lb/>
von demſelben los zu machen. Ein Jndianer, welcher <hirendition="#g">Schomburgk</hi> begleitete, bemerkte ein drei-<lb/>
zehiges Faulthier auf den hervorragenden Wurzeläſten einer <hirendition="#g">Rhizophora,</hi> welches dort ausruhte,<lb/>
und als man es ergreifen wollte, nur wehmüthig bittende Blicke zur Abwehr zu haben ſchien. Aber<lb/>
man bemerkte bald, daß die Ergreifung leichter war, als die wirkliche Gefangennahme. Es war faſt<lb/>
unmöglich, das Thier von den Wurzeläſten zu trennen, an welchen es ſich mit einer Kralle feſtge-<lb/>
klammert hatte. Erſt, nachdem ihm die beiden Vorderfüße, ſeine einzige, aber wegen der ſcharf her-<lb/>
vorſtehenden Klauen, höchſt gefährliche Vertheidigungswaffe, gebunden waren, gelang es drei<lb/>
Jndianern, unter Aufbietung aller Kräfte, es von dem Baume los zu reißen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">18*</fw><lb/></div></div></div></div></body></text></TEI>
[275/0295]
Die Faulthiere.
Auf der Erde ſind die armſeligen Baumſklaven fremd. Jhr Gang iſt ein ſo mühſeliges
Fortſchleppen des Leibes, daß er immer das Mitleid des Beſchauers wach ruft. Der langſamen
Landſchildkröte vergleichbar, ſucht das Faulthier die plumpe Leibesmaſſe fortzuſchaffen. Mit weit
von ſich geſtreckten Gliedern, auf die Ellbogen geſtützt, die einzelnen Beine langſam im Kreis wei-
ter bewegend, ſchiebt es ſich höchſt allmählich vorwärts; der Bauch ſchleppt dabei faſt beſtändig
auf der Erde, und Kopf und Hals bewegen ſich fortwährend langſam von einer Seite zur anderen,
als müßten ſie das Gleichgewicht des ſo überaus unbeholfenen Geſchöpfes vermitteln. Die Zehen
der Füße werden während des Ganges in die Höhe gezogen und die Krallen nach innen geſchlagen.
Der Fuß berührt alſo mit dem Außenrande und faſt nur mit dem Handknochen den Boden. Es
leuchtet ein, daß ein ſolches Gehen mit unglaublicher Langſamkeit vor ſich gehen muß. Man iſt
durch Nichts, nicht einmal durch Stöße im Stande, dieſe Bewegungsart zu beſchleunigen. Auf der
Erde erkennt ſelbſt das Faulthier, ſo ſtumpf und gleichgiltig es ſonſt auch iſt, ſeine traurige, hilf-
loſe Lage. Ueberraſcht man es zufällig bei ſeinem Gange oder ſetzt man ein gefangenes auf die flache
Erde, ſo ſtreckt es den kleinen Kopf auf ſeinem langen Halſe empor, richtet den Vordertheil des Lei-
bes etwas auf und bewegt langſam und mechaniſch einen ſeiner Arme im Halbkreis gegen ſeine Bruſt,
als wolle es ſeinen Feind mit den gewaltigen Krallen umklammern. Die Unbeholfenheit und Lang-
ſamkeit verleiht ihm einen eigenthümlich kläglichen Ausdruck, welcher ſelbſt den Forſcher ergreift, der
doch ein Thier in ſeinem wahren Werthe zu würdigen verſteht. — Man ſollte nicht meinen, daß dieſes
Geſchöpf, welches ſo traurig dahinhaſpelt, fähig wäre, ſich aus dem Waſſer zu retten, wenn es
durch irgend ein Mißgeſchick in daſſelbe geräth. Aber es iſt wirklich ſo; das Faulthier, welches
in einen Fluß fällt, ſchwimmt ganz leidlich, indem es ſich raſcher, als beim Klettern ſelbſt bewegt, den
Kopf hoch über den Waſſerſpiegel emporhält, die Wellen ziemlich leicht durchſchneidet und wirklich das
feſte Land wieder gewinnt. Hieraus geht hervor, daß der Name Faulthier, ſo richtig er im Grunde
auch iſt, ſich doch eigentlich blos auf die Gehbewegungen unſeres Thieres bezieht; denn auf den Bäu-
men iſt ſeine Trägheit, wie bemerkt, lange nicht ſo groß, als man früher annehmen zu müſſen
glaubte, irrgeleitet durch die übertriebenen Schilderungen der erſten Beobachter. Jetzt weiß man,
daß das Faulthier eine Höhe von hundert Fuß in weniger als zwanzig Minuten erſteigen kann, alſo
in einer Minute ſich doch immer ganze ſechs Fuß weit fortbewegt. — Wahrhaft komiſch iſt die außer-
ordentliche Vorſicht und ſtaunenswerthe Sicherheit, mit welcher alle Kletterbewegungen ausgeführt
werden. Wie erwähnt, ſind die Sichelkrallen des Thieres ganz und gar geeignet, ſein eigenthüm-
liches Baumleben möglich zu machen. Aber das Faulthier ſcheint demnach wenig Vertrauen in ſeine
ausgezeichneten Werkzeuge zu ſetzen. Wenn es an einem Baume emporklettert, prüft es erſt äußerſt
ſorgfältig jeden Aſt oder jede Unebenheit der Rinde und ſcheinbar ſeine Klauen ſelbſt, um ſich ja zu
verſichern, daß Alles in Ordnung ſei. Es iſt im Stande, ſich mit einem Fuß an einen höhern Aſt
feſtzuhaken und dann ganz ſicher daran frei zu hängen, indem es nicht nur die volle Laſt des Leibes an
einem Gliede tragen, ſondern auch bis zum Anhaltepunkt emporziehen kann. Gleichwohl ſtrebt es
mit äußerſter Sorgfalt immer darnach, für alle ſeine Glieder ſichere Stützpunkte zu finden, und
ſcheut ſich faſt, mit einem Fuße loszulaſſen, bevor es für ihn wieder einen verläßlichen Punkt
zum Anhalten gefunden hat.
Außerordentlich ſchwer hält es, ein Faulthier, welches ſich feſt an einen Aſt geklammert hat,
von demſelben los zu machen. Ein Jndianer, welcher Schomburgk begleitete, bemerkte ein drei-
zehiges Faulthier auf den hervorragenden Wurzeläſten einer Rhizophora, welches dort ausruhte,
und als man es ergreifen wollte, nur wehmüthig bittende Blicke zur Abwehr zu haben ſchien. Aber
man bemerkte bald, daß die Ergreifung leichter war, als die wirkliche Gefangennahme. Es war faſt
unmöglich, das Thier von den Wurzeläſten zu trennen, an welchen es ſich mit einer Kralle feſtge-
klammert hatte. Erſt, nachdem ihm die beiden Vorderfüße, ſeine einzige, aber wegen der ſcharf her-
vorſtehenden Klauen, höchſt gefährliche Vertheidigungswaffe, gebunden waren, gelang es drei
Jndianern, unter Aufbietung aller Kräfte, es von dem Baume los zu reißen.
18*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/295>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.