Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.Das Kaninchen. in einen Stall, aus dem soeben ein Fuchs genommen worden war. Sobald er dieselben los-ließ, waren alle wie rasend und rannten mit den Köpfen geradezu an die Wand. Erst allmählich gewöhnten sie sich ein. Derselbe Naturforscher erzählt eine recht hübsche Geschichte. "Jm Ja- nuar heckte mein kleines Spitzhündchen, und da es nur ein Junges zur Welt brachte und dieses nicht alle Milch aussaugen konnte, so ging ich in den Stall, holte ein zahmes Kaninchen aus dem Neste und legte es dem auf meiner Wohnstube liegenden Hündchen unter, welches ihm auch ohne Weigerung die Erlaubniß ertheilte, sich an seiner Milch zu laben. Am dritten Tage schaffte ich das Hündchen sammt seinem Söhnlein und Pflegekind in den Stall. Es blieb da, ohne vom Neste zu gehen und ohne die dort hausenden Kaninchen und Ziegen zu stören, zwei Tage lang. Am dritten rief es meine Schwester hinaus, damit es frische Luft schöpfen könnte. Während es draußen ist, schleicht sich das alte Kaninchen ins Hundenest, nimmt sein Junges und trägt es zu seinen Ge- schwistern zurück. Jch rief nun sogleich den Hund, um zu sehen, ob er seinerseits das Kaninchen zurückfordern würde. Er schien aber dessen Verlust nicht zu beachten." Jch meines Theils habe junge Kaninchen mehrfach unserer vortrefflichen, oben bereits erwähnten Katze untergelegt und gesehen, daß sie dieselben ruhig mit ihren Kätzchen säugte. Bei recht guter Nahrung werden die Kaninchen zuweilen sehr üppig; sie kratzen und beißen Die Räute und der Durchfall sind die gewöhnlichen Krankheiten der Kaninchen; sie werden in Hier und da sieht man auch Abarten des Thieres, welches nach Einigen Erzeugnisse der Zucht, nach Das Kaninchen. in einen Stall, aus dem ſoeben ein Fuchs genommen worden war. Sobald er dieſelben los-ließ, waren alle wie raſend und rannten mit den Köpfen geradezu an die Wand. Erſt allmählich gewöhnten ſie ſich ein. Derſelbe Naturforſcher erzählt eine recht hübſche Geſchichte. „Jm Ja- nuar heckte mein kleines Spitzhündchen, und da es nur ein Junges zur Welt brachte und dieſes nicht alle Milch ausſaugen konnte, ſo ging ich in den Stall, holte ein zahmes Kaninchen aus dem Neſte und legte es dem auf meiner Wohnſtube liegenden Hündchen unter, welches ihm auch ohne Weigerung die Erlaubniß ertheilte, ſich an ſeiner Milch zu laben. Am dritten Tage ſchaffte ich das Hündchen ſammt ſeinem Söhnlein und Pflegekind in den Stall. Es blieb da, ohne vom Neſte zu gehen und ohne die dort hauſenden Kaninchen und Ziegen zu ſtören, zwei Tage lang. Am dritten rief es meine Schweſter hinaus, damit es friſche Luft ſchöpfen könnte. Während es draußen iſt, ſchleicht ſich das alte Kaninchen ins Hundeneſt, nimmt ſein Junges und trägt es zu ſeinen Ge- ſchwiſtern zurück. Jch rief nun ſogleich den Hund, um zu ſehen, ob er ſeinerſeits das Kaninchen zurückfordern würde. Er ſchien aber deſſen Verluſt nicht zu beachten.‟ Jch meines Theils habe junge Kaninchen mehrfach unſerer vortrefflichen, oben bereits erwähnten Katze untergelegt und geſehen, daß ſie dieſelben ruhig mit ihren Kätzchen ſäugte. Bei recht guter Nahrung werden die Kaninchen zuweilen ſehr üppig; ſie kratzen und beißen Die Räute und der Durchfall ſind die gewöhnlichen Krankheiten der Kaninchen; ſie werden in Hier und da ſieht man auch Abarten des Thieres, welches nach Einigen Erzeugniſſe der Zucht, nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0285" n="267"/><fw place="top" type="header">Das Kaninchen.</fw><lb/> in einen Stall, aus dem ſoeben ein Fuchs genommen worden war. Sobald er dieſelben los-<lb/> ließ, waren alle wie raſend und rannten mit den Köpfen geradezu an die Wand. Erſt allmählich<lb/> gewöhnten ſie ſich ein. Derſelbe Naturforſcher erzählt eine recht hübſche Geſchichte. „Jm Ja-<lb/> nuar heckte mein kleines Spitzhündchen, und da es nur ein Junges zur Welt brachte und dieſes<lb/> nicht alle Milch ausſaugen konnte, ſo ging ich in den Stall, holte ein zahmes Kaninchen aus dem<lb/> Neſte und legte es dem auf meiner Wohnſtube liegenden Hündchen unter, welches ihm auch ohne<lb/> Weigerung die Erlaubniß ertheilte, ſich an ſeiner Milch zu laben. Am dritten Tage ſchaffte ich das<lb/> Hündchen ſammt ſeinem Söhnlein und Pflegekind in den Stall. Es blieb da, ohne vom Neſte zu<lb/> gehen und ohne die dort hauſenden Kaninchen und Ziegen zu ſtören, zwei Tage lang. Am dritten<lb/> rief es meine Schweſter hinaus, damit es friſche Luft ſchöpfen könnte. Während es draußen iſt,<lb/> ſchleicht ſich das alte Kaninchen ins Hundeneſt, nimmt ſein Junges und trägt es zu ſeinen Ge-<lb/> ſchwiſtern zurück. Jch rief nun ſogleich den Hund, um zu ſehen, ob er ſeinerſeits das Kaninchen<lb/> zurückfordern würde. 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Ein anderer biß einer jungen Ziege die Beine blutig, ſprang der Alten auf das<lb/> Genick und biß ſie in die Ohren. Er mußte abgeſchafft werden.‟ Sehr alte Rammler beißen auch<lb/> zuweilen ihre Jungen und ſelbſt das Weibchen, oder verlocken dieſes, ihre Kinder ſchlecht zu behandeln.<lb/> Wenn eine Kaninchenmutter ihre Brut nicht gut ſäugt oder gar todt beißt, gibt es nur ein Mittel,<lb/> dieſe zu retten: Abſperrung des Rammlers.</p><lb/> <p>Die Räute und der Durchfall ſind die gewöhnlichen Krankheiten der Kaninchen; ſie werden in<lb/> den meiſten Fällen durch den Genuß von zu ſaftigem oder zu naſſem Futter hervorgerufen und folge-<lb/> recht durch gutes trockenes Futter geheilt, namentlich rühmt man Hafer, welcher mit zerſtoßenem<lb/> Malz gemengt wird. Gegen die Räute helfen im Anfange Einreibungen mit Fett oder Butter. Jn<lb/> vielen Gegenden hält man eine bedeutende Kaninchenzucht, um das Fleiſch zu nützen. Belgiſche<lb/> Bauern betreiben die Zucht in großartigem Maßſtabe und ſenden im Winter Unmaſſen nach England,<lb/> wie <hi rendition="#g">Lenz</hi> erfuhr, etwa vierzig Tauſend Stück in jeder Woche. Auch die Felle werden benutzt, ob-<lb/> gleich ſie nur ein wenig haltbares Pelzwerk geben. Die Haare verarbeitet man zu Hüten.</p><lb/> <p>Hier und da ſieht man auch Abarten des Thieres, welches nach Einigen Erzeugniſſe der Zucht, nach<lb/> Anderen die Abkömmlinge von uns unbekannten Arten ſein ſollen. Solche Spielarten ſind das ſilber-<lb/> farbene, das ruſſiſche und das angoriſche oder Seidenkaninchen. Erſteres iſt größer, als das unſerige,<lb/> gewöhnlich von bläulichgrauer Farbe mit ſilberfarbenem oder dunkelem Anflug. Das ruſſiſche Kaninchen<lb/> iſt grau, der Kopf und die Ohren ſind braun und zeichnen ſich durch eine weit herabhängende Wamme<lb/> an der Kehle aus. Das angoriſche oder Seidenkaninchen endlich hat kürzere Ohren und einen ſehr<lb/> reichlichen, weichen Pelz. Das lange, gewölbte Haar reicht oft bis zu dem Boden herab und hat<lb/> ſeidenartigen Glanz. Leider iſt es ſehr zärtlich und verlangt deshalb ſorgfältige Pflege. Verſuche, es<lb/> in Deutſchland heimiſch zu machen, ſchlugen fehl. Sein Haar eignet ſich zu feinen Geſpinnſten und<lb/> hat deshalb einen ziemlich hohen Werth. Ob das Kaninchen mit hängenden Ohren eine Abart des<lb/> unſerigen iſt, oder als ſelbſtändige Art angeſehen werden muß, iſt noch nicht ausgemacht. Seine<lb/> bedeutende Größe, der dicke, große Kopf und die breiten, platten, ſchlaff herabhängenden Ohren<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [267/0285]
Das Kaninchen.
in einen Stall, aus dem ſoeben ein Fuchs genommen worden war. Sobald er dieſelben los-
ließ, waren alle wie raſend und rannten mit den Köpfen geradezu an die Wand. Erſt allmählich
gewöhnten ſie ſich ein. Derſelbe Naturforſcher erzählt eine recht hübſche Geſchichte. „Jm Ja-
nuar heckte mein kleines Spitzhündchen, und da es nur ein Junges zur Welt brachte und dieſes
nicht alle Milch ausſaugen konnte, ſo ging ich in den Stall, holte ein zahmes Kaninchen aus dem
Neſte und legte es dem auf meiner Wohnſtube liegenden Hündchen unter, welches ihm auch ohne
Weigerung die Erlaubniß ertheilte, ſich an ſeiner Milch zu laben. Am dritten Tage ſchaffte ich das
Hündchen ſammt ſeinem Söhnlein und Pflegekind in den Stall. Es blieb da, ohne vom Neſte zu
gehen und ohne die dort hauſenden Kaninchen und Ziegen zu ſtören, zwei Tage lang. Am dritten
rief es meine Schweſter hinaus, damit es friſche Luft ſchöpfen könnte. Während es draußen iſt,
ſchleicht ſich das alte Kaninchen ins Hundeneſt, nimmt ſein Junges und trägt es zu ſeinen Ge-
ſchwiſtern zurück. Jch rief nun ſogleich den Hund, um zu ſehen, ob er ſeinerſeits das Kaninchen
zurückfordern würde. Er ſchien aber deſſen Verluſt nicht zu beachten.‟ Jch meines Theils habe
junge Kaninchen mehrfach unſerer vortrefflichen, oben bereits erwähnten Katze untergelegt und geſehen,
daß ſie dieſelben ruhig mit ihren Kätzchen ſäugte.
Bei recht guter Nahrung werden die Kaninchen zuweilen ſehr üppig; ſie kratzen und beißen
nicht blos Den, der ſie fangen will, ſondern auch aus freien Stücken andere Thiere, namentlich wenn
dieſe ihren Neid erregen. Ein Schwager von Lenz hatte einen alten Kaninchenrammler bei ſeinen
Lämmern. „Als die Fütterung mit Esparſette begann, behagte dieſe dem alten Herrn ſehr gut, und
er hätte gern das ganze Bischen ſelbſt in Beſchlag genommen. Er ſetzte ſich alſo dabei, grunzte, biß
nach den Lämmern, ſprang ſogar einem auf den Hals und gab ihm die Zähne tüchtig zu koſten. Zu
Hilfe eilende Leute warfen ihn zwar herab, er biß aber immer wieder nach den Lämmern, bis er fort-
geſchafft wurde. Ein anderer biß einer jungen Ziege die Beine blutig, ſprang der Alten auf das
Genick und biß ſie in die Ohren. Er mußte abgeſchafft werden.‟ Sehr alte Rammler beißen auch
zuweilen ihre Jungen und ſelbſt das Weibchen, oder verlocken dieſes, ihre Kinder ſchlecht zu behandeln.
Wenn eine Kaninchenmutter ihre Brut nicht gut ſäugt oder gar todt beißt, gibt es nur ein Mittel,
dieſe zu retten: Abſperrung des Rammlers.
Die Räute und der Durchfall ſind die gewöhnlichen Krankheiten der Kaninchen; ſie werden in
den meiſten Fällen durch den Genuß von zu ſaftigem oder zu naſſem Futter hervorgerufen und folge-
recht durch gutes trockenes Futter geheilt, namentlich rühmt man Hafer, welcher mit zerſtoßenem
Malz gemengt wird. Gegen die Räute helfen im Anfange Einreibungen mit Fett oder Butter. Jn
vielen Gegenden hält man eine bedeutende Kaninchenzucht, um das Fleiſch zu nützen. Belgiſche
Bauern betreiben die Zucht in großartigem Maßſtabe und ſenden im Winter Unmaſſen nach England,
wie Lenz erfuhr, etwa vierzig Tauſend Stück in jeder Woche. Auch die Felle werden benutzt, ob-
gleich ſie nur ein wenig haltbares Pelzwerk geben. Die Haare verarbeitet man zu Hüten.
Hier und da ſieht man auch Abarten des Thieres, welches nach Einigen Erzeugniſſe der Zucht, nach
Anderen die Abkömmlinge von uns unbekannten Arten ſein ſollen. Solche Spielarten ſind das ſilber-
farbene, das ruſſiſche und das angoriſche oder Seidenkaninchen. Erſteres iſt größer, als das unſerige,
gewöhnlich von bläulichgrauer Farbe mit ſilberfarbenem oder dunkelem Anflug. Das ruſſiſche Kaninchen
iſt grau, der Kopf und die Ohren ſind braun und zeichnen ſich durch eine weit herabhängende Wamme
an der Kehle aus. Das angoriſche oder Seidenkaninchen endlich hat kürzere Ohren und einen ſehr
reichlichen, weichen Pelz. Das lange, gewölbte Haar reicht oft bis zu dem Boden herab und hat
ſeidenartigen Glanz. Leider iſt es ſehr zärtlich und verlangt deshalb ſorgfältige Pflege. Verſuche, es
in Deutſchland heimiſch zu machen, ſchlugen fehl. Sein Haar eignet ſich zu feinen Geſpinnſten und
hat deshalb einen ziemlich hohen Werth. Ob das Kaninchen mit hängenden Ohren eine Abart des
unſerigen iſt, oder als ſelbſtändige Art angeſehen werden muß, iſt noch nicht ausgemacht. Seine
bedeutende Größe, der dicke, große Kopf und die breiten, platten, ſchlaff herabhängenden Ohren
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