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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Das Kaninchen.

Die Bewegungen des Kaninchens unterscheiden sich wesentlich von denen des Hasen. Jm ersten
Augenblicke übertrifft es Freund Lampen an Schnelligkeit, immer an Gewandtheit. Es versteht das
Hakenschlagen ganz meisterlich und erfordert einen vortrefflich eingeübten Hetzhund oder bezüglich einen
guten Schützen. Ungleich verschmitzter und schlauer als der Hase, läßt es sich kaum oder nie auf der
Weide beschleichen und weiß bei Gefahr fast immer noch ein Schlupfloch zu finden. Wollte es gerade
forteilen, so würde es von jedem mittelmäßig guten Hunde schon nach kurzer Zeit gefangen werden.
So sucht es aber in allerlei Genist, in Felsenritzen und Höhlen Schutz und entgeht so den Nach-
stellungen seiner Feinde. Die Sinne des Aeugens, Vernehmens und Witterns sind ebenso scharf,
vielleicht noch schärfer, als bei den Hasen. Jn seinen Sitten hat es manches Angenehme. Es ist
gesellig und vertraulich; die Mütter pflegen ihre Kinder mit warmer Liebe, die Jungen erweisen den
Eltern große Ehre; und namentlich der Stammvater einer ganzen Gesellschaft wird hoch geachtet. Jn
den Monaten Februar und März beginnt die Rammelzeit der Kaninchen. Wie bemerkt, hält das
Paar treu zusammen, wenigstens viel treuer, als das Hasenpaar; doch kann man nicht behaupten, daß
das Kaninchen in wirklicher Einweibigkeit lebe. "So viel ist ausgemacht," sagt Dietrich aus dem
Winckell,
daß der Rammler, solange das Weibchen bei ihm bleibt, nicht von dessen Seite weicht
und ihm auch oft Zärtlichkeiten erweist. Nie ist er so zudringlich, daß er sein Verfolger werden wollte,
wenn es sich von ihm zurückzieht."

"Wie die Häfin geht das Kaninchen 30--31 Tage tragend, es ist aber geeignet, sogleich nach
dem Wurfe sich wieder zu begatten und bringt deshalb seine Nachkommenschaft schon binnen Jahresfrist
auf eine bedeutende Höhe. Bis zum Oktober setzt es alle fünf Wochen vier bis zwölf Junge in einer
besonderen Kammer, welche es vorher mit seiner Bauchwolle reichlich ausgefüttert hat. Einige
Tage bleiben die Kleinen blind, und bis zum nächsten Satze der Mutter verweilen sie bei ihr im war-
men Neste und säugen. Die Mutter ist sehr zärtlich und verläßt die Familie nur solange, als sie
braucht, um sich zu ernähren. Bei dieser Gelegenheit sucht sie den Gatten auf, um mit ihm, wenn
auch nur kurze Zeit, süßer Vertranlichkeit zu pflegen. Bald aber kehrt sie zu den früheren Pfändern
ihrer Liebe zurück und erfüllt mit Aufopferung alles geselligen Vergügens die Mutterpflichten treu-
lich. Selbst dem Gatten wird der Zugang zu den gesetzten Jungen nicht gestattet, weil wahrscheinlich
die sorgsame Mutter wohl weiß, daß er in einem Anfalle von Raserei oder aus übertriebener Zärt-
lichkeit das Leben derselben zu rauben fähig ist. Bosheit treibt ihn dazu gewiß nicht an, denn er
empfängt seine Kinder, wenn er sie zum ersten Male erblickt, mit Aeußerung echter Zärtlichkeit,
nimmt sie zwischen die Pfoten, leckt sie und theilt mit der Gattin die Bemühung, sie Aeßung suchen
zu lehren."

Jn warmen Ländern sind die Jungen bereits im fünften, in kalten im achten Monate zeu-
gungsfähig, doch erreichen sie erst im zwölften Monat ihr völliges Wachsthum. Pennant hat sich
die Mühe gegeben, die mögliche Nachkommenschaft eines Kaninchenpaares zu berechnen. Wenn man
annimmt, daß jedes Weibchen in einem Jahre sieben Mal setzt und bei jedem Satze acht Junge
bringt, würde diese Nachkommenschaft binnen vier Jahren die ungeheure Zahl von 1,274,840
Stück erreichen können.

Es ist mehrfach behauptet worden, daß Kaninchen sich auch mit anderen ähnlichen Nagern begat-
teten und fruchtbare Junge zur Welt brächten. Alle die bezüglichen Angaben entbehren noch voll-
ständig der Bestätigung.

Die Aeßung des Kaninchens ist durchaus die des Hasen. Aber es verursacht viel größeren
Schaden, als dieser, zumal wegen seiner Liebhaberei für Baumrinden, wodurch es oft ganze Pflan-
zungen zerstört. Man kann sich denken, was für eine Verwüstung eine Ansiedelung bei einer so un-
geheuern Fruchtbarkeit ihrer Mitglieder anzurichten vermag, wenn man der Vermehrung nicht hindernd
in den Weg tritt. Zudem vertreiben die Kaninchen durch ihr unruhiges Wesen auch das andere
Wild, denn selten findet man da Hasen, wo die Kaninchen sich die Herrschaft errungen haben. Wo sie
sich sicher fühlen, werden sie unglaublich frech. Jm Wiener Prater hausen sie zu Tausenden, laufen

Das Kaninchen.

Die Bewegungen des Kaninchens unterſcheiden ſich weſentlich von denen des Haſen. Jm erſten
Augenblicke übertrifft es Freund Lampen an Schnelligkeit, immer an Gewandtheit. Es verſteht das
Hakenſchlagen ganz meiſterlich und erfordert einen vortrefflich eingeübten Hetzhund oder bezüglich einen
guten Schützen. Ungleich verſchmitzter und ſchlauer als der Haſe, läßt es ſich kaum oder nie auf der
Weide beſchleichen und weiß bei Gefahr faſt immer noch ein Schlupfloch zu finden. Wollte es gerade
forteilen, ſo würde es von jedem mittelmäßig guten Hunde ſchon nach kurzer Zeit gefangen werden.
So ſucht es aber in allerlei Geniſt, in Felſenritzen und Höhlen Schutz und entgeht ſo den Nach-
ſtellungen ſeiner Feinde. Die Sinne des Aeugens, Vernehmens und Witterns ſind ebenſo ſcharf,
vielleicht noch ſchärfer, als bei den Haſen. Jn ſeinen Sitten hat es manches Angenehme. Es iſt
geſellig und vertraulich; die Mütter pflegen ihre Kinder mit warmer Liebe, die Jungen erweiſen den
Eltern große Ehre; und namentlich der Stammvater einer ganzen Geſellſchaft wird hoch geachtet. Jn
den Monaten Februar und März beginnt die Rammelzeit der Kaninchen. Wie bemerkt, hält das
Paar treu zuſammen, wenigſtens viel treuer, als das Haſenpaar; doch kann man nicht behaupten, daß
das Kaninchen in wirklicher Einweibigkeit lebe. „So viel iſt ausgemacht,‟ ſagt Dietrich aus dem
Winckell,
daß der Rammler, ſolange das Weibchen bei ihm bleibt, nicht von deſſen Seite weicht
und ihm auch oft Zärtlichkeiten erweiſt. Nie iſt er ſo zudringlich, daß er ſein Verfolger werden wollte,
wenn es ſich von ihm zurückzieht.‟

„Wie die Häfin geht das Kaninchen 30—31 Tage tragend, es iſt aber geeignet, ſogleich nach
dem Wurfe ſich wieder zu begatten und bringt deshalb ſeine Nachkommenſchaft ſchon binnen Jahresfriſt
auf eine bedeutende Höhe. Bis zum Oktober ſetzt es alle fünf Wochen vier bis zwölf Junge in einer
beſonderen Kammer, welche es vorher mit ſeiner Bauchwolle reichlich ausgefüttert hat. Einige
Tage bleiben die Kleinen blind, und bis zum nächſten Satze der Mutter verweilen ſie bei ihr im war-
men Neſte und ſäugen. Die Mutter iſt ſehr zärtlich und verläßt die Familie nur ſolange, als ſie
braucht, um ſich zu ernähren. Bei dieſer Gelegenheit ſucht ſie den Gatten auf, um mit ihm, wenn
auch nur kurze Zeit, ſüßer Vertranlichkeit zu pflegen. Bald aber kehrt ſie zu den früheren Pfändern
ihrer Liebe zurück und erfüllt mit Aufopferung alles geſelligen Vergügens die Mutterpflichten treu-
lich. Selbſt dem Gatten wird der Zugang zu den geſetzten Jungen nicht geſtattet, weil wahrſcheinlich
die ſorgſame Mutter wohl weiß, daß er in einem Anfalle von Raſerei oder aus übertriebener Zärt-
lichkeit das Leben derſelben zu rauben fähig iſt. Bosheit treibt ihn dazu gewiß nicht an, denn er
empfängt ſeine Kinder, wenn er ſie zum erſten Male erblickt, mit Aeußerung echter Zärtlichkeit,
nimmt ſie zwiſchen die Pfoten, leckt ſie und theilt mit der Gattin die Bemühung, ſie Aeßung ſuchen
zu lehren.‟

Jn warmen Ländern ſind die Jungen bereits im fünften, in kalten im achten Monate zeu-
gungsfähig, doch erreichen ſie erſt im zwölften Monat ihr völliges Wachsthum. Pennant hat ſich
die Mühe gegeben, die mögliche Nachkommenſchaft eines Kaninchenpaares zu berechnen. Wenn man
annimmt, daß jedes Weibchen in einem Jahre ſieben Mal ſetzt und bei jedem Satze acht Junge
bringt, würde dieſe Nachkommenſchaft binnen vier Jahren die ungeheure Zahl von 1,274,840
Stück erreichen können.

Es iſt mehrfach behauptet worden, daß Kaninchen ſich auch mit anderen ähnlichen Nagern begat-
teten und fruchtbare Junge zur Welt brächten. Alle die bezüglichen Angaben entbehren noch voll-
ſtändig der Beſtätigung.

Die Aeßung des Kaninchens iſt durchaus die des Haſen. Aber es verurſacht viel größeren
Schaden, als dieſer, zumal wegen ſeiner Liebhaberei für Baumrinden, wodurch es oft ganze Pflan-
zungen zerſtört. Man kann ſich denken, was für eine Verwüſtung eine Anſiedelung bei einer ſo un-
geheuern Fruchtbarkeit ihrer Mitglieder anzurichten vermag, wenn man der Vermehrung nicht hindernd
in den Weg tritt. Zudem vertreiben die Kaninchen durch ihr unruhiges Weſen auch das andere
Wild, denn ſelten findet man da Haſen, wo die Kaninchen ſich die Herrſchaft errungen haben. Wo ſie
ſich ſicher fühlen, werden ſie unglaublich frech. Jm Wiener Prater hauſen ſie zu Tauſenden, laufen

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[265/0283] Das Kaninchen. Die Bewegungen des Kaninchens unterſcheiden ſich weſentlich von denen des Haſen. Jm erſten Augenblicke übertrifft es Freund Lampen an Schnelligkeit, immer an Gewandtheit. Es verſteht das Hakenſchlagen ganz meiſterlich und erfordert einen vortrefflich eingeübten Hetzhund oder bezüglich einen guten Schützen. Ungleich verſchmitzter und ſchlauer als der Haſe, läßt es ſich kaum oder nie auf der Weide beſchleichen und weiß bei Gefahr faſt immer noch ein Schlupfloch zu finden. Wollte es gerade forteilen, ſo würde es von jedem mittelmäßig guten Hunde ſchon nach kurzer Zeit gefangen werden. So ſucht es aber in allerlei Geniſt, in Felſenritzen und Höhlen Schutz und entgeht ſo den Nach- ſtellungen ſeiner Feinde. Die Sinne des Aeugens, Vernehmens und Witterns ſind ebenſo ſcharf, vielleicht noch ſchärfer, als bei den Haſen. Jn ſeinen Sitten hat es manches Angenehme. Es iſt geſellig und vertraulich; die Mütter pflegen ihre Kinder mit warmer Liebe, die Jungen erweiſen den Eltern große Ehre; und namentlich der Stammvater einer ganzen Geſellſchaft wird hoch geachtet. Jn den Monaten Februar und März beginnt die Rammelzeit der Kaninchen. Wie bemerkt, hält das Paar treu zuſammen, wenigſtens viel treuer, als das Haſenpaar; doch kann man nicht behaupten, daß das Kaninchen in wirklicher Einweibigkeit lebe. „So viel iſt ausgemacht,‟ ſagt Dietrich aus dem Winckell, daß der Rammler, ſolange das Weibchen bei ihm bleibt, nicht von deſſen Seite weicht und ihm auch oft Zärtlichkeiten erweiſt. Nie iſt er ſo zudringlich, daß er ſein Verfolger werden wollte, wenn es ſich von ihm zurückzieht.‟ „Wie die Häfin geht das Kaninchen 30—31 Tage tragend, es iſt aber geeignet, ſogleich nach dem Wurfe ſich wieder zu begatten und bringt deshalb ſeine Nachkommenſchaft ſchon binnen Jahresfriſt auf eine bedeutende Höhe. Bis zum Oktober ſetzt es alle fünf Wochen vier bis zwölf Junge in einer beſonderen Kammer, welche es vorher mit ſeiner Bauchwolle reichlich ausgefüttert hat. Einige Tage bleiben die Kleinen blind, und bis zum nächſten Satze der Mutter verweilen ſie bei ihr im war- men Neſte und ſäugen. Die Mutter iſt ſehr zärtlich und verläßt die Familie nur ſolange, als ſie braucht, um ſich zu ernähren. Bei dieſer Gelegenheit ſucht ſie den Gatten auf, um mit ihm, wenn auch nur kurze Zeit, ſüßer Vertranlichkeit zu pflegen. Bald aber kehrt ſie zu den früheren Pfändern ihrer Liebe zurück und erfüllt mit Aufopferung alles geſelligen Vergügens die Mutterpflichten treu- lich. Selbſt dem Gatten wird der Zugang zu den geſetzten Jungen nicht geſtattet, weil wahrſcheinlich die ſorgſame Mutter wohl weiß, daß er in einem Anfalle von Raſerei oder aus übertriebener Zärt- lichkeit das Leben derſelben zu rauben fähig iſt. Bosheit treibt ihn dazu gewiß nicht an, denn er empfängt ſeine Kinder, wenn er ſie zum erſten Male erblickt, mit Aeußerung echter Zärtlichkeit, nimmt ſie zwiſchen die Pfoten, leckt ſie und theilt mit der Gattin die Bemühung, ſie Aeßung ſuchen zu lehren.‟ Jn warmen Ländern ſind die Jungen bereits im fünften, in kalten im achten Monate zeu- gungsfähig, doch erreichen ſie erſt im zwölften Monat ihr völliges Wachsthum. Pennant hat ſich die Mühe gegeben, die mögliche Nachkommenſchaft eines Kaninchenpaares zu berechnen. Wenn man annimmt, daß jedes Weibchen in einem Jahre ſieben Mal ſetzt und bei jedem Satze acht Junge bringt, würde dieſe Nachkommenſchaft binnen vier Jahren die ungeheure Zahl von 1,274,840 Stück erreichen können. Es iſt mehrfach behauptet worden, daß Kaninchen ſich auch mit anderen ähnlichen Nagern begat- teten und fruchtbare Junge zur Welt brächten. Alle die bezüglichen Angaben entbehren noch voll- ſtändig der Beſtätigung. Die Aeßung des Kaninchens iſt durchaus die des Haſen. Aber es verurſacht viel größeren Schaden, als dieſer, zumal wegen ſeiner Liebhaberei für Baumrinden, wodurch es oft ganze Pflan- zungen zerſtört. Man kann ſich denken, was für eine Verwüſtung eine Anſiedelung bei einer ſo un- geheuern Fruchtbarkeit ihrer Mitglieder anzurichten vermag, wenn man der Vermehrung nicht hindernd in den Weg tritt. Zudem vertreiben die Kaninchen durch ihr unruhiges Weſen auch das andere Wild, denn ſelten findet man da Haſen, wo die Kaninchen ſich die Herrſchaft errungen haben. Wo ſie ſich ſicher fühlen, werden ſie unglaublich frech. Jm Wiener Prater hauſen ſie zu Tauſenden, laufen

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/283>, abgerufen am 23.11.2024.