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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Schnee- oder Alpenhase.
unterscheiden zweierlei Hasen, die im Winter weiß werden, und nennen sie Wald- und Berghasen,
von denen die ersteren größer seien und auch im Sommer nicht über die Holzgrenze gingen, während
die letzteren kleiner und dickköpfiger wären, als die weißen Waldhasen."

"Wenn im Dezember die Alpen alle in Schnee begraben liegen, ist dieser Hase so rein weiß, wie
der Schnee; nur die Spitzen der Ohren bleiben schwarz. Die Frühlingssonne erregt vom März an einen
sehr merkwürdigen Farbenwechsel. Er wird zuerst auf dem Rücken grau, und einzelne graue Haare
mischen sich immer reichlicher auch auf den Seiten ins Weiße. Jm April sieht er sonderbar unregel-
mäßig gescheckt oder besprengt aus. Von Tag zu Tag nimmt die dunkelbraune Färbung überhand und
ist im Mai ganz vollendet, dann aber rein einfarbig, nicht gesprengt, wie beim gemeinen Hasen, der
auch eine derbere Behaarung hat, als der Alpenhase. Jm Herbst fängt er schon mit dem ersten
Schnee an, einzelne graue Haare zu bekommen; doch geht, wie in den Alpen der Sieg des Winters
sich rascher entscheidet, als der des Frühlings, der Farbenwechsel im Spätjahr schneller vor sich und
ist vom Anfang des Oktobers bis Mitte des Novembers vollendet. Wenn die Gemsen schwarz werden,
wird ihr Nachbar, der Hase, weiß. Dabei bemerken wir folgende merkwürdige Erscheinungen. Zu-

[Abbildung] Der Schnee- oder Alpenhase (Lepus variabilis).
nächst vollzieht sich die Umfärbung nicht nach einer festen Zeit, sondern richtet sich nach der jeweiligen
Witterung, so daß sie bei früherem Winter früher eintritt, ebenso bei früherem Frühling, und immer
mit dem Farbenwechsel des Hermelins und des Schneehuhns, die den gleichen Gesetzen unterliegen
Schritt hält. Ferner geht zwar die Herbstfärbung in Folge der gewöhnlichen Wintermauserung vor sich,
-- der Farbenwechsel im Frühling scheint dagegen an der gleichen Behaarung sich zu vollziehen, indem
erst die längeren Haare an Kopf, Hals und Rücken von ihrer Wurzel an bis zur Spitze schwärzlich
werden, die unteren weißen Wollhaare dagegen grau. Doch ist es noch nicht ganz gewiß, ob nicht
auch im Frühjahr vielleicht eine theilweise Mauserung vor sich gehe. Jm Sommerkleid unterscheidet
sich der Alpenhase insoweit von dem gemeinen, daß jener olivengrauer ist mit mehr Schwarz, dieser
röthlichbraun mit weniger Schwarz; bei ersterem bleibt der Bauch und ein Theil der Löffel weiß, bei
diesem wird die Unterseite gelb und weiß."

"Der geschilderte Farbenwechsel wird allgemein als Vorbote der zunächst eintretenden Witterung
angesehen; selbst der einsichtsvolle Prior Lamont auf dem großen St. Bernhard theilte diesen Glauben
und schrieb am 16. August 1822: ""Wir werden einen sehr strengen Winter bekommen; denn schon

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Der Schnee- oder Alpenhaſe.
unterſcheiden zweierlei Haſen, die im Winter weiß werden, und nennen ſie Wald- und Berghaſen,
von denen die erſteren größer ſeien und auch im Sommer nicht über die Holzgrenze gingen, während
die letzteren kleiner und dickköpfiger wären, als die weißen Waldhaſen.‟

„Wenn im Dezember die Alpen alle in Schnee begraben liegen, iſt dieſer Haſe ſo rein weiß, wie
der Schnee; nur die Spitzen der Ohren bleiben ſchwarz. Die Frühlingsſonne erregt vom März an einen
ſehr merkwürdigen Farbenwechſel. Er wird zuerſt auf dem Rücken grau, und einzelne graue Haare
miſchen ſich immer reichlicher auch auf den Seiten ins Weiße. Jm April ſieht er ſonderbar unregel-
mäßig geſcheckt oder beſprengt aus. Von Tag zu Tag nimmt die dunkelbraune Färbung überhand und
iſt im Mai ganz vollendet, dann aber rein einfarbig, nicht geſprengt, wie beim gemeinen Haſen, der
auch eine derbere Behaarung hat, als der Alpenhaſe. Jm Herbſt fängt er ſchon mit dem erſten
Schnee an, einzelne graue Haare zu bekommen; doch geht, wie in den Alpen der Sieg des Winters
ſich raſcher entſcheidet, als der des Frühlings, der Farbenwechſel im Spätjahr ſchneller vor ſich und
iſt vom Anfang des Oktobers bis Mitte des Novembers vollendet. Wenn die Gemſen ſchwarz werden,
wird ihr Nachbar, der Haſe, weiß. Dabei bemerken wir folgende merkwürdige Erſcheinungen. Zu-

[Abbildung] Der Schnee- oder Alpenhaſe (Lepus variabilis).
nächſt vollzieht ſich die Umfärbung nicht nach einer feſten Zeit, ſondern richtet ſich nach der jeweiligen
Witterung, ſo daß ſie bei früherem Winter früher eintritt, ebenſo bei früherem Frühling, und immer
mit dem Farbenwechſel des Hermelins und des Schneehuhns, die den gleichen Geſetzen unterliegen
Schritt hält. Ferner geht zwar die Herbſtfärbung in Folge der gewöhnlichen Wintermauſerung vor ſich,
— der Farbenwechſel im Frühling ſcheint dagegen an der gleichen Behaarung ſich zu vollziehen, indem
erſt die längeren Haare an Kopf, Hals und Rücken von ihrer Wurzel an bis zur Spitze ſchwärzlich
werden, die unteren weißen Wollhaare dagegen grau. Doch iſt es noch nicht ganz gewiß, ob nicht
auch im Frühjahr vielleicht eine theilweiſe Mauſerung vor ſich gehe. Jm Sommerkleid unterſcheidet
ſich der Alpenhaſe inſoweit von dem gemeinen, daß jener olivengrauer iſt mit mehr Schwarz, dieſer
röthlichbraun mit weniger Schwarz; bei erſterem bleibt der Bauch und ein Theil der Löffel weiß, bei
dieſem wird die Unterſeite gelb und weiß.‟

„Der geſchilderte Farbenwechſel wird allgemein als Vorbote der zunächſt eintretenden Witterung
angeſehen; ſelbſt der einſichtsvolle Prior Lamont auf dem großen St. Bernhard theilte dieſen Glauben
und ſchrieb am 16. Auguſt 1822: „„Wir werden einen ſehr ſtrengen Winter bekommen; denn ſchon

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[259/0277] Der Schnee- oder Alpenhaſe. unterſcheiden zweierlei Haſen, die im Winter weiß werden, und nennen ſie Wald- und Berghaſen, von denen die erſteren größer ſeien und auch im Sommer nicht über die Holzgrenze gingen, während die letzteren kleiner und dickköpfiger wären, als die weißen Waldhaſen.‟ „Wenn im Dezember die Alpen alle in Schnee begraben liegen, iſt dieſer Haſe ſo rein weiß, wie der Schnee; nur die Spitzen der Ohren bleiben ſchwarz. Die Frühlingsſonne erregt vom März an einen ſehr merkwürdigen Farbenwechſel. Er wird zuerſt auf dem Rücken grau, und einzelne graue Haare miſchen ſich immer reichlicher auch auf den Seiten ins Weiße. Jm April ſieht er ſonderbar unregel- mäßig geſcheckt oder beſprengt aus. Von Tag zu Tag nimmt die dunkelbraune Färbung überhand und iſt im Mai ganz vollendet, dann aber rein einfarbig, nicht geſprengt, wie beim gemeinen Haſen, der auch eine derbere Behaarung hat, als der Alpenhaſe. Jm Herbſt fängt er ſchon mit dem erſten Schnee an, einzelne graue Haare zu bekommen; doch geht, wie in den Alpen der Sieg des Winters ſich raſcher entſcheidet, als der des Frühlings, der Farbenwechſel im Spätjahr ſchneller vor ſich und iſt vom Anfang des Oktobers bis Mitte des Novembers vollendet. Wenn die Gemſen ſchwarz werden, wird ihr Nachbar, der Haſe, weiß. Dabei bemerken wir folgende merkwürdige Erſcheinungen. Zu- [Abbildung Der Schnee- oder Alpenhaſe (Lepus variabilis).] nächſt vollzieht ſich die Umfärbung nicht nach einer feſten Zeit, ſondern richtet ſich nach der jeweiligen Witterung, ſo daß ſie bei früherem Winter früher eintritt, ebenſo bei früherem Frühling, und immer mit dem Farbenwechſel des Hermelins und des Schneehuhns, die den gleichen Geſetzen unterliegen Schritt hält. Ferner geht zwar die Herbſtfärbung in Folge der gewöhnlichen Wintermauſerung vor ſich, — der Farbenwechſel im Frühling ſcheint dagegen an der gleichen Behaarung ſich zu vollziehen, indem erſt die längeren Haare an Kopf, Hals und Rücken von ihrer Wurzel an bis zur Spitze ſchwärzlich werden, die unteren weißen Wollhaare dagegen grau. Doch iſt es noch nicht ganz gewiß, ob nicht auch im Frühjahr vielleicht eine theilweiſe Mauſerung vor ſich gehe. Jm Sommerkleid unterſcheidet ſich der Alpenhaſe inſoweit von dem gemeinen, daß jener olivengrauer iſt mit mehr Schwarz, dieſer röthlichbraun mit weniger Schwarz; bei erſterem bleibt der Bauch und ein Theil der Löffel weiß, bei dieſem wird die Unterſeite gelb und weiß.‟ „Der geſchilderte Farbenwechſel wird allgemein als Vorbote der zunächſt eintretenden Witterung angeſehen; ſelbſt der einſichtsvolle Prior Lamont auf dem großen St. Bernhard theilte dieſen Glauben und ſchrieb am 16. Auguſt 1822: „„Wir werden einen ſehr ſtrengen Winter bekommen; denn ſchon 17*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/277>, abgerufen am 27.11.2024.