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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Hasen. -- Unser Hase.

Jedenfalls muß ich meinem Leser hier erst erklären, was man unter dieser Jagdweise ver-
steht, zumal sie nicht in allen Gegenden unseres Vaterlandes geduldet wird. Freund Lampe, der
Furchtsame, sieht, wie ich schon erwähnt habe, in jedem ihm unbekannten Dinge einen fürchterlichen
Gegenstand: und hierauf gründet der tückische Mensch seine nichtswürdigen Pläne, den Armen zu
fangen. Jn stiller Mitternachtsstunde, wo sich der Hase aus dem Walde in die Felder gezogen hat
zu fröhlicher Aeßung, schleicht der Schändliche hinaus, um ihm die Pforten nach seiner Tagesherberge
zu verschließen. Drei bis vier Männer tragen große Ballen, die bei genauerer Prüfung sich als
Rollen von starkem Bindfaden ergeben, in welchen in gewissen Abständen zwei Federn oder min-
destens weiße Lappen eingeflochten sind. Das sind die Lappen, um mit dem Jäger zu sprechen.
Man beginnt nun an einem bestimmten Orte des Waldrandes mit der Aufrichtung dieser Scheusale.
Jn kleinen Abständen werden schwache Pfälchen in die Erde gesteckt und daran die Schnur befestigt,
so daß sie ungefähr einen Fuß hoch über der Erde schwebt; und so wird der ganze Kreis, welcher die
Fruchtfelder enthält, eingeschlossen. Damit ist für den Hasen jeglicher Zugang zum Walde versperrt.
Die Jagdgenossenschaft macht sich nun früh auf den Weg, denn sie muß schon ein gutes Stück vor
Tagesanbruch zur Stelle sein. Möglichst lautlos wandelt der Zug dahin. Der Jagdeigenthümer
stellt den Einen hier, den Andern dort an die besten Anlaufsplätze, und immer geringer wird die
Zahl der Jäger. Endlich ist das Ganze umstellt, jeder einzelne Jäger hat sich seinen Anstand so gut
als möglich gewählt und wartet gespannt der Dinge, die da kommen sollen.

Mit dem ersten Grauen des Tages rücken die Hasen von den Feldern dem Walde zu; unbesorgt
gehen sie den allgewöhnten Pfad. Der Eine oder der Andere treibt seine sehr gewöhnlichen Possen.
Alles ist todtenstill ringsum, auch noch im Walde; höchstens eine Krähe läßt sich vernehmen. Jm
Osten röthet die aufgehende Sonne den untersten Rand des Himmelsgewölbes. Näher und näher
kommen die Hasen an die gefährliche Linie: -- da schimmert ihnen die weiße Reihe entgegen! Lampe
wird bedenklich, erschrickt; die Löffel werden gehoben, und einer und der andere gedreht und bewegt.
Nach allen Seiten hin lauscht er; Alles bleibt ruhig. Noch ein paar Schritte geht er vorwärts, um
sich das Ding in größter Nähe zu beschauen, aber je näher er kommt, um so bedenklicher wird er.
Hier ist die sorgfältigste Prüfung nöthig. Eins und das andere der furchtsamen Thiere prallt ent-
setzt zurück, schlägt einen Haken und kehrt auf demselben Wege, den es gekommen, feldeinwärts,
um an einer anderen Stelle sein Heil zu versuchen. Drüben aber geht's ihm genau so, wie auf der
eben verlassenen Seite. Aber er ist dort vielleicht nicht so vorsichtig gewesen, denn plötzlich zuckt ein
Feuerstrahl aus dem Walde heraus und donnernd unterbricht der erste Schuß die Morgenstille. Von
allen Bergen pflanzt er sich fort, und das Echo der Wälder trägt ihn weiter und weiter. Jetzt wird's
lebendig. Hier und dort blitzt es, in der ganzen Linie wird's laut. Wie verzweifelt rennen die
armen Hasen in dem gefeiten Kreise umher. Der Eine prallt hier, der Andere dort zurück; aber
leider rücken sie soviel als möglich auf dem allbekannten Wege dahin und kommen so den im Hinter-
halte aufgestellten Schützen regelmäßig zum Schuß. So währt das Morden fort, bis der Morgen
vollends anbricht. Denn mit dem Erleben des Tages sind alle Hasen verschwunden, auch die, welche
vom Tode verschont wurden. Sie haben sich mitten in den Feldern gedrückt und harren dort auf
ruhigere Zeiten, nicht ahnend, daß dem Verlappen in den Mittagsstunden die Treibjagd folgt.
Nunmehr wird es auch lebendig im Walde; jeder der Schützen geht heraus, um das von ihm
erlegte Wild zu holen. Aber nur die wenigsten finden soviel Hasen, als sie zu finden glaubten. Es
hält schwer, das Thier in der Dämmerung gehörig auf das Korn zu nehmen, und in der Regel wird
weit mehr gefehlt, als getroffen. Das weiß man aber nicht, und so kommt es, daß Jeder seine Er-
wartungen bedeutend zurückgeführt sehen muß.

Auch der einfache Anstand in stiller Abendstunde gewährt seine große Freude, namentlich noch
für junge, ungeübte Schützen, denen sich nicht leicht eine bequemere Gelegenheit zum Schießen bietet.
"Getrost kommt der Hase aus dem Walde gehüpft. Er hat denselben Weg schon so oft gemacht,
daß er sich sicher glaubt. Gewöhnlich wird er im Sitzen befördert, und man könnte bei gänzlicher

Die Haſen. — Unſer Haſe.

Jedenfalls muß ich meinem Leſer hier erſt erklären, was man unter dieſer Jagdweiſe ver-
ſteht, zumal ſie nicht in allen Gegenden unſeres Vaterlandes geduldet wird. Freund Lampe, der
Furchtſame, ſieht, wie ich ſchon erwähnt habe, in jedem ihm unbekannten Dinge einen fürchterlichen
Gegenſtand: und hierauf gründet der tückiſche Menſch ſeine nichtswürdigen Pläne, den Armen zu
fangen. Jn ſtiller Mitternachtsſtunde, wo ſich der Haſe aus dem Walde in die Felder gezogen hat
zu fröhlicher Aeßung, ſchleicht der Schändliche hinaus, um ihm die Pforten nach ſeiner Tagesherberge
zu verſchließen. Drei bis vier Männer tragen große Ballen, die bei genauerer Prüfung ſich als
Rollen von ſtarkem Bindfaden ergeben, in welchen in gewiſſen Abſtänden zwei Federn oder min-
deſtens weiße Lappen eingeflochten ſind. Das ſind die Lappen, um mit dem Jäger zu ſprechen.
Man beginnt nun an einem beſtimmten Orte des Waldrandes mit der Aufrichtung dieſer Scheuſale.
Jn kleinen Abſtänden werden ſchwache Pfälchen in die Erde geſteckt und daran die Schnur befeſtigt,
ſo daß ſie ungefähr einen Fuß hoch über der Erde ſchwebt; und ſo wird der ganze Kreis, welcher die
Fruchtfelder enthält, eingeſchloſſen. Damit iſt für den Haſen jeglicher Zugang zum Walde verſperrt.
Die Jagdgenoſſenſchaft macht ſich nun früh auf den Weg, denn ſie muß ſchon ein gutes Stück vor
Tagesanbruch zur Stelle ſein. Möglichſt lautlos wandelt der Zug dahin. Der Jagdeigenthümer
ſtellt den Einen hier, den Andern dort an die beſten Anlaufsplätze, und immer geringer wird die
Zahl der Jäger. Endlich iſt das Ganze umſtellt, jeder einzelne Jäger hat ſich ſeinen Anſtand ſo gut
als möglich gewählt und wartet geſpannt der Dinge, die da kommen ſollen.

Mit dem erſten Grauen des Tages rücken die Haſen von den Feldern dem Walde zu; unbeſorgt
gehen ſie den allgewöhnten Pfad. Der Eine oder der Andere treibt ſeine ſehr gewöhnlichen Poſſen.
Alles iſt todtenſtill ringsum, auch noch im Walde; höchſtens eine Krähe läßt ſich vernehmen. Jm
Oſten röthet die aufgehende Sonne den unterſten Rand des Himmelsgewölbes. Näher und näher
kommen die Haſen an die gefährliche Linie: — da ſchimmert ihnen die weiße Reihe entgegen! Lampe
wird bedenklich, erſchrickt; die Löffel werden gehoben, und einer und der andere gedreht und bewegt.
Nach allen Seiten hin lauſcht er; Alles bleibt ruhig. Noch ein paar Schritte geht er vorwärts, um
ſich das Ding in größter Nähe zu beſchauen, aber je näher er kommt, um ſo bedenklicher wird er.
Hier iſt die ſorgfältigſte Prüfung nöthig. Eins und das andere der furchtſamen Thiere prallt ent-
ſetzt zurück, ſchlägt einen Haken und kehrt auf demſelben Wege, den es gekommen, feldeinwärts,
um an einer anderen Stelle ſein Heil zu verſuchen. Drüben aber geht’s ihm genau ſo, wie auf der
eben verlaſſenen Seite. Aber er iſt dort vielleicht nicht ſo vorſichtig geweſen, denn plötzlich zuckt ein
Feuerſtrahl aus dem Walde heraus und donnernd unterbricht der erſte Schuß die Morgenſtille. Von
allen Bergen pflanzt er ſich fort, und das Echo der Wälder trägt ihn weiter und weiter. Jetzt wird’s
lebendig. Hier und dort blitzt es, in der ganzen Linie wird’s laut. Wie verzweifelt rennen die
armen Haſen in dem gefeiten Kreiſe umher. Der Eine prallt hier, der Andere dort zurück; aber
leider rücken ſie ſoviel als möglich auf dem allbekannten Wege dahin und kommen ſo den im Hinter-
halte aufgeſtellten Schützen regelmäßig zum Schuß. So währt das Morden fort, bis der Morgen
vollends anbricht. Denn mit dem Erleben des Tages ſind alle Haſen verſchwunden, auch die, welche
vom Tode verſchont wurden. Sie haben ſich mitten in den Feldern gedrückt und harren dort auf
ruhigere Zeiten, nicht ahnend, daß dem Verlappen in den Mittagsſtunden die Treibjagd folgt.
Nunmehr wird es auch lebendig im Walde; jeder der Schützen geht heraus, um das von ihm
erlegte Wild zu holen. Aber nur die wenigſten finden ſoviel Haſen, als ſie zu finden glaubten. Es
hält ſchwer, das Thier in der Dämmerung gehörig auf das Korn zu nehmen, und in der Regel wird
weit mehr gefehlt, als getroffen. Das weiß man aber nicht, und ſo kommt es, daß Jeder ſeine Er-
wartungen bedeutend zurückgeführt ſehen muß.

Auch der einfache Anſtand in ſtiller Abendſtunde gewährt ſeine große Freude, namentlich noch
für junge, ungeübte Schützen, denen ſich nicht leicht eine bequemere Gelegenheit zum Schießen bietet.
„Getroſt kommt der Haſe aus dem Walde gehüpft. Er hat denſelben Weg ſchon ſo oft gemacht,
daß er ſich ſicher glaubt. Gewöhnlich wird er im Sitzen befördert, und man könnte bei gänzlicher

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[256/0274] Die Haſen. — Unſer Haſe. Jedenfalls muß ich meinem Leſer hier erſt erklären, was man unter dieſer Jagdweiſe ver- ſteht, zumal ſie nicht in allen Gegenden unſeres Vaterlandes geduldet wird. Freund Lampe, der Furchtſame, ſieht, wie ich ſchon erwähnt habe, in jedem ihm unbekannten Dinge einen fürchterlichen Gegenſtand: und hierauf gründet der tückiſche Menſch ſeine nichtswürdigen Pläne, den Armen zu fangen. Jn ſtiller Mitternachtsſtunde, wo ſich der Haſe aus dem Walde in die Felder gezogen hat zu fröhlicher Aeßung, ſchleicht der Schändliche hinaus, um ihm die Pforten nach ſeiner Tagesherberge zu verſchließen. Drei bis vier Männer tragen große Ballen, die bei genauerer Prüfung ſich als Rollen von ſtarkem Bindfaden ergeben, in welchen in gewiſſen Abſtänden zwei Federn oder min- deſtens weiße Lappen eingeflochten ſind. Das ſind die Lappen, um mit dem Jäger zu ſprechen. Man beginnt nun an einem beſtimmten Orte des Waldrandes mit der Aufrichtung dieſer Scheuſale. Jn kleinen Abſtänden werden ſchwache Pfälchen in die Erde geſteckt und daran die Schnur befeſtigt, ſo daß ſie ungefähr einen Fuß hoch über der Erde ſchwebt; und ſo wird der ganze Kreis, welcher die Fruchtfelder enthält, eingeſchloſſen. Damit iſt für den Haſen jeglicher Zugang zum Walde verſperrt. Die Jagdgenoſſenſchaft macht ſich nun früh auf den Weg, denn ſie muß ſchon ein gutes Stück vor Tagesanbruch zur Stelle ſein. Möglichſt lautlos wandelt der Zug dahin. Der Jagdeigenthümer ſtellt den Einen hier, den Andern dort an die beſten Anlaufsplätze, und immer geringer wird die Zahl der Jäger. Endlich iſt das Ganze umſtellt, jeder einzelne Jäger hat ſich ſeinen Anſtand ſo gut als möglich gewählt und wartet geſpannt der Dinge, die da kommen ſollen. Mit dem erſten Grauen des Tages rücken die Haſen von den Feldern dem Walde zu; unbeſorgt gehen ſie den allgewöhnten Pfad. Der Eine oder der Andere treibt ſeine ſehr gewöhnlichen Poſſen. Alles iſt todtenſtill ringsum, auch noch im Walde; höchſtens eine Krähe läßt ſich vernehmen. Jm Oſten röthet die aufgehende Sonne den unterſten Rand des Himmelsgewölbes. Näher und näher kommen die Haſen an die gefährliche Linie: — da ſchimmert ihnen die weiße Reihe entgegen! Lampe wird bedenklich, erſchrickt; die Löffel werden gehoben, und einer und der andere gedreht und bewegt. Nach allen Seiten hin lauſcht er; Alles bleibt ruhig. Noch ein paar Schritte geht er vorwärts, um ſich das Ding in größter Nähe zu beſchauen, aber je näher er kommt, um ſo bedenklicher wird er. Hier iſt die ſorgfältigſte Prüfung nöthig. Eins und das andere der furchtſamen Thiere prallt ent- ſetzt zurück, ſchlägt einen Haken und kehrt auf demſelben Wege, den es gekommen, feldeinwärts, um an einer anderen Stelle ſein Heil zu verſuchen. Drüben aber geht’s ihm genau ſo, wie auf der eben verlaſſenen Seite. Aber er iſt dort vielleicht nicht ſo vorſichtig geweſen, denn plötzlich zuckt ein Feuerſtrahl aus dem Walde heraus und donnernd unterbricht der erſte Schuß die Morgenſtille. Von allen Bergen pflanzt er ſich fort, und das Echo der Wälder trägt ihn weiter und weiter. Jetzt wird’s lebendig. Hier und dort blitzt es, in der ganzen Linie wird’s laut. Wie verzweifelt rennen die armen Haſen in dem gefeiten Kreiſe umher. Der Eine prallt hier, der Andere dort zurück; aber leider rücken ſie ſoviel als möglich auf dem allbekannten Wege dahin und kommen ſo den im Hinter- halte aufgeſtellten Schützen regelmäßig zum Schuß. So währt das Morden fort, bis der Morgen vollends anbricht. Denn mit dem Erleben des Tages ſind alle Haſen verſchwunden, auch die, welche vom Tode verſchont wurden. Sie haben ſich mitten in den Feldern gedrückt und harren dort auf ruhigere Zeiten, nicht ahnend, daß dem Verlappen in den Mittagsſtunden die Treibjagd folgt. Nunmehr wird es auch lebendig im Walde; jeder der Schützen geht heraus, um das von ihm erlegte Wild zu holen. Aber nur die wenigſten finden ſoviel Haſen, als ſie zu finden glaubten. Es hält ſchwer, das Thier in der Dämmerung gehörig auf das Korn zu nehmen, und in der Regel wird weit mehr gefehlt, als getroffen. Das weiß man aber nicht, und ſo kommt es, daß Jeder ſeine Er- wartungen bedeutend zurückgeführt ſehen muß. Auch der einfache Anſtand in ſtiller Abendſtunde gewährt ſeine große Freude, namentlich noch für junge, ungeübte Schützen, denen ſich nicht leicht eine bequemere Gelegenheit zum Schießen bietet. „Getroſt kommt der Haſe aus dem Walde gehüpft. Er hat denſelben Weg ſchon ſo oft gemacht, daß er ſich ſicher glaubt. Gewöhnlich wird er im Sitzen befördert, und man könnte bei gänzlicher

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/274>, abgerufen am 23.11.2024.