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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Stachelschweine. -- Das gemeine Stachelschwein.
bestehen aus abgestutzten, dünnwandigen, am Ende offenen Röhren und gleichen am Ende offenen
Federkielen, während ihre Wurzeln lange, dünne und biegsame Stiele sind. Alle Stacheln sitzen nur
lose im Fell. Sie können mittelst eines großen, starken Muskels, welcher sich unter der Haut des
Thieres ausbreitet und einer starken Zusammenziehung fähig ist, willkürlich aufgerichtet und zurück-
gelassen werden. Weil sie aber nur lose im Fell festsitzen, fallen sie bei häufigeren Bewegungen sehr
leicht aus, und haben so Grund zu der Fabel gegeben, daß das Thier seine Stacheln nach dem
Feinde schleudern könne. Die Unterseite des Leibes ist mit dunkelbraunen, röthlich gespitzten Haaren
bedeckt. Um die Kehle zieht sich ein weißes Band. Die Krallen sind schwarz hornfarbig, die Augen
schwarz. Dieses mag zur Kennzeichnung unseres Thieres genügen.

Die in Europa vorkommenden Stachelschweine sollen, wie man annimmt, aus Nordafrika, zu-
mal aus dem Atlaslande stammen, und erst durch die Römer nach Europa übergeführt worden sein.
Mit welchem Rechte Dies behauptet wird, vermag ich nicht zu sagen. Mir will es sonderbar erschei-
nen, daß die Römer gerade diese eigenthümlichen Geschöpfe eingebürgert haben sollten. Daß unser
Thier den Alten bekannt war, unterliegt gar keinem Zweifel, denn Claudian widmet ihm ein langes
Gedicht und Plinius gibt eine ganz ausführliche Beschreibung mit allen Fabeln von ihm. Gegen-
wärtig findet man das Stachelschwein längs der Küste des Mittelmeeres, zumal in Algier, Tripolis,
Tunis. Jn Unteregypten, wo es vorkommen soll, habe ich nie seine Spur gesehen. Jn Europa
lebt es häufig in der Campagna um Rom herum, in Sicilien, Calabrien und in Griechenland. Ob
die vielen Löcher der Stachelschweine, welche ich in den Urwäldern am weißen Fluß, sowie in Kordo-
fahn auffand, von dem gemeinen oder einem andern Stachelschweine bewohnt werden, weiß ich nicht.
Es glückte uns leider nicht, einen der Höhlenbewohner zu fangen, und ein Nachtanstand war in
jenen Waldungen, wo Löwen und Leoparden herumstreifen, von uns nicht auszuführen. Jn Afrika
ist das Stachelschwein wahrscheinlich häufiger, als in Europa.

Das Thier führt ein trauriges, einsames Leben. Bei Tage ruht es in tief eingegrabenen, ganz
niedrigen Gängen, die es sich selbst in die Erde gräbt. Nachts kommt es heraus und streift nach
seiner Nahrung umher. Diese besteht aus Pflanzen aller Art, und zwar hauptsächlich aus Disteln
und anderen Kräutern, aus Wurzeln und Früchten, aus der Rinde verschiedener Bäume und aus
manchen Blumenblättern. Das Stachelschwein beißt die Pflanzen ab, faßt sie mit den Vorderzähnen
und hält sie mit den Vorderpfoten fest, solange es frißt.

Alle Bewegungen sind langsam und unbeholfen, der Gang ist träge, bedächtig, der Lauf nur
wenig rasch. Blos im Graben besitzt das Stachelschwein einige Fertigkeit, aber keineswegs genug, um
einem gewandten und behenden Feinde zu entfliehen. Gegen den Herbst hin und im Winter soll es
mehr als gewöhnlich im Baue verweilen und manchmal tagelang dort schlafend zubringen. Einen
wirklichen Winterschlaf hält es nicht.

Ueberrascht man ein Stachelschwein außerhalb seines Baues, so richtet es Kopf und Nacken
drohend auf, sträubt plötzlich alle Stacheln seines Körpers und klappert in eigenthümlicher Weise mit
ihnen. Das hauptsächlichste Geräusch aber bringt es mit dem hohlen Stachel des Schwanzes hervor.
Diese weiß es so an einander zu reiben, daß ein ganz merkwürdiges Gerassel entsteht, durchaus ge-
eignet, einen unkundigen oder etwas furchtsamen Menschen in Angst zu jagen. Bei großer Aufre-
gung stampft es mit den Hintersüßen auf den Boden, und wenn man es erfaßt, läßt es wohl
auch ein dumpfes, schweinartiges Grunzen vernehmen. Dies sind die einzigen Laute, die es von sich
geben kann. Bei diesen Bewegungen fallen nun einzelne Stacheln oft aus, und daher rührt die
Sage. Trotz des furchtbaren Klapperns und Rasselns ist das Thier ein vollkommen ungefährliches,
friedliches, harmloses Geschöpf, welches leicht erschreckt, Jedem aus dem Wege geht und niemals
daran denkt, von seinen scharfen Zähnen Gebrauch zu machen. Auch die Stacheln sind keineswegs
Angriffswaffen, sondern nur das einzige Vertheidigungsmittel, welches der arme Gesell besitzt. Wer
unvorsichtig sich ihm naht, kann damit allerdings verwundet werden, dem vorsichtigen und gewandten
Jäger thun nicht einmal die Stacheln Etwas; er kann das Thier ruhig an der Nackenmähne ergreifen

Die Stachelſchweine. — Das gemeine Stachelſchwein.
beſtehen aus abgeſtutzten, dünnwandigen, am Ende offenen Röhren und gleichen am Ende offenen
Federkielen, während ihre Wurzeln lange, dünne und biegſame Stiele ſind. Alle Stacheln ſitzen nur
loſe im Fell. Sie können mittelſt eines großen, ſtarken Muskels, welcher ſich unter der Haut des
Thieres ausbreitet und einer ſtarken Zuſammenziehung fähig iſt, willkürlich aufgerichtet und zurück-
gelaſſen werden. Weil ſie aber nur loſe im Fell feſtſitzen, fallen ſie bei häufigeren Bewegungen ſehr
leicht aus, und haben ſo Grund zu der Fabel gegeben, daß das Thier ſeine Stacheln nach dem
Feinde ſchleudern könne. Die Unterſeite des Leibes iſt mit dunkelbraunen, röthlich geſpitzten Haaren
bedeckt. Um die Kehle zieht ſich ein weißes Band. Die Krallen ſind ſchwarz hornfarbig, die Augen
ſchwarz. Dieſes mag zur Kennzeichnung unſeres Thieres genügen.

Die in Europa vorkommenden Stachelſchweine ſollen, wie man annimmt, aus Nordafrika, zu-
mal aus dem Atlaslande ſtammen, und erſt durch die Römer nach Europa übergeführt worden ſein.
Mit welchem Rechte Dies behauptet wird, vermag ich nicht zu ſagen. Mir will es ſonderbar erſchei-
nen, daß die Römer gerade dieſe eigenthümlichen Geſchöpfe eingebürgert haben ſollten. Daß unſer
Thier den Alten bekannt war, unterliegt gar keinem Zweifel, denn Claudian widmet ihm ein langes
Gedicht und Plinius gibt eine ganz ausführliche Beſchreibung mit allen Fabeln von ihm. Gegen-
wärtig findet man das Stachelſchwein längs der Küſte des Mittelmeeres, zumal in Algier, Tripolis,
Tunis. Jn Unteregypten, wo es vorkommen ſoll, habe ich nie ſeine Spur geſehen. Jn Europa
lebt es häufig in der Campagna um Rom herum, in Sicilien, Calabrien und in Griechenland. Ob
die vielen Löcher der Stachelſchweine, welche ich in den Urwäldern am weißen Fluß, ſowie in Kordo-
fahn auffand, von dem gemeinen oder einem andern Stachelſchweine bewohnt werden, weiß ich nicht.
Es glückte uns leider nicht, einen der Höhlenbewohner zu fangen, und ein Nachtanſtand war in
jenen Waldungen, wo Löwen und Leoparden herumſtreifen, von uns nicht auszuführen. Jn Afrika
iſt das Stachelſchwein wahrſcheinlich häufiger, als in Europa.

Das Thier führt ein trauriges, einſames Leben. Bei Tage ruht es in tief eingegrabenen, ganz
niedrigen Gängen, die es ſich ſelbſt in die Erde gräbt. Nachts kommt es heraus und ſtreift nach
ſeiner Nahrung umher. Dieſe beſteht aus Pflanzen aller Art, und zwar hauptſächlich aus Diſteln
und anderen Kräutern, aus Wurzeln und Früchten, aus der Rinde verſchiedener Bäume und aus
manchen Blumenblättern. Das Stachelſchwein beißt die Pflanzen ab, faßt ſie mit den Vorderzähnen
und hält ſie mit den Vorderpfoten feſt, ſolange es frißt.

Alle Bewegungen ſind langſam und unbeholfen, der Gang iſt träge, bedächtig, der Lauf nur
wenig raſch. Blos im Graben beſitzt das Stachelſchwein einige Fertigkeit, aber keineswegs genug, um
einem gewandten und behenden Feinde zu entfliehen. Gegen den Herbſt hin und im Winter ſoll es
mehr als gewöhnlich im Baue verweilen und manchmal tagelang dort ſchlafend zubringen. Einen
wirklichen Winterſchlaf hält es nicht.

Ueberraſcht man ein Stachelſchwein außerhalb ſeines Baues, ſo richtet es Kopf und Nacken
drohend auf, ſträubt plötzlich alle Stacheln ſeines Körpers und klappert in eigenthümlicher Weiſe mit
ihnen. Das hauptſächlichſte Geräuſch aber bringt es mit dem hohlen Stachel des Schwanzes hervor.
Dieſe weiß es ſo an einander zu reiben, daß ein ganz merkwürdiges Geraſſel entſteht, durchaus ge-
eignet, einen unkundigen oder etwas furchtſamen Menſchen in Angſt zu jagen. Bei großer Aufre-
gung ſtampft es mit den Hinterſüßen auf den Boden, und wenn man es erfaßt, läßt es wohl
auch ein dumpfes, ſchweinartiges Grunzen vernehmen. Dies ſind die einzigen Laute, die es von ſich
geben kann. Bei dieſen Bewegungen fallen nun einzelne Stacheln oft aus, und daher rührt die
Sage. Trotz des furchtbaren Klapperns und Raſſelns iſt das Thier ein vollkommen ungefährliches,
friedliches, harmloſes Geſchöpf, welches leicht erſchreckt, Jedem aus dem Wege geht und niemals
daran denkt, von ſeinen ſcharfen Zähnen Gebrauch zu machen. Auch die Stacheln ſind keineswegs
Angriffswaffen, ſondern nur das einzige Vertheidigungsmittel, welches der arme Geſell beſitzt. Wer
unvorſichtig ſich ihm naht, kann damit allerdings verwundet werden, dem vorſichtigen und gewandten
Jäger thun nicht einmal die Stacheln Etwas; er kann das Thier ruhig an der Nackenmähne ergreifen

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[228/0246] Die Stachelſchweine. — Das gemeine Stachelſchwein. beſtehen aus abgeſtutzten, dünnwandigen, am Ende offenen Röhren und gleichen am Ende offenen Federkielen, während ihre Wurzeln lange, dünne und biegſame Stiele ſind. Alle Stacheln ſitzen nur loſe im Fell. Sie können mittelſt eines großen, ſtarken Muskels, welcher ſich unter der Haut des Thieres ausbreitet und einer ſtarken Zuſammenziehung fähig iſt, willkürlich aufgerichtet und zurück- gelaſſen werden. Weil ſie aber nur loſe im Fell feſtſitzen, fallen ſie bei häufigeren Bewegungen ſehr leicht aus, und haben ſo Grund zu der Fabel gegeben, daß das Thier ſeine Stacheln nach dem Feinde ſchleudern könne. Die Unterſeite des Leibes iſt mit dunkelbraunen, röthlich geſpitzten Haaren bedeckt. Um die Kehle zieht ſich ein weißes Band. Die Krallen ſind ſchwarz hornfarbig, die Augen ſchwarz. Dieſes mag zur Kennzeichnung unſeres Thieres genügen. Die in Europa vorkommenden Stachelſchweine ſollen, wie man annimmt, aus Nordafrika, zu- mal aus dem Atlaslande ſtammen, und erſt durch die Römer nach Europa übergeführt worden ſein. Mit welchem Rechte Dies behauptet wird, vermag ich nicht zu ſagen. Mir will es ſonderbar erſchei- nen, daß die Römer gerade dieſe eigenthümlichen Geſchöpfe eingebürgert haben ſollten. Daß unſer Thier den Alten bekannt war, unterliegt gar keinem Zweifel, denn Claudian widmet ihm ein langes Gedicht und Plinius gibt eine ganz ausführliche Beſchreibung mit allen Fabeln von ihm. Gegen- wärtig findet man das Stachelſchwein längs der Küſte des Mittelmeeres, zumal in Algier, Tripolis, Tunis. Jn Unteregypten, wo es vorkommen ſoll, habe ich nie ſeine Spur geſehen. Jn Europa lebt es häufig in der Campagna um Rom herum, in Sicilien, Calabrien und in Griechenland. Ob die vielen Löcher der Stachelſchweine, welche ich in den Urwäldern am weißen Fluß, ſowie in Kordo- fahn auffand, von dem gemeinen oder einem andern Stachelſchweine bewohnt werden, weiß ich nicht. Es glückte uns leider nicht, einen der Höhlenbewohner zu fangen, und ein Nachtanſtand war in jenen Waldungen, wo Löwen und Leoparden herumſtreifen, von uns nicht auszuführen. Jn Afrika iſt das Stachelſchwein wahrſcheinlich häufiger, als in Europa. Das Thier führt ein trauriges, einſames Leben. Bei Tage ruht es in tief eingegrabenen, ganz niedrigen Gängen, die es ſich ſelbſt in die Erde gräbt. Nachts kommt es heraus und ſtreift nach ſeiner Nahrung umher. Dieſe beſteht aus Pflanzen aller Art, und zwar hauptſächlich aus Diſteln und anderen Kräutern, aus Wurzeln und Früchten, aus der Rinde verſchiedener Bäume und aus manchen Blumenblättern. Das Stachelſchwein beißt die Pflanzen ab, faßt ſie mit den Vorderzähnen und hält ſie mit den Vorderpfoten feſt, ſolange es frißt. Alle Bewegungen ſind langſam und unbeholfen, der Gang iſt träge, bedächtig, der Lauf nur wenig raſch. Blos im Graben beſitzt das Stachelſchwein einige Fertigkeit, aber keineswegs genug, um einem gewandten und behenden Feinde zu entfliehen. Gegen den Herbſt hin und im Winter ſoll es mehr als gewöhnlich im Baue verweilen und manchmal tagelang dort ſchlafend zubringen. Einen wirklichen Winterſchlaf hält es nicht. Ueberraſcht man ein Stachelſchwein außerhalb ſeines Baues, ſo richtet es Kopf und Nacken drohend auf, ſträubt plötzlich alle Stacheln ſeines Körpers und klappert in eigenthümlicher Weiſe mit ihnen. Das hauptſächlichſte Geräuſch aber bringt es mit dem hohlen Stachel des Schwanzes hervor. Dieſe weiß es ſo an einander zu reiben, daß ein ganz merkwürdiges Geraſſel entſteht, durchaus ge- eignet, einen unkundigen oder etwas furchtſamen Menſchen in Angſt zu jagen. Bei großer Aufre- gung ſtampft es mit den Hinterſüßen auf den Boden, und wenn man es erfaßt, läßt es wohl auch ein dumpfes, ſchweinartiges Grunzen vernehmen. Dies ſind die einzigen Laute, die es von ſich geben kann. Bei dieſen Bewegungen fallen nun einzelne Stacheln oft aus, und daher rührt die Sage. Trotz des furchtbaren Klapperns und Raſſelns iſt das Thier ein vollkommen ungefährliches, friedliches, harmloſes Geſchöpf, welches leicht erſchreckt, Jedem aus dem Wege geht und niemals daran denkt, von ſeinen ſcharfen Zähnen Gebrauch zu machen. Auch die Stacheln ſind keineswegs Angriffswaffen, ſondern nur das einzige Vertheidigungsmittel, welches der arme Geſell beſitzt. Wer unvorſichtig ſich ihm naht, kann damit allerdings verwundet werden, dem vorſichtigen und gewandten Jäger thun nicht einmal die Stacheln Etwas; er kann das Thier ruhig an der Nackenmähne ergreifen

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/246>, abgerufen am 27.11.2024.