in der Absicht, irgend eine seiner Leckereien zu empfangen. Vergeblich bemühten wir uns, ihn zu erzürnen: er gebrauchte seine Stacheln niemals gegen uns. Anders war es, wenn ein Hund sich näherte. Dann hatte er sich im Augenblick in Vertheidigungszustand gesetzt. Die Nase niederwärts gebogen, alle Stacheln aufgerichtet und den Schwanz hin und her bewegend, zeigte er sich vollkommen fertig zum Kampfe."
"Ein großer, wüthender, im höchsten Grade streitlustiger Bullenbeißer aus der Nachbarschaft hatte die Gewohnheit, sich unter der Umzäunung unseres Gartens durchzugraben und hier von Zeit zu Zeit seine unerwünschten Besuche zu machen. Eines Morgens sahen wir ihn in die Ecke des Gar- tens laufen, einem Gegenstande zu, welcher sich als unser Urson erwies. Dieser hatte während der Nacht einen Ausflug aus seinem Käfig gemacht und lief noch gemüthlich umher, als der Hund sich zeigte. Die gewöhnliche Drohung des Stachelschweines schien letzteren nicht abzuhalten; vielleicht glaubte er auch, es mit einem Thiere zu thun zu haben, welches nicht stärker als eine Katze sein könne: kurz, er sprang mit offenem Maule plötzlich auf den Gewappneten los. Der Urson schien in demselben Augenblicke auf das Doppelte seiner Größe anzuschwellen, beobachtete den ankommen- den Feind scharf und theilte ihm rechtzeitig mit seinem Schwanze einen so wohlgezielten Schlag zu, daß der Bullenbeißer augenblicklich seinen Muth verlor und schmerzgepeinigt laut aufschrie. Sein Mund, die Zunge und Nase waren bedeckt mit den Stacheln seines Gegners; unfähig die Kinnladen zu schließen, floh er mit offenem Maule unaufhaltsam über die Grundstücke. Wie es schien, hatte er eine Lehre für seine Lebenszeit erhalten; denn Nichts konnte ihn später zu dem Platze zurückbringen, auf welchem ihm ein so ungastlicher Empfang bereitet worden war. Obgleich die Leute ihm sofort die Stacheln aus dem Munde zogen, blieb doch der Kopf mehrere Wochen lang geschwollen, und Monate vergingen, bevor der Mund geheilt war."
Prinz Mar von Wied fing einen Urson am oberen Missouri. "Als wir ihm zunahe kamen," sagt er, "sträubte das Thier die langen Haare vorwärts, bog seinen Kopf unterwärts, um ihn zu verstecken, und drehte dabei sich immer im Kreise. Wollte man es angreifen, so kugelte es sich mit dem Vorderkopfe zusammen und war alsdann wegen seiner äußerst scharfen, ganz locker in der Haut befestigten Stacheln nicht zu berühren. Kam man ihm sehr nahe, so rüttelte es mit dem Schwanze hin und her und rollte sich zusammen. Die Haut ist sehr weich, dünn und zerbrechlich, und die Stacheln sind in ihr so lose eingepflanzt, daß man sie bei der geringsten Berührung in den Händen schmerzhaft befestigt findet."
Ueber das Freileben des Urson erzählt Cartwright: "Das Stachelschwein ist ein fertiger Klet- terer und kommt im Winter wahrscheinlich nicht zum Boden herab, bevor es den Wipfel eines Baumes entrindet hat. Gewöhnlich bewegt der Urson sich im Walde in einer geraden Linie, und selten geht er an einem Baume vorüber, es sei denn, daß derselbe zu alt sei. Die jüngsten Bäume liebt er am meisten: ein einziger Urson richtet während des Winters wohl ihrer Hunderte zu Grunde. Der mit den Sitten dieser Thiere Vertraute wird selten vergeblich nach ihm suchen, die abgeschälte Rinde weist ihm sicher den Weg." Audubon versichert, daß er durch Wälder gekommen sei, in welchen alle Bäume vom Urson entrindet worden waren, so daß der Bestand aussah, als ob das Feuer in ihm gewüthet habe. Namentlich die Ulmen, Pappeln und Tannen waren arg mitgenommen worden. Mit seinen braunen, glänzenden Zähnen schält er die Rinde so glatt von den Zweigen ab, als hätte er die Arbeit mit einem Messer besorgt. Man sagt, daß er regelmäßig auf dem Wipfel der Bäume beginne und niederwärts herabsteige, um die Zweige und zuletzt auch den Stamm abzuschälen.
Es scheint, daß der Urson an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit festhält. Man darf mit ziemlicher Sicherheit rechnen, ihn monatelang alltäglich in derselben Baumhöhlung zu finden, welche er sich einmal zum Schlafplatze erwählt hat. Einen Winterschlaf hält er nicht; doch ist es wahrscheinlich, daß er sich während der kältesten Wintertage in gedachte Schlupfwinkel zurückzieht.
Jn solchen Baumlöchern oder in Felsenhöhlen findet man auch das Nest und in ihm im April oder Mai die Jungen, gewöhnlich zwei an der Zahl, seltener drei oder vier. Wie uns Prinz
Die Stachelſchweine. — Der Urſen.
in der Abſicht, irgend eine ſeiner Leckereien zu empfangen. Vergeblich bemühten wir uns, ihn zu erzürnen: er gebrauchte ſeine Stacheln niemals gegen uns. Anders war es, wenn ein Hund ſich näherte. Dann hatte er ſich im Augenblick in Vertheidigungszuſtand geſetzt. Die Naſe niederwärts gebogen, alle Stacheln aufgerichtet und den Schwanz hin und her bewegend, zeigte er ſich vollkommen fertig zum Kampfe.‟
„Ein großer, wüthender, im höchſten Grade ſtreitluſtiger Bullenbeißer aus der Nachbarſchaft hatte die Gewohnheit, ſich unter der Umzäunung unſeres Gartens durchzugraben und hier von Zeit zu Zeit ſeine unerwünſchten Beſuche zu machen. Eines Morgens ſahen wir ihn in die Ecke des Gar- tens laufen, einem Gegenſtande zu, welcher ſich als unſer Urſon erwies. Dieſer hatte während der Nacht einen Ausflug aus ſeinem Käfig gemacht und lief noch gemüthlich umher, als der Hund ſich zeigte. Die gewöhnliche Drohung des Stachelſchweines ſchien letzteren nicht abzuhalten; vielleicht glaubte er auch, es mit einem Thiere zu thun zu haben, welches nicht ſtärker als eine Katze ſein könne: kurz, er ſprang mit offenem Maule plötzlich auf den Gewappneten los. Der Urſon ſchien in demſelben Augenblicke auf das Doppelte ſeiner Größe anzuſchwellen, beobachtete den ankommen- den Feind ſcharf und theilte ihm rechtzeitig mit ſeinem Schwanze einen ſo wohlgezielten Schlag zu, daß der Bullenbeißer augenblicklich ſeinen Muth verlor und ſchmerzgepeinigt laut aufſchrie. Sein Mund, die Zunge und Naſe waren bedeckt mit den Stacheln ſeines Gegners; unfähig die Kinnladen zu ſchließen, floh er mit offenem Maule unaufhaltſam über die Grundſtücke. Wie es ſchien, hatte er eine Lehre für ſeine Lebenszeit erhalten; denn Nichts konnte ihn ſpäter zu dem Platze zurückbringen, auf welchem ihm ein ſo ungaſtlicher Empfang bereitet worden war. Obgleich die Leute ihm ſofort die Stacheln aus dem Munde zogen, blieb doch der Kopf mehrere Wochen lang geſchwollen, und Monate vergingen, bevor der Mund geheilt war.‟
Prinz Mar von Wied fing einen Urſon am oberen Miſſouri. „Als wir ihm zunahe kamen,‟ ſagt er, „ſträubte das Thier die langen Haare vorwärts, bog ſeinen Kopf unterwärts, um ihn zu verſtecken, und drehte dabei ſich immer im Kreiſe. Wollte man es angreifen, ſo kugelte es ſich mit dem Vorderkopfe zuſammen und war alsdann wegen ſeiner äußerſt ſcharfen, ganz locker in der Haut befeſtigten Stacheln nicht zu berühren. Kam man ihm ſehr nahe, ſo rüttelte es mit dem Schwanze hin und her und rollte ſich zuſammen. Die Haut iſt ſehr weich, dünn und zerbrechlich, und die Stacheln ſind in ihr ſo loſe eingepflanzt, daß man ſie bei der geringſten Berührung in den Händen ſchmerzhaft befeſtigt findet.‟
Ueber das Freileben des Urſon erzählt Cartwright: „Das Stachelſchwein iſt ein fertiger Klet- terer und kommt im Winter wahrſcheinlich nicht zum Boden herab, bevor es den Wipfel eines Baumes entrindet hat. Gewöhnlich bewegt der Urſon ſich im Walde in einer geraden Linie, und ſelten geht er an einem Baume vorüber, es ſei denn, daß derſelbe zu alt ſei. Die jüngſten Bäume liebt er am meiſten: ein einziger Urſon richtet während des Winters wohl ihrer Hunderte zu Grunde. Der mit den Sitten dieſer Thiere Vertraute wird ſelten vergeblich nach ihm ſuchen, die abgeſchälte Rinde weiſt ihm ſicher den Weg.‟ Audubon verſichert, daß er durch Wälder gekommen ſei, in welchen alle Bäume vom Urſon entrindet worden waren, ſo daß der Beſtand ausſah, als ob das Feuer in ihm gewüthet habe. Namentlich die Ulmen, Pappeln und Tannen waren arg mitgenommen worden. Mit ſeinen braunen, glänzenden Zähnen ſchält er die Rinde ſo glatt von den Zweigen ab, als hätte er die Arbeit mit einem Meſſer beſorgt. Man ſagt, daß er regelmäßig auf dem Wipfel der Bäume beginne und niederwärts herabſteige, um die Zweige und zuletzt auch den Stamm abzuſchälen.
Es ſcheint, daß der Urſon an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit feſthält. Man darf mit ziemlicher Sicherheit rechnen, ihn monatelang alltäglich in derſelben Baumhöhlung zu finden, welche er ſich einmal zum Schlafplatze erwählt hat. Einen Winterſchlaf hält er nicht; doch iſt es wahrſcheinlich, daß er ſich während der kälteſten Wintertage in gedachte Schlupfwinkel zurückzieht.
Jn ſolchen Baumlöchern oder in Felſenhöhlen findet man auch das Neſt und in ihm im April oder Mai die Jungen, gewöhnlich zwei an der Zahl, ſeltener drei oder vier. Wie uns Prinz
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erzürnen: er gebrauchte ſeine Stacheln niemals gegen uns. Anders war es, wenn ein Hund ſich
näherte. Dann hatte er ſich im Augenblick in Vertheidigungszuſtand geſetzt. Die Naſe niederwärts
gebogen, alle Stacheln aufgerichtet und den Schwanz hin und her bewegend, zeigte er ſich vollkommen
fertig zum Kampfe.‟
„Ein großer, wüthender, im höchſten Grade ſtreitluſtiger Bullenbeißer aus der Nachbarſchaft
hatte die Gewohnheit, ſich unter der Umzäunung unſeres Gartens durchzugraben und hier von Zeit
zu Zeit ſeine unerwünſchten Beſuche zu machen. Eines Morgens ſahen wir ihn in die Ecke des Gar-
tens laufen, einem Gegenſtande zu, welcher ſich als unſer Urſon erwies. Dieſer hatte während der
Nacht einen Ausflug aus ſeinem Käfig gemacht und lief noch gemüthlich umher, als der Hund ſich
zeigte. Die gewöhnliche Drohung des Stachelſchweines ſchien letzteren nicht abzuhalten; vielleicht
glaubte er auch, es mit einem Thiere zu thun zu haben, welches nicht ſtärker als eine Katze ſein
könne: kurz, er ſprang mit offenem Maule plötzlich auf den Gewappneten los. Der Urſon ſchien
in demſelben Augenblicke auf das Doppelte ſeiner Größe anzuſchwellen, beobachtete den ankommen-
den Feind ſcharf und theilte ihm rechtzeitig mit ſeinem Schwanze einen ſo wohlgezielten Schlag zu,
daß der Bullenbeißer augenblicklich ſeinen Muth verlor und ſchmerzgepeinigt laut aufſchrie. Sein
Mund, die Zunge und Naſe waren bedeckt mit den Stacheln ſeines Gegners; unfähig die Kinnladen
zu ſchließen, floh er mit offenem Maule unaufhaltſam über die Grundſtücke. Wie es ſchien, hatte er
eine Lehre für ſeine Lebenszeit erhalten; denn Nichts konnte ihn ſpäter zu dem Platze zurückbringen,
auf welchem ihm ein ſo ungaſtlicher Empfang bereitet worden war. Obgleich die Leute ihm ſofort die
Stacheln aus dem Munde zogen, blieb doch der Kopf mehrere Wochen lang geſchwollen, und Monate
vergingen, bevor der Mund geheilt war.‟
Prinz Mar von Wied fing einen Urſon am oberen Miſſouri. „Als wir ihm zunahe kamen,‟
ſagt er, „ſträubte das Thier die langen Haare vorwärts, bog ſeinen Kopf unterwärts, um ihn zu
verſtecken, und drehte dabei ſich immer im Kreiſe. Wollte man es angreifen, ſo kugelte es ſich mit
dem Vorderkopfe zuſammen und war alsdann wegen ſeiner äußerſt ſcharfen, ganz locker in der Haut
befeſtigten Stacheln nicht zu berühren. Kam man ihm ſehr nahe, ſo rüttelte es mit dem Schwanze
hin und her und rollte ſich zuſammen. Die Haut iſt ſehr weich, dünn und zerbrechlich, und die
Stacheln ſind in ihr ſo loſe eingepflanzt, daß man ſie bei der geringſten Berührung in den Händen
ſchmerzhaft befeſtigt findet.‟
Ueber das Freileben des Urſon erzählt Cartwright: „Das Stachelſchwein iſt ein fertiger Klet-
terer und kommt im Winter wahrſcheinlich nicht zum Boden herab, bevor es den Wipfel eines Baumes
entrindet hat. Gewöhnlich bewegt der Urſon ſich im Walde in einer geraden Linie, und ſelten geht
er an einem Baume vorüber, es ſei denn, daß derſelbe zu alt ſei. Die jüngſten Bäume liebt er am
meiſten: ein einziger Urſon richtet während des Winters wohl ihrer Hunderte zu Grunde. Der mit
den Sitten dieſer Thiere Vertraute wird ſelten vergeblich nach ihm ſuchen, die abgeſchälte Rinde weiſt
ihm ſicher den Weg.‟ Audubon verſichert, daß er durch Wälder gekommen ſei, in welchen alle Bäume
vom Urſon entrindet worden waren, ſo daß der Beſtand ausſah, als ob das Feuer in ihm gewüthet
habe. Namentlich die Ulmen, Pappeln und Tannen waren arg mitgenommen worden. Mit ſeinen
braunen, glänzenden Zähnen ſchält er die Rinde ſo glatt von den Zweigen ab, als hätte er die Arbeit
mit einem Meſſer beſorgt. Man ſagt, daß er regelmäßig auf dem Wipfel der Bäume beginne und
niederwärts herabſteige, um die Zweige und zuletzt auch den Stamm abzuſchälen.
Es ſcheint, daß der Urſon an dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit feſthält. Man
darf mit ziemlicher Sicherheit rechnen, ihn monatelang alltäglich in derſelben Baumhöhlung zu finden,
welche er ſich einmal zum Schlafplatze erwählt hat. Einen Winterſchlaf hält er nicht; doch iſt es
wahrſcheinlich, daß er ſich während der kälteſten Wintertage in gedachte Schlupfwinkel zurückzieht.
Jn ſolchen Baumlöchern oder in Felſenhöhlen findet man auch das Neſt und in ihm im April
oder Mai die Jungen, gewöhnlich zwei an der Zahl, ſeltener drei oder vier. Wie uns Prinz
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/240>, abgerufen am 27.11.2024.
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