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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der Pferdespringer.
vor. Sein Kopf ist wahrhaft schön, wenn auch eigenthümlich; er ist rund und trägt lebhafte, hervor-
ragende Augen mit kreisrunden Sternen, große lange und schmale Ohren von mehr als Kopfeslänge
und sehr lange, schwarzgraugespitzte Schnurren, welche sich zu beiden Seiten der Oberlippe in acht
Längsreihen ordnen. Die Hinterbeine sind fast vier Mal so lang als die Vorderbeine. Die Mittel-
zehe ist am längsten; denn die beiden seitlichen reichen nur bis zum ersten Glied derselben, und die
noch übrigen kommen beim wirklichen Fuße kaum in Betracht, weil sie so hochgestellt und so kurz sind,
daß sie beim Gehen nie den Boden berühren: sie können mit Fug und Recht Afterzehen genannt
werden. An den Hinterfüßen sind die Krallen kurz, stumpf und fast hufartig gestaltet, an den Vor-
derfüßen lang, gekrümmt und spitzig. Jm allgemeinen ähneln die Sandspringer den eigentlichen
Springmäusen in jeder Hinsicht.

Man kennt gegenwärtig etwa ein halbes Dutzend sicher unterschiedene Arten dieser Sippe, von
denen jedoch einige nach den Untersuchungen Brandt's in mehrere Unter- oder Spielarten zerfallen.
Jmmerhin bleibt es merkwürdig, daß diese sogenannten Spielarten ständig sind, und deshalb dürfte

[Abbildung] Der Pferdespringer (Scirtetes Jaculus).
die Vermuthung, daß man es hier mit mehreren wirklichen Arten zu thun habe, nicht so ganz
ungerechtfertigt sein.

Die Sandspringer bewohnen fast denselben Heimatkreis wie die Wüstenmäuse; die kirgisische
Steppe beherbergt aber die meisten Arten. Der Pferdespringer findet sich auch im südöstlichen Europa,
namentlich zwischen der Donau und dem Don, sowie in der Krim; doch bleibt für ihn Asien
ebenfalls die wahre Heimat. Hier ist er namentlich zwischen dem Jaik und Jrtisch, sowie an der Wolga,
häufig. Nach Norden hin geht er nicht über den zweiundfunfzigsten Grad der nördlichen Breite
hinaus; dagegen erstreckt sich sein Verbreitungskreis weit nach Osten hin, und es ist gar nicht unwahr-
scheinlich, daß er auch in China vorkommt. Jn Asien ist er überall sehr bekannt. Bei den Russen
heißt er "Semljanoi-Saez" oder "Erdhase," am Jaik "Tuschkantschick" oder "Häschen;" die
Mongolen geben ihm den Namen, welchen Cuvier zum Sippennamen machte, "Alakdaga," zu
deutsch etwa "buntes Füllen;" die Kalmücken nennen ihn "Morin-Jalma" oder Pferdespringer
und die Tartaren endlich "Tya-Jelman" oder Kamelhase.

Der Pferdeſpringer.
vor. Sein Kopf iſt wahrhaft ſchön, wenn auch eigenthümlich; er iſt rund und trägt lebhafte, hervor-
ragende Augen mit kreisrunden Sternen, große lange und ſchmale Ohren von mehr als Kopfeslänge
und ſehr lange, ſchwarzgraugeſpitzte Schnurren, welche ſich zu beiden Seiten der Oberlippe in acht
Längsreihen ordnen. Die Hinterbeine ſind faſt vier Mal ſo lang als die Vorderbeine. Die Mittel-
zehe iſt am längſten; denn die beiden ſeitlichen reichen nur bis zum erſten Glied derſelben, und die
noch übrigen kommen beim wirklichen Fuße kaum in Betracht, weil ſie ſo hochgeſtellt und ſo kurz ſind,
daß ſie beim Gehen nie den Boden berühren: ſie können mit Fug und Recht Afterzehen genannt
werden. An den Hinterfüßen ſind die Krallen kurz, ſtumpf und faſt hufartig geſtaltet, an den Vor-
derfüßen lang, gekrümmt und ſpitzig. Jm allgemeinen ähneln die Sandſpringer den eigentlichen
Springmäuſen in jeder Hinſicht.

Man kennt gegenwärtig etwa ein halbes Dutzend ſicher unterſchiedene Arten dieſer Sippe, von
denen jedoch einige nach den Unterſuchungen Brandt’s in mehrere Unter- oder Spielarten zerfallen.
Jmmerhin bleibt es merkwürdig, daß dieſe ſogenannten Spielarten ſtändig ſind, und deshalb dürfte

[Abbildung] Der Pferdeſpringer (Scirtetes Jaculus).
die Vermuthung, daß man es hier mit mehreren wirklichen Arten zu thun habe, nicht ſo ganz
ungerechtfertigt ſein.

Die Sandſpringer bewohnen faſt denſelben Heimatkreis wie die Wüſtenmäuſe; die kirgiſiſche
Steppe beherbergt aber die meiſten Arten. Der Pferdeſpringer findet ſich auch im ſüdöſtlichen Europa,
namentlich zwiſchen der Donau und dem Don, ſowie in der Krim; doch bleibt für ihn Aſien
ebenfalls die wahre Heimat. Hier iſt er namentlich zwiſchen dem Jaik und Jrtiſch, ſowie an der Wolga,
häufig. Nach Norden hin geht er nicht über den zweiundfunfzigſten Grad der nördlichen Breite
hinaus; dagegen erſtreckt ſich ſein Verbreitungskreis weit nach Oſten hin, und es iſt gar nicht unwahr-
ſcheinlich, daß er auch in China vorkommt. Jn Aſien iſt er überall ſehr bekannt. Bei den Ruſſen
heißt er „Semljanoi-Saez‟ oder „Erdhaſe,‟ am Jaik „Tuſchkantſchick‟ oder „Häschen;‟ die
Mongolen geben ihm den Namen, welchen Cuvier zum Sippennamen machte, „Alakdaga,‟ zu
deutſch etwa „buntes Füllen;‟ die Kalmücken nennen ihn „Morin-Jalma‟ oder Pferdeſpringer
und die Tartaren endlich „Tya-Jelman‟ oder Kamelhaſe.

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[189/0205] Der Pferdeſpringer. vor. Sein Kopf iſt wahrhaft ſchön, wenn auch eigenthümlich; er iſt rund und trägt lebhafte, hervor- ragende Augen mit kreisrunden Sternen, große lange und ſchmale Ohren von mehr als Kopfeslänge und ſehr lange, ſchwarzgraugeſpitzte Schnurren, welche ſich zu beiden Seiten der Oberlippe in acht Längsreihen ordnen. Die Hinterbeine ſind faſt vier Mal ſo lang als die Vorderbeine. Die Mittel- zehe iſt am längſten; denn die beiden ſeitlichen reichen nur bis zum erſten Glied derſelben, und die noch übrigen kommen beim wirklichen Fuße kaum in Betracht, weil ſie ſo hochgeſtellt und ſo kurz ſind, daß ſie beim Gehen nie den Boden berühren: ſie können mit Fug und Recht Afterzehen genannt werden. An den Hinterfüßen ſind die Krallen kurz, ſtumpf und faſt hufartig geſtaltet, an den Vor- derfüßen lang, gekrümmt und ſpitzig. Jm allgemeinen ähneln die Sandſpringer den eigentlichen Springmäuſen in jeder Hinſicht. Man kennt gegenwärtig etwa ein halbes Dutzend ſicher unterſchiedene Arten dieſer Sippe, von denen jedoch einige nach den Unterſuchungen Brandt’s in mehrere Unter- oder Spielarten zerfallen. Jmmerhin bleibt es merkwürdig, daß dieſe ſogenannten Spielarten ſtändig ſind, und deshalb dürfte [Abbildung Der Pferdeſpringer (Scirtetes Jaculus).] die Vermuthung, daß man es hier mit mehreren wirklichen Arten zu thun habe, nicht ſo ganz ungerechtfertigt ſein. Die Sandſpringer bewohnen faſt denſelben Heimatkreis wie die Wüſtenmäuſe; die kirgiſiſche Steppe beherbergt aber die meiſten Arten. Der Pferdeſpringer findet ſich auch im ſüdöſtlichen Europa, namentlich zwiſchen der Donau und dem Don, ſowie in der Krim; doch bleibt für ihn Aſien ebenfalls die wahre Heimat. Hier iſt er namentlich zwiſchen dem Jaik und Jrtiſch, ſowie an der Wolga, häufig. Nach Norden hin geht er nicht über den zweiundfunfzigſten Grad der nördlichen Breite hinaus; dagegen erſtreckt ſich ſein Verbreitungskreis weit nach Oſten hin, und es iſt gar nicht unwahr- ſcheinlich, daß er auch in China vorkommt. Jn Aſien iſt er überall ſehr bekannt. Bei den Ruſſen heißt er „Semljanoi-Saez‟ oder „Erdhaſe,‟ am Jaik „Tuſchkantſchick‟ oder „Häschen;‟ die Mongolen geben ihm den Namen, welchen Cuvier zum Sippennamen machte, „Alakdaga,‟ zu deutſch etwa „buntes Füllen;‟ die Kalmücken nennen ihn „Morin-Jalma‟ oder Pferdeſpringer und die Tartaren endlich „Tya-Jelman‟ oder Kamelhaſe.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/205>, abgerufen am 23.11.2024.