Oft vergehen viele Jahre, ehe sich einmal Lemminge in großen Haufen zeigen. So waren sie auf dem Dovrefjeld seit funfzehn Jahren nicht so häufig gewesen, als im Sommer des Jahres 1860, und dieses plötzliche Erscheinen gibt eben dem Aberglauben und der Fabelei so vielen Anlaß. Man kann sich nicht erklären, daß auf einer einsamen Jnsel mit einem Male Tausende von Thieren erscheinen und sich Jedermanns Blicken aufdrängen, welche früher nicht gesehen wurden, vergißt aber dabei die ein- zelnen wenigen, welche sicherlich jahraus, jahrein auf der Jnsel ihr Wesen treiben und unter günstigen Umständen sich, Dank ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit, in das Unglaubliche vermehren können.
Ein Glück ist es immerhin, daß die Lemminge so viele Feinde haben; denn sonst würden sie bei ihrer ungeheuren Häufigkeit das ganze Land überschwemmen und alles Genießbare auffressen. Jeden- falls ist das Klima selbst der beste Vertilger der Thiere. Ein nasser Sommer, ein kalter, frühzeitiger, schneeloser Herbst tödtet sie millionenweise, und dann bedarf es natürlich längerer Jahre, bis die Ver- mehrung jenes pestartige Hinsterben wieder einigermaßen ausgleicht. Außerdem aber verfolgt die Lemminge eine Unzahl von lebenden Feinden. Man darf wohl sagen, daß sich alle Raubthiere ganz Skandinaviens von ihnen mästen, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Bären und des Jgels. Wölfe und Füchse folgen ihnen meilenweit und fressen, wenn es Lemminge gibt, nichts Anderes. Der Vielfraß stellt, wie ich selbst beobachtete, unseren Thieren eifrig nach; die Marder, Jltisse und Hermeline fressen zur Lemmingszeit nur sie, die Hunde der Lappen sehen in einem Lemmingsjahre Festtage, wie sie ihnen, den ewig Hungrigen, nur selten wieder kommen. Die Eulen folgen den Zügen; die Schneeeule findet sich fast ausschließlich an Orten, wo es Lemminge gibt; die Bussarde, namentlich der Rauchfußbussard, sind ohne Unterlaß bemüht, die armen Schelme zu vertilgen; die Raben füttern mit ihnen ihre Jungen groß, und Krähen und Elstern suchen die bissigen Geschöpfe, so gut es gehen will, auch zu vernichten; selbst die Renthiere sollen, wie vielfach behauptet wird, zuweilen Lemminge fressen oder sie wenigstens, wahrscheinlich erzürnt durch die Kampflust der kleinen Kerle, mit den Vorderhufen todtschlagen.
Höchst spaßhaft sieht es aus, wenn eine Krähe sich an ein Lemmingsmännchen wagt, welches sich nicht so gutwillig seiner Feindin überliefern will. Jch hatte das Glück, einen solchen Zweikampf mit anzusehen. Eine Nebelkrähe, welche lange ernsthaft auf einem Felsblock gesessen, stieß plötzlich auf das Mos herab und versuchte dort Etwas aufzunehmen; doch war die Sache nicht so leicht, denn dieses Etwas, ein Lemming, wehrte sich nach besten Kräften, fauchte, knurrte, grunzte, quiekte, warf sich in Kampfstellung, machte Sätze gegen den Vogel und bedrohte diesen so ernsthaft, daß er mehr- mals zurücksprang, gleichsam als ob er sich fürchte. Aber der muthige Rabe gab seine Jagd nicht auf, sondern ging immer und immer wieder auf den Lemming los, bis dieser schließlich ermattet es versah, und nun einen wohlgezielten Schnabelhieb empfing, welcher ihm das junge Leben raubte.
Der Mensch wird nur, wenn er selbst in größter Noth sich befindet, zum Feinde der Lemminge. Jn allen glücklicheren Gegenden Skandinaviens läßt er die Thiere schalten und walten, wie sie wollen. Er weiß sie auch nicht zu benutzen. Das Fell ist nicht viel werth, und vor dem Fleisch hat der Nor- mann, wie leicht begreiflich, ungefähr denselben Abscheu, welchen wir vor dem Rattenfleische haben. Die armen Lappen aber, gegen deren Leben das mancher Hunde noch beneidenswerth erscheinen muß, werden oft von dem Hunger getrieben, die Lemminge zu verfolgen. Wenn ihnen alles Wildpret mangelt und die von ihnen so sicher gehandhabte Büchse Nichts mehr bringen will, müssen sie zum Hirtenstock greifen und Lemminge erschlagen und braten, um ihr Leben zu fristen. So dient auch diese Wühlmaus zuweilen dem Menschen.
Unter allen Nagern steht der Biber (Castor Fiber) wegen seiner Eigenthümlichkeiten einzig da. Er selbst ist nicht allein der Vertreter einer besonderen Sippe, sondern er bildet eine eigne Familie. Man hat oft versucht, die Ondatra oder den Sumpfbiber, welchen wir später kennen lernen werden,
Der Biber.
Oft vergehen viele Jahre, ehe ſich einmal Lemminge in großen Haufen zeigen. So waren ſie auf dem Dovrefjeld ſeit funfzehn Jahren nicht ſo häufig geweſen, als im Sommer des Jahres 1860, und dieſes plötzliche Erſcheinen gibt eben dem Aberglauben und der Fabelei ſo vielen Anlaß. Man kann ſich nicht erklären, daß auf einer einſamen Jnſel mit einem Male Tauſende von Thieren erſcheinen und ſich Jedermanns Blicken aufdrängen, welche früher nicht geſehen wurden, vergißt aber dabei die ein- zelnen wenigen, welche ſicherlich jahraus, jahrein auf der Jnſel ihr Weſen treiben und unter günſtigen Umſtänden ſich, Dank ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit, in das Unglaubliche vermehren können.
Ein Glück iſt es immerhin, daß die Lemminge ſo viele Feinde haben; denn ſonſt würden ſie bei ihrer ungeheuren Häufigkeit das ganze Land überſchwemmen und alles Genießbare auffreſſen. Jeden- falls iſt das Klima ſelbſt der beſte Vertilger der Thiere. Ein naſſer Sommer, ein kalter, frühzeitiger, ſchneeloſer Herbſt tödtet ſie millionenweiſe, und dann bedarf es natürlich längerer Jahre, bis die Ver- mehrung jenes peſtartige Hinſterben wieder einigermaßen ausgleicht. Außerdem aber verfolgt die Lemminge eine Unzahl von lebenden Feinden. Man darf wohl ſagen, daß ſich alle Raubthiere ganz Skandinaviens von ihnen mäſten, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Bären und des Jgels. Wölfe und Füchſe folgen ihnen meilenweit und freſſen, wenn es Lemminge gibt, nichts Anderes. Der Vielfraß ſtellt, wie ich ſelbſt beobachtete, unſeren Thieren eifrig nach; die Marder, Jltiſſe und Hermeline freſſen zur Lemmingszeit nur ſie, die Hunde der Lappen ſehen in einem Lemmingsjahre Feſttage, wie ſie ihnen, den ewig Hungrigen, nur ſelten wieder kommen. Die Eulen folgen den Zügen; die Schneeeule findet ſich faſt ausſchließlich an Orten, wo es Lemminge gibt; die Buſſarde, namentlich der Rauchfußbuſſard, ſind ohne Unterlaß bemüht, die armen Schelme zu vertilgen; die Raben füttern mit ihnen ihre Jungen groß, und Krähen und Elſtern ſuchen die biſſigen Geſchöpfe, ſo gut es gehen will, auch zu vernichten; ſelbſt die Renthiere ſollen, wie vielfach behauptet wird, zuweilen Lemminge freſſen oder ſie wenigſtens, wahrſcheinlich erzürnt durch die Kampfluſt der kleinen Kerle, mit den Vorderhufen todtſchlagen.
Höchſt ſpaßhaft ſieht es aus, wenn eine Krähe ſich an ein Lemmingsmännchen wagt, welches ſich nicht ſo gutwillig ſeiner Feindin überliefern will. Jch hatte das Glück, einen ſolchen Zweikampf mit anzuſehen. Eine Nebelkrähe, welche lange ernſthaft auf einem Felsblock geſeſſen, ſtieß plötzlich auf das Mos herab und verſuchte dort Etwas aufzunehmen; doch war die Sache nicht ſo leicht, denn dieſes Etwas, ein Lemming, wehrte ſich nach beſten Kräften, fauchte, knurrte, grunzte, quiekte, warf ſich in Kampfſtellung, machte Sätze gegen den Vogel und bedrohte dieſen ſo ernſthaft, daß er mehr- mals zurückſprang, gleichſam als ob er ſich fürchte. Aber der muthige Rabe gab ſeine Jagd nicht auf, ſondern ging immer und immer wieder auf den Lemming los, bis dieſer ſchließlich ermattet es verſah, und nun einen wohlgezielten Schnabelhieb empfing, welcher ihm das junge Leben raubte.
Der Menſch wird nur, wenn er ſelbſt in größter Noth ſich befindet, zum Feinde der Lemminge. Jn allen glücklicheren Gegenden Skandinaviens läßt er die Thiere ſchalten und walten, wie ſie wollen. Er weiß ſie auch nicht zu benutzen. Das Fell iſt nicht viel werth, und vor dem Fleiſch hat der Nor- mann, wie leicht begreiflich, ungefähr denſelben Abſcheu, welchen wir vor dem Rattenfleiſche haben. Die armen Lappen aber, gegen deren Leben das mancher Hunde noch beneidenswerth erſcheinen muß, werden oft von dem Hunger getrieben, die Lemminge zu verfolgen. Wenn ihnen alles Wildpret mangelt und die von ihnen ſo ſicher gehandhabte Büchſe Nichts mehr bringen will, müſſen ſie zum Hirtenſtock greifen und Lemminge erſchlagen und braten, um ihr Leben zu friſten. So dient auch dieſe Wühlmaus zuweilen dem Menſchen.
Unter allen Nagern ſteht der Biber (Castor Fiber) wegen ſeiner Eigenthümlichkeiten einzig da. Er ſelbſt iſt nicht allein der Vertreter einer beſonderen Sippe, ſondern er bildet eine eigne Familie. Man hat oft verſucht, die Ondatra oder den Sumpfbiber, welchen wir ſpäter kennen lernen werden,
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Der Biber.
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plötzliche Erſcheinen gibt eben dem Aberglauben und der Fabelei ſo vielen Anlaß. Man kann ſich
nicht erklären, daß auf einer einſamen Jnſel mit einem Male Tauſende von Thieren erſcheinen und
ſich Jedermanns Blicken aufdrängen, welche früher nicht geſehen wurden, vergißt aber dabei die ein-
zelnen wenigen, welche ſicherlich jahraus, jahrein auf der Jnſel ihr Weſen treiben und unter günſtigen
Umſtänden ſich, Dank ihrer außerordentlichen Fruchtbarkeit, in das Unglaubliche vermehren können.
Ein Glück iſt es immerhin, daß die Lemminge ſo viele Feinde haben; denn ſonſt würden ſie bei
ihrer ungeheuren Häufigkeit das ganze Land überſchwemmen und alles Genießbare auffreſſen. Jeden-
falls iſt das Klima ſelbſt der beſte Vertilger der Thiere. Ein naſſer Sommer, ein kalter, frühzeitiger,
ſchneeloſer Herbſt tödtet ſie millionenweiſe, und dann bedarf es natürlich längerer Jahre, bis die Ver-
mehrung jenes peſtartige Hinſterben wieder einigermaßen ausgleicht. Außerdem aber verfolgt die
Lemminge eine Unzahl von lebenden Feinden. Man darf wohl ſagen, daß ſich alle Raubthiere ganz
Skandinaviens von ihnen mäſten, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Bären und des Jgels.
Wölfe und Füchſe folgen ihnen meilenweit und freſſen, wenn es Lemminge gibt, nichts Anderes. Der
Vielfraß ſtellt, wie ich ſelbſt beobachtete, unſeren Thieren eifrig nach; die Marder, Jltiſſe und
Hermeline freſſen zur Lemmingszeit nur ſie, die Hunde der Lappen ſehen in einem Lemmingsjahre
Feſttage, wie ſie ihnen, den ewig Hungrigen, nur ſelten wieder kommen. Die Eulen folgen den
Zügen; die Schneeeule findet ſich faſt ausſchließlich an Orten, wo es Lemminge gibt; die Buſſarde,
namentlich der Rauchfußbuſſard, ſind ohne Unterlaß bemüht, die armen Schelme zu vertilgen;
die Raben füttern mit ihnen ihre Jungen groß, und Krähen und Elſtern ſuchen die biſſigen Geſchöpfe,
ſo gut es gehen will, auch zu vernichten; ſelbſt die Renthiere ſollen, wie vielfach behauptet wird,
zuweilen Lemminge freſſen oder ſie wenigſtens, wahrſcheinlich erzürnt durch die Kampfluſt der kleinen
Kerle, mit den Vorderhufen todtſchlagen.
Höchſt ſpaßhaft ſieht es aus, wenn eine Krähe ſich an ein Lemmingsmännchen wagt, welches ſich
nicht ſo gutwillig ſeiner Feindin überliefern will. Jch hatte das Glück, einen ſolchen Zweikampf mit
anzuſehen. Eine Nebelkrähe, welche lange ernſthaft auf einem Felsblock geſeſſen, ſtieß plötzlich auf
das Mos herab und verſuchte dort Etwas aufzunehmen; doch war die Sache nicht ſo leicht, denn
dieſes Etwas, ein Lemming, wehrte ſich nach beſten Kräften, fauchte, knurrte, grunzte, quiekte, warf
ſich in Kampfſtellung, machte Sätze gegen den Vogel und bedrohte dieſen ſo ernſthaft, daß er mehr-
mals zurückſprang, gleichſam als ob er ſich fürchte. Aber der muthige Rabe gab ſeine Jagd nicht auf,
ſondern ging immer und immer wieder auf den Lemming los, bis dieſer ſchließlich ermattet es verſah,
und nun einen wohlgezielten Schnabelhieb empfing, welcher ihm das junge Leben raubte.
Der Menſch wird nur, wenn er ſelbſt in größter Noth ſich befindet, zum Feinde der Lemminge.
Jn allen glücklicheren Gegenden Skandinaviens läßt er die Thiere ſchalten und walten, wie ſie wollen.
Er weiß ſie auch nicht zu benutzen. Das Fell iſt nicht viel werth, und vor dem Fleiſch hat der Nor-
mann, wie leicht begreiflich, ungefähr denſelben Abſcheu, welchen wir vor dem Rattenfleiſche haben.
Die armen Lappen aber, gegen deren Leben das mancher Hunde noch beneidenswerth erſcheinen muß,
werden oft von dem Hunger getrieben, die Lemminge zu verfolgen. Wenn ihnen alles Wildpret
mangelt und die von ihnen ſo ſicher gehandhabte Büchſe Nichts mehr bringen will, müſſen ſie zum
Hirtenſtock greifen und Lemminge erſchlagen und braten, um ihr Leben zu friſten. So dient auch dieſe
Wühlmaus zuweilen dem Menſchen.
Unter allen Nagern ſteht der Biber (Castor Fiber) wegen ſeiner Eigenthümlichkeiten einzig da.
Er ſelbſt iſt nicht allein der Vertreter einer beſonderen Sippe, ſondern er bildet eine eigne Familie.
Man hat oft verſucht, die Ondatra oder den Sumpfbiber, welchen wir ſpäter kennen lernen werden,
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/184>, abgerufen am 28.11.2024.
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