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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Der norwegische Lemming.
daß die Thiere meistens 5 bis 6 Junge hätten, und Scheffer fügt hinzu, daß sie mehrere Male im
Jahre werfen. Weiteres ist über die Fortpflanzung der Thiere nicht bekannt.

Die Hauptnahrung der Lemminge besteht aus den wenigen Alpenpflanzen, welche in ihrer
armen Heimat gedeihen, namentlich aus Gräsern, Renthierflechten, aus dem Kätzchen der Zwergbirke
und wahrscheinlich auch aus allerlei Wurzeln. Die Thiere finden sich eben so hoch, als die Flechten-
decke reicht, und nirgends da, wo sie fehlt. Dies deutet darauf hin, daß diese Pflanzen wohl den
Haupttheil ihrer Mahlzeiten bilden dürften. Soviel ich erfuhr, tragen sie sich im Winter nicht ein,
sondern leben auch dann von Dem, was sie unter der hohen Schneedecke finden, zumal von den
Knospen der bedeckten Gesträuche. Großen Schaden bringen sie nur selten; denn da, wo sie wohnen,
gibt es keine Felder, und in die Häuser kommen sie auch nicht herein. Wenn sie sich wirklich einmal
in den Höfen sehen lassen, so ist das wohl nur Zufall; sie haben sich bei einer ihrer Lustwandelungen
verirrt. Doch sagte mir ein Bewohner der Lofoten, daß die Kartoffelfelder in manchen Jahren von
den Lemmingen arg gebrandschatzt würden. Die Thiere wühlen sich lange Gänge in den Feldern und
bauen sich ihre Höhlen unmittelbar zwischen die Wurzelknollen jener Früchte, von denen sie dann in
aller Gemächlichkeit leben. Jhre Heimat ist übrigens, so arm sie auch scheinen mag, reich genug für
ihre Ansprüche und bietet ihnen Alles, was sie bedürfen. Nur in manchen Jahren scheint Dies nicht
der Fall zu sein; dann sehen sich die Lemminge genöthigt, große Wanderungen anzustellen. Jch muß
bei Erwähnung dieser allbekannten Thatsache hinzufügen, daß die Leute auf dem Dovrefjeld nicht das
Geringste von den Wanderungen wußten, und daß die Bewohner Lapplands mir ebensowenig darüber
sagen konnten. Auch Finnländer, welche ich danach fragte, wußten Nichts, und wäre nicht Linne der
Gewährsmann für die bezüglichen Angaben: ich würde sie gar nicht der Erwähnung werth halten.
Aus dem Linne'schen Berichte scheint übrigens hervorzugehen, daß der große Naturforscher die Lem-
minge auch nicht auf der Wanderschaft gesehen, sondern nur das Gehörte wieder erzählt hat. Einige
neuere Reisende haben der wandernden Lemminge Erwähnung gethan und dabei gesagt, daß der Zug
der Thiere einem wogenden Meere gliche; aber nirgends finden wir, meines Wissens wenigstens, eine
genaue Beschreibung der Wanderungen selbst. Linne sagt Folgendes: "Das Allermerkwürdigste bei
diesen Thieren ist ihre Wanderung; denn zu gewissen Zeiten, gewöhnlich binnen zehn und zwanzig
Jahren, ziehen sie in solcher Menge fort, daß man darüber erstaunen muß, bei Tausenden hinter ein-
ander. Sie graben zuletzt förmliche Pfade in den Boden ein, ein Paar Finger tief und einen halben
breit. Diese Pfade liegen mehrere Ellen von einander entfernt und gehen sämmtlich schnurgerade fort.
Unterwegs fressen die Lemminge das Gras und die Wurzeln ab, welche hervorragen; wie man sagt,
werfen sie oft unterwegs und tragen ein Junges im Maul und das andere auf dem Rücken fort.
Auf unserer Seite (auf der schwedischen also) gehen sie vom Gebirge herunter nach dem botnischen
Meerbusen, kommen aber selten so weit, sondern werden zerstreut und gehen unterwegs zu Grunde.
Kommt ihnen ein Mensch in den Strich, so weichen sie nicht, sondern suchen ihm zwischen den Beinen
durchzukommen oder setzen sich auf die Hinterfüße und beißen in den Stock, wenn er ihnen denselben
vorhält. Um einen Heuschober gehen sie nicht herum, sondern graben und fressen sich durch; um einen
großen Stein laufen sie im Kreise und gehen dann wieder in gerader Linie fort. Sie schwimmen über
die größten Teiche, und wenn sie an einen Nachen kommen, springen sie hinein und werfen sich auf
der anderen Seite wieder in das Wasser. Vor einem brausenden Strom scheuen sie sich nicht, sondern
stürzen sich hinein und wenn auch alle dabei ihr Leben zusetzen sollten." Scheffer erwähnt in seiner
Beschreibung von Lappland die alte Erzählung des Bischofs Pontoppidan, nach welcher die Lemminge
in solchen Haufen vom Gebirge herunterrücken, sowohl westlich als östlich gegen das Nordmeer oder
den botnischen Meerbusen hin, "daß die Fischer oft von diesen Thieren umringt und ihre Boote bis zum
Untersinken mit ihnen gefüllt werden. Das Meer schwimmt von Ersoffenen und lange Strecken der
Küsten sind von ihnen bedeckt."

Nach allen Nachrichten, welche ich erhielt, ist es sicher, daß die Lemminge zuweilen versuchen,
von einer Jnsel zur andern zu schwimmen; doch hat man auch diese Wanderungen sehr übertrieben.

Der norwegiſche Lemming.
daß die Thiere meiſtens 5 bis 6 Junge hätten, und Scheffer fügt hinzu, daß ſie mehrere Male im
Jahre werfen. Weiteres iſt über die Fortpflanzung der Thiere nicht bekannt.

Die Hauptnahrung der Lemminge beſteht aus den wenigen Alpenpflanzen, welche in ihrer
armen Heimat gedeihen, namentlich aus Gräſern, Renthierflechten, aus dem Kätzchen der Zwergbirke
und wahrſcheinlich auch aus allerlei Wurzeln. Die Thiere finden ſich eben ſo hoch, als die Flechten-
decke reicht, und nirgends da, wo ſie fehlt. Dies deutet darauf hin, daß dieſe Pflanzen wohl den
Haupttheil ihrer Mahlzeiten bilden dürften. Soviel ich erfuhr, tragen ſie ſich im Winter nicht ein,
ſondern leben auch dann von Dem, was ſie unter der hohen Schneedecke finden, zumal von den
Knospen der bedeckten Geſträuche. Großen Schaden bringen ſie nur ſelten; denn da, wo ſie wohnen,
gibt es keine Felder, und in die Häuſer kommen ſie auch nicht herein. Wenn ſie ſich wirklich einmal
in den Höfen ſehen laſſen, ſo iſt das wohl nur Zufall; ſie haben ſich bei einer ihrer Luſtwandelungen
verirrt. Doch ſagte mir ein Bewohner der Lofoten, daß die Kartoffelfelder in manchen Jahren von
den Lemmingen arg gebrandſchatzt würden. Die Thiere wühlen ſich lange Gänge in den Feldern und
bauen ſich ihre Höhlen unmittelbar zwiſchen die Wurzelknollen jener Früchte, von denen ſie dann in
aller Gemächlichkeit leben. Jhre Heimat iſt übrigens, ſo arm ſie auch ſcheinen mag, reich genug für
ihre Anſprüche und bietet ihnen Alles, was ſie bedürfen. Nur in manchen Jahren ſcheint Dies nicht
der Fall zu ſein; dann ſehen ſich die Lemminge genöthigt, große Wanderungen anzuſtellen. Jch muß
bei Erwähnung dieſer allbekannten Thatſache hinzufügen, daß die Leute auf dem Dovrefjeld nicht das
Geringſte von den Wanderungen wußten, und daß die Bewohner Lapplands mir ebenſowenig darüber
ſagen konnten. Auch Finnländer, welche ich danach fragte, wußten Nichts, und wäre nicht Linné der
Gewährsmann für die bezüglichen Angaben: ich würde ſie gar nicht der Erwähnung werth halten.
Aus dem Linné’ſchen Berichte ſcheint übrigens hervorzugehen, daß der große Naturforſcher die Lem-
minge auch nicht auf der Wanderſchaft geſehen, ſondern nur das Gehörte wieder erzählt hat. Einige
neuere Reiſende haben der wandernden Lemminge Erwähnung gethan und dabei geſagt, daß der Zug
der Thiere einem wogenden Meere gliche; aber nirgends finden wir, meines Wiſſens wenigſtens, eine
genaue Beſchreibung der Wanderungen ſelbſt. Linné ſagt Folgendes: „Das Allermerkwürdigſte bei
dieſen Thieren iſt ihre Wanderung; denn zu gewiſſen Zeiten, gewöhnlich binnen zehn und zwanzig
Jahren, ziehen ſie in ſolcher Menge fort, daß man darüber erſtaunen muß, bei Tauſenden hinter ein-
ander. Sie graben zuletzt förmliche Pfade in den Boden ein, ein Paar Finger tief und einen halben
breit. Dieſe Pfade liegen mehrere Ellen von einander entfernt und gehen ſämmtlich ſchnurgerade fort.
Unterwegs freſſen die Lemminge das Gras und die Wurzeln ab, welche hervorragen; wie man ſagt,
werfen ſie oft unterwegs und tragen ein Junges im Maul und das andere auf dem Rücken fort.
Auf unſerer Seite (auf der ſchwediſchen alſo) gehen ſie vom Gebirge herunter nach dem botniſchen
Meerbuſen, kommen aber ſelten ſo weit, ſondern werden zerſtreut und gehen unterwegs zu Grunde.
Kommt ihnen ein Menſch in den Strich, ſo weichen ſie nicht, ſondern ſuchen ihm zwiſchen den Beinen
durchzukommen oder ſetzen ſich auf die Hinterfüße und beißen in den Stock, wenn er ihnen denſelben
vorhält. Um einen Heuſchober gehen ſie nicht herum, ſondern graben und freſſen ſich durch; um einen
großen Stein laufen ſie im Kreiſe und gehen dann wieder in gerader Linie fort. Sie ſchwimmen über
die größten Teiche, und wenn ſie an einen Nachen kommen, ſpringen ſie hinein und werfen ſich auf
der anderen Seite wieder in das Waſſer. Vor einem brauſenden Strom ſcheuen ſie ſich nicht, ſondern
ſtürzen ſich hinein und wenn auch alle dabei ihr Leben zuſetzen ſollten.‟ Scheffer erwähnt in ſeiner
Beſchreibung von Lappland die alte Erzählung des Biſchofs Pontoppidan, nach welcher die Lemminge
in ſolchen Haufen vom Gebirge herunterrücken, ſowohl weſtlich als öſtlich gegen das Nordmeer oder
den botniſchen Meerbuſen hin, „daß die Fiſcher oft von dieſen Thieren umringt und ihre Boote bis zum
Unterſinken mit ihnen gefüllt werden. Das Meer ſchwimmt von Erſoffenen und lange Strecken der
Küſten ſind von ihnen bedeckt.‟

Nach allen Nachrichten, welche ich erhielt, iſt es ſicher, daß die Lemminge zuweilen verſuchen,
von einer Jnſel zur andern zu ſchwimmen; doch hat man auch dieſe Wanderungen ſehr übertrieben.

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[167/0183] Der norwegiſche Lemming. daß die Thiere meiſtens 5 bis 6 Junge hätten, und Scheffer fügt hinzu, daß ſie mehrere Male im Jahre werfen. Weiteres iſt über die Fortpflanzung der Thiere nicht bekannt. Die Hauptnahrung der Lemminge beſteht aus den wenigen Alpenpflanzen, welche in ihrer armen Heimat gedeihen, namentlich aus Gräſern, Renthierflechten, aus dem Kätzchen der Zwergbirke und wahrſcheinlich auch aus allerlei Wurzeln. Die Thiere finden ſich eben ſo hoch, als die Flechten- decke reicht, und nirgends da, wo ſie fehlt. Dies deutet darauf hin, daß dieſe Pflanzen wohl den Haupttheil ihrer Mahlzeiten bilden dürften. Soviel ich erfuhr, tragen ſie ſich im Winter nicht ein, ſondern leben auch dann von Dem, was ſie unter der hohen Schneedecke finden, zumal von den Knospen der bedeckten Geſträuche. Großen Schaden bringen ſie nur ſelten; denn da, wo ſie wohnen, gibt es keine Felder, und in die Häuſer kommen ſie auch nicht herein. Wenn ſie ſich wirklich einmal in den Höfen ſehen laſſen, ſo iſt das wohl nur Zufall; ſie haben ſich bei einer ihrer Luſtwandelungen verirrt. Doch ſagte mir ein Bewohner der Lofoten, daß die Kartoffelfelder in manchen Jahren von den Lemmingen arg gebrandſchatzt würden. Die Thiere wühlen ſich lange Gänge in den Feldern und bauen ſich ihre Höhlen unmittelbar zwiſchen die Wurzelknollen jener Früchte, von denen ſie dann in aller Gemächlichkeit leben. Jhre Heimat iſt übrigens, ſo arm ſie auch ſcheinen mag, reich genug für ihre Anſprüche und bietet ihnen Alles, was ſie bedürfen. Nur in manchen Jahren ſcheint Dies nicht der Fall zu ſein; dann ſehen ſich die Lemminge genöthigt, große Wanderungen anzuſtellen. Jch muß bei Erwähnung dieſer allbekannten Thatſache hinzufügen, daß die Leute auf dem Dovrefjeld nicht das Geringſte von den Wanderungen wußten, und daß die Bewohner Lapplands mir ebenſowenig darüber ſagen konnten. Auch Finnländer, welche ich danach fragte, wußten Nichts, und wäre nicht Linné der Gewährsmann für die bezüglichen Angaben: ich würde ſie gar nicht der Erwähnung werth halten. Aus dem Linné’ſchen Berichte ſcheint übrigens hervorzugehen, daß der große Naturforſcher die Lem- minge auch nicht auf der Wanderſchaft geſehen, ſondern nur das Gehörte wieder erzählt hat. Einige neuere Reiſende haben der wandernden Lemminge Erwähnung gethan und dabei geſagt, daß der Zug der Thiere einem wogenden Meere gliche; aber nirgends finden wir, meines Wiſſens wenigſtens, eine genaue Beſchreibung der Wanderungen ſelbſt. Linné ſagt Folgendes: „Das Allermerkwürdigſte bei dieſen Thieren iſt ihre Wanderung; denn zu gewiſſen Zeiten, gewöhnlich binnen zehn und zwanzig Jahren, ziehen ſie in ſolcher Menge fort, daß man darüber erſtaunen muß, bei Tauſenden hinter ein- ander. Sie graben zuletzt förmliche Pfade in den Boden ein, ein Paar Finger tief und einen halben breit. Dieſe Pfade liegen mehrere Ellen von einander entfernt und gehen ſämmtlich ſchnurgerade fort. Unterwegs freſſen die Lemminge das Gras und die Wurzeln ab, welche hervorragen; wie man ſagt, werfen ſie oft unterwegs und tragen ein Junges im Maul und das andere auf dem Rücken fort. Auf unſerer Seite (auf der ſchwediſchen alſo) gehen ſie vom Gebirge herunter nach dem botniſchen Meerbuſen, kommen aber ſelten ſo weit, ſondern werden zerſtreut und gehen unterwegs zu Grunde. Kommt ihnen ein Menſch in den Strich, ſo weichen ſie nicht, ſondern ſuchen ihm zwiſchen den Beinen durchzukommen oder ſetzen ſich auf die Hinterfüße und beißen in den Stock, wenn er ihnen denſelben vorhält. Um einen Heuſchober gehen ſie nicht herum, ſondern graben und freſſen ſich durch; um einen großen Stein laufen ſie im Kreiſe und gehen dann wieder in gerader Linie fort. Sie ſchwimmen über die größten Teiche, und wenn ſie an einen Nachen kommen, ſpringen ſie hinein und werfen ſich auf der anderen Seite wieder in das Waſſer. Vor einem brauſenden Strom ſcheuen ſie ſich nicht, ſondern ſtürzen ſich hinein und wenn auch alle dabei ihr Leben zuſetzen ſollten.‟ Scheffer erwähnt in ſeiner Beſchreibung von Lappland die alte Erzählung des Biſchofs Pontoppidan, nach welcher die Lemminge in ſolchen Haufen vom Gebirge herunterrücken, ſowohl weſtlich als öſtlich gegen das Nordmeer oder den botniſchen Meerbuſen hin, „daß die Fiſcher oft von dieſen Thieren umringt und ihre Boote bis zum Unterſinken mit ihnen gefüllt werden. Das Meer ſchwimmt von Erſoffenen und lange Strecken der Küſten ſind von ihnen bedeckt.‟ Nach allen Nachrichten, welche ich erhielt, iſt es ſicher, daß die Lemminge zuweilen verſuchen, von einer Jnſel zur andern zu ſchwimmen; doch hat man auch dieſe Wanderungen ſehr übertrieben.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/183>, abgerufen am 28.11.2024.