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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.

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Die Wasserratte.
Getreideernte umgekommen ist. Sie fressen die Halme über der Wurzel ab, um die Aehre zum Falle
zu bringen; doch holen sie auch als geschickte Kletterer die Maiskörner aus den Aehren oder reifes Obst
vom Spalier und den Bäumen herab." Thierische Nahrung verschmähen unsere Mäuse auch nicht.
Jm Wasser müssen Kerbthiere und deren Larven, kleine Frösche, Fische und Krebse ihnen zur Mahl-
zeit dienen, den Gerbern fressen sie ganze Stücke von den eingeweichten Thierhäuten ab, den im Grase
brütenden Vögeln nehmen sie die Eier weg u. s. w. Jm Herbste erweitern sie ihren Bau, indem sie
eine Vorrathskammer anlegen und diese durch Gänge mit ihrem alten Neste verbinden. Diese
Kammer füllen sie aus nahe gelegenen Gärten und Feldern mit Erbsen, Bohnen, Zwiebeln und
Kartoffeln an und leben hiervon während des Spätherbstes und Frühjahrs, oder solange das Wetter
noch gelinde ist.

Erst bei starkem Frost verfallen sie in Schlaf, ohne jedoch dabei zu erstarren. Nur sehr selten
gewahrt man die Fährte einer Wasserratte oder Schermaus auf dem Schnee; in der Regel verläßt
sie den Bau während der kälteren Jahreszeit gar nicht. Bei strengem Froste gehen zum Glück sehr
viele dieser schädlichen Thiere zu Grunde.

Die Vermehrung der Wasserratten und Schermäuse ist bedeutend. Drei bis vier Mal im
Jahre findet man in dem warmen, weich ausgefütterten Neste 2 bis 7 Junge, oft in einem Neste
solche von verschiedener Färbung zusammen. Zuweilen findet man die Nester auch in dichtem Ge-
strüpp unmittelbar über der Erde und höchst selten im Rohr. Ein solches Nest beschreibt Bla-
sius.
"Es stand drei Fuß hoch über dem Wasserspiegel, wie ein Rohrsängernest zwischen drei
Schilfstengel eingeflochten, etwa dreißig Schritt vom trockenen Ufer ab, war kugelrund, aus feinen,
weichen Grasblättern gebaut, am Eingange zugestopft, hatte außen etwa vier, inwendig wenig über
zwei Zoll im Durchmesser und enthielt zwei halberwachsene Junge von kohlschwarzer Färbung.
Eines der alten Thiere, das bei meiner Annäherung sich vom Neste entfernte und ins Wasser
sprang, war ebenfalls schwarz von Farbe. Es schwamm und tauchte mit großer Geschicklichkeit.
Die Alten konnten nur schwimmend zum Neste gelangen, indem der Teich vom Ufer an bis zum
Neste durchgängig 2 bis 21/2 Fuß Tiefe besaß, und waren dann gezwungen, an einem einzigen Schilf-
stengel in die Höhe zu klettern. Der gewöhnliche Nestbau der Wasserratten ist so abweichend, und
die Gelegenheit, ein unterirdisches Nest in einem naheliegenden Felde und Garten oder in der an den
Teich angrenzenden Wiese, oder ein Nest auf der Erde in dichtem Gebüsch auf den Teichdamm zu
bauen, war so günstig, daß sich keine Erklärungsgründe für dieses abweichende Verhalten zu finden
vermögen. Hätte ich das Nest beim Aufsuchen von Rohrsänger- und Krontauchernestern
nicht zufällig gefunden: es würde mir nie eingefallen sein, an ähnlichen Orten nach Wasserratten-
nestern zu suchen."

Der Begattung gehen lang anhaltende Gespiele beider Geschlechter voraus. Namentlich das
Männchen benimmt sich sehr eigenthümlich. Es dreht sich manchmal so schnell auf dem Wasser
herum, daß es aussieht, als ob es von einer starken Strömung bald im Wirbel bewegt, bald herum-
gewälzt würde. Das Weibchen scheint ziemlich gleichgiltig zuzusehen, erfreut sich aber doch wohl sehr
an diesen Spielen, denn sobald das liebestolle Männchen mit seinem Reigen zu Ende ist, schwimmen
beide gewöhnlich gemüthlich neben einander, und dann erfolgt fast regelmäßig die Begattung. Die
Mutter pflegt ihre Kinder mit großer Liebe und vertheidigt sie bei Gefahr. Wenn sie die Kleinen in
dem einen Neste nicht für sicher hält, schleppt sie dieselben im Maule nach einer andern Höhle und
schwimmt dabei mit ihnen über breite Flüsse und Ströme. Die eigene Gefahr vergessend, läßt sie sich
zuweilen mit der Hand erhaschen; aber nur mit Mühe kann man dann das Junge, welches sie trägt,
ihren Zähnen entwinden. "Werden die Jungen," sagt Fitzinger, "zufällig mit der Pflugschar aus-
geackert und nicht sogleich getödtet, so eilt die Mutter schnell herbei und sucht, sie rasch in einer
anderen Höhle zu verbergen, oder trägt sie, wenn eine solche in der Nähe nicht gleich aufzufinden ist,
unter das nächste Buschwerk, um sie einstweilen dort zu schützen. Gerathen die Jungen durch einen
plötzlichen Angriff in Gefahr, so vertheidigt sie die Mutter mit Kühnheit und Geschick, springt Hun-

Die Waſſerratte.
Getreideernte umgekommen iſt. Sie freſſen die Halme über der Wurzel ab, um die Aehre zum Falle
zu bringen; doch holen ſie auch als geſchickte Kletterer die Maiskörner aus den Aehren oder reifes Obſt
vom Spalier und den Bäumen herab.‟ Thieriſche Nahrung verſchmähen unſere Mäuſe auch nicht.
Jm Waſſer müſſen Kerbthiere und deren Larven, kleine Fröſche, Fiſche und Krebſe ihnen zur Mahl-
zeit dienen, den Gerbern freſſen ſie ganze Stücke von den eingeweichten Thierhäuten ab, den im Graſe
brütenden Vögeln nehmen ſie die Eier weg u. ſ. w. Jm Herbſte erweitern ſie ihren Bau, indem ſie
eine Vorrathskammer anlegen und dieſe durch Gänge mit ihrem alten Neſte verbinden. Dieſe
Kammer füllen ſie aus nahe gelegenen Gärten und Feldern mit Erbſen, Bohnen, Zwiebeln und
Kartoffeln an und leben hiervon während des Spätherbſtes und Frühjahrs, oder ſolange das Wetter
noch gelinde iſt.

Erſt bei ſtarkem Froſt verfallen ſie in Schlaf, ohne jedoch dabei zu erſtarren. Nur ſehr ſelten
gewahrt man die Fährte einer Waſſerratte oder Schermaus auf dem Schnee; in der Regel verläßt
ſie den Bau während der kälteren Jahreszeit gar nicht. Bei ſtrengem Froſte gehen zum Glück ſehr
viele dieſer ſchädlichen Thiere zu Grunde.

Die Vermehrung der Waſſerratten und Schermäuſe iſt bedeutend. Drei bis vier Mal im
Jahre findet man in dem warmen, weich ausgefütterten Neſte 2 bis 7 Junge, oft in einem Neſte
ſolche von verſchiedener Färbung zuſammen. Zuweilen findet man die Neſter auch in dichtem Ge-
ſtrüpp unmittelbar über der Erde und höchſt ſelten im Rohr. Ein ſolches Neſt beſchreibt Bla-
ſius.
„Es ſtand drei Fuß hoch über dem Waſſerſpiegel, wie ein Rohrſängerneſt zwiſchen drei
Schilfſtengel eingeflochten, etwa dreißig Schritt vom trockenen Ufer ab, war kugelrund, aus feinen,
weichen Grasblättern gebaut, am Eingange zugeſtopft, hatte außen etwa vier, inwendig wenig über
zwei Zoll im Durchmeſſer und enthielt zwei halberwachſene Junge von kohlſchwarzer Färbung.
Eines der alten Thiere, das bei meiner Annäherung ſich vom Neſte entfernte und ins Waſſer
ſprang, war ebenfalls ſchwarz von Farbe. Es ſchwamm und tauchte mit großer Geſchicklichkeit.
Die Alten konnten nur ſchwimmend zum Neſte gelangen, indem der Teich vom Ufer an bis zum
Neſte durchgängig 2 bis 2½ Fuß Tiefe beſaß, und waren dann gezwungen, an einem einzigen Schilf-
ſtengel in die Höhe zu klettern. Der gewöhnliche Neſtbau der Waſſerratten iſt ſo abweichend, und
die Gelegenheit, ein unterirdiſches Neſt in einem naheliegenden Felde und Garten oder in der an den
Teich angrenzenden Wieſe, oder ein Neſt auf der Erde in dichtem Gebüſch auf den Teichdamm zu
bauen, war ſo günſtig, daß ſich keine Erklärungsgründe für dieſes abweichende Verhalten zu finden
vermögen. Hätte ich das Neſt beim Aufſuchen von Rohrſänger- und Krontaucherneſtern
nicht zufällig gefunden: es würde mir nie eingefallen ſein, an ähnlichen Orten nach Waſſerratten-
neſtern zu ſuchen.‟

Der Begattung gehen lang anhaltende Geſpiele beider Geſchlechter voraus. Namentlich das
Männchen benimmt ſich ſehr eigenthümlich. Es dreht ſich manchmal ſo ſchnell auf dem Waſſer
herum, daß es ausſieht, als ob es von einer ſtarken Strömung bald im Wirbel bewegt, bald herum-
gewälzt würde. Das Weibchen ſcheint ziemlich gleichgiltig zuzuſehen, erfreut ſich aber doch wohl ſehr
an dieſen Spielen, denn ſobald das liebestolle Männchen mit ſeinem Reigen zu Ende iſt, ſchwimmen
beide gewöhnlich gemüthlich neben einander, und dann erfolgt faſt regelmäßig die Begattung. Die
Mutter pflegt ihre Kinder mit großer Liebe und vertheidigt ſie bei Gefahr. Wenn ſie die Kleinen in
dem einen Neſte nicht für ſicher hält, ſchleppt ſie dieſelben im Maule nach einer andern Höhle und
ſchwimmt dabei mit ihnen über breite Flüſſe und Ströme. Die eigene Gefahr vergeſſend, läßt ſie ſich
zuweilen mit der Hand erhaſchen; aber nur mit Mühe kann man dann das Junge, welches ſie trägt,
ihren Zähnen entwinden. „Werden die Jungen,‟ ſagt Fitzinger, „zufällig mit der Pflugſchar aus-
geackert und nicht ſogleich getödtet, ſo eilt die Mutter ſchnell herbei und ſucht, ſie raſch in einer
anderen Höhle zu verbergen, oder trägt ſie, wenn eine ſolche in der Nähe nicht gleich aufzufinden iſt,
unter das nächſte Buſchwerk, um ſie einſtweilen dort zu ſchützen. Gerathen die Jungen durch einen
plötzlichen Angriff in Gefahr, ſo vertheidigt ſie die Mutter mit Kühnheit und Geſchick, ſpringt Hun-

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[155/0171] Die Waſſerratte. Getreideernte umgekommen iſt. Sie freſſen die Halme über der Wurzel ab, um die Aehre zum Falle zu bringen; doch holen ſie auch als geſchickte Kletterer die Maiskörner aus den Aehren oder reifes Obſt vom Spalier und den Bäumen herab.‟ Thieriſche Nahrung verſchmähen unſere Mäuſe auch nicht. Jm Waſſer müſſen Kerbthiere und deren Larven, kleine Fröſche, Fiſche und Krebſe ihnen zur Mahl- zeit dienen, den Gerbern freſſen ſie ganze Stücke von den eingeweichten Thierhäuten ab, den im Graſe brütenden Vögeln nehmen ſie die Eier weg u. ſ. w. Jm Herbſte erweitern ſie ihren Bau, indem ſie eine Vorrathskammer anlegen und dieſe durch Gänge mit ihrem alten Neſte verbinden. Dieſe Kammer füllen ſie aus nahe gelegenen Gärten und Feldern mit Erbſen, Bohnen, Zwiebeln und Kartoffeln an und leben hiervon während des Spätherbſtes und Frühjahrs, oder ſolange das Wetter noch gelinde iſt. Erſt bei ſtarkem Froſt verfallen ſie in Schlaf, ohne jedoch dabei zu erſtarren. Nur ſehr ſelten gewahrt man die Fährte einer Waſſerratte oder Schermaus auf dem Schnee; in der Regel verläßt ſie den Bau während der kälteren Jahreszeit gar nicht. Bei ſtrengem Froſte gehen zum Glück ſehr viele dieſer ſchädlichen Thiere zu Grunde. Die Vermehrung der Waſſerratten und Schermäuſe iſt bedeutend. Drei bis vier Mal im Jahre findet man in dem warmen, weich ausgefütterten Neſte 2 bis 7 Junge, oft in einem Neſte ſolche von verſchiedener Färbung zuſammen. Zuweilen findet man die Neſter auch in dichtem Ge- ſtrüpp unmittelbar über der Erde und höchſt ſelten im Rohr. Ein ſolches Neſt beſchreibt Bla- ſius. „Es ſtand drei Fuß hoch über dem Waſſerſpiegel, wie ein Rohrſängerneſt zwiſchen drei Schilfſtengel eingeflochten, etwa dreißig Schritt vom trockenen Ufer ab, war kugelrund, aus feinen, weichen Grasblättern gebaut, am Eingange zugeſtopft, hatte außen etwa vier, inwendig wenig über zwei Zoll im Durchmeſſer und enthielt zwei halberwachſene Junge von kohlſchwarzer Färbung. Eines der alten Thiere, das bei meiner Annäherung ſich vom Neſte entfernte und ins Waſſer ſprang, war ebenfalls ſchwarz von Farbe. Es ſchwamm und tauchte mit großer Geſchicklichkeit. Die Alten konnten nur ſchwimmend zum Neſte gelangen, indem der Teich vom Ufer an bis zum Neſte durchgängig 2 bis 2½ Fuß Tiefe beſaß, und waren dann gezwungen, an einem einzigen Schilf- ſtengel in die Höhe zu klettern. Der gewöhnliche Neſtbau der Waſſerratten iſt ſo abweichend, und die Gelegenheit, ein unterirdiſches Neſt in einem naheliegenden Felde und Garten oder in der an den Teich angrenzenden Wieſe, oder ein Neſt auf der Erde in dichtem Gebüſch auf den Teichdamm zu bauen, war ſo günſtig, daß ſich keine Erklärungsgründe für dieſes abweichende Verhalten zu finden vermögen. Hätte ich das Neſt beim Aufſuchen von Rohrſänger- und Krontaucherneſtern nicht zufällig gefunden: es würde mir nie eingefallen ſein, an ähnlichen Orten nach Waſſerratten- neſtern zu ſuchen.‟ Der Begattung gehen lang anhaltende Geſpiele beider Geſchlechter voraus. Namentlich das Männchen benimmt ſich ſehr eigenthümlich. Es dreht ſich manchmal ſo ſchnell auf dem Waſſer herum, daß es ausſieht, als ob es von einer ſtarken Strömung bald im Wirbel bewegt, bald herum- gewälzt würde. Das Weibchen ſcheint ziemlich gleichgiltig zuzuſehen, erfreut ſich aber doch wohl ſehr an dieſen Spielen, denn ſobald das liebestolle Männchen mit ſeinem Reigen zu Ende iſt, ſchwimmen beide gewöhnlich gemüthlich neben einander, und dann erfolgt faſt regelmäßig die Begattung. Die Mutter pflegt ihre Kinder mit großer Liebe und vertheidigt ſie bei Gefahr. Wenn ſie die Kleinen in dem einen Neſte nicht für ſicher hält, ſchleppt ſie dieſelben im Maule nach einer andern Höhle und ſchwimmt dabei mit ihnen über breite Flüſſe und Ströme. Die eigene Gefahr vergeſſend, läßt ſie ſich zuweilen mit der Hand erhaſchen; aber nur mit Mühe kann man dann das Junge, welches ſie trägt, ihren Zähnen entwinden. „Werden die Jungen,‟ ſagt Fitzinger, „zufällig mit der Pflugſchar aus- geackert und nicht ſogleich getödtet, ſo eilt die Mutter ſchnell herbei und ſucht, ſie raſch in einer anderen Höhle zu verbergen, oder trägt ſie, wenn eine ſolche in der Nähe nicht gleich aufzufinden iſt, unter das nächſte Buſchwerk, um ſie einſtweilen dort zu ſchützen. Gerathen die Jungen durch einen plötzlichen Angriff in Gefahr, ſo vertheidigt ſie die Mutter mit Kühnheit und Geſchick, ſpringt Hun-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/171>, abgerufen am 29.11.2024.