Ueberhaupt hat selten ein Thier soviel Schreiberei und zugleich soviel Zank hervorgerufen, als unsere Wasserratte. Schon seit alten Zeiten herrscht eine große Verwirrung in den Ansichten. Blasius führt nicht weniger als dreizehn verschiedene lateinische Namen der Wasserratte auf, welche alle ge- wisse Abweichungen oder Abarten bezeichnen sollen! Er behauptet, daß nach seinen Untersuchungen alle diese verschiedenen Formen nur unwesentliche Abänderungen ein- und derselben Art sind, ob- wohl er nicht leugnen kann, daß ständige Verschiedenheiten vorkommen. Wir denken nicht daran, etwas zur Schlichtung dieses Streites beitragen zu wollen, sondern betrachten einfach das Leben un- serer Thiere, gleichviel, ob wir eine Wasserratte als Schermaus oder eine Schermaus als selb- ständige Art vor uns haben.
Der Gegenstand des Streites ist 91/4 Zoll lang, wovon auf den Schwanz etwa 31/4 Zoll kom- men. Der Pelz kann einfarbig genannt werden; denn die graubraune oder braunschwarze Ober- seite geht ganz allmählich in die etwas hellere, weißliche oder graue, bis schwarze oder schwarz- graue Unterseite über. Von der Hausratte unterscheidet die Wasserratte sofort der dicke, runde, kurze Kopf und der kurze Schwanz, welcher zwischen 130 und 140 Schuppenringe trägt, die ringsum gleichmäßig und ziemlich dicht mit kurzen, steifen Haaren besetzt sind. Die Nasenkuppe ist fleisch- farben; die Schnurren sind schwarz, zuweilen weißspitzig; die Jris ist schwarzbraun; die Vorder- zähne sind braungelb. Mancherlei Abweichungen in der Färbung kommen vor. Jn Sibirien erreicht das Thier eine bedeutendere Größe als in dem mittleren Europa; in Jtalien ist es kleiner, oben schwärzlich, unten kastanienbraun; in England kommt eine ganz schwarze Abart mit fast blendend- weißer Kehle vor; am Ob und Jenisei leben andere, welche blaßgelblich sind, und alle diese Ab- weichungen scheinen ständig zu sein. Wollte man nach den gewöhnlich geltenden Grundsätzen ver- fahren, so müßte man sie alle als eigene Arten ansehen. Selbst Blasius gesteht zu, daß namentlich drei verschiedene Ausprägungen ein und derselben Grundform sich bemerklich machen; die eine ist unsere echte Wasserratte, die zweite die italienische Schermaus und die dritte unsere Reutmaus.
Die Wasserratte ist sehr weit verbreitet. Sie reicht vom atlantischen bis zum ochotzkischen, vom weißen bis zum mittelländischen Meere. Eigentlich ist sie nirgends selten; denn sie findet sich eben- sowohl in der Ebene, als in gebirgigen Gegenden; ja sie kommt selbst im Hochgebirge vor. Wollten wir die drei Abänderungen zu Arten erheben, so würden wir die erstere als die weitest verbreitete ansehen und ihr namentlich die nassen und feuchten Gegenden zur Wohnung anweisen müssen, während die zweite Form, welche hauptsächlich in der Provence, in Jtalien und Dalmatien lebt, mehr trockne Oertlichkeiten aufsucht, und die dritte, unsere Schermaus, fast einzig und allein im bebauten Lande auf Wiesen noch regelmäßig bis zu diertausend Fuß über dem Meere vorkommt.
Wasserratten und Schermäuse erinnern in ihrer Lebensweise vielfach an die Maulwürfe, aber auch an die Bisamratten und andere im Wasser lebende Nager. Die Baue in der Nähe der Gewässer sind regelmäßig einfacher, als die in trockneren Gärten und Feldern. Dort führt, wie be- merkt, ein schiefer Gang zu der Kammer, welche zu Zeiten sehr weich ausgefüttert wird; hier aber legen sich die Thiere Gänge an, welche viele hundert Schritte lang sein können, werfen Haufen auf, wie die Maulwürfe, und bauen die Kammer in einem der größeren Hügel. Meist ziehen sich die langen Gänge ganz dicht unter der Oberfläche des Bodens hin, niemals tiefer als die Pflanzenwurzeln hinabreichen, oft so flach, daß die Bodendecke beim Wühlen förmlich emporgehoben wird und die Be- deckung des Ganges nur aus einer kaum mehr als zollstarken Erdschicht besteht. Solche Gänge werden natürlich sehr oft zerstört und unfahrbar gemacht; aber die Schermaus ist unermüdlich, sie auszubessern, selbst wenn sie die gleiche Arbeit an einem Tage mehrere Male verrichten müßte. Manchmal laufen ihre Gänge unter einem Fahrwege hin und dauern eben nur so lange aus, als der Weg nicht benutzt wird; gleichwohl ändert das Thier die einmal gewählte Richtung nicht, sondern verrichtet lieber ununterbrochen dieselbe Arbeit. Man kann die Gänge von denen des Maulwurfs leicht dadurch unterscheiden, daß die Haufen viel ungleichmäßiger sind, größere Erdbrocken haben, nicht in einer geraden Reihe fortlaufen und oben niemals offen gelassen werden. Jn diesen Bauen lebt die
Die Waſſerratte.
Ueberhaupt hat ſelten ein Thier ſoviel Schreiberei und zugleich ſoviel Zank hervorgerufen, als unſere Waſſerratte. Schon ſeit alten Zeiten herrſcht eine große Verwirrung in den Anſichten. Blaſius führt nicht weniger als dreizehn verſchiedene lateiniſche Namen der Waſſerratte auf, welche alle ge- wiſſe Abweichungen oder Abarten bezeichnen ſollen! Er behauptet, daß nach ſeinen Unterſuchungen alle dieſe verſchiedenen Formen nur unweſentliche Abänderungen ein- und derſelben Art ſind, ob- wohl er nicht leugnen kann, daß ſtändige Verſchiedenheiten vorkommen. Wir denken nicht daran, etwas zur Schlichtung dieſes Streites beitragen zu wollen, ſondern betrachten einfach das Leben un- ſerer Thiere, gleichviel, ob wir eine Waſſerratte als Schermaus oder eine Schermaus als ſelb- ſtändige Art vor uns haben.
Der Gegenſtand des Streites iſt 9¼ Zoll lang, wovon auf den Schwanz etwa 3¼ Zoll kom- men. Der Pelz kann einfarbig genannt werden; denn die graubraune oder braunſchwarze Ober- ſeite geht ganz allmählich in die etwas hellere, weißliche oder graue, bis ſchwarze oder ſchwarz- graue Unterſeite über. Von der Hausratte unterſcheidet die Waſſerratte ſofort der dicke, runde, kurze Kopf und der kurze Schwanz, welcher zwiſchen 130 und 140 Schuppenringe trägt, die ringsum gleichmäßig und ziemlich dicht mit kurzen, ſteifen Haaren beſetzt ſind. Die Naſenkuppe iſt fleiſch- farben; die Schnurren ſind ſchwarz, zuweilen weißſpitzig; die Jris iſt ſchwarzbraun; die Vorder- zähne ſind braungelb. Mancherlei Abweichungen in der Färbung kommen vor. Jn Sibirien erreicht das Thier eine bedeutendere Größe als in dem mittleren Europa; in Jtalien iſt es kleiner, oben ſchwärzlich, unten kaſtanienbraun; in England kommt eine ganz ſchwarze Abart mit faſt blendend- weißer Kehle vor; am Ob und Jeniſei leben andere, welche blaßgelblich ſind, und alle dieſe Ab- weichungen ſcheinen ſtändig zu ſein. Wollte man nach den gewöhnlich geltenden Grundſätzen ver- fahren, ſo müßte man ſie alle als eigene Arten anſehen. Selbſt Blaſius geſteht zu, daß namentlich drei verſchiedene Ausprägungen ein und derſelben Grundform ſich bemerklich machen; die eine iſt unſere echte Waſſerratte, die zweite die italieniſche Schermaus und die dritte unſere Reutmaus.
Die Waſſerratte iſt ſehr weit verbreitet. Sie reicht vom atlantiſchen bis zum ochotzkiſchen, vom weißen bis zum mittelländiſchen Meere. Eigentlich iſt ſie nirgends ſelten; denn ſie findet ſich eben- ſowohl in der Ebene, als in gebirgigen Gegenden; ja ſie kommt ſelbſt im Hochgebirge vor. Wollten wir die drei Abänderungen zu Arten erheben, ſo würden wir die erſtere als die weiteſt verbreitete anſehen und ihr namentlich die naſſen und feuchten Gegenden zur Wohnung anweiſen müſſen, während die zweite Form, welche hauptſächlich in der Provence, in Jtalien und Dalmatien lebt, mehr trockne Oertlichkeiten aufſucht, und die dritte, unſere Schermaus, faſt einzig und allein im bebauten Lande auf Wieſen noch regelmäßig bis zu diertauſend Fuß über dem Meere vorkommt.
Waſſerratten und Schermäuſe erinnern in ihrer Lebensweiſe vielfach an die Maulwürfe, aber auch an die Biſamratten und andere im Waſſer lebende Nager. Die Baue in der Nähe der Gewäſſer ſind regelmäßig einfacher, als die in trockneren Gärten und Feldern. Dort führt, wie be- merkt, ein ſchiefer Gang zu der Kammer, welche zu Zeiten ſehr weich ausgefüttert wird; hier aber legen ſich die Thiere Gänge an, welche viele hundert Schritte lang ſein können, werfen Haufen auf, wie die Maulwürfe, und bauen die Kammer in einem der größeren Hügel. Meiſt ziehen ſich die langen Gänge ganz dicht unter der Oberfläche des Bodens hin, niemals tiefer als die Pflanzenwurzeln hinabreichen, oft ſo flach, daß die Bodendecke beim Wühlen förmlich emporgehoben wird und die Be- deckung des Ganges nur aus einer kaum mehr als zollſtarken Erdſchicht beſteht. Solche Gänge werden natürlich ſehr oft zerſtört und unfahrbar gemacht; aber die Schermaus iſt unermüdlich, ſie auszubeſſern, ſelbſt wenn ſie die gleiche Arbeit an einem Tage mehrere Male verrichten müßte. Manchmal laufen ihre Gänge unter einem Fahrwege hin und dauern eben nur ſo lange aus, als der Weg nicht benutzt wird; gleichwohl ändert das Thier die einmal gewählte Richtung nicht, ſondern verrichtet lieber ununterbrochen dieſelbe Arbeit. Man kann die Gänge von denen des Maulwurfs leicht dadurch unterſcheiden, daß die Haufen viel ungleichmäßiger ſind, größere Erdbrocken haben, nicht in einer geraden Reihe fortlaufen und oben niemals offen gelaſſen werden. Jn dieſen Bauen lebt die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0169"n="153"/><fwplace="top"type="header">Die Waſſerratte.</fw><lb/>
Ueberhaupt hat ſelten ein Thier ſoviel Schreiberei und zugleich ſoviel Zank hervorgerufen, als unſere<lb/>
Waſſerratte. Schon ſeit alten Zeiten herrſcht eine große Verwirrung in den Anſichten. <hirendition="#g">Blaſius</hi><lb/>
führt nicht weniger als dreizehn verſchiedene lateiniſche Namen der Waſſerratte auf, welche alle ge-<lb/>
wiſſe Abweichungen oder Abarten bezeichnen ſollen! Er behauptet, daß nach ſeinen Unterſuchungen<lb/>
alle dieſe verſchiedenen Formen nur unweſentliche Abänderungen ein- und derſelben Art ſind, ob-<lb/>
wohl er nicht leugnen kann, daß ſtändige Verſchiedenheiten vorkommen. Wir denken nicht daran,<lb/>
etwas zur Schlichtung dieſes Streites beitragen zu wollen, ſondern betrachten einfach das Leben un-<lb/>ſerer Thiere, gleichviel, ob wir eine Waſſerratte als Schermaus oder eine Schermaus als ſelb-<lb/>ſtändige Art vor uns haben.</p><lb/><p>Der Gegenſtand des Streites iſt 9¼ Zoll lang, wovon auf den Schwanz etwa 3¼ Zoll kom-<lb/>
men. Der Pelz kann einfarbig genannt werden; denn die graubraune oder braunſchwarze Ober-<lb/>ſeite geht ganz allmählich in die etwas hellere, weißliche oder graue, bis ſchwarze oder ſchwarz-<lb/>
graue Unterſeite über. Von der Hausratte unterſcheidet die Waſſerratte ſofort der dicke, runde,<lb/>
kurze Kopf und der kurze Schwanz, welcher zwiſchen 130 und 140 Schuppenringe trägt, die ringsum<lb/>
gleichmäßig und ziemlich dicht mit kurzen, ſteifen Haaren beſetzt ſind. Die Naſenkuppe iſt fleiſch-<lb/>
farben; die Schnurren ſind ſchwarz, zuweilen weißſpitzig; die Jris iſt ſchwarzbraun; die Vorder-<lb/>
zähne ſind braungelb. Mancherlei Abweichungen in der Färbung kommen vor. Jn Sibirien erreicht<lb/>
das Thier eine bedeutendere Größe als in dem mittleren Europa; in Jtalien iſt es kleiner, oben<lb/>ſchwärzlich, unten kaſtanienbraun; in England kommt eine ganz ſchwarze Abart mit faſt blendend-<lb/>
weißer Kehle vor; am Ob und Jeniſei leben andere, welche blaßgelblich ſind, und alle dieſe Ab-<lb/>
weichungen ſcheinen ſtändig zu ſein. Wollte man nach den gewöhnlich geltenden Grundſätzen ver-<lb/>
fahren, ſo müßte man ſie alle als eigene Arten anſehen. Selbſt <hirendition="#g">Blaſius</hi> geſteht zu, daß namentlich<lb/>
drei verſchiedene Ausprägungen ein und derſelben Grundform ſich bemerklich machen; die eine iſt<lb/>
unſere echte Waſſerratte, die zweite die italieniſche Schermaus und die dritte unſere Reutmaus.</p><lb/><p>Die Waſſerratte iſt ſehr weit verbreitet. Sie reicht vom atlantiſchen bis zum ochotzkiſchen, vom<lb/>
weißen bis zum mittelländiſchen Meere. Eigentlich iſt ſie nirgends ſelten; denn ſie findet ſich eben-<lb/>ſowohl in der Ebene, als in gebirgigen Gegenden; ja ſie kommt ſelbſt im Hochgebirge vor. Wollten<lb/>
wir die drei Abänderungen zu Arten erheben, ſo würden wir die erſtere als die weiteſt verbreitete<lb/>
anſehen und ihr namentlich die naſſen und feuchten Gegenden zur Wohnung anweiſen müſſen, während<lb/>
die zweite Form, welche hauptſächlich in der Provence, in Jtalien und Dalmatien lebt, mehr trockne<lb/>
Oertlichkeiten aufſucht, und die dritte, unſere Schermaus, faſt einzig und allein im bebauten Lande<lb/>
auf Wieſen noch regelmäßig bis zu diertauſend Fuß über dem Meere vorkommt.</p><lb/><p>Waſſerratten und Schermäuſe erinnern in ihrer Lebensweiſe vielfach an die <hirendition="#g">Maulwürfe,</hi><lb/>
aber auch an die <hirendition="#g">Biſamratten</hi> und andere im Waſſer lebende Nager. Die Baue in der Nähe der<lb/>
Gewäſſer ſind regelmäßig einfacher, als die in trockneren Gärten und Feldern. Dort führt, wie be-<lb/>
merkt, ein ſchiefer Gang zu der Kammer, welche zu Zeiten ſehr weich ausgefüttert wird; hier aber<lb/>
legen ſich die Thiere Gänge an, welche viele hundert Schritte lang ſein können, werfen Haufen auf,<lb/>
wie die Maulwürfe, und bauen die Kammer in einem der größeren Hügel. Meiſt ziehen ſich die<lb/>
langen Gänge ganz dicht unter der Oberfläche des Bodens hin, niemals tiefer als die Pflanzenwurzeln<lb/>
hinabreichen, oft ſo flach, daß die Bodendecke beim Wühlen förmlich emporgehoben wird und die Be-<lb/>
deckung des Ganges nur aus einer kaum mehr als zollſtarken Erdſchicht beſteht. Solche Gänge<lb/>
werden natürlich ſehr oft zerſtört und unfahrbar gemacht; aber die Schermaus iſt unermüdlich, ſie<lb/>
auszubeſſern, ſelbſt wenn ſie die gleiche Arbeit an einem Tage mehrere Male verrichten müßte.<lb/>
Manchmal laufen ihre Gänge unter einem Fahrwege hin und dauern eben nur ſo lange aus, als der<lb/>
Weg nicht benutzt wird; gleichwohl ändert das Thier die einmal gewählte Richtung nicht, ſondern<lb/>
verrichtet lieber ununterbrochen dieſelbe Arbeit. Man kann die Gänge von denen des Maulwurfs<lb/>
leicht dadurch unterſcheiden, daß die Haufen viel ungleichmäßiger ſind, größere Erdbrocken haben, nicht<lb/>
in einer geraden Reihe fortlaufen und oben niemals offen gelaſſen werden. Jn dieſen Bauen lebt die<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[153/0169]
Die Waſſerratte.
Ueberhaupt hat ſelten ein Thier ſoviel Schreiberei und zugleich ſoviel Zank hervorgerufen, als unſere
Waſſerratte. Schon ſeit alten Zeiten herrſcht eine große Verwirrung in den Anſichten. Blaſius
führt nicht weniger als dreizehn verſchiedene lateiniſche Namen der Waſſerratte auf, welche alle ge-
wiſſe Abweichungen oder Abarten bezeichnen ſollen! Er behauptet, daß nach ſeinen Unterſuchungen
alle dieſe verſchiedenen Formen nur unweſentliche Abänderungen ein- und derſelben Art ſind, ob-
wohl er nicht leugnen kann, daß ſtändige Verſchiedenheiten vorkommen. Wir denken nicht daran,
etwas zur Schlichtung dieſes Streites beitragen zu wollen, ſondern betrachten einfach das Leben un-
ſerer Thiere, gleichviel, ob wir eine Waſſerratte als Schermaus oder eine Schermaus als ſelb-
ſtändige Art vor uns haben.
Der Gegenſtand des Streites iſt 9¼ Zoll lang, wovon auf den Schwanz etwa 3¼ Zoll kom-
men. Der Pelz kann einfarbig genannt werden; denn die graubraune oder braunſchwarze Ober-
ſeite geht ganz allmählich in die etwas hellere, weißliche oder graue, bis ſchwarze oder ſchwarz-
graue Unterſeite über. Von der Hausratte unterſcheidet die Waſſerratte ſofort der dicke, runde,
kurze Kopf und der kurze Schwanz, welcher zwiſchen 130 und 140 Schuppenringe trägt, die ringsum
gleichmäßig und ziemlich dicht mit kurzen, ſteifen Haaren beſetzt ſind. Die Naſenkuppe iſt fleiſch-
farben; die Schnurren ſind ſchwarz, zuweilen weißſpitzig; die Jris iſt ſchwarzbraun; die Vorder-
zähne ſind braungelb. Mancherlei Abweichungen in der Färbung kommen vor. Jn Sibirien erreicht
das Thier eine bedeutendere Größe als in dem mittleren Europa; in Jtalien iſt es kleiner, oben
ſchwärzlich, unten kaſtanienbraun; in England kommt eine ganz ſchwarze Abart mit faſt blendend-
weißer Kehle vor; am Ob und Jeniſei leben andere, welche blaßgelblich ſind, und alle dieſe Ab-
weichungen ſcheinen ſtändig zu ſein. Wollte man nach den gewöhnlich geltenden Grundſätzen ver-
fahren, ſo müßte man ſie alle als eigene Arten anſehen. Selbſt Blaſius geſteht zu, daß namentlich
drei verſchiedene Ausprägungen ein und derſelben Grundform ſich bemerklich machen; die eine iſt
unſere echte Waſſerratte, die zweite die italieniſche Schermaus und die dritte unſere Reutmaus.
Die Waſſerratte iſt ſehr weit verbreitet. Sie reicht vom atlantiſchen bis zum ochotzkiſchen, vom
weißen bis zum mittelländiſchen Meere. Eigentlich iſt ſie nirgends ſelten; denn ſie findet ſich eben-
ſowohl in der Ebene, als in gebirgigen Gegenden; ja ſie kommt ſelbſt im Hochgebirge vor. Wollten
wir die drei Abänderungen zu Arten erheben, ſo würden wir die erſtere als die weiteſt verbreitete
anſehen und ihr namentlich die naſſen und feuchten Gegenden zur Wohnung anweiſen müſſen, während
die zweite Form, welche hauptſächlich in der Provence, in Jtalien und Dalmatien lebt, mehr trockne
Oertlichkeiten aufſucht, und die dritte, unſere Schermaus, faſt einzig und allein im bebauten Lande
auf Wieſen noch regelmäßig bis zu diertauſend Fuß über dem Meere vorkommt.
Waſſerratten und Schermäuſe erinnern in ihrer Lebensweiſe vielfach an die Maulwürfe,
aber auch an die Biſamratten und andere im Waſſer lebende Nager. Die Baue in der Nähe der
Gewäſſer ſind regelmäßig einfacher, als die in trockneren Gärten und Feldern. Dort führt, wie be-
merkt, ein ſchiefer Gang zu der Kammer, welche zu Zeiten ſehr weich ausgefüttert wird; hier aber
legen ſich die Thiere Gänge an, welche viele hundert Schritte lang ſein können, werfen Haufen auf,
wie die Maulwürfe, und bauen die Kammer in einem der größeren Hügel. Meiſt ziehen ſich die
langen Gänge ganz dicht unter der Oberfläche des Bodens hin, niemals tiefer als die Pflanzenwurzeln
hinabreichen, oft ſo flach, daß die Bodendecke beim Wühlen förmlich emporgehoben wird und die Be-
deckung des Ganges nur aus einer kaum mehr als zollſtarken Erdſchicht beſteht. Solche Gänge
werden natürlich ſehr oft zerſtört und unfahrbar gemacht; aber die Schermaus iſt unermüdlich, ſie
auszubeſſern, ſelbſt wenn ſie die gleiche Arbeit an einem Tage mehrere Male verrichten müßte.
Manchmal laufen ihre Gänge unter einem Fahrwege hin und dauern eben nur ſo lange aus, als der
Weg nicht benutzt wird; gleichwohl ändert das Thier die einmal gewählte Richtung nicht, ſondern
verrichtet lieber ununterbrochen dieſelbe Arbeit. Man kann die Gänge von denen des Maulwurfs
leicht dadurch unterſcheiden, daß die Haufen viel ungleichmäßiger ſind, größere Erdbrocken haben, nicht
in einer geraden Reihe fortlaufen und oben niemals offen gelaſſen werden. Jn dieſen Bauen lebt die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/169>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.