geben haben, daß die Schwänze haben zusammenfrieren müssen? Jst es auf diese Art nicht möglich, daß die an den Schwänzen an einandergefrorenen Ratten, sobald sie nach ihrer Nah- rung gehen wollen und mit ihren angefrorenen Schwänzen nicht loskommen können, eine so feste Verwickelung bewerkstelligt haben müssen, daß sie auch bei bevorstehender Lebensgefahr sich nicht mehr losreißen können?"
"Auf Verlangen der Hochlöblichen Landstube E. E. Hochweisen Rathes allhier habe diese meine Gedanken nebst Dem, was ich laut dieses Berichts zugleich mit Herrn Eckolden bei der Untersuchung angetroffen, hiermit aufrichtigst anzuzeigen nicht anstehen wollen, so ich mit ihm eigenhändig unterschrieben habe."
Es ist möglich, daß derartige Verbindungen öfter vorkommen, als man annimmt, die wenig- sten aber werden gesunden, und an den meisten Orten ist der Aberglaube noch so groß, daß man einen etwa entdeckten Rattenkönig gewöhnlich sobald als möglich vernichtet.
Hierzu gibt Lenz einen für sich selbst redenden Beleg. Jn Döllstedt, einem zwei Meilen von Gotha gelegenen Dorfe, wurden im Dezember des Jahres 1822 zwei Rattenkönige zu gleicher Zeit gefangen. Drei Drescher, welche in der Scheuer des Forsthauses ein lautes Quieken vernahmen, suchten mit Hilfe des Knechtes nach und fanden, daß der starke Tragbalken des Stalles von oben ausgehöhlt war. Jn dieser Höhle sahen sie eine Menge lebender Ratten, wie sich nachher heraus- stellte, ihrer 42 Stück. Das Loch im Balken war offenbar von den Ratten hineingenagt worden. Es hatte ungefähr einen halben Fuß an Tiefe, war reinlich gehalten und auch nicht von Ueberbleib- seln der Nahrung und dergleichen umgeben. Der Zugang war für die alten Ratten, welche dort ihre Brut gefüttert haben mußten, ganz bequem, weil das ganze Jahr hindurch über dem Stall und seinem Tragbalken eine große Masse Stroh gelegen hatte. -- Der Knecht übernahm das Geschäft, die Ratten, welche ihren Wohnsitz nicht verlassen wollten oder nicht verlassen konnten, hervorzuholen und auf die Scheuertenne hinabzubringen. Dort sahen dann die vier Leute mit Staunen, daß 28 Ratten mit ihren Schwänzen fest verwachsen und um diesen Schwanzknäuel regelmäßig vertheilt im Kreise waren. Die übrigen 14 Ratten waren genau ebenso verwachsen und vertheilt. Alle 42 schienen von großem Hunger geplagt zu sein und quiekten fortwährend, sahen aber durchaus gesund aus; alle waren von gleicher und zwar so bedeutender Größe, daß sie jedenfalls vom letzten Frühjahre sein mußten. Jhrer Färbung nach zu schließen, waren es Hausratten. Sie sahen ganz rein und glatt aus, und man konnte kein Anzeichen bemerken, daß etwa vorher welche gestorben waren. Jhrer Gesinnung nach waren sie vollkommen friedlich und gemüthlich, ließen Alles über sich ergehen, was das vierköpfige Gericht über sie beschloß, und musicirten bei jeder über sie verhängten Handlung in gleicher Melodie. Der Vierzehnender ward lebend in die Stube des Forstaufsehers getragen, und da- hin kamen dann unaufhörlich Leute, um das wunderbare Ungeheuer zu beschauen. Nachdem die Schaulust der Dorfbewohner befriedigt war, endete das Schauspiel damit, daß die Drescher ihren Gefangenen im Triumph auf die Miststätte trugen und ihn dort unter dem Beifall der Menge solange draschen, bis er seine vierzehn Geister aufgab. Sie packten ihn nun noch mit zwei Mistgabeln, stachen fest ein und zerrten mit großer Gewalt nach zwei Seiten, bis sie drei Ratten von den übrigen los- gerissen. Die drei Schwänze zerrissen dabei nicht, hatten auch Haut und Haare noch; sie zeigten aber die Eindrücke, welche sie von den anderen Schwänzen bekommen hatten, ganz wie Riemen, welche lange mit einander verflochten gewesen sind. Den Achtundzwanzigender trugen die Leute in den Gast- hof und stellten ihn dort den immer frisch eindringenden Neu- und Wißbegierigen zur Schau aus. Zum Beschluß des Festes wurde auch dieser Rattenkönig jämmerlich gedroschen, todt auf den Dünger- haufen geworfen und nicht weiter beachtet.
Hätten die guten Leute gewußt, daß diese Rattenkönige sie sammt und sonders zu reichen Leuten hätten machen können: sie würden sicherlich ängstlich über das Leben der so eigenthümlich Verbundenen gewacht und sie in allen Städten Deutschlands zur Schau gestellt haben!
Der Rattenkönig.
geben haben, daß die Schwänze haben zuſammenfrieren müſſen? Jſt es auf dieſe Art nicht möglich, daß die an den Schwänzen an einandergefrorenen Ratten, ſobald ſie nach ihrer Nah- rung gehen wollen und mit ihren angefrorenen Schwänzen nicht loskommen können, eine ſo feſte Verwickelung bewerkſtelligt haben müſſen, daß ſie auch bei bevorſtehender Lebensgefahr ſich nicht mehr losreißen können?‟
„Auf Verlangen der Hochlöblichen Landſtube E. E. Hochweiſen Rathes allhier habe dieſe meine Gedanken nebſt Dem, was ich laut dieſes Berichts zugleich mit Herrn Eckolden bei der Unterſuchung angetroffen, hiermit aufrichtigſt anzuzeigen nicht anſtehen wollen, ſo ich mit ihm eigenhändig unterſchrieben habe.‟
Es iſt möglich, daß derartige Verbindungen öfter vorkommen, als man annimmt, die wenig- ſten aber werden geſunden, und an den meiſten Orten iſt der Aberglaube noch ſo groß, daß man einen etwa entdeckten Rattenkönig gewöhnlich ſobald als möglich vernichtet.
Hierzu gibt Lenz einen für ſich ſelbſt redenden Beleg. Jn Döllſtedt, einem zwei Meilen von Gotha gelegenen Dorfe, wurden im Dezember des Jahres 1822 zwei Rattenkönige zu gleicher Zeit gefangen. Drei Dreſcher, welche in der Scheuer des Forſthauſes ein lautes Quieken vernahmen, ſuchten mit Hilfe des Knechtes nach und fanden, daß der ſtarke Tragbalken des Stalles von oben ausgehöhlt war. Jn dieſer Höhle ſahen ſie eine Menge lebender Ratten, wie ſich nachher heraus- ſtellte, ihrer 42 Stück. Das Loch im Balken war offenbar von den Ratten hineingenagt worden. Es hatte ungefähr einen halben Fuß an Tiefe, war reinlich gehalten und auch nicht von Ueberbleib- ſeln der Nahrung und dergleichen umgeben. Der Zugang war für die alten Ratten, welche dort ihre Brut gefüttert haben mußten, ganz bequem, weil das ganze Jahr hindurch über dem Stall und ſeinem Tragbalken eine große Maſſe Stroh gelegen hatte. — Der Knecht übernahm das Geſchäft, die Ratten, welche ihren Wohnſitz nicht verlaſſen wollten oder nicht verlaſſen konnten, hervorzuholen und auf die Scheuertenne hinabzubringen. Dort ſahen dann die vier Leute mit Staunen, daß 28 Ratten mit ihren Schwänzen feſt verwachſen und um dieſen Schwanzknäuel regelmäßig vertheilt im Kreiſe waren. Die übrigen 14 Ratten waren genau ebenſo verwachſen und vertheilt. Alle 42 ſchienen von großem Hunger geplagt zu ſein und quiekten fortwährend, ſahen aber durchaus geſund aus; alle waren von gleicher und zwar ſo bedeutender Größe, daß ſie jedenfalls vom letzten Frühjahre ſein mußten. Jhrer Färbung nach zu ſchließen, waren es Hausratten. Sie ſahen ganz rein und glatt aus, und man konnte kein Anzeichen bemerken, daß etwa vorher welche geſtorben waren. Jhrer Geſinnung nach waren ſie vollkommen friedlich und gemüthlich, ließen Alles über ſich ergehen, was das vierköpfige Gericht über ſie beſchloß, und muſicirten bei jeder über ſie verhängten Handlung in gleicher Melodie. Der Vierzehnender ward lebend in die Stube des Forſtaufſehers getragen, und da- hin kamen dann unaufhörlich Leute, um das wunderbare Ungeheuer zu beſchauen. Nachdem die Schauluſt der Dorfbewohner befriedigt war, endete das Schauſpiel damit, daß die Dreſcher ihren Gefangenen im Triumph auf die Miſtſtätte trugen und ihn dort unter dem Beifall der Menge ſolange draſchen, bis er ſeine vierzehn Geiſter aufgab. Sie packten ihn nun noch mit zwei Miſtgabeln, ſtachen feſt ein und zerrten mit großer Gewalt nach zwei Seiten, bis ſie drei Ratten von den übrigen los- geriſſen. Die drei Schwänze zerriſſen dabei nicht, hatten auch Haut und Haare noch; ſie zeigten aber die Eindrücke, welche ſie von den anderen Schwänzen bekommen hatten, ganz wie Riemen, welche lange mit einander verflochten geweſen ſind. Den Achtundzwanzigender trugen die Leute in den Gaſt- hof und ſtellten ihn dort den immer friſch eindringenden Neu- und Wißbegierigen zur Schau aus. Zum Beſchluß des Feſtes wurde auch dieſer Rattenkönig jämmerlich gedroſchen, todt auf den Dünger- haufen geworfen und nicht weiter beachtet.
Hätten die guten Leute gewußt, daß dieſe Rattenkönige ſie ſammt und ſonders zu reichen Leuten hätten machen können: ſie würden ſicherlich ängſtlich über das Leben der ſo eigenthümlich Verbundenen gewacht und ſie in allen Städten Deutſchlands zur Schau geſtellt haben!
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Der Rattenkönig.
geben haben, daß die Schwänze haben zuſammenfrieren müſſen? Jſt es auf dieſe Art nicht
möglich, daß die an den Schwänzen an einandergefrorenen Ratten, ſobald ſie nach ihrer Nah-
rung gehen wollen und mit ihren angefrorenen Schwänzen nicht loskommen können, eine ſo
feſte Verwickelung bewerkſtelligt haben müſſen, daß ſie auch bei bevorſtehender Lebensgefahr ſich
nicht mehr losreißen können?‟
„Auf Verlangen der Hochlöblichen Landſtube E. E. Hochweiſen Rathes allhier habe dieſe
meine Gedanken nebſt Dem, was ich laut dieſes Berichts zugleich mit Herrn Eckolden bei der
Unterſuchung angetroffen, hiermit aufrichtigſt anzuzeigen nicht anſtehen wollen, ſo ich mit ihm
eigenhändig unterſchrieben habe.‟
Es iſt möglich, daß derartige Verbindungen öfter vorkommen, als man annimmt, die wenig-
ſten aber werden geſunden, und an den meiſten Orten iſt der Aberglaube noch ſo groß, daß man
einen etwa entdeckten Rattenkönig gewöhnlich ſobald als möglich vernichtet.
Hierzu gibt Lenz einen für ſich ſelbſt redenden Beleg. Jn Döllſtedt, einem zwei Meilen von
Gotha gelegenen Dorfe, wurden im Dezember des Jahres 1822 zwei Rattenkönige zu gleicher Zeit
gefangen. Drei Dreſcher, welche in der Scheuer des Forſthauſes ein lautes Quieken vernahmen,
ſuchten mit Hilfe des Knechtes nach und fanden, daß der ſtarke Tragbalken des Stalles von oben
ausgehöhlt war. Jn dieſer Höhle ſahen ſie eine Menge lebender Ratten, wie ſich nachher heraus-
ſtellte, ihrer 42 Stück. Das Loch im Balken war offenbar von den Ratten hineingenagt worden.
Es hatte ungefähr einen halben Fuß an Tiefe, war reinlich gehalten und auch nicht von Ueberbleib-
ſeln der Nahrung und dergleichen umgeben. Der Zugang war für die alten Ratten, welche dort
ihre Brut gefüttert haben mußten, ganz bequem, weil das ganze Jahr hindurch über dem Stall und
ſeinem Tragbalken eine große Maſſe Stroh gelegen hatte. — Der Knecht übernahm das Geſchäft, die
Ratten, welche ihren Wohnſitz nicht verlaſſen wollten oder nicht verlaſſen konnten, hervorzuholen und
auf die Scheuertenne hinabzubringen. Dort ſahen dann die vier Leute mit Staunen, daß 28 Ratten
mit ihren Schwänzen feſt verwachſen und um dieſen Schwanzknäuel regelmäßig vertheilt im Kreiſe
waren. Die übrigen 14 Ratten waren genau ebenſo verwachſen und vertheilt. Alle 42 ſchienen
von großem Hunger geplagt zu ſein und quiekten fortwährend, ſahen aber durchaus geſund aus;
alle waren von gleicher und zwar ſo bedeutender Größe, daß ſie jedenfalls vom letzten Frühjahre
ſein mußten. Jhrer Färbung nach zu ſchließen, waren es Hausratten. Sie ſahen ganz rein und
glatt aus, und man konnte kein Anzeichen bemerken, daß etwa vorher welche geſtorben waren. Jhrer
Geſinnung nach waren ſie vollkommen friedlich und gemüthlich, ließen Alles über ſich ergehen, was
das vierköpfige Gericht über ſie beſchloß, und muſicirten bei jeder über ſie verhängten Handlung in
gleicher Melodie. Der Vierzehnender ward lebend in die Stube des Forſtaufſehers getragen, und da-
hin kamen dann unaufhörlich Leute, um das wunderbare Ungeheuer zu beſchauen. Nachdem die
Schauluſt der Dorfbewohner befriedigt war, endete das Schauſpiel damit, daß die Dreſcher ihren
Gefangenen im Triumph auf die Miſtſtätte trugen und ihn dort unter dem Beifall der Menge ſolange
draſchen, bis er ſeine vierzehn Geiſter aufgab. Sie packten ihn nun noch mit zwei Miſtgabeln, ſtachen
feſt ein und zerrten mit großer Gewalt nach zwei Seiten, bis ſie drei Ratten von den übrigen los-
geriſſen. Die drei Schwänze zerriſſen dabei nicht, hatten auch Haut und Haare noch; ſie zeigten aber
die Eindrücke, welche ſie von den anderen Schwänzen bekommen hatten, ganz wie Riemen, welche
lange mit einander verflochten geweſen ſind. Den Achtundzwanzigender trugen die Leute in den Gaſt-
hof und ſtellten ihn dort den immer friſch eindringenden Neu- und Wißbegierigen zur Schau aus.
Zum Beſchluß des Feſtes wurde auch dieſer Rattenkönig jämmerlich gedroſchen, todt auf den Dünger-
haufen geworfen und nicht weiter beachtet.
Hätten die guten Leute gewußt, daß dieſe Rattenkönige ſie ſammt und ſonders zu reichen Leuten
hätten machen können: ſie würden ſicherlich ängſtlich über das Leben der ſo eigenthümlich Verbundenen
gewacht und ſie in allen Städten Deutſchlands zur Schau geſtellt haben!
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/141>, abgerufen am 27.11.2024.
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