Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865.Der Rattenkönig. den Topf öffnete, in den Schnee und suchte zu entfliehen. Nun setzte ich sie in einen Käfig auf eineUnterlage von Stroh und Heu und brachte sie in die warme Stube. Sie erholte sich bald soweit, daß man sah, das kalte Bad habe ihr Nichts geschadet. Jhre Freßlust hatte gegen früher eher zu-, als ab- genommen. Nach einigen Tagen setzte ich sie wieder aus der warmen Stube in ein ungeheiztes Zimmer, gab ihr aber Heu, und sie bereitete sich daraus auch alsbald ein bequemes Lager. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich nun, daß der offene Schaden von Tag zu Tag kleiner wurde; die Entzündung schwand immer mehr, und nach ungefähr 14 Tagen war die Heilung vollständig erfolgt. Hier hatte also offen- bar das eiskalte Bad die Entzündung gehoben und dadurch die Genesung bewerkstelligt. Kaum glaube ich, daß ein anderer verwandter Nager ein solches wiederholtes Bad ohne tödlichen Ausgang über- standen haben würde, und nur aus der Lebensweise und Lebenszähigkeit der Wanderratten, deren zweites Element das Wasser ist, läßt sich ein so glücklicher Erfolg erklären." "Die unteren Nagezähne wachsen den zahmen Ratten oft bis zu einer unglaublichen Länge und Jm Freileben kommt unter den Ratten zuweilen eine ganz eigenthümliche Krankheit vor. Mehrere "Am 17. Januar 1774 erscheint bei der Landstube zu Leipzig Christian Kaiser, Mühlknappe zu Lindenau, und bringt an: Was maaßen er an vergangenem Mittwoche frühe einen Rattenkönig von 16 Stück Ratten, Johann Adam Faßhauer zu Lindenau von seinem Herrn, Tobias Jägern, Am 22. Februar 1774 erscheint bei der Landstube Christian Kaiser, Mühlknappe zu Lindenau, und sagt aus: Es sei wirklich der Wahrheit gemäß, daß er am 12. Januar einen Rattenkönig von 16 Stück Der Rattenkönig. den Topf öffnete, in den Schnee und ſuchte zu entfliehen. Nun ſetzte ich ſie in einen Käfig auf eineUnterlage von Stroh und Heu und brachte ſie in die warme Stube. Sie erholte ſich bald ſoweit, daß man ſah, das kalte Bad habe ihr Nichts geſchadet. Jhre Freßluſt hatte gegen früher eher zu-, als ab- genommen. Nach einigen Tagen ſetzte ich ſie wieder aus der warmen Stube in ein ungeheiztes Zimmer, gab ihr aber Heu, und ſie bereitete ſich daraus auch alsbald ein bequemes Lager. Zu meinem Erſtaunen bemerkte ich nun, daß der offene Schaden von Tag zu Tag kleiner wurde; die Entzündung ſchwand immer mehr, und nach ungefähr 14 Tagen war die Heilung vollſtändig erfolgt. Hier hatte alſo offen- bar das eiskalte Bad die Entzündung gehoben und dadurch die Geneſung bewerkſtelligt. Kaum glaube ich, daß ein anderer verwandter Nager ein ſolches wiederholtes Bad ohne tödlichen Ausgang über- ſtanden haben würde, und nur aus der Lebensweiſe und Lebenszähigkeit der Wanderratten, deren zweites Element das Waſſer iſt, läßt ſich ein ſo glücklicher Erfolg erklären.‟ „Die unteren Nagezähne wachſen den zahmen Ratten oft bis zu einer unglaublichen Länge und Jm Freileben kommt unter den Ratten zuweilen eine ganz eigenthümliche Krankheit vor. Mehrere „Am 17. Januar 1774 erſcheint bei der Landſtube zu Leipzig Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau, und bringt an: Was maaßen er an vergangenem Mittwoche frühe einen Rattenkönig von 16 Stück Ratten, Johann Adam Faßhauer zu Lindenau von ſeinem Herrn, Tobias Jägern, Am 22. Februar 1774 erſcheint bei der Landſtube Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau, und ſagt aus: Es ſei wirklich der Wahrheit gemäß, daß er am 12. 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Hier hatte alſo offen-<lb/> bar das eiskalte Bad die Entzündung gehoben und dadurch die Geneſung bewerkſtelligt. Kaum glaube<lb/> ich, daß ein anderer verwandter Nager ein ſolches wiederholtes Bad ohne tödlichen Ausgang über-<lb/> ſtanden haben würde, und nur aus der Lebensweiſe und Lebenszähigkeit der Wanderratten, deren<lb/> zweites Element das Waſſer iſt, läßt ſich ein ſo glücklicher Erfolg erklären.‟</p><lb/> <p>„Die unteren Nagezähne wachſen den zahmen Ratten oft bis zu einer unglaublichen Länge und<lb/> ſind dann ſchraubenförmig gewunden. Jch habe auch geſehen, daß ſie durch das Backenfell gewachſen<lb/> waren und die Ratten derart am Freſſen verhinderten, daß dieſe endlich verhungern mußten.‟</p><lb/> <p>Jm Freileben kommt unter den Ratten zuweilen eine ganz eigenthümliche Krankheit vor. Mehrere<lb/> von ihnen verwachſen unter einander mit den Schwänzen und bilden dann den ſogenannten <hi rendition="#g">Ratten-<lb/> könig,</hi> den man ſich in früheren Zeiten freilich ganz anders vorſtellte, als gegenwärtig, wo man ihn<lb/> in dieſem oder jenem Muſeum ſehen kann. Früher glaubte man, daß der Rattenkönig geſchmückt mit<lb/> goldner Krone auf einer Gruppe innig verwachſener Ratten throne und von hier aus den ganzen Ratten-<lb/> ſtaat regiere! Soviel iſt ſicher, daß zuweilen eine ganze Anzahl feſt mit den Schwänzen verwickelter<lb/> Ratten gefunden wird, welche, weil ſie ſich nicht bewegen können, von Mitleidigen ihrer Art ernährt<lb/> werden müſſen. Die eigentliche Urſache dieſer Erſcheinung iſt bis jetzt noch nicht genügend bekannt<lb/> geworden. Man glaubt, daß eine eigenthümliche Ausſchwitzung der Rattenſchwänze ein Aufein-<lb/> anderkleben derſelben zur Folge habe, iſt aber nicht im Stande, etwas Sicheres darüber zu ſagen. 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Der Rattenkönig.
den Topf öffnete, in den Schnee und ſuchte zu entfliehen. Nun ſetzte ich ſie in einen Käfig auf eine
Unterlage von Stroh und Heu und brachte ſie in die warme Stube. Sie erholte ſich bald ſoweit, daß
man ſah, das kalte Bad habe ihr Nichts geſchadet. Jhre Freßluſt hatte gegen früher eher zu-, als ab-
genommen. Nach einigen Tagen ſetzte ich ſie wieder aus der warmen Stube in ein ungeheiztes Zimmer,
gab ihr aber Heu, und ſie bereitete ſich daraus auch alsbald ein bequemes Lager. Zu meinem Erſtaunen
bemerkte ich nun, daß der offene Schaden von Tag zu Tag kleiner wurde; die Entzündung ſchwand
immer mehr, und nach ungefähr 14 Tagen war die Heilung vollſtändig erfolgt. Hier hatte alſo offen-
bar das eiskalte Bad die Entzündung gehoben und dadurch die Geneſung bewerkſtelligt. Kaum glaube
ich, daß ein anderer verwandter Nager ein ſolches wiederholtes Bad ohne tödlichen Ausgang über-
ſtanden haben würde, und nur aus der Lebensweiſe und Lebenszähigkeit der Wanderratten, deren
zweites Element das Waſſer iſt, läßt ſich ein ſo glücklicher Erfolg erklären.‟
„Die unteren Nagezähne wachſen den zahmen Ratten oft bis zu einer unglaublichen Länge und
ſind dann ſchraubenförmig gewunden. Jch habe auch geſehen, daß ſie durch das Backenfell gewachſen
waren und die Ratten derart am Freſſen verhinderten, daß dieſe endlich verhungern mußten.‟
Jm Freileben kommt unter den Ratten zuweilen eine ganz eigenthümliche Krankheit vor. Mehrere
von ihnen verwachſen unter einander mit den Schwänzen und bilden dann den ſogenannten Ratten-
könig, den man ſich in früheren Zeiten freilich ganz anders vorſtellte, als gegenwärtig, wo man ihn
in dieſem oder jenem Muſeum ſehen kann. Früher glaubte man, daß der Rattenkönig geſchmückt mit
goldner Krone auf einer Gruppe innig verwachſener Ratten throne und von hier aus den ganzen Ratten-
ſtaat regiere! Soviel iſt ſicher, daß zuweilen eine ganze Anzahl feſt mit den Schwänzen verwickelter
Ratten gefunden wird, welche, weil ſie ſich nicht bewegen können, von Mitleidigen ihrer Art ernährt
werden müſſen. Die eigentliche Urſache dieſer Erſcheinung iſt bis jetzt noch nicht genügend bekannt
geworden. Man glaubt, daß eine eigenthümliche Ausſchwitzung der Rattenſchwänze ein Aufein-
anderkleben derſelben zur Folge habe, iſt aber nicht im Stande, etwas Sicheres darüber zu ſagen. Jn
Altenburg bewahrt man einen Rattenkönig auf, welcher aus 27 Stück Ratten gebildet wird; in
Bonn, bei Schnepfenthal, in Frankfurt, in Erfurt und in Lindenau bei Leipzig hat man
andere aufgefunden. Der letztgenannte iſt von Amtswegen genau beſchrieben worden, und ich glaube
manchem meiner Leſer einen Dienſt zu erzeigen, wenn ich hier den Jnhalt der betreffenden Akten folgen laſſe.
„Am 17. Januar 1774 erſcheint bei der Landſtube zu Leipzig
Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau,
und bringt an:
Was maaßen er an vergangenem Mittwoche frühe einen Rattenkönig von 16 Stück Ratten,
welche mit den Schwänzen in einander verflochten in der Mühle zu Lindenau gefangen habe,
welchen er, weil dieſer auf ihn losſpringen wollen, ſofort todtgeſchmiſſen. Dieſen Ratten-
könig habe
Johann Adam Faßhauer zu Lindenau von ſeinem Herrn, Tobias Jägern,
Müllern zu Lindenau unter dem Vorwande: daß er ſolchen abmalen wolle, abgeholt, und nun-
mehr wolle er den Rattenkönig nicht wieder hergeben, habe auch ſeit der Zeit viel Geld damit
verdient; er wolle daher gehorſamſt bitten, Faßhauern cum expensis anzudeuten, daß er ihm
ſofort ſeinen Rattenkönig wiedergeben und das damit verdiente Geld bezahlen ſolle u. ſ. w.
Am 22. Februar 1774 erſcheint bei der Landſtube
Chriſtian Kaiſer, Mühlknappe zu Lindenau, und ſagt aus:
Es ſei wirklich der Wahrheit gemäß, daß er am 12. Januar einen Rattenkönig von 16 Stück
Ratten in der Mühle zu Lindenau gefangen habe. Beſagten Tages habe er in der Mühle und
zwar bei einer Treppe in einem Unterzuge ein Geräuſch gehört, worauf er da die Treppe hinauf-
gegangen, einige Ratten bei ſothanem Unterzuge gucken ſehen, welche er mit einem Stück Holz
todtgeſchlagen. Hierauf hätte er eine Leiter an gedachten Ort angelegt, um zu ſehen, ob noch
mehr Ratten wären, und dieſen Rattenkönig mit Beihilfe einer Art auf den Platz geſchmiſſen,
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