Der gemeine Gartenschläfer oder die große Haselmaus.
lichthornfarben, die oberen Vorderzähne lichtbraun, die unteren lichtgelb. Schön dunkelschwarz- braune Augen verleihen dem Gartenschläfer ein kluges, gewecktes Ansehen.
Unser Thierchen, welches schon den alten Römern unter dem Namen "Nitela" bekannt war, gehört hauptsächlich den gemäßigten Gegenden des mittleren und westlichen Europa an und wird in Osteuropa durch den Baumschläfer vertreten. Frankreich, Belgien, die Schweiz, Jtalien, Deutsch- land, Ungarn, Galizien, Siebenbürgen und die russischen Ostseeprovinzen sind seine Heimat. Jn Deutschland ist der Gartenschläfer an manchen Orten, z. B. am Harz, recht häufig. Er bewohnt die Ebene, wie das Hügelland, lieber aber doch Berggegenden, und hier vorzugsweise Laubwaldungen, obgleich er auch im Schwarzwalde vorkommt. Jn der Schweiz steigt er bis in die Nähe der Glet- scher im Gebirge empor. Nicht selten findet man ihn auch in niederen Büschen oder in Gärten und Häusern.
Seine Nahrung ist die des Siebenschläfers; doch holt er sich aus den Häusern der Bergbewohner auch Fett und Butter, Speck und Schinken, und junge Vögel und Eier frißt er vielleicht noch lieber und noch mehr, als sein langsamerer Verwandter. Das Klettern und Springen versteht er meister- haft, und so ersetzt er in der Nacht das Eichhorn fast vollständig. Sein Nest unterscheidet sich von dem des Siebenschläfers dadurch, daß es frei steht: doch bezieht er unter Umständen auch Schlupf-
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Der gemeine Gartenschläfer oder die große Haselmaus (Eliomya Nitela).
winkel in Gemäuer, alte Rattenlöcher, Maulwurfgänge und andere Höhlungen im Gestein und in der Erde, bettet sie mit weichem Mose aus und macht sie sich so behaglich als möglich. Alte Eich- hornnester werden von ihm sehr gern als Wohnung benutzt; im Nothfalle baut er sich auch selbst ein Nest und häugt dieses frei zwischen Baumzweige.
Jn der ersten Hälfte des Mai paaren sich die Geschlechter. Mehrere Männchen streiten oft leb- haft um ein Weibchen, verfolgen sich gegenseitig unter fortwährendem Zischen und Schnauben und rasen förmlich auf den Bäumen umher. So friedlich sie sonst sind, so zänkisch, boshaft, bissig, mit einem Worte streitlustig zeigen sie sich jetzt, und die ernsthaftesten Gefechte werden mit einer Wuth ausgefochten, die man kaum von ihnen erwarten sollte; ja es kommt häufig genug vor, daß einer der Gegner von dem andern todtgebissen und dann sofort aufgefressen wird. Nach vierundzwanzigtägiger bis monatlicher Tragzeit wirft das Weibchen vier bis sechs nackte, blinde Junge, meistens in einem hübsch zubereiteten, freistehenden Neste, gern in einem alten Eich- hörnchen- oder Rabenneste-, sonst auch in einem Amsel- oder Drosselneste, welche letzteren unter Umständen gewaltsam in Besitz genommen werden. Das Nest wird mit Mos und Haaren
Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus.
lichthornfarben, die oberen Vorderzähne lichtbraun, die unteren lichtgelb. Schön dunkelſchwarz- braune Augen verleihen dem Gartenſchläfer ein kluges, gewecktes Anſehen.
Unſer Thierchen, welches ſchon den alten Römern unter dem Namen „Nitela‟ bekannt war, gehört hauptſächlich den gemäßigten Gegenden des mittleren und weſtlichen Europa an und wird in Oſteuropa durch den Baumſchläfer vertreten. Frankreich, Belgien, die Schweiz, Jtalien, Deutſch- land, Ungarn, Galizien, Siebenbürgen und die ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen ſind ſeine Heimat. Jn Deutſchland iſt der Gartenſchläfer an manchen Orten, z. B. am Harz, recht häufig. Er bewohnt die Ebene, wie das Hügelland, lieber aber doch Berggegenden, und hier vorzugsweiſe Laubwaldungen, obgleich er auch im Schwarzwalde vorkommt. Jn der Schweiz ſteigt er bis in die Nähe der Glet- ſcher im Gebirge empor. Nicht ſelten findet man ihn auch in niederen Büſchen oder in Gärten und Häuſern.
Seine Nahrung iſt die des Siebenſchläfers; doch holt er ſich aus den Häuſern der Bergbewohner auch Fett und Butter, Speck und Schinken, und junge Vögel und Eier frißt er vielleicht noch lieber und noch mehr, als ſein langſamerer Verwandter. Das Klettern und Springen verſteht er meiſter- haft, und ſo erſetzt er in der Nacht das Eichhorn faſt vollſtändig. Sein Neſt unterſcheidet ſich von dem des Siebenſchläfers dadurch, daß es frei ſteht: doch bezieht er unter Umſtänden auch Schlupf-
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Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus (Eliomya Nitela).
winkel in Gemäuer, alte Rattenlöcher, Maulwurfgänge und andere Höhlungen im Geſtein und in der Erde, bettet ſie mit weichem Moſe aus und macht ſie ſich ſo behaglich als möglich. Alte Eich- hornneſter werden von ihm ſehr gern als Wohnung benutzt; im Nothfalle baut er ſich auch ſelbſt ein Neſt und häugt dieſes frei zwiſchen Baumzweige.
Jn der erſten Hälfte des Mai paaren ſich die Geſchlechter. Mehrere Männchen ſtreiten oft leb- haft um ein Weibchen, verfolgen ſich gegenſeitig unter fortwährendem Ziſchen und Schnauben und raſen förmlich auf den Bäumen umher. So friedlich ſie ſonſt ſind, ſo zänkiſch, boshaft, biſſig, mit einem Worte ſtreitluſtig zeigen ſie ſich jetzt, und die ernſthafteſten Gefechte werden mit einer Wuth ausgefochten, die man kaum von ihnen erwarten ſollte; ja es kommt häufig genug vor, daß einer der Gegner von dem andern todtgebiſſen und dann ſofort aufgefreſſen wird. Nach vierundzwanzigtägiger bis monatlicher Tragzeit wirft das Weibchen vier bis ſechs nackte, blinde Junge, meiſtens in einem hübſch zubereiteten, freiſtehenden Neſte, gern in einem alten Eich- hörnchen- oder Rabenneſte-, ſonſt auch in einem Amſel- oder Droſſelneſte, welche letzteren unter Umſtänden gewaltſam in Beſitz genommen werden. Das Neſt wird mit Mos und Haaren
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Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus.
lichthornfarben, die oberen Vorderzähne lichtbraun, die unteren lichtgelb. Schön dunkelſchwarz-
braune Augen verleihen dem Gartenſchläfer ein kluges, gewecktes Anſehen.
Unſer Thierchen, welches ſchon den alten Römern unter dem Namen „Nitela‟ bekannt war,
gehört hauptſächlich den gemäßigten Gegenden des mittleren und weſtlichen Europa an und wird in
Oſteuropa durch den Baumſchläfer vertreten. Frankreich, Belgien, die Schweiz, Jtalien, Deutſch-
land, Ungarn, Galizien, Siebenbürgen und die ruſſiſchen Oſtſeeprovinzen ſind ſeine Heimat. Jn
Deutſchland iſt der Gartenſchläfer an manchen Orten, z. B. am Harz, recht häufig. Er bewohnt die
Ebene, wie das Hügelland, lieber aber doch Berggegenden, und hier vorzugsweiſe Laubwaldungen,
obgleich er auch im Schwarzwalde vorkommt. Jn der Schweiz ſteigt er bis in die Nähe der Glet-
ſcher im Gebirge empor. Nicht ſelten findet man ihn auch in niederen Büſchen oder in Gärten
und Häuſern.
Seine Nahrung iſt die des Siebenſchläfers; doch holt er ſich aus den Häuſern der Bergbewohner
auch Fett und Butter, Speck und Schinken, und junge Vögel und Eier frißt er vielleicht noch lieber
und noch mehr, als ſein langſamerer Verwandter. Das Klettern und Springen verſteht er meiſter-
haft, und ſo erſetzt er in der Nacht das Eichhorn faſt vollſtändig. Sein Neſt unterſcheidet ſich von
dem des Siebenſchläfers dadurch, daß es frei ſteht: doch bezieht er unter Umſtänden auch Schlupf-
[Abbildung Der gemeine Gartenſchläfer oder die große Haſelmaus (Eliomya Nitela).]
winkel in Gemäuer, alte Rattenlöcher, Maulwurfgänge und andere Höhlungen im Geſtein und in
der Erde, bettet ſie mit weichem Moſe aus und macht ſie ſich ſo behaglich als möglich. Alte Eich-
hornneſter werden von ihm ſehr gern als Wohnung benutzt; im Nothfalle baut er ſich auch ſelbſt ein
Neſt und häugt dieſes frei zwiſchen Baumzweige.
Jn der erſten Hälfte des Mai paaren ſich die Geſchlechter. Mehrere Männchen ſtreiten oft leb-
haft um ein Weibchen, verfolgen ſich gegenſeitig unter fortwährendem Ziſchen und Schnauben und
raſen förmlich auf den Bäumen umher. So friedlich ſie ſonſt ſind, ſo zänkiſch, boshaft, biſſig, mit
einem Worte ſtreitluſtig zeigen ſie ſich jetzt, und die ernſthafteſten Gefechte werden mit einer
Wuth ausgefochten, die man kaum von ihnen erwarten ſollte; ja es kommt häufig genug vor,
daß einer der Gegner von dem andern todtgebiſſen und dann ſofort aufgefreſſen wird. Nach
vierundzwanzigtägiger bis monatlicher Tragzeit wirft das Weibchen vier bis ſechs nackte, blinde
Junge, meiſtens in einem hübſch zubereiteten, freiſtehenden Neſte, gern in einem alten Eich-
hörnchen- oder Rabenneſte-, ſonſt auch in einem Amſel- oder Droſſelneſte, welche letzteren
unter Umſtänden gewaltſam in Beſitz genommen werden. Das Neſt wird mit Mos und Haaren
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/121>, abgerufen am 25.11.2024.
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