welchem namentlich die gewaltigen Schneidezähne stark hervortreten, unterscheidet sie scharf von den Mullen. Die Vorder- und Hinterpfoten sind fünfzehig mit starken Sichelkrallen und nackten Sohlen. Jm innern Leibesbau zeigen sie viel Eigenthümlichkeiten, doch sind diese alle bei weitem nicht so auf- fallend, als die äußere Gestaltung. Merkwürdig ist, daß auch in dieser Familie wieder, wie bei den Maulwürfen, die Arten einer Sippe vollständig blind sind.
Die erste Sippe, welche Andere als eigene Familie ansehen, enthält die Taschenratten (Ascomys oder Geomys), Thiere, welche in ihrer ganzen Erscheinung ebensoviel Aehnlichkeit mit den Hörnchen, als mit den eigentlichen Urbildern der Sandgräber, nämlich mit den Blindmollen, zeigen. Jhre Backentaschen sind sehr groß. Die Füße sind fünfzehig, die Krallen an den vorderen sehr lang und stark, an den hinteren aber kurz; der Schwanz ist an der Wurzel behaart, am Ende dagegen nackt.
Die kanadische Taschenratte oder der "Goffer", wie er im Lande selbst heißt (Geomys bursarius oder Aseomys canadensis) ist etwas kleiner, als unser Hamster, nämlich sammt dem 3 Zoll langen Schwanze 11 Zoll lang und am Widerrist gegen 3 Zoll hoch; er steht hinsichtlich seiner Gestalt etwa zwischen Hamster und Maulwurf mitten inne. Der Pelz ist ungemein dicht
[Abbildung]
Die kanadische Taschenratte oder der "Goffer" (Geomys bursarius oder Ascomys canadensis).
welch und fein. Die Haare sind an ihrer Wurzel tief graublau, an ihren Spitzen röthlich auf der Oberseite und gelbgrau auf der Unterseite; der Schwanz und die spärlich behaarten Füße sind weißlich.
Lange Zeit haben die Backentaschen als das Merkwürdigste am ganzen Thiere gegolten. Die Thierkundigen, welche über den Goffer zuerst berichten, erhielten ihn nämlich von den Jndianern, und diese hatten sich das Vergnügen gemacht, beide Backentaschen mit Erde vollzupfropfen und da- durch so ungebührlich auszudehnen, daß die Taschen beim Gehen des Thieres auf der Erde geschleppt haben würden. Die künstlich ausgedehnten Taschen verschafften dem Goffer seinen deutschen und den ersten lateinischen Namen; die Ausstopfer bemühten sich nach Kräften, den Scherz der Jndianer nachzuahmen, und die Zeichner endlich hielten sich nur zu treu an die ihnen zugänglichen Vorlagen. Diesen Umständen haben wir es zuzuschreiben, daß noch heutigen Tages die Abbildungen uns wahre Scheusale von Thieren vorführen, wenn sie uns mit dem Goffer bekannt machen wollen. Lichten- stein schob die ausgedehnten Taschen einfach zurück und bewies, daß dieselben zwar sehr groß, aber durchaus nicht anders gebaut sind, als bei den vielen übrigen Thieren, welche Backentaschen besitzen.
Brehm, Thierleben. II. 7
Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer.
welchem namentlich die gewaltigen Schneidezähne ſtark hervortreten, unterſcheidet ſie ſcharf von den Mullen. Die Vorder- und Hinterpfoten ſind fünfzehig mit ſtarken Sichelkrallen und nackten Sohlen. Jm innern Leibesbau zeigen ſie viel Eigenthümlichkeiten, doch ſind dieſe alle bei weitem nicht ſo auf- fallend, als die äußere Geſtaltung. Merkwürdig iſt, daß auch in dieſer Familie wieder, wie bei den Maulwürfen, die Arten einer Sippe vollſtändig blind ſind.
Die erſte Sippe, welche Andere als eigene Familie anſehen, enthält die Taſchenratten (Ascomys oder Geomys), Thiere, welche in ihrer ganzen Erſcheinung ebenſoviel Aehnlichkeit mit den Hörnchen, als mit den eigentlichen Urbildern der Sandgräber, nämlich mit den Blindmollen, zeigen. Jhre Backentaſchen ſind ſehr groß. Die Füße ſind fünfzehig, die Krallen an den vorderen ſehr lang und ſtark, an den hinteren aber kurz; der Schwanz iſt an der Wurzel behaart, am Ende dagegen nackt.
Die kanadiſche Taſchenratte oder der „Goffer‟, wie er im Lande ſelbſt heißt (Geomys bursarius oder Aseomys canadensis) iſt etwas kleiner, als unſer Hamſter, nämlich ſammt dem 3 Zoll langen Schwanze 11 Zoll lang und am Widerriſt gegen 3 Zoll hoch; er ſteht hinſichtlich ſeiner Geſtalt etwa zwiſchen Hamſter und Maulwurf mitten inne. Der Pelz iſt ungemein dicht
[Abbildung]
Die kanadiſche Taſchenratte oder der „Goffer‟ (Geomys bursarius oder Ascomys canadensis).
welch und fein. Die Haare ſind an ihrer Wurzel tief graublau, an ihren Spitzen röthlich auf der Oberſeite und gelbgrau auf der Unterſeite; der Schwanz und die ſpärlich behaarten Füße ſind weißlich.
Lange Zeit haben die Backentaſchen als das Merkwürdigſte am ganzen Thiere gegolten. Die Thierkundigen, welche über den Goffer zuerſt berichten, erhielten ihn nämlich von den Jndianern, und dieſe hatten ſich das Vergnügen gemacht, beide Backentaſchen mit Erde vollzupfropfen und da- durch ſo ungebührlich auszudehnen, daß die Taſchen beim Gehen des Thieres auf der Erde geſchleppt haben würden. Die künſtlich ausgedehnten Taſchen verſchafften dem Goffer ſeinen deutſchen und den erſten lateiniſchen Namen; die Ausſtopfer bemühten ſich nach Kräften, den Scherz der Jndianer nachzuahmen, und die Zeichner endlich hielten ſich nur zu treu an die ihnen zugänglichen Vorlagen. Dieſen Umſtänden haben wir es zuzuſchreiben, daß noch heutigen Tages die Abbildungen uns wahre Scheuſale von Thieren vorführen, wenn ſie uns mit dem Goffer bekannt machen wollen. Lichten- ſtein ſchob die ausgedehnten Taſchen einfach zurück und bewies, daß dieſelben zwar ſehr groß, aber durchaus nicht anders gebaut ſind, als bei den vielen übrigen Thieren, welche Backentaſchen beſitzen.
Brehm, Thierleben. II. 7
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Die kanadiſche Taſchenratte oder der Goffer.
welchem namentlich die gewaltigen Schneidezähne ſtark hervortreten, unterſcheidet ſie ſcharf von den
Mullen. Die Vorder- und Hinterpfoten ſind fünfzehig mit ſtarken Sichelkrallen und nackten Sohlen.
Jm innern Leibesbau zeigen ſie viel Eigenthümlichkeiten, doch ſind dieſe alle bei weitem nicht ſo auf-
fallend, als die äußere Geſtaltung. Merkwürdig iſt, daß auch in dieſer Familie wieder, wie bei den
Maulwürfen, die Arten einer Sippe vollſtändig blind ſind.
Die erſte Sippe, welche Andere als eigene Familie anſehen, enthält die Taſchenratten
(Ascomys oder Geomys), Thiere, welche in ihrer ganzen Erſcheinung ebenſoviel Aehnlichkeit mit
den Hörnchen, als mit den eigentlichen Urbildern der Sandgräber, nämlich mit den Blindmollen,
zeigen. Jhre Backentaſchen ſind ſehr groß. Die Füße ſind fünfzehig, die Krallen an den vorderen
ſehr lang und ſtark, an den hinteren aber kurz; der Schwanz iſt an der Wurzel behaart, am Ende
dagegen nackt.
Die kanadiſche Taſchenratte oder der „Goffer‟, wie er im Lande ſelbſt heißt (Geomys
bursarius oder Aseomys canadensis) iſt etwas kleiner, als unſer Hamſter, nämlich ſammt dem
3 Zoll langen Schwanze 11 Zoll lang und am Widerriſt gegen 3 Zoll hoch; er ſteht hinſichtlich
ſeiner Geſtalt etwa zwiſchen Hamſter und Maulwurf mitten inne. Der Pelz iſt ungemein dicht
[Abbildung Die kanadiſche Taſchenratte oder der „Goffer‟ (Geomys bursarius oder Ascomys canadensis).]
welch und fein. Die Haare ſind an ihrer Wurzel tief graublau, an ihren Spitzen röthlich auf der
Oberſeite und gelbgrau auf der Unterſeite; der Schwanz und die ſpärlich behaarten Füße ſind
weißlich.
Lange Zeit haben die Backentaſchen als das Merkwürdigſte am ganzen Thiere gegolten. Die
Thierkundigen, welche über den Goffer zuerſt berichten, erhielten ihn nämlich von den Jndianern,
und dieſe hatten ſich das Vergnügen gemacht, beide Backentaſchen mit Erde vollzupfropfen und da-
durch ſo ungebührlich auszudehnen, daß die Taſchen beim Gehen des Thieres auf der Erde geſchleppt
haben würden. Die künſtlich ausgedehnten Taſchen verſchafften dem Goffer ſeinen deutſchen und den
erſten lateiniſchen Namen; die Ausſtopfer bemühten ſich nach Kräften, den Scherz der Jndianer
nachzuahmen, und die Zeichner endlich hielten ſich nur zu treu an die ihnen zugänglichen Vorlagen.
Dieſen Umſtänden haben wir es zuzuſchreiben, daß noch heutigen Tages die Abbildungen uns wahre
Scheuſale von Thieren vorführen, wenn ſie uns mit dem Goffer bekannt machen wollen. Lichten-
ſtein ſchob die ausgedehnten Taſchen einfach zurück und bewies, daß dieſelben zwar ſehr groß, aber
durchaus nicht anders gebaut ſind, als bei den vielen übrigen Thieren, welche Backentaſchen beſitzen.
Brehm, Thierleben. II. 7
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 2. Hildburghausen, 1865, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben02_1865/111>, abgerufen am 24.11.2024.
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