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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Lebensweise. Stimme. Geistiges Wesen.
das Gesicht so rein, daß manche Menschenkinder die jungen Affen um diesen Genuß so großer Sorg-
falt beneiden könnten." Die Mutterliebe der Langarmaffen zeigt sich übrigens unter allen Umstän-
den. Duvaucel beobachtete, daß bei Gefahr jedes Mitglied einer Gibbon bande nur für seine
eigene Sicherheit bedacht ist und sich nicht im Geringsten um das Schicksal seines Mitbruders küm-
mert: allein niemals verläßt eine Mutter ihr Kind. Geräth dieses in Gefahr oder wird es gar ver-
wundet, so bleibt die Mutter, welche es bis dahin trug oder wenigstens begleitete, treu in seiner
Nähe, schreit fürchterlich, breitet jammernd ihre langen Arme aus und öffnet das Maul, als wolle
sie damit ihrem Gegner drohen. Zu einem wirklichen Augriffe ist sie viel zu schwach, ja, auf der
Erde sogar zum Ausweichen zu ungeschickt: sie ist nicht im Stande, einen Schlag auszutheilen, und
unfähig, einem auszuweichen. Man kann alle Gibbons leicht fangen, wenn man sie auf dem Boden
überrascht; sie versuchen zwar, zu entfliehen, aber ihre Unbehilflichkeit wird dann erst recht sichtbar. Der
für ihre Hinterglieder viel zu hohe und schwere Leib neigt sich nach vorn, sobald sie sich gehend in Be-
wegung setzen, und ihre Vorderglieder dienen ihnen gleichsam nur als Stelzen: sie hüpfen auf ihnen
dahin, wie ein hinkender Mensch, welcher aus Angst sein Möglichstes thut. Wenn man ihnen nur
nahe auf den Leib rückt, scheint sie das Gefühl ihrer Schwäche gänzlich zu entmannen; denn sie lassen
sich erfassen und leisten dann keinen nennenswerthen Widerstand. Daher verdient es auch wohl Glaub-
würdigkeit, wenn die Malayen erzählen, daß der herbeischleichende, furchtbare Tiger die Gibbons mit
seinem glühenden Auge förmlich bezaubern und festbannen könne, ohne daß sie auch nur einen Versuch
machten, ihm oder ihrem Verderben zu entrinnen. -- Dies ist so ziemlich Alles, was man von diesen
Affen, so lange sie ihre Freiheit besaßen, gesehen hat. Man sieht sie freilich nicht oft; denn ihr feines
Gehör soll ihnen regelmäßig die Annäherung eines Menschen verrathen und sie zur schleunigen Flucht
veranlassen, welche sie dann immer bald der Beobachtung entzieht.

Um so öfter hört man sie. Bei Sonnenauf- und Untergang pflegen sie ihre lautschallenden
Stimmen zu einem so furchtbaren Geschrei zu vereinigen, daß man taub werden möchte, wenn man nah
ist, und wahrhaft erschrickt, wenn man die sonderbare Musik nicht gewohnt ist. Sie sind die Brüll-
affen
der alten Welt, die Wecker der malayischen Bergbewohner und zugleich der Aerger der Städter,
denen sie den Aufenthalt auf ihren Landhäufern verbittern. Man soll ihr Geschrei auf eine englische
Meile weit hören können. Von gefangenen Langarmen hat man es auch oft vernommen und zwar
von denen, | welche Kehlsäcke besitzen, ebenso gut, wie von denen, welchen diese Stimmverstärkungs-
trommeln fehlen. Ein guter Beobachter, Bennett, besaß einen lebenden Siamang und bemerkte,
daß dieser, wenn er irgendwie erregt war, jedesmal die Lippen trichterförmig vorstreckte, dann Luft in
die Kehlsäcke blies und nun lospolterte, fast wie ein Truthahn. Er schrie ebensowohl bei freudiger als
bei zorniger Aufregung. Auch das Ungko weibchen in London schrie zuweilen laut und zwar in höchst
eigenthümlicher, tonverständiger Weise. Man konnte das Geschrei sehr gut in Noten wiedergeben.
Es begann mit dem Grundton E und stieg dann in halben Tönen eine volle Oktave hinauf, die chro-
matische Tonleiter durchlaufend. Der Grundton blieb immer hörbar und diente als Vorschlag für jede
folgende Note. Jm Aufsteigen der Tonleiter folgten sich die einzelnen Töne immer langsamer, im Ab-
steigen aber schneller und zuletzt außerordentlich rasch. Den Schluß bildete jedesmal ein gellender
Schrei, welcher mit aller Kraft ausgestoßen wurde. Die Regelmäßigkeit, Schnelligkeit und Sicherheit,
mit welcher das Thier die Tonleiter herschrie, erregte allgemeine Bewunderung. Es schien, als ob die
Aeffin selbst davon im höchsten Grade aufgeregt werde; denn jede Muskel spannte sich an und der ganze
Körper gerieth in zitternde Bewegung.

Schon das Geschrei des einen Affen war für das Zimmer zu gellend; es gab aber auch einen
Maßstab für die vereinigten Tonaufführungen großer Banden im freien Walde. Der gefangene
Gibbon schrie übrigens nur am Morgen.

Ueber die geistigen Fähigkeiten der Langarmaffen sind die Meinungen der Beobachter getheilt.
Duvaucel nennt den Siamang langsam, dumm, tölpisch, faul, ungeschickt, furchtsam und langwei-
lig, gleichgiltig gegen seinen Pfleger und vollkommen unempfänglich für Gefühle des Wohlwollens,

Lebensweiſe. Stimme. Geiſtiges Weſen.
das Geſicht ſo rein, daß manche Menſchenkinder die jungen Affen um dieſen Genuß ſo großer Sorg-
falt beneiden könnten.‟ Die Mutterliebe der Langarmaffen zeigt ſich übrigens unter allen Umſtän-
den. Duvaucel beobachtete, daß bei Gefahr jedes Mitglied einer Gibbon bande nur für ſeine
eigene Sicherheit bedacht iſt und ſich nicht im Geringſten um das Schickſal ſeines Mitbruders küm-
mert: allein niemals verläßt eine Mutter ihr Kind. Geräth dieſes in Gefahr oder wird es gar ver-
wundet, ſo bleibt die Mutter, welche es bis dahin trug oder wenigſtens begleitete, treu in ſeiner
Nähe, ſchreit fürchterlich, breitet jammernd ihre langen Arme aus und öffnet das Maul, als wolle
ſie damit ihrem Gegner drohen. Zu einem wirklichen Augriffe iſt ſie viel zu ſchwach, ja, auf der
Erde ſogar zum Ausweichen zu ungeſchickt: ſie iſt nicht im Stande, einen Schlag auszutheilen, und
unfähig, einem auszuweichen. Man kann alle Gibbons leicht fangen, wenn man ſie auf dem Boden
überraſcht; ſie verſuchen zwar, zu entfliehen, aber ihre Unbehilflichkeit wird dann erſt recht ſichtbar. Der
für ihre Hinterglieder viel zu hohe und ſchwere Leib neigt ſich nach vorn, ſobald ſie ſich gehend in Be-
wegung ſetzen, und ihre Vorderglieder dienen ihnen gleichſam nur als Stelzen: ſie hüpfen auf ihnen
dahin, wie ein hinkender Menſch, welcher aus Angſt ſein Möglichſtes thut. Wenn man ihnen nur
nahe auf den Leib rückt, ſcheint ſie das Gefühl ihrer Schwäche gänzlich zu entmannen; denn ſie laſſen
ſich erfaſſen und leiſten dann keinen nennenswerthen Widerſtand. Daher verdient es auch wohl Glaub-
würdigkeit, wenn die Malayen erzählen, daß der herbeiſchleichende, furchtbare Tiger die Gibbons mit
ſeinem glühenden Auge förmlich bezaubern und feſtbannen könne, ohne daß ſie auch nur einen Verſuch
machten, ihm oder ihrem Verderben zu entrinnen. — Dies iſt ſo ziemlich Alles, was man von dieſen
Affen, ſo lange ſie ihre Freiheit beſaßen, geſehen hat. Man ſieht ſie freilich nicht oft; denn ihr feines
Gehör ſoll ihnen regelmäßig die Annäherung eines Menſchen verrathen und ſie zur ſchleunigen Flucht
veranlaſſen, welche ſie dann immer bald der Beobachtung entzieht.

Um ſo öfter hört man ſie. Bei Sonnenauf- und Untergang pflegen ſie ihre lautſchallenden
Stimmen zu einem ſo furchtbaren Geſchrei zu vereinigen, daß man taub werden möchte, wenn man nah
iſt, und wahrhaft erſchrickt, wenn man die ſonderbare Muſik nicht gewohnt iſt. Sie ſind die Brüll-
affen
der alten Welt, die Wecker der malayiſchen Bergbewohner und zugleich der Aerger der Städter,
denen ſie den Aufenthalt auf ihren Landhäufern verbittern. Man ſoll ihr Geſchrei auf eine engliſche
Meile weit hören können. Von gefangenen Langarmen hat man es auch oft vernommen und zwar
von denen, | welche Kehlſäcke beſitzen, ebenſo gut, wie von denen, welchen dieſe Stimmverſtärkungs-
trommeln fehlen. Ein guter Beobachter, Bennett, beſaß einen lebenden Siamang und bemerkte,
daß dieſer, wenn er irgendwie erregt war, jedesmal die Lippen trichterförmig vorſtreckte, dann Luft in
die Kehlſäcke blies und nun lospolterte, faſt wie ein Truthahn. Er ſchrie ebenſowohl bei freudiger als
bei zorniger Aufregung. Auch das Ungko weibchen in London ſchrie zuweilen laut und zwar in höchſt
eigenthümlicher, tonverſtändiger Weiſe. Man konnte das Geſchrei ſehr gut in Noten wiedergeben.
Es begann mit dem Grundton E und ſtieg dann in halben Tönen eine volle Oktave hinauf, die chro-
matiſche Tonleiter durchlaufend. Der Grundton blieb immer hörbar und diente als Vorſchlag für jede
folgende Note. Jm Aufſteigen der Tonleiter folgten ſich die einzelnen Töne immer langſamer, im Ab-
ſteigen aber ſchneller und zuletzt außerordentlich raſch. Den Schluß bildete jedesmal ein gellender
Schrei, welcher mit aller Kraft ausgeſtoßen wurde. Die Regelmäßigkeit, Schnelligkeit und Sicherheit,
mit welcher das Thier die Tonleiter herſchrie, erregte allgemeine Bewunderung. Es ſchien, als ob die
Aeffin ſelbſt davon im höchſten Grade aufgeregt werde; denn jede Muskel ſpannte ſich an und der ganze
Körper gerieth in zitternde Bewegung.

Schon das Geſchrei des einen Affen war für das Zimmer zu gellend; es gab aber auch einen
Maßſtab für die vereinigten Tonaufführungen großer Banden im freien Walde. Der gefangene
Gibbon ſchrie übrigens nur am Morgen.

Ueber die geiſtigen Fähigkeiten der Langarmaffen ſind die Meinungen der Beobachter getheilt.
Duvaucel nennt den Siamang langſam, dumm, tölpiſch, faul, ungeſchickt, furchtſam und langwei-
lig, gleichgiltig gegen ſeinen Pfleger und vollkommen unempfänglich für Gefühle des Wohlwollens,

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[39/0091] Lebensweiſe. Stimme. Geiſtiges Weſen. das Geſicht ſo rein, daß manche Menſchenkinder die jungen Affen um dieſen Genuß ſo großer Sorg- falt beneiden könnten.‟ Die Mutterliebe der Langarmaffen zeigt ſich übrigens unter allen Umſtän- den. Duvaucel beobachtete, daß bei Gefahr jedes Mitglied einer Gibbon bande nur für ſeine eigene Sicherheit bedacht iſt und ſich nicht im Geringſten um das Schickſal ſeines Mitbruders küm- mert: allein niemals verläßt eine Mutter ihr Kind. Geräth dieſes in Gefahr oder wird es gar ver- wundet, ſo bleibt die Mutter, welche es bis dahin trug oder wenigſtens begleitete, treu in ſeiner Nähe, ſchreit fürchterlich, breitet jammernd ihre langen Arme aus und öffnet das Maul, als wolle ſie damit ihrem Gegner drohen. Zu einem wirklichen Augriffe iſt ſie viel zu ſchwach, ja, auf der Erde ſogar zum Ausweichen zu ungeſchickt: ſie iſt nicht im Stande, einen Schlag auszutheilen, und unfähig, einem auszuweichen. Man kann alle Gibbons leicht fangen, wenn man ſie auf dem Boden überraſcht; ſie verſuchen zwar, zu entfliehen, aber ihre Unbehilflichkeit wird dann erſt recht ſichtbar. Der für ihre Hinterglieder viel zu hohe und ſchwere Leib neigt ſich nach vorn, ſobald ſie ſich gehend in Be- wegung ſetzen, und ihre Vorderglieder dienen ihnen gleichſam nur als Stelzen: ſie hüpfen auf ihnen dahin, wie ein hinkender Menſch, welcher aus Angſt ſein Möglichſtes thut. Wenn man ihnen nur nahe auf den Leib rückt, ſcheint ſie das Gefühl ihrer Schwäche gänzlich zu entmannen; denn ſie laſſen ſich erfaſſen und leiſten dann keinen nennenswerthen Widerſtand. Daher verdient es auch wohl Glaub- würdigkeit, wenn die Malayen erzählen, daß der herbeiſchleichende, furchtbare Tiger die Gibbons mit ſeinem glühenden Auge förmlich bezaubern und feſtbannen könne, ohne daß ſie auch nur einen Verſuch machten, ihm oder ihrem Verderben zu entrinnen. — Dies iſt ſo ziemlich Alles, was man von dieſen Affen, ſo lange ſie ihre Freiheit beſaßen, geſehen hat. Man ſieht ſie freilich nicht oft; denn ihr feines Gehör ſoll ihnen regelmäßig die Annäherung eines Menſchen verrathen und ſie zur ſchleunigen Flucht veranlaſſen, welche ſie dann immer bald der Beobachtung entzieht. Um ſo öfter hört man ſie. Bei Sonnenauf- und Untergang pflegen ſie ihre lautſchallenden Stimmen zu einem ſo furchtbaren Geſchrei zu vereinigen, daß man taub werden möchte, wenn man nah iſt, und wahrhaft erſchrickt, wenn man die ſonderbare Muſik nicht gewohnt iſt. Sie ſind die Brüll- affen der alten Welt, die Wecker der malayiſchen Bergbewohner und zugleich der Aerger der Städter, denen ſie den Aufenthalt auf ihren Landhäufern verbittern. Man ſoll ihr Geſchrei auf eine engliſche Meile weit hören können. Von gefangenen Langarmen hat man es auch oft vernommen und zwar von denen, | welche Kehlſäcke beſitzen, ebenſo gut, wie von denen, welchen dieſe Stimmverſtärkungs- trommeln fehlen. Ein guter Beobachter, Bennett, beſaß einen lebenden Siamang und bemerkte, daß dieſer, wenn er irgendwie erregt war, jedesmal die Lippen trichterförmig vorſtreckte, dann Luft in die Kehlſäcke blies und nun lospolterte, faſt wie ein Truthahn. Er ſchrie ebenſowohl bei freudiger als bei zorniger Aufregung. Auch das Ungko weibchen in London ſchrie zuweilen laut und zwar in höchſt eigenthümlicher, tonverſtändiger Weiſe. Man konnte das Geſchrei ſehr gut in Noten wiedergeben. Es begann mit dem Grundton E und ſtieg dann in halben Tönen eine volle Oktave hinauf, die chro- matiſche Tonleiter durchlaufend. Der Grundton blieb immer hörbar und diente als Vorſchlag für jede folgende Note. Jm Aufſteigen der Tonleiter folgten ſich die einzelnen Töne immer langſamer, im Ab- ſteigen aber ſchneller und zuletzt außerordentlich raſch. Den Schluß bildete jedesmal ein gellender Schrei, welcher mit aller Kraft ausgeſtoßen wurde. Die Regelmäßigkeit, Schnelligkeit und Sicherheit, mit welcher das Thier die Tonleiter herſchrie, erregte allgemeine Bewunderung. Es ſchien, als ob die Aeffin ſelbſt davon im höchſten Grade aufgeregt werde; denn jede Muskel ſpannte ſich an und der ganze Körper gerieth in zitternde Bewegung. Schon das Geſchrei des einen Affen war für das Zimmer zu gellend; es gab aber auch einen Maßſtab für die vereinigten Tonaufführungen großer Banden im freien Walde. Der gefangene Gibbon ſchrie übrigens nur am Morgen. Ueber die geiſtigen Fähigkeiten der Langarmaffen ſind die Meinungen der Beobachter getheilt. Duvaucel nennt den Siamang langſam, dumm, tölpiſch, faul, ungeſchickt, furchtſam und langwei- lig, gleichgiltig gegen ſeinen Pfleger und vollkommen unempfänglich für Gefühle des Wohlwollens,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/91>, abgerufen am 22.11.2024.