Wir haben eine Menge Erzählungen, welche uns von gefangenen Thieren berichten, und alle stimmen darin überein, daß die jungen Pongos außerordentlich gutartige, etwas langsame und schwerfällige Geschöpfe sind. Die ersten genauen Beobachtungen verdanken wir dem Holländer Vos- maern, welcher ein Weibchen längere Zeit zahm hielt. Dasselbe war sehr gutmüthig und bewies sich niemals boshaft oder falsch. Man konnte ihm ohne Bedenken die Hand in das Maul stecken. Sein äußeres Ansehen hatte etwas Trauriges, Schwermüthiges. Es liebte die menschliche Gesell- schaft ohne Unterschied des Geschlechts, zog aber diejenigen Leute vor, welche sich am meisten mit ihm beschäftigten. Man hatte es an eine Kette gelegt, worüber es zuweilen in Verzweiflung gerieth; es warf sich dann auf den Boden, schrie erbärmlich und zerriß alle Decken, welche man ihm gegeben hatte. Sein gewöhnlicher Gang war auf allen Vieren, wie bei anderen Affen, doch konnte es recht gut aufrecht gehen und sich an einem Stocke lange Zeit halten. Als es einmal frei gelassen wurde, kletterte es behend in dem Sparrwerke des Daches herum und zeigte sich hier so hurtig, daß vier Per- sonen eine Stunde lang zu thun hatten, um es wieder einzufangen. Bei diesem Ausfluge erwischte es eine Flasche mit Malagawein, entkorkte sie und brachte den Wein schleunigst in Sicherheit, stellte dann aber die Flasche wieder an ihren Ort. Es fraß Alles, was man ihm gab, zog aber Obst und gewürzhafte Pflanzen anderen Speisen vor. Gesottenes und gebratenes Fleisch oder Fische genoß es ebenfalls sehr gern. Nach Kerbthieren jagte es nicht, und ein ihm dargebotener Sperling verursachte ihm viel Furcht, doch biß es ihn endlich todt, zog ihm einige Federn aus, kostete das Fleisch und warf den Vogel wieder weg. Rohe Eier soff es mit Wohlbehagen aus. Der größte Leckerbissen schienen ihm Erdbeeren zu sein. Sein gewöhnliches Getränk bestand in Wasser; es trank aber auch sehr gern alle Arten von Wein und besonders Malaga. Nach dem Trinken wischte es, wie mancher Mensch, die Lippen mit der Hand ab, ja, es bediente sich sogar eines Zahnstochers in derselben Weise, wie ein Mensch. Den Taschendiebstahl verstand es meisterhaft; es zog den Leuten, ohne daß sie es merkten, Leckereien aus den Taschen heraus. Vor dem Schlafengehen machte es stets große Anstalten. Es legte sich das Heu zum Lager zurecht, schüttelte es gut auf, legte sich noch ein besonderes Bündel unter den Kopf und deckte sich dann zu. Allein schlief es nicht gern, weil es die Einsamkeit über- haupt nicht liebte. Bei Tage schlummerte es zuweilen, aber niemals lange. Man hatte ihm eine Kleidung gegeben, welche es sich bald um den Leib und bald um den Kopf legte, und zwar ebensowohl wenn es kühl war, als während der größten Hitze. Als man ihm einmal das Schloß seiner Kette mit dem Schlüssel öffnete, sah es mit großer Aufmerksamkeit zu und nahm sodann ein Stückchen Holz, steckte es ins Schlüsselloch und drehte es nach allen Seiten um. Einst gab man ihm eine junge Katze. Es hielt dieselbe fest und beroch sie sorgfältig. Die Katze kratzte es in den Arm, da warf es dieselbe weg, besah sich die Wunde und wollte fortan Nichts wieder mit Miez zu thun haben. Es konnte die verwickeltsten Knoten an einem Stricke sehr geschickt mit den Fingern oder, wenn sie zu fest waren, mit den Zähnen auflösen und schien daran eine solche Freude zu haben, daß es auch den Leuten, welche nahe zu ihm hintraten, regelmäßig die Schuhe aufband. Jn seinen Händen besaß es eine außerordentliche Stärke und konnte damit die größten Lasten aufheben. Die Hinterhände benutzte es ebenso geschickt, wie die vorderen. So legte es sich z. B., wenn es Etwas mit den Vorderhänden nicht erreichen konnte, auf den Rücken und zog den Gegenstand mit den Hinterfüßen heran. Es schrie nie, außer wenn es allein war. Anfangs glich dieses Geschrei dem Heulen eines Hundes, dann wurde es immer gröber und rauher und ähnelte zuletzt dem Geräusch einer Holzsäge. -- Die Auszehrung machte seinem jungen Leben bald ein Ende.
Ein anderer zahmer Pongo, von dem uns Jeffries erzählt, hielt seinen Stall sehr reinlich, scheuerte den Boden desselben öfters mit einem Lappen und Wasser und entfernte alle Ueberreste von Speisen und dergleichen. Er wusch sich auch Gesicht und Hände wie ein Mensch. Ein dritter Orang- Utang zeichnete sich durch große Zärtlichkeit gegen Alle aus, welche freundlich mit ihm sprachen, und küßte seinen Herrn und seinen Wärter echt menschlich. Gegen Unbekannte war er sehr schüchtern, gegen Bekannte ganz zutraulich.
Frei- und Gefangen-Leben.
Wir haben eine Menge Erzählungen, welche uns von gefangenen Thieren berichten, und alle ſtimmen darin überein, daß die jungen Pongos außerordentlich gutartige, etwas langſame und ſchwerfällige Geſchöpfe ſind. Die erſten genauen Beobachtungen verdanken wir dem Holländer Vos- maern, welcher ein Weibchen längere Zeit zahm hielt. Daſſelbe war ſehr gutmüthig und bewies ſich niemals boshaft oder falſch. Man konnte ihm ohne Bedenken die Hand in das Maul ſtecken. Sein äußeres Anſehen hatte etwas Trauriges, Schwermüthiges. Es liebte die menſchliche Geſell- ſchaft ohne Unterſchied des Geſchlechts, zog aber diejenigen Leute vor, welche ſich am meiſten mit ihm beſchäftigten. Man hatte es an eine Kette gelegt, worüber es zuweilen in Verzweiflung gerieth; es warf ſich dann auf den Boden, ſchrie erbärmlich und zerriß alle Decken, welche man ihm gegeben hatte. Sein gewöhnlicher Gang war auf allen Vieren, wie bei anderen Affen, doch konnte es recht gut aufrecht gehen und ſich an einem Stocke lange Zeit halten. Als es einmal frei gelaſſen wurde, kletterte es behend in dem Sparrwerke des Daches herum und zeigte ſich hier ſo hurtig, daß vier Per- ſonen eine Stunde lang zu thun hatten, um es wieder einzufangen. Bei dieſem Ausfluge erwiſchte es eine Flaſche mit Malagawein, entkorkte ſie und brachte den Wein ſchleunigſt in Sicherheit, ſtellte dann aber die Flaſche wieder an ihren Ort. Es fraß Alles, was man ihm gab, zog aber Obſt und gewürzhafte Pflanzen anderen Speiſen vor. Geſottenes und gebratenes Fleiſch oder Fiſche genoß es ebenfalls ſehr gern. Nach Kerbthieren jagte es nicht, und ein ihm dargebotener Sperling verurſachte ihm viel Furcht, doch biß es ihn endlich todt, zog ihm einige Federn aus, koſtete das Fleiſch und warf den Vogel wieder weg. Rohe Eier ſoff es mit Wohlbehagen aus. Der größte Leckerbiſſen ſchienen ihm Erdbeeren zu ſein. Sein gewöhnliches Getränk beſtand in Waſſer; es trank aber auch ſehr gern alle Arten von Wein und beſonders Malaga. Nach dem Trinken wiſchte es, wie mancher Menſch, die Lippen mit der Hand ab, ja, es bediente ſich ſogar eines Zahnſtochers in derſelben Weiſe, wie ein Menſch. Den Taſchendiebſtahl verſtand es meiſterhaft; es zog den Leuten, ohne daß ſie es merkten, Leckereien aus den Taſchen heraus. Vor dem Schlafengehen machte es ſtets große Anſtalten. Es legte ſich das Heu zum Lager zurecht, ſchüttelte es gut auf, legte ſich noch ein beſonderes Bündel unter den Kopf und deckte ſich dann zu. Allein ſchlief es nicht gern, weil es die Einſamkeit über- haupt nicht liebte. Bei Tage ſchlummerte es zuweilen, aber niemals lange. Man hatte ihm eine Kleidung gegeben, welche es ſich bald um den Leib und bald um den Kopf legte, und zwar ebenſowohl wenn es kühl war, als während der größten Hitze. Als man ihm einmal das Schloß ſeiner Kette mit dem Schlüſſel öffnete, ſah es mit großer Aufmerkſamkeit zu und nahm ſodann ein Stückchen Holz, ſteckte es ins Schlüſſelloch und drehte es nach allen Seiten um. Einſt gab man ihm eine junge Katze. Es hielt dieſelbe feſt und beroch ſie ſorgfältig. Die Katze kratzte es in den Arm, da warf es dieſelbe weg, beſah ſich die Wunde und wollte fortan Nichts wieder mit Miez zu thun haben. Es konnte die verwickeltſten Knoten an einem Stricke ſehr geſchickt mit den Fingern oder, wenn ſie zu feſt waren, mit den Zähnen auflöſen und ſchien daran eine ſolche Freude zu haben, daß es auch den Leuten, welche nahe zu ihm hintraten, regelmäßig die Schuhe aufband. Jn ſeinen Händen beſaß es eine außerordentliche Stärke und konnte damit die größten Laſten aufheben. Die Hinterhände benutzte es ebenſo geſchickt, wie die vorderen. So legte es ſich z. B., wenn es Etwas mit den Vorderhänden nicht erreichen konnte, auf den Rücken und zog den Gegenſtand mit den Hinterfüßen heran. Es ſchrie nie, außer wenn es allein war. Anfangs glich dieſes Geſchrei dem Heulen eines Hundes, dann wurde es immer gröber und rauher und ähnelte zuletzt dem Geräuſch einer Holzſäge. — Die Auszehrung machte ſeinem jungen Leben bald ein Ende.
Ein anderer zahmer Pongo, von dem uns Jeffries erzählt, hielt ſeinen Stall ſehr reinlich, ſcheuerte den Boden deſſelben öfters mit einem Lappen und Waſſer und entfernte alle Ueberreſte von Speiſen und dergleichen. Er wuſch ſich auch Geſicht und Hände wie ein Menſch. Ein dritter Orang- Utang zeichnete ſich durch große Zärtlichkeit gegen Alle aus, welche freundlich mit ihm ſprachen, und küßte ſeinen Herrn und ſeinen Wärter echt menſchlich. Gegen Unbekannte war er ſehr ſchüchtern, gegen Bekannte ganz zutraulich.
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[31/0083]
Frei- und Gefangen-Leben.
Wir haben eine Menge Erzählungen, welche uns von gefangenen Thieren berichten, und alle
ſtimmen darin überein, daß die jungen Pongos außerordentlich gutartige, etwas langſame und
ſchwerfällige Geſchöpfe ſind. Die erſten genauen Beobachtungen verdanken wir dem Holländer Vos-
maern, welcher ein Weibchen längere Zeit zahm hielt. Daſſelbe war ſehr gutmüthig und bewies
ſich niemals boshaft oder falſch. Man konnte ihm ohne Bedenken die Hand in das Maul ſtecken.
Sein äußeres Anſehen hatte etwas Trauriges, Schwermüthiges. Es liebte die menſchliche Geſell-
ſchaft ohne Unterſchied des Geſchlechts, zog aber diejenigen Leute vor, welche ſich am meiſten mit ihm
beſchäftigten. Man hatte es an eine Kette gelegt, worüber es zuweilen in Verzweiflung gerieth; es
warf ſich dann auf den Boden, ſchrie erbärmlich und zerriß alle Decken, welche man ihm gegeben
hatte. Sein gewöhnlicher Gang war auf allen Vieren, wie bei anderen Affen, doch konnte es recht
gut aufrecht gehen und ſich an einem Stocke lange Zeit halten. Als es einmal frei gelaſſen wurde,
kletterte es behend in dem Sparrwerke des Daches herum und zeigte ſich hier ſo hurtig, daß vier Per-
ſonen eine Stunde lang zu thun hatten, um es wieder einzufangen. Bei dieſem Ausfluge erwiſchte
es eine Flaſche mit Malagawein, entkorkte ſie und brachte den Wein ſchleunigſt in Sicherheit, ſtellte
dann aber die Flaſche wieder an ihren Ort. Es fraß Alles, was man ihm gab, zog aber Obſt und
gewürzhafte Pflanzen anderen Speiſen vor. Geſottenes und gebratenes Fleiſch oder Fiſche genoß es
ebenfalls ſehr gern. Nach Kerbthieren jagte es nicht, und ein ihm dargebotener Sperling verurſachte
ihm viel Furcht, doch biß es ihn endlich todt, zog ihm einige Federn aus, koſtete das Fleiſch und warf
den Vogel wieder weg. Rohe Eier ſoff es mit Wohlbehagen aus. Der größte Leckerbiſſen ſchienen
ihm Erdbeeren zu ſein. Sein gewöhnliches Getränk beſtand in Waſſer; es trank aber auch ſehr gern
alle Arten von Wein und beſonders Malaga. Nach dem Trinken wiſchte es, wie mancher Menſch, die
Lippen mit der Hand ab, ja, es bediente ſich ſogar eines Zahnſtochers in derſelben Weiſe, wie ein
Menſch. Den Taſchendiebſtahl verſtand es meiſterhaft; es zog den Leuten, ohne daß ſie es merkten,
Leckereien aus den Taſchen heraus. Vor dem Schlafengehen machte es ſtets große Anſtalten. Es
legte ſich das Heu zum Lager zurecht, ſchüttelte es gut auf, legte ſich noch ein beſonderes Bündel
unter den Kopf und deckte ſich dann zu. Allein ſchlief es nicht gern, weil es die Einſamkeit über-
haupt nicht liebte. Bei Tage ſchlummerte es zuweilen, aber niemals lange. Man hatte ihm eine
Kleidung gegeben, welche es ſich bald um den Leib und bald um den Kopf legte, und zwar ebenſowohl
wenn es kühl war, als während der größten Hitze. Als man ihm einmal das Schloß ſeiner Kette mit
dem Schlüſſel öffnete, ſah es mit großer Aufmerkſamkeit zu und nahm ſodann ein Stückchen Holz,
ſteckte es ins Schlüſſelloch und drehte es nach allen Seiten um. Einſt gab man ihm eine junge
Katze. Es hielt dieſelbe feſt und beroch ſie ſorgfältig. Die Katze kratzte es in den Arm, da warf es
dieſelbe weg, beſah ſich die Wunde und wollte fortan Nichts wieder mit Miez zu thun haben. Es
konnte die verwickeltſten Knoten an einem Stricke ſehr geſchickt mit den Fingern oder, wenn ſie zu feſt
waren, mit den Zähnen auflöſen und ſchien daran eine ſolche Freude zu haben, daß es auch den
Leuten, welche nahe zu ihm hintraten, regelmäßig die Schuhe aufband. Jn ſeinen Händen beſaß es
eine außerordentliche Stärke und konnte damit die größten Laſten aufheben. Die Hinterhände benutzte
es ebenſo geſchickt, wie die vorderen. So legte es ſich z. B., wenn es Etwas mit den Vorderhänden
nicht erreichen konnte, auf den Rücken und zog den Gegenſtand mit den Hinterfüßen heran. Es ſchrie
nie, außer wenn es allein war. Anfangs glich dieſes Geſchrei dem Heulen eines Hundes, dann wurde
es immer gröber und rauher und ähnelte zuletzt dem Geräuſch einer Holzſäge. — Die Auszehrung
machte ſeinem jungen Leben bald ein Ende.
Ein anderer zahmer Pongo, von dem uns Jeffries erzählt, hielt ſeinen Stall ſehr reinlich,
ſcheuerte den Boden deſſelben öfters mit einem Lappen und Waſſer und entfernte alle Ueberreſte von
Speiſen und dergleichen. Er wuſch ſich auch Geſicht und Hände wie ein Menſch. Ein dritter Orang-
Utang zeichnete ſich durch große Zärtlichkeit gegen Alle aus, welche freundlich mit ihm ſprachen, und
küßte ſeinen Herrn und ſeinen Wärter echt menſchlich. Gegen Unbekannte war er ſehr ſchüchtern,
gegen Bekannte ganz zutraulich.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/83>, abgerufen am 22.11.2024.
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