Der asiatische Waldmensch bewohnt die einsamen, großen Wälder Borneos und zumal die in den Niederungen der Flüsse Kahayan, Sampit, Mandawej, Kotaringin und andere. Nur die Weibchen und jüngeren Thiere leben gesellig, aber immer noch nicht in zahlreichen Banden; die alten Männchen dagegen sind Einsiedler und nähern sich den Weibchen blos zur Brunstzeit. Beide rufen sich dann laute Schreie zu, welche an das Brüllen des Rindes erinnern. Jm hohen Greisenalter stehende, abgestumpfte und schwache Thiere halten sich auf dem Boden auf und schleppen sich auf ihm die letzten Jahre ihres Lebens mühselig dahin. Die jüngeren und kräftigeren leben auf den Bäumen. Dazu bestimmt sie auch ihre Ausrüstung. Jhre langen Vorderglieder gestatten ihnen nur einen höchst unbehülflichen, schwerfälligen Gang, während sie beim Klettern ihnen gerade vortreffliche Dienste leisten. Jm Gehen stützen sie sich auf die Oberseite der eingeschlagenen Füße und auf den Außenrand der Hinterhände. Zum aufrechten Gange für längere Zeit sind sie außer Stande, und deshalb mögen sie wohl auch nicht öfter, als die übrigen Affen, blos auf beiden Hinterfüßen gehen. Schon in der Jugend sind sie still oder wenigstens nicht eben lebhaft, und mit zunehmendem Alter zeigen sie sich immer träger und schwerfälliger. Auch ihr Klettern ist langsam und bedächtig, bären- artig. Sie erfassen mit den Vorderhänden einen Zweig und ziehen gemächlich ihren Körper nach. Auf weite und kühne Sprünge lassen sie sich nicht ein. Jn den Baumkronen finden sie, was sie bedürfen: Früchte, Fruchtknospen, Blüthen, Blätter, Sämereien, Rinden, Kerbthiere und Eier. Hieraus besteht ihre Nahrung in der Freiheit. Die Nacht bringen sie am liebsten in den Niederungen des Urwaldes zu und wählen sich dann gern die dichtesten Baumwipfel, um gegen Wind und Regen geschützt zu sein. Schmarotzerpflanzen, welche auf dicken Aesten wuchern, große Farren und niedere, dichtblätterige Bänme sind für diesen Zweck ihre Lieblingsorte. Eine Art von Nest bauen sie sich ebenfalls, gewöhnlich in einer Höhe von 12 bis 20 Fuß über dem Boden. Es ähnelt dem Horste eines großen Vogels und trägt niemals ein Dach. Dicke Aeste, welche entweder abgebrochen oder blos zusammengebogen sind, werden mit losen, blätterreichen Zweigen, auch mit Laub und Gräsern bedeckt, um die Lagerstätte weich und warm zu machen. Man behauptet, daß der Pongo niemals in sitzender Stellung schlafe, sondern sich immer dazu niederlege, wie ein Mensch; ja, bei kühler Witterung soll er sich auch eine Zudecke aus Blättern bereiten. Da man Aehnliches an gefangenen Orang- Utangs beobachtet hat, darf diese Angabe glaubwürdig erscheinen.
Der Orang-Utang ist ein friedliches und ruhiges Thier. Er ist nicht furchtsam und flieht auch vor dem Menschen nicht, sondern betrachtet diesen mit aller Ruhe. Falls er Gefahr vermuthet oder wirklich verfolgt wird, sucht er in den höchsten Baumwipfeln Schutz und versteckt sich hier entweder hinter einem dicken Aste oder zwischen dem Dickicht des Laubes; fühlt er sich auch da nicht sicher, so flüchtet er von Wipfel zu Wipfel, aber keineswegs ungestüm und eilig, wie die übrigen Affen, sondern zögernd, überlegend und umsichtig. Wird er durch einen Kugelschuß oder einen Pfeil verwundet, so schreit er laut auf, bricht alle Aeste und Zweige, welche sich in seiner Nähe befinden, ab und schleudert diese von der Höhe herab auf seinen Gegner, wahrscheinlich um ihn einzuschüchtern und von seiner Verfolgung abzuhalten. Selbst wenn er in größten Zorn und in Wuth geräth, ist er noch immer so langsam, daß man ihn bequem verfolgen kann. Daß er sich mit abgebrochenen Aesten wie mit Keulen vertheidige, ist von glaubwürdigen Berichterstattern niemals erzählt worden und jedenfalls auch nur eine müßige Erfindung der Eingebornen. So viel steht wohl fest, daß er, wenn er verwundet wurde und sein Verfolger ihm auf den Leib rückt, sich seiner Haut gut zu wehren weiß und kein zu verachtender Gegner des Menschen ist. Seine Arme sind sehr kräftig und sein Gebiß wahrhaft furchtbar. Er zerbricht mit Leichtigkeit einen Spergriff oder den Arm eines Menschen und beißt gräßlich. Ein altes Thier lebend in seine Gewalt zu bekommen, soll ganz unmöglich sein, jung dagegen läßt er sich leicht fangen. Man erzählt, daß die Jäger, um sich seiner zu bemächtigen, rings um den Baum, auf welchem er sitzt, alle übrigen Bäume niederschlagen und ihm so den Weiterweg verwehren; ich brauche wohl kaum zu sagen, daß Dies nur eine Fabel mehr ist. Höchst wahrscheinlich werden die Jungen, wie auch schon Schouten sagt, in Schlingen gefangen.
Die Affen. Waldmenſchen. — Orang-Utang.
Der aſiatiſche Waldmenſch bewohnt die einſamen, großen Wälder Borneos und zumal die in den Niederungen der Flüſſe Kahayan, Sampit, Mandawej, Kotaringin und andere. Nur die Weibchen und jüngeren Thiere leben geſellig, aber immer noch nicht in zahlreichen Banden; die alten Männchen dagegen ſind Einſiedler und nähern ſich den Weibchen blos zur Brunſtzeit. Beide rufen ſich dann laute Schreie zu, welche an das Brüllen des Rindes erinnern. Jm hohen Greiſenalter ſtehende, abgeſtumpfte und ſchwache Thiere halten ſich auf dem Boden auf und ſchleppen ſich auf ihm die letzten Jahre ihres Lebens mühſelig dahin. Die jüngeren und kräftigeren leben auf den Bäumen. Dazu beſtimmt ſie auch ihre Ausrüſtung. Jhre langen Vorderglieder geſtatten ihnen nur einen höchſt unbehülflichen, ſchwerfälligen Gang, während ſie beim Klettern ihnen gerade vortreffliche Dienſte leiſten. Jm Gehen ſtützen ſie ſich auf die Oberſeite der eingeſchlagenen Füße und auf den Außenrand der Hinterhände. Zum aufrechten Gange für längere Zeit ſind ſie außer Stande, und deshalb mögen ſie wohl auch nicht öfter, als die übrigen Affen, blos auf beiden Hinterfüßen gehen. Schon in der Jugend ſind ſie ſtill oder wenigſtens nicht eben lebhaft, und mit zunehmendem Alter zeigen ſie ſich immer träger und ſchwerfälliger. Auch ihr Klettern iſt langſam und bedächtig, bären- artig. Sie erfaſſen mit den Vorderhänden einen Zweig und ziehen gemächlich ihren Körper nach. Auf weite und kühne Sprünge laſſen ſie ſich nicht ein. Jn den Baumkronen finden ſie, was ſie bedürfen: Früchte, Fruchtknospen, Blüthen, Blätter, Sämereien, Rinden, Kerbthiere und Eier. Hieraus beſteht ihre Nahrung in der Freiheit. Die Nacht bringen ſie am liebſten in den Niederungen des Urwaldes zu und wählen ſich dann gern die dichteſten Baumwipfel, um gegen Wind und Regen geſchützt zu ſein. Schmarotzerpflanzen, welche auf dicken Aeſten wuchern, große Farren und niedere, dichtblätterige Bänme ſind für dieſen Zweck ihre Lieblingsorte. Eine Art von Neſt bauen ſie ſich ebenfalls, gewöhnlich in einer Höhe von 12 bis 20 Fuß über dem Boden. Es ähnelt dem Horſte eines großen Vogels und trägt niemals ein Dach. Dicke Aeſte, welche entweder abgebrochen oder blos zuſammengebogen ſind, werden mit loſen, blätterreichen Zweigen, auch mit Laub und Gräſern bedeckt, um die Lagerſtätte weich und warm zu machen. Man behauptet, daß der Pongo niemals in ſitzender Stellung ſchlafe, ſondern ſich immer dazu niederlege, wie ein Menſch; ja, bei kühler Witterung ſoll er ſich auch eine Zudecke aus Blättern bereiten. Da man Aehnliches an gefangenen Orang- Utangs beobachtet hat, darf dieſe Angabe glaubwürdig erſcheinen.
Der Orang-Utang iſt ein friedliches und ruhiges Thier. Er iſt nicht furchtſam und flieht auch vor dem Menſchen nicht, ſondern betrachtet dieſen mit aller Ruhe. Falls er Gefahr vermuthet oder wirklich verfolgt wird, ſucht er in den höchſten Baumwipfeln Schutz und verſteckt ſich hier entweder hinter einem dicken Aſte oder zwiſchen dem Dickicht des Laubes; fühlt er ſich auch da nicht ſicher, ſo flüchtet er von Wipfel zu Wipfel, aber keineswegs ungeſtüm und eilig, wie die übrigen Affen, ſondern zögernd, überlegend und umſichtig. Wird er durch einen Kugelſchuß oder einen Pfeil verwundet, ſo ſchreit er laut auf, bricht alle Aeſte und Zweige, welche ſich in ſeiner Nähe befinden, ab und ſchleudert dieſe von der Höhe herab auf ſeinen Gegner, wahrſcheinlich um ihn einzuſchüchtern und von ſeiner Verfolgung abzuhalten. Selbſt wenn er in größten Zorn und in Wuth geräth, iſt er noch immer ſo langſam, daß man ihn bequem verfolgen kann. Daß er ſich mit abgebrochenen Aeſten wie mit Keulen vertheidige, iſt von glaubwürdigen Berichterſtattern niemals erzählt worden und jedenfalls auch nur eine müßige Erfindung der Eingebornen. So viel ſteht wohl feſt, daß er, wenn er verwundet wurde und ſein Verfolger ihm auf den Leib rückt, ſich ſeiner Haut gut zu wehren weiß und kein zu verachtender Gegner des Menſchen iſt. Seine Arme ſind ſehr kräftig und ſein Gebiß wahrhaft furchtbar. Er zerbricht mit Leichtigkeit einen Spergriff oder den Arm eines Menſchen und beißt gräßlich. Ein altes Thier lebend in ſeine Gewalt zu bekommen, ſoll ganz unmöglich ſein, jung dagegen läßt er ſich leicht fangen. Man erzählt, daß die Jäger, um ſich ſeiner zu bemächtigen, rings um den Baum, auf welchem er ſitzt, alle übrigen Bäume niederſchlagen und ihm ſo den Weiterweg verwehren; ich brauche wohl kaum zu ſagen, daß Dies nur eine Fabel mehr iſt. Höchſt wahrſcheinlich werden die Jungen, wie auch ſchon Schouten ſagt, in Schlingen gefangen.
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Die Affen. Waldmenſchen. — Orang-Utang.
Der aſiatiſche Waldmenſch bewohnt die einſamen, großen Wälder Borneos und zumal die in
den Niederungen der Flüſſe Kahayan, Sampit, Mandawej, Kotaringin und andere. Nur die
Weibchen und jüngeren Thiere leben geſellig, aber immer noch nicht in zahlreichen Banden; die alten
Männchen dagegen ſind Einſiedler und nähern ſich den Weibchen blos zur Brunſtzeit. Beide rufen
ſich dann laute Schreie zu, welche an das Brüllen des Rindes erinnern. Jm hohen Greiſenalter
ſtehende, abgeſtumpfte und ſchwache Thiere halten ſich auf dem Boden auf und ſchleppen ſich auf ihm
die letzten Jahre ihres Lebens mühſelig dahin. Die jüngeren und kräftigeren leben auf den Bäumen.
Dazu beſtimmt ſie auch ihre Ausrüſtung. Jhre langen Vorderglieder geſtatten ihnen nur einen
höchſt unbehülflichen, ſchwerfälligen Gang, während ſie beim Klettern ihnen gerade vortreffliche
Dienſte leiſten. Jm Gehen ſtützen ſie ſich auf die Oberſeite der eingeſchlagenen Füße und auf den
Außenrand der Hinterhände. Zum aufrechten Gange für längere Zeit ſind ſie außer Stande, und
deshalb mögen ſie wohl auch nicht öfter, als die übrigen Affen, blos auf beiden Hinterfüßen gehen.
Schon in der Jugend ſind ſie ſtill oder wenigſtens nicht eben lebhaft, und mit zunehmendem Alter
zeigen ſie ſich immer träger und ſchwerfälliger. Auch ihr Klettern iſt langſam und bedächtig, bären-
artig. Sie erfaſſen mit den Vorderhänden einen Zweig und ziehen gemächlich ihren Körper nach.
Auf weite und kühne Sprünge laſſen ſie ſich nicht ein. Jn den Baumkronen finden ſie, was ſie
bedürfen: Früchte, Fruchtknospen, Blüthen, Blätter, Sämereien, Rinden, Kerbthiere und Eier.
Hieraus beſteht ihre Nahrung in der Freiheit. Die Nacht bringen ſie am liebſten in den Niederungen
des Urwaldes zu und wählen ſich dann gern die dichteſten Baumwipfel, um gegen Wind und Regen
geſchützt zu ſein. Schmarotzerpflanzen, welche auf dicken Aeſten wuchern, große Farren und niedere,
dichtblätterige Bänme ſind für dieſen Zweck ihre Lieblingsorte. Eine Art von Neſt bauen ſie
ſich ebenfalls, gewöhnlich in einer Höhe von 12 bis 20 Fuß über dem Boden. Es ähnelt dem
Horſte eines großen Vogels und trägt niemals ein Dach. Dicke Aeſte, welche entweder abgebrochen oder
blos zuſammengebogen ſind, werden mit loſen, blätterreichen Zweigen, auch mit Laub und Gräſern
bedeckt, um die Lagerſtätte weich und warm zu machen. Man behauptet, daß der Pongo niemals
in ſitzender Stellung ſchlafe, ſondern ſich immer dazu niederlege, wie ein Menſch; ja, bei kühler Witterung
ſoll er ſich auch eine Zudecke aus Blättern bereiten. Da man Aehnliches an gefangenen Orang-
Utangs beobachtet hat, darf dieſe Angabe glaubwürdig erſcheinen.
Der Orang-Utang iſt ein friedliches und ruhiges Thier. Er iſt nicht furchtſam und flieht
auch vor dem Menſchen nicht, ſondern betrachtet dieſen mit aller Ruhe. Falls er Gefahr vermuthet
oder wirklich verfolgt wird, ſucht er in den höchſten Baumwipfeln Schutz und verſteckt ſich hier
entweder hinter einem dicken Aſte oder zwiſchen dem Dickicht des Laubes; fühlt er ſich auch da nicht
ſicher, ſo flüchtet er von Wipfel zu Wipfel, aber keineswegs ungeſtüm und eilig, wie die übrigen
Affen, ſondern zögernd, überlegend und umſichtig. Wird er durch einen Kugelſchuß oder einen Pfeil
verwundet, ſo ſchreit er laut auf, bricht alle Aeſte und Zweige, welche ſich in ſeiner Nähe befinden,
ab und ſchleudert dieſe von der Höhe herab auf ſeinen Gegner, wahrſcheinlich um ihn einzuſchüchtern
und von ſeiner Verfolgung abzuhalten. Selbſt wenn er in größten Zorn und in Wuth geräth, iſt er
noch immer ſo langſam, daß man ihn bequem verfolgen kann. Daß er ſich mit abgebrochenen Aeſten
wie mit Keulen vertheidige, iſt von glaubwürdigen Berichterſtattern niemals erzählt worden und
jedenfalls auch nur eine müßige Erfindung der Eingebornen. So viel ſteht wohl feſt, daß er, wenn
er verwundet wurde und ſein Verfolger ihm auf den Leib rückt, ſich ſeiner Haut gut zu wehren weiß
und kein zu verachtender Gegner des Menſchen iſt. Seine Arme ſind ſehr kräftig und ſein Gebiß
wahrhaft furchtbar. Er zerbricht mit Leichtigkeit einen Spergriff oder den Arm eines Menſchen und
beißt gräßlich. Ein altes Thier lebend in ſeine Gewalt zu bekommen, ſoll ganz unmöglich ſein, jung
dagegen läßt er ſich leicht fangen. Man erzählt, daß die Jäger, um ſich ſeiner zu bemächtigen, rings
um den Baum, auf welchem er ſitzt, alle übrigen Bäume niederſchlagen und ihm ſo den Weiterweg
verwehren; ich brauche wohl kaum zu ſagen, daß Dies nur eine Fabel mehr iſt. Höchſt wahrſcheinlich
werden die Jungen, wie auch ſchon Schouten ſagt, in Schlingen gefangen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/80>, abgerufen am 22.11.2024.
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