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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Der kleinste Säuger. -- Beschreibung, Heimat, Wohnort der Wasserspitzmaus.
Bäumen besetzt und von Gärten oder Wiesen eingeschlossen sind, scheinen Lieblingsorte von ihr zu sein.
Ebenso gern aber hält sie sich in Teichen auf, welche helles Wasser haben und stellenweise mit
Meerlinsen bedeckt sind. Zuweilen findet man sie hier in erstaunlicher Menge. Oft wohnt sie mitten
in den Dörfern, gern in der Nähe der Mühle, doch ist sie nicht an das Wasser gebunden; denn sie
läuft auch auf den an den Bächen liegenden Wiesen umher, verkriecht sich unter den Heuschobern,
geht in die Scheuern und Ställe und kommt manchmal auf Felder, welche weit vom Wasser entfernt
sind; man trifft sie auch im Jnnern der Häuser, zumal in Kellern an. Jn lockerm Boden nah am
Wasser gräbt sie sich selbst Röhren, benutzt aber doch noch lieber die Gänge der Mäuse und Maul-
würfe,
welche sie in der Nähe ihres Aufenthaltsortes vorfindet. Ein Haupterforderniß ihrer Wohnung
ist, daß die Hauptröhre verschiedene Ausgänge hat, von denen der eine in das Wasser, die anderen über
der Oberfläche desselben und noch andere nach dem Lande zumünden. Die Baue sind Schlaf- und
[Abbildung] Die Wasserspitzmaus (Crossopus toediens).
Zufluchtsorte des Thierchens und gewähren ihm bei Verfolgung der Katzen und anderer Raubthiere
eine sichere Unterkunft.

Jn dieser Wohnung bringt die Wasserspitzmaus an belebten Orten gewöhnlich den ganzen Tag
zu; da aber, wo sie keine Nachstellung zu fürchten hat, ist sie auch bei Tage sehr munter, besonders im
Frühjahr zur Paarungszeit. Selten schwimmt sie an dem Ufer entlang, lieber geht sie quer durch von
dem einen Ufer zum andern. Will sie sich längs des Baches fortbewegen, so läuft sie entweder unter
dem Ufer weg oder auf dem Boden des Baches unter dem Wasser dahin. Sie ist ein äußerst munteres,
kluges und gewandtes Thier, welches dem Beobachter in jeder Hinsicht Freude macht. Jhre Be-
wegungen sind schnell und sicher, behend und ausdauernd; sie schwimmt und taucht vortrefflich und
besitzt die Fähigkeit, bald mit vorstehendem Kopf, bald mit sichtbarem ganzen Oberkörper auf dem
Wasser zu ruhen, ohne eine bemerkliche Bewegung dabei zu machen. Wenn sie schwimmt, erscheint
ihr Leib breit, platt gedrückt und gewöhnlich auch mit einer Schicht glänzendweißer, sehr kleiner

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Der kleinſte Säuger. — Beſchreibung, Heimat, Wohnort der Waſſerſpitzmaus.
Bäumen beſetzt und von Gärten oder Wieſen eingeſchloſſen ſind, ſcheinen Lieblingsorte von ihr zu ſein.
Ebenſo gern aber hält ſie ſich in Teichen auf, welche helles Waſſer haben und ſtellenweiſe mit
Meerlinſen bedeckt ſind. Zuweilen findet man ſie hier in erſtaunlicher Menge. Oft wohnt ſie mitten
in den Dörfern, gern in der Nähe der Mühle, doch iſt ſie nicht an das Waſſer gebunden; denn ſie
läuft auch auf den an den Bächen liegenden Wieſen umher, verkriecht ſich unter den Heuſchobern,
geht in die Scheuern und Ställe und kommt manchmal auf Felder, welche weit vom Waſſer entfernt
ſind; man trifft ſie auch im Jnnern der Häuſer, zumal in Kellern an. Jn lockerm Boden nah am
Waſſer gräbt ſie ſich ſelbſt Röhren, benutzt aber doch noch lieber die Gänge der Mäuſe und Maul-
würfe,
welche ſie in der Nähe ihres Aufenthaltsortes vorfindet. Ein Haupterforderniß ihrer Wohnung
iſt, daß die Hauptröhre verſchiedene Ausgänge hat, von denen der eine in das Waſſer, die anderen über
der Oberfläche deſſelben und noch andere nach dem Lande zumünden. Die Baue ſind Schlaf- und
[Abbildung] Die Waſſerſpitzmaus (Crossopus toediens).
Zufluchtsorte des Thierchens und gewähren ihm bei Verfolgung der Katzen und anderer Raubthiere
eine ſichere Unterkunft.

Jn dieſer Wohnung bringt die Waſſerſpitzmaus an belebten Orten gewöhnlich den ganzen Tag
zu; da aber, wo ſie keine Nachſtellung zu fürchten hat, iſt ſie auch bei Tage ſehr munter, beſonders im
Frühjahr zur Paarungszeit. Selten ſchwimmt ſie an dem Ufer entlang, lieber geht ſie quer durch von
dem einen Ufer zum andern. Will ſie ſich längs des Baches fortbewegen, ſo läuft ſie entweder unter
dem Ufer weg oder auf dem Boden des Baches unter dem Waſſer dahin. Sie iſt ein äußerſt munteres,
kluges und gewandtes Thier, welches dem Beobachter in jeder Hinſicht Freude macht. Jhre Be-
wegungen ſind ſchnell und ſicher, behend und ausdauernd; ſie ſchwimmt und taucht vortrefflich und
beſitzt die Fähigkeit, bald mit vorſtehendem Kopf, bald mit ſichtbarem ganzen Oberkörper auf dem
Waſſer zu ruhen, ohne eine bemerkliche Bewegung dabei zu machen. Wenn ſie ſchwimmt, erſcheint
ihr Leib breit, platt gedrückt und gewöhnlich auch mit einer Schicht glänzendweißer, ſehr kleiner

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[675/0753] Der kleinſte Säuger. — Beſchreibung, Heimat, Wohnort der Waſſerſpitzmaus. Bäumen beſetzt und von Gärten oder Wieſen eingeſchloſſen ſind, ſcheinen Lieblingsorte von ihr zu ſein. Ebenſo gern aber hält ſie ſich in Teichen auf, welche helles Waſſer haben und ſtellenweiſe mit Meerlinſen bedeckt ſind. Zuweilen findet man ſie hier in erſtaunlicher Menge. Oft wohnt ſie mitten in den Dörfern, gern in der Nähe der Mühle, doch iſt ſie nicht an das Waſſer gebunden; denn ſie läuft auch auf den an den Bächen liegenden Wieſen umher, verkriecht ſich unter den Heuſchobern, geht in die Scheuern und Ställe und kommt manchmal auf Felder, welche weit vom Waſſer entfernt ſind; man trifft ſie auch im Jnnern der Häuſer, zumal in Kellern an. Jn lockerm Boden nah am Waſſer gräbt ſie ſich ſelbſt Röhren, benutzt aber doch noch lieber die Gänge der Mäuſe und Maul- würfe, welche ſie in der Nähe ihres Aufenthaltsortes vorfindet. Ein Haupterforderniß ihrer Wohnung iſt, daß die Hauptröhre verſchiedene Ausgänge hat, von denen der eine in das Waſſer, die anderen über der Oberfläche deſſelben und noch andere nach dem Lande zumünden. Die Baue ſind Schlaf- und [Abbildung Die Waſſerſpitzmaus (Crossopus toediens).] Zufluchtsorte des Thierchens und gewähren ihm bei Verfolgung der Katzen und anderer Raubthiere eine ſichere Unterkunft. Jn dieſer Wohnung bringt die Waſſerſpitzmaus an belebten Orten gewöhnlich den ganzen Tag zu; da aber, wo ſie keine Nachſtellung zu fürchten hat, iſt ſie auch bei Tage ſehr munter, beſonders im Frühjahr zur Paarungszeit. Selten ſchwimmt ſie an dem Ufer entlang, lieber geht ſie quer durch von dem einen Ufer zum andern. Will ſie ſich längs des Baches fortbewegen, ſo läuft ſie entweder unter dem Ufer weg oder auf dem Boden des Baches unter dem Waſſer dahin. Sie iſt ein äußerſt munteres, kluges und gewandtes Thier, welches dem Beobachter in jeder Hinſicht Freude macht. Jhre Be- wegungen ſind ſchnell und ſicher, behend und ausdauernd; ſie ſchwimmt und taucht vortrefflich und beſitzt die Fähigkeit, bald mit vorſtehendem Kopf, bald mit ſichtbarem ganzen Oberkörper auf dem Waſſer zu ruhen, ohne eine bemerkliche Bewegung dabei zu machen. Wenn ſie ſchwimmt, erſcheint ihr Leib breit, platt gedrückt und gewöhnlich auch mit einer Schicht glänzendweißer, ſehr kleiner 43*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 675. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/753>, abgerufen am 24.11.2024.