Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.Verbreitung. Wohnorte. Lebensweise. Schutzwaffe. Nicht selten kommt es vor, daß ein Jgel dem Jäger auf dem Anstande geradezu bis vor die Füßeläuft, dann aber plötzlich stutzt, schnüffelt und nun eiligst Reißaus nimmt, falls er nicht vorzieht, sogleich seine Schutz- und Trutzwaffe zu gebrauchen, nämlich sich zur Kugel zusammenzuballen. Eine solche Jgelkugel sieht sehr merkwürdig aus. Von der frühern Gestalt des Thieres bemerkt man nichts mehr. Der ganze Bursche bildet jetzt vielmehr einen eiförmigen Klumpen, welcher an einer Seite eine Vertiefung zeigt, sonst aber ringsum ziemlich regelmäßig gerundet ist. Die Vertiefung führt nach dem Bauche zu und in ihr liegen dicht an denselben gedrückt die Schnauze, die vier Beine und der kurze Stummelschwanz. Zwischen den Stacheln hindurch hat die Luft ungehinderten Zutritt, und somit wird es dem Jgel leicht, selbst bei längerm Aushalten in seiner Stellung zu athmen. Diese Zu- sammenrollung verursacht ihm keine Anstrengung; denn die Hautmuskeln, welche dieselbe bewirken, sind bei ihm in einer Weise ausgebildet, wie bei keinem andern Thiere. Die zusammenrollenden Muskeln zerfallen in die sogenannte Kappe, welche die Rückenseite des Rumpfes bedeckt; in den Bauchtheil, welcher die Rumpfseiten, den Bauch und den obern Theil der Gliedmaßen umgiebt, und in den vordern und hintern Niederzieher. Sie alle wirken gemeinschaftlich mit solcher Kraft, daß ein an den Händen gehörig geschützter Mann kaum im Stande ist, den zusammengekugelten Jgel gewaltsam aufzurollen. Einem solchen Unternehmen bieten nun auch die Stacheln ganz empfindliche Hindernisse. Während bei der ruhigen Bewegung des Thieres das ganze Stachelkleid hübsch glatt aussieht, und die tausend Spitzen, im Ganzen dachziegelartig geordnet, glatt über einander liegen, sträuben sie sich, sobald der Jgel die Kugelform annimmt, nach allen Seiten hin und lassen ihn jetzt als eine furchtbare Stachelkugel erscheinen. Einem einigermaßen Geübten ist es gleichwohl nicht schwer, auch dann noch einen Jgel in den Händen fortzutragen. Man setzt die Kugel in die Lage, welche das Thier beim Gehen einnehmen würde, streicht von vorn nach hinten leise die Stacheln zurück und wird nun nicht im mindesten von ihnen belästigt. Will man sich jetzt einen Spaß machen, so setzt man den Jgel auf einen Gartentisch und sich still daneben, um das Aufrollen zu beobachten. Nicht leicht kann man eine größere Abwechselung in den Gesichtszügen wahrnehmen, als sie jetzt statt- findet. Obgleich der Geist natürlich sehr wenig mit diesen Veränderungen des Gesichtsausdrucks zu thun hat, sieht es doch so aus, als durchliefen das Jgelgesicht in kürzester Zeit alle Ausdrücke von dem finstersten Unmuth an bis zur größten Heiterkeit. Wenn man sich ruhig verhält, denkt der zusammen- gerollte Jgel nach geraumer Zeit daran, sich wieder auf den Weg zu machen. Ein eigenthümliches Zucken des Felles verkündet den Anfang seiner Bewegung. Er schiebt leise den vordern und hintern Theil des Stachelpanzers aus einander, setzt die Füße vorsichtig auf den Boden und streckt jetzt ganz sachte das Schweineschnäuzchen vor. Noch ist die Kopfhaut dick gefaltet und finsterer Zorn scheint auf seiner niedern Stirn zu liegen; selbst das so harmlose Auge liegt unter buschigen Brauen tief versteckt. Mehr und mehr glättet sich das Gesicht, weiter und weiter wird die Nase vorgeschoben, weiter und weiter der Panzer zurückgedrückt, und endlich hat man auf einmal das gemüthliche Gesichtchen in seiner gewöhnlichen, behäbigen oder harmlosen Ruhe vor sich, und in diesem Augenblicke beginnt dann auch der Jgel seine Wanderung, gerade so, als ob es für ihn niemals eine Gefahr gegeben hätte. Stört man ihn jetzt zum zweiten Male, so rollt er sich blitzschnell wieder zusammen und bleibt etwas länger, als das vorige Mal gekugelt. Sehr hübsch sieht es aus, wenn man von Zeit zu Zeit einen abgebrochenen, kurzen Ruf ausstößt. Der Laut berührt den Jgel wie ein elektrischer Schlag; er zuckt bei jedem zusammen, auch wenn man ihm zehnmal in der Minute zuruft. Der bereits ganz an den Menschen gewöhnte Jgel macht es geradeso, selbst wenn er eben beim Ausleeren einer Milchschüssel sein sollte. Wiederholt man aber die Neckerei, so kriegt er das Ding endlich satt und rollt sich ent- weder für eine ganze Viertelstunde lang zusammen, oder aber -- gar nicht mehr, gerade als wisse er, daß man ihn doch nur foppen wolle. Anders ist es freilich, wenn man sein Ohr mit gellenden Tönen beleidigt. Ein Jgel, vor dessen Ohr man mit einem Glöckchen klingelt, zuckt fort und fort bei jedem Schlage gleichsam krampfhaft zusammen. Klingelt man nah bei einem Ohre, so zuckt er seinen Panzer auf der betreffenden Seite herab, bei größerer Entfernung zieht er die Stirnhaut gerade nach vorn. Verbreitung. Wohnorte. Lebensweiſe. Schutzwaffe. Nicht ſelten kommt es vor, daß ein Jgel dem Jäger auf dem Anſtande geradezu bis vor die Füßeläuft, dann aber plötzlich ſtutzt, ſchnüffelt und nun eiligſt Reißaus nimmt, falls er nicht vorzieht, ſogleich ſeine Schutz- und Trutzwaffe zu gebrauchen, nämlich ſich zur Kugel zuſammenzuballen. Eine ſolche Jgelkugel ſieht ſehr merkwürdig aus. Von der frühern Geſtalt des Thieres bemerkt man nichts mehr. Der ganze Burſche bildet jetzt vielmehr einen eiförmigen Klumpen, welcher an einer Seite eine Vertiefung zeigt, ſonſt aber ringsum ziemlich regelmäßig gerundet iſt. Die Vertiefung führt nach dem Bauche zu und in ihr liegen dicht an denſelben gedrückt die Schnauze, die vier Beine und der kurze Stummelſchwanz. Zwiſchen den Stacheln hindurch hat die Luft ungehinderten Zutritt, und ſomit wird es dem Jgel leicht, ſelbſt bei längerm Aushalten in ſeiner Stellung zu athmen. Dieſe Zu- ſammenrollung verurſacht ihm keine Anſtrengung; denn die Hautmuskeln, welche dieſelbe bewirken, ſind bei ihm in einer Weiſe ausgebildet, wie bei keinem andern Thiere. Die zuſammenrollenden Muskeln zerfallen in die ſogenannte Kappe, welche die Rückenſeite des Rumpfes bedeckt; in den Bauchtheil, welcher die Rumpfſeiten, den Bauch und den obern Theil der Gliedmaßen umgiebt, und in den vordern und hintern Niederzieher. Sie alle wirken gemeinſchaftlich mit ſolcher Kraft, daß ein an den Händen gehörig geſchützter Mann kaum im Stande iſt, den zuſammengekugelten Jgel gewaltſam aufzurollen. Einem ſolchen Unternehmen bieten nun auch die Stacheln ganz empfindliche Hinderniſſe. Während bei der ruhigen Bewegung des Thieres das ganze Stachelkleid hübſch glatt ausſieht, und die tauſend Spitzen, im Ganzen dachziegelartig geordnet, glatt über einander liegen, ſträuben ſie ſich, ſobald der Jgel die Kugelform annimmt, nach allen Seiten hin und laſſen ihn jetzt als eine furchtbare Stachelkugel erſcheinen. Einem einigermaßen Geübten iſt es gleichwohl nicht ſchwer, auch dann noch einen Jgel in den Händen fortzutragen. Man ſetzt die Kugel in die Lage, welche das Thier beim Gehen einnehmen würde, ſtreicht von vorn nach hinten leiſe die Stacheln zurück und wird nun nicht im mindeſten von ihnen beläſtigt. Will man ſich jetzt einen Spaß machen, ſo ſetzt man den Jgel auf einen Gartentiſch und ſich ſtill daneben, um das Aufrollen zu beobachten. Nicht leicht kann man eine größere Abwechſelung in den Geſichtszügen wahrnehmen, als ſie jetzt ſtatt- findet. Obgleich der Geiſt natürlich ſehr wenig mit dieſen Veränderungen des Geſichtsausdrucks zu thun hat, ſieht es doch ſo aus, als durchliefen das Jgelgeſicht in kürzeſter Zeit alle Ausdrücke von dem finſterſten Unmuth an bis zur größten Heiterkeit. Wenn man ſich ruhig verhält, denkt der zuſammen- gerollte Jgel nach geraumer Zeit daran, ſich wieder auf den Weg zu machen. Ein eigenthümliches Zucken des Felles verkündet den Anfang ſeiner Bewegung. Er ſchiebt leiſe den vordern und hintern Theil des Stachelpanzers aus einander, ſetzt die Füße vorſichtig auf den Boden und ſtreckt jetzt ganz ſachte das Schweineſchnäuzchen vor. Noch iſt die Kopfhaut dick gefaltet und finſterer Zorn ſcheint auf ſeiner niedern Stirn zu liegen; ſelbſt das ſo harmloſe Auge liegt unter buſchigen Brauen tief verſteckt. Mehr und mehr glättet ſich das Geſicht, weiter und weiter wird die Naſe vorgeſchoben, weiter und weiter der Panzer zurückgedrückt, und endlich hat man auf einmal das gemüthliche Geſichtchen in ſeiner gewöhnlichen, behäbigen oder harmloſen Ruhe vor ſich, und in dieſem Augenblicke beginnt dann auch der Jgel ſeine Wanderung, gerade ſo, als ob es für ihn niemals eine Gefahr gegeben hätte. Stört man ihn jetzt zum zweiten Male, ſo rollt er ſich blitzſchnell wieder zuſammen und bleibt etwas länger, als das vorige Mal gekugelt. Sehr hübſch ſieht es aus, wenn man von Zeit zu Zeit einen abgebrochenen, kurzen Ruf ausſtößt. Der Laut berührt den Jgel wie ein elektriſcher Schlag; er zuckt bei jedem zuſammen, auch wenn man ihm zehnmal in der Minute zuruft. Der bereits ganz an den Menſchen gewöhnte Jgel macht es geradeſo, ſelbſt wenn er eben beim Ausleeren einer Milchſchüſſel ſein ſollte. Wiederholt man aber die Neckerei, ſo kriegt er das Ding endlich ſatt und rollt ſich ent- weder für eine ganze Viertelſtunde lang zuſammen, oder aber — gar nicht mehr, gerade als wiſſe er, daß man ihn doch nur foppen wolle. Anders iſt es freilich, wenn man ſein Ohr mit gellenden Tönen beleidigt. Ein Jgel, vor deſſen Ohr man mit einem Glöckchen klingelt, zuckt fort und fort bei jedem Schlage gleichſam krampfhaft zuſammen. Klingelt man nah bei einem Ohre, ſo zuckt er ſeinen Panzer auf der betreffenden Seite herab, bei größerer Entfernung zieht er die Stirnhaut gerade nach vorn. <TEI> <text> <body> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0729" n="651"/><fw place="top" type="header">Verbreitung. Wohnorte. Lebensweiſe. Schutzwaffe.</fw><lb/> Nicht ſelten kommt es vor, daß ein Jgel dem Jäger auf dem Anſtande geradezu bis vor die Füße<lb/> läuft, dann aber plötzlich ſtutzt, ſchnüffelt und nun eiligſt Reißaus nimmt, falls er nicht vorzieht,<lb/> ſogleich ſeine Schutz- und Trutzwaffe zu gebrauchen, nämlich ſich zur Kugel zuſammenzuballen. Eine<lb/> ſolche Jgelkugel ſieht ſehr merkwürdig aus. Von der frühern Geſtalt des Thieres bemerkt man nichts<lb/> mehr. Der ganze Burſche bildet jetzt vielmehr einen eiförmigen Klumpen, welcher an einer Seite eine<lb/> Vertiefung zeigt, ſonſt aber ringsum ziemlich regelmäßig gerundet iſt. Die Vertiefung führt nach dem<lb/> Bauche zu und in ihr liegen dicht an denſelben gedrückt die Schnauze, die vier Beine und der kurze<lb/> Stummelſchwanz. Zwiſchen den Stacheln hindurch hat die Luft ungehinderten Zutritt, und ſomit<lb/> wird es dem Jgel leicht, ſelbſt bei längerm Aushalten in ſeiner Stellung zu athmen. Dieſe Zu-<lb/> ſammenrollung verurſacht ihm keine Anſtrengung; denn die Hautmuskeln, welche dieſelbe bewirken,<lb/> ſind bei ihm in einer Weiſe ausgebildet, wie bei keinem andern Thiere. Die zuſammenrollenden<lb/> Muskeln zerfallen in die ſogenannte Kappe, welche die Rückenſeite des Rumpfes bedeckt; in den<lb/> Bauchtheil, welcher die Rumpfſeiten, den Bauch und den obern Theil der Gliedmaßen umgiebt,<lb/> und in den vordern und hintern Niederzieher. Sie alle wirken gemeinſchaftlich mit ſolcher Kraft,<lb/> daß ein an den Händen gehörig geſchützter Mann kaum im Stande iſt, den zuſammengekugelten Jgel<lb/> gewaltſam aufzurollen. Einem ſolchen Unternehmen bieten nun auch die Stacheln ganz empfindliche<lb/> Hinderniſſe. Während bei der ruhigen Bewegung des Thieres das ganze Stachelkleid hübſch glatt<lb/> ausſieht, und die tauſend Spitzen, im Ganzen dachziegelartig geordnet, glatt über einander liegen,<lb/> ſträuben ſie ſich, ſobald der Jgel die Kugelform annimmt, nach allen Seiten hin und laſſen ihn jetzt<lb/> als eine furchtbare Stachelkugel erſcheinen. Einem einigermaßen Geübten iſt es gleichwohl nicht<lb/> ſchwer, auch dann noch einen Jgel in den Händen fortzutragen. Man ſetzt die Kugel in die Lage,<lb/> welche das Thier beim Gehen einnehmen würde, ſtreicht von vorn nach hinten leiſe die Stacheln<lb/> zurück und wird nun nicht im mindeſten von ihnen beläſtigt. Will man ſich jetzt einen Spaß machen,<lb/> ſo ſetzt man den Jgel auf einen Gartentiſch und ſich ſtill daneben, um das Aufrollen zu beobachten.<lb/> Nicht leicht kann man eine größere Abwechſelung in den Geſichtszügen wahrnehmen, als ſie jetzt ſtatt-<lb/> findet. Obgleich der Geiſt natürlich ſehr wenig mit dieſen Veränderungen des Geſichtsausdrucks zu<lb/> thun hat, ſieht es doch ſo aus, als durchliefen das Jgelgeſicht in kürzeſter Zeit alle Ausdrücke von dem<lb/> finſterſten Unmuth an bis zur größten Heiterkeit. Wenn man ſich ruhig verhält, denkt der zuſammen-<lb/> gerollte Jgel nach geraumer Zeit daran, ſich wieder auf den Weg zu machen. Ein eigenthümliches<lb/> Zucken des Felles verkündet den Anfang ſeiner Bewegung. Er ſchiebt leiſe den vordern und hintern<lb/> Theil des Stachelpanzers aus einander, ſetzt die Füße vorſichtig auf den Boden und ſtreckt jetzt ganz<lb/> ſachte das Schweineſchnäuzchen vor. Noch iſt die Kopfhaut dick gefaltet und finſterer Zorn ſcheint auf<lb/> ſeiner niedern Stirn zu liegen; ſelbſt das ſo harmloſe Auge liegt unter buſchigen Brauen tief verſteckt.<lb/> Mehr und mehr glättet ſich das Geſicht, weiter und weiter wird die Naſe vorgeſchoben, weiter und<lb/> weiter der Panzer zurückgedrückt, und endlich hat man auf einmal das gemüthliche Geſichtchen in<lb/> ſeiner gewöhnlichen, behäbigen oder harmloſen Ruhe vor ſich, und in dieſem Augenblicke beginnt dann<lb/> auch der Jgel ſeine Wanderung, gerade ſo, als ob es für ihn niemals eine Gefahr gegeben hätte.<lb/> Stört man ihn jetzt zum zweiten Male, ſo rollt er ſich blitzſchnell wieder zuſammen und bleibt etwas<lb/> länger, als das vorige Mal gekugelt. Sehr hübſch ſieht es aus, wenn man von Zeit zu Zeit einen<lb/> abgebrochenen, kurzen Ruf ausſtößt. Der Laut berührt den Jgel wie ein elektriſcher Schlag; er zuckt<lb/> bei jedem zuſammen, auch wenn man ihm zehnmal in der Minute zuruft. Der bereits ganz an den<lb/> Menſchen gewöhnte Jgel macht es geradeſo, ſelbſt wenn er eben beim Ausleeren einer Milchſchüſſel<lb/> ſein ſollte. Wiederholt man aber die Neckerei, ſo kriegt er das Ding endlich ſatt und rollt ſich ent-<lb/> weder für eine ganze Viertelſtunde lang zuſammen, oder aber — gar nicht mehr, gerade als wiſſe er,<lb/> daß man ihn doch nur foppen wolle. Anders iſt es freilich, wenn man ſein Ohr mit gellenden Tönen<lb/> beleidigt. Ein Jgel, vor deſſen Ohr man mit einem Glöckchen klingelt, zuckt fort und fort bei jedem<lb/> Schlage gleichſam krampfhaft zuſammen. Klingelt man nah bei einem Ohre, ſo zuckt er ſeinen Panzer<lb/> auf der betreffenden Seite herab, bei größerer Entfernung zieht er die Stirnhaut gerade nach vorn.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [651/0729]
Verbreitung. Wohnorte. Lebensweiſe. Schutzwaffe.
Nicht ſelten kommt es vor, daß ein Jgel dem Jäger auf dem Anſtande geradezu bis vor die Füße
läuft, dann aber plötzlich ſtutzt, ſchnüffelt und nun eiligſt Reißaus nimmt, falls er nicht vorzieht,
ſogleich ſeine Schutz- und Trutzwaffe zu gebrauchen, nämlich ſich zur Kugel zuſammenzuballen. Eine
ſolche Jgelkugel ſieht ſehr merkwürdig aus. Von der frühern Geſtalt des Thieres bemerkt man nichts
mehr. Der ganze Burſche bildet jetzt vielmehr einen eiförmigen Klumpen, welcher an einer Seite eine
Vertiefung zeigt, ſonſt aber ringsum ziemlich regelmäßig gerundet iſt. Die Vertiefung führt nach dem
Bauche zu und in ihr liegen dicht an denſelben gedrückt die Schnauze, die vier Beine und der kurze
Stummelſchwanz. Zwiſchen den Stacheln hindurch hat die Luft ungehinderten Zutritt, und ſomit
wird es dem Jgel leicht, ſelbſt bei längerm Aushalten in ſeiner Stellung zu athmen. Dieſe Zu-
ſammenrollung verurſacht ihm keine Anſtrengung; denn die Hautmuskeln, welche dieſelbe bewirken,
ſind bei ihm in einer Weiſe ausgebildet, wie bei keinem andern Thiere. Die zuſammenrollenden
Muskeln zerfallen in die ſogenannte Kappe, welche die Rückenſeite des Rumpfes bedeckt; in den
Bauchtheil, welcher die Rumpfſeiten, den Bauch und den obern Theil der Gliedmaßen umgiebt,
und in den vordern und hintern Niederzieher. Sie alle wirken gemeinſchaftlich mit ſolcher Kraft,
daß ein an den Händen gehörig geſchützter Mann kaum im Stande iſt, den zuſammengekugelten Jgel
gewaltſam aufzurollen. Einem ſolchen Unternehmen bieten nun auch die Stacheln ganz empfindliche
Hinderniſſe. Während bei der ruhigen Bewegung des Thieres das ganze Stachelkleid hübſch glatt
ausſieht, und die tauſend Spitzen, im Ganzen dachziegelartig geordnet, glatt über einander liegen,
ſträuben ſie ſich, ſobald der Jgel die Kugelform annimmt, nach allen Seiten hin und laſſen ihn jetzt
als eine furchtbare Stachelkugel erſcheinen. Einem einigermaßen Geübten iſt es gleichwohl nicht
ſchwer, auch dann noch einen Jgel in den Händen fortzutragen. Man ſetzt die Kugel in die Lage,
welche das Thier beim Gehen einnehmen würde, ſtreicht von vorn nach hinten leiſe die Stacheln
zurück und wird nun nicht im mindeſten von ihnen beläſtigt. Will man ſich jetzt einen Spaß machen,
ſo ſetzt man den Jgel auf einen Gartentiſch und ſich ſtill daneben, um das Aufrollen zu beobachten.
Nicht leicht kann man eine größere Abwechſelung in den Geſichtszügen wahrnehmen, als ſie jetzt ſtatt-
findet. Obgleich der Geiſt natürlich ſehr wenig mit dieſen Veränderungen des Geſichtsausdrucks zu
thun hat, ſieht es doch ſo aus, als durchliefen das Jgelgeſicht in kürzeſter Zeit alle Ausdrücke von dem
finſterſten Unmuth an bis zur größten Heiterkeit. Wenn man ſich ruhig verhält, denkt der zuſammen-
gerollte Jgel nach geraumer Zeit daran, ſich wieder auf den Weg zu machen. Ein eigenthümliches
Zucken des Felles verkündet den Anfang ſeiner Bewegung. Er ſchiebt leiſe den vordern und hintern
Theil des Stachelpanzers aus einander, ſetzt die Füße vorſichtig auf den Boden und ſtreckt jetzt ganz
ſachte das Schweineſchnäuzchen vor. Noch iſt die Kopfhaut dick gefaltet und finſterer Zorn ſcheint auf
ſeiner niedern Stirn zu liegen; ſelbſt das ſo harmloſe Auge liegt unter buſchigen Brauen tief verſteckt.
Mehr und mehr glättet ſich das Geſicht, weiter und weiter wird die Naſe vorgeſchoben, weiter und
weiter der Panzer zurückgedrückt, und endlich hat man auf einmal das gemüthliche Geſichtchen in
ſeiner gewöhnlichen, behäbigen oder harmloſen Ruhe vor ſich, und in dieſem Augenblicke beginnt dann
auch der Jgel ſeine Wanderung, gerade ſo, als ob es für ihn niemals eine Gefahr gegeben hätte.
Stört man ihn jetzt zum zweiten Male, ſo rollt er ſich blitzſchnell wieder zuſammen und bleibt etwas
länger, als das vorige Mal gekugelt. Sehr hübſch ſieht es aus, wenn man von Zeit zu Zeit einen
abgebrochenen, kurzen Ruf ausſtößt. Der Laut berührt den Jgel wie ein elektriſcher Schlag; er zuckt
bei jedem zuſammen, auch wenn man ihm zehnmal in der Minute zuruft. Der bereits ganz an den
Menſchen gewöhnte Jgel macht es geradeſo, ſelbſt wenn er eben beim Ausleeren einer Milchſchüſſel
ſein ſollte. Wiederholt man aber die Neckerei, ſo kriegt er das Ding endlich ſatt und rollt ſich ent-
weder für eine ganze Viertelſtunde lang zuſammen, oder aber — gar nicht mehr, gerade als wiſſe er,
daß man ihn doch nur foppen wolle. Anders iſt es freilich, wenn man ſein Ohr mit gellenden Tönen
beleidigt. Ein Jgel, vor deſſen Ohr man mit einem Glöckchen klingelt, zuckt fort und fort bei jedem
Schlage gleichſam krampfhaft zuſammen. Klingelt man nah bei einem Ohre, ſo zuckt er ſeinen Panzer
auf der betreffenden Seite herab, bei größerer Entfernung zieht er die Stirnhaut gerade nach vorn.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |