Nach ihrem Leibesbau und ihrer Lebensweise scheiden sich die Kerbthierfresser in drei scharf- begrenzte Familien, welche Jedermann bekannt sind, weil wir alle bei uns wohnenden Vertreter der- selben, den Jgel, die Spitzmaus und den Maulwurf, kennen oder wenigstens kennen sollten. An diese drei bekannten Gestalten wollen wir die übrigen hierhergehörigen und von ihnen in mancher Hinsicht sehr abweichenden Kerfräuber anreihen.
Die Thiere, welche die sechste Familie unserer Ordnung bilden, sind so ausgezeichnet, daß auch die kürzeste Beschreibung genügt, um sie zu kennzeichnen. Ein echtes Raubthiergebiß und ein Stachel- kleid sind ihre hervorragendsten Merkmale, und sie finden wir bei allen Arten wieder, welche die Familie aufweist. Ob die Stacheln weich und biegsam oder hart, ob sie gerade oder etwas gebogen sind, ist gleichgiltig: sie sind immer vorhanden, und das Gebiß bleibt immer mehr oder weniger dasselbe. Der Leibesbau der Jgel ist plump. Die Beine sind niedrig, der Schwanz ist sehr kurz oder fehlt; die Ohren dagegen sind ziemlich, bei einigen Arten sogar sehr groß, und die Schnauze ist zum Rüssel um- gebildet. An den Füßen sitzen regelmäßig fünf und nur ausnahmsweise vier Zehen.
Die Familie hatte ihre Vertreter schon in der Tertiärzeit; gegenwärtig ist sie über Europa, Afrika und Asien verbreitet. Alle Jgel leben hauptsächlich in Ebenen und am liebsten in trockenen Gegenden (obwohl sie auch vereinzelt in den Gebirgen emporsteigen) oder in der Nähe des Wassers, an den Ufern der Flüsse und des Meeres. Wälder und Auen, Felder und Gärten, ausgedehnte Steppen sind ihre hauptsächlichsten Aufenthaltsorte. Hier schlagen sie in den dichtesten Gebüschen, unter Hecken, hohlen Bäumen, Wurzeln, in Felsen, Geklüft, in verlassenen Thierbauen und anderen Orten ihren Wohnsitz auf oder graben sich selbst kurze Höhlen. Sie leben den größten Theil des Jahres hindurch einzeln oder paarweise und führen ein vollkommen nächtliches Leben. Erst nach Sonnenuntergang ermuntern sie sich von ihrem Tagesschlummer und gehen ihrer Nahrung nach, die bei den meisten in Pflanzen und Thieren, bei einigen aber ausschließlich in den Letzteren besteht. Früchte, Obst und saftige Wurzeln, Samen, kleine Sängethiere, Vögel, Lurche, Kerfe und deren Larven, Nacktschnecken, Regenwürmer etc. sind die Stoffe, mit welchen die freigebige Natur ihren Tisch deckt. Ausnahmsweise wagen sich einzelne auch an größere Thiere und stellen z. B. den Hühner- arten, ja selbst jungen Hasen nach. Die Jgel sind langsame, schwerfällige und ziemlich träge Burschen. Sie halten sich alle am Boden auf; kein einziger kann klettern oder springen. Beim Gehen treten sie mit der ganzen Sohle auf. Unter ihren Sinnen steht der Geruch oben an; aber auch das Gehör ist scharf, während Gesicht und Geschmack sehr wenig ausgebildet sind, und das Gefühl eine Stumpfheit erreicht, die geradezu ohne Beispiel dasteht. Die geistigen Fähigkeiten sind sehr gering. Alle Jgel sind furchtsam, scheu und dumm, aber ziemlich gutmüthig oder besser gleichgiltig gegen die Verhältnisse, in denen sie leben, und deshalb sind sie leicht zu zähmen. Die Mütter werfen drei bis acht blinde Junge, pflegen sie sorglich und zeigen bei der Vertheidigung derselben sogar einen gewissen Grad von Muth, welcher ihnen sonst ganz abgeht. Die meisten haben die Eigenthümlichkeit, sich bei der geringsten Gefahr in eine Kugel zusammenzurollen, um auf diese Weise ihre weichen Theile gegen etwaige Angriffe zu schützen. Jn dieser Stellung schlafen sie auch. Die, welche in den nördlichen Gegenden wohnen, bringen die kalte Zeit in einem ununterbrochenen Winterschlaf zu, und diejenigen, welche unter den Wendekreisen leben, schlafen während der Zeit der Dürre.
Der unmittelbare Nutzen, welchen sie den Menschen bringen, ist gering; denn gegenwärtig wenigstens weiß man aus einem erlegten Jgel kaum noch Etwas zu machen. Größer aber wird der mittelbare Nutzen, welchen sie durch Vertilgung einer Masse schädlicher Thiere leisten, und aus diesem Grunde verdienen sämmtliche Jgel, anstatt der sie gewöhnlich treffenden Verachtung, unsere vollste Theilnahme und den ausgedehntesten Schutz.
Die Familie zerfällt in mehrere Sippen, welche sich ebensowohl durch den Leibesbau, als durch die Fähigkeiten unterscheiden.
Allgemeines über Verbreitung, Lebensweiſe ꝛc.
Nach ihrem Leibesbau und ihrer Lebensweiſe ſcheiden ſich die Kerbthierfreſſer in drei ſcharf- begrenzte Familien, welche Jedermann bekannt ſind, weil wir alle bei uns wohnenden Vertreter der- ſelben, den Jgel, die Spitzmaus und den Maulwurf, kennen oder wenigſtens kennen ſollten. An dieſe drei bekannten Geſtalten wollen wir die übrigen hierhergehörigen und von ihnen in mancher Hinſicht ſehr abweichenden Kerfräuber anreihen.
Die Thiere, welche die ſechſte Familie unſerer Ordnung bilden, ſind ſo ausgezeichnet, daß auch die kürzeſte Beſchreibung genügt, um ſie zu kennzeichnen. Ein echtes Raubthiergebiß und ein Stachel- kleid ſind ihre hervorragendſten Merkmale, und ſie finden wir bei allen Arten wieder, welche die Familie aufweiſt. Ob die Stacheln weich und biegſam oder hart, ob ſie gerade oder etwas gebogen ſind, iſt gleichgiltig: ſie ſind immer vorhanden, und das Gebiß bleibt immer mehr oder weniger daſſelbe. Der Leibesbau der Jgel iſt plump. Die Beine ſind niedrig, der Schwanz iſt ſehr kurz oder fehlt; die Ohren dagegen ſind ziemlich, bei einigen Arten ſogar ſehr groß, und die Schnauze iſt zum Rüſſel um- gebildet. An den Füßen ſitzen regelmäßig fünf und nur ausnahmsweiſe vier Zehen.
Die Familie hatte ihre Vertreter ſchon in der Tertiärzeit; gegenwärtig iſt ſie über Europa, Afrika und Aſien verbreitet. Alle Jgel leben hauptſächlich in Ebenen und am liebſten in trockenen Gegenden (obwohl ſie auch vereinzelt in den Gebirgen emporſteigen) oder in der Nähe des Waſſers, an den Ufern der Flüſſe und des Meeres. Wälder und Auen, Felder und Gärten, ausgedehnte Steppen ſind ihre hauptſächlichſten Aufenthaltsorte. Hier ſchlagen ſie in den dichteſten Gebüſchen, unter Hecken, hohlen Bäumen, Wurzeln, in Felſen, Geklüft, in verlaſſenen Thierbauen und anderen Orten ihren Wohnſitz auf oder graben ſich ſelbſt kurze Höhlen. Sie leben den größten Theil des Jahres hindurch einzeln oder paarweiſe und führen ein vollkommen nächtliches Leben. Erſt nach Sonnenuntergang ermuntern ſie ſich von ihrem Tagesſchlummer und gehen ihrer Nahrung nach, die bei den meiſten in Pflanzen und Thieren, bei einigen aber ausſchließlich in den Letzteren beſteht. Früchte, Obſt und ſaftige Wurzeln, Samen, kleine Sängethiere, Vögel, Lurche, Kerfe und deren Larven, Nacktſchnecken, Regenwürmer ꝛc. ſind die Stoffe, mit welchen die freigebige Natur ihren Tiſch deckt. Ausnahmsweiſe wagen ſich einzelne auch an größere Thiere und ſtellen z. B. den Hühner- arten, ja ſelbſt jungen Haſen nach. Die Jgel ſind langſame, ſchwerfällige und ziemlich träge Burſchen. Sie halten ſich alle am Boden auf; kein einziger kann klettern oder ſpringen. Beim Gehen treten ſie mit der ganzen Sohle auf. Unter ihren Sinnen ſteht der Geruch oben an; aber auch das Gehör iſt ſcharf, während Geſicht und Geſchmack ſehr wenig ausgebildet ſind, und das Gefühl eine Stumpfheit erreicht, die geradezu ohne Beiſpiel daſteht. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind ſehr gering. Alle Jgel ſind furchtſam, ſcheu und dumm, aber ziemlich gutmüthig oder beſſer gleichgiltig gegen die Verhältniſſe, in denen ſie leben, und deshalb ſind ſie leicht zu zähmen. Die Mütter werfen drei bis acht blinde Junge, pflegen ſie ſorglich und zeigen bei der Vertheidigung derſelben ſogar einen gewiſſen Grad von Muth, welcher ihnen ſonſt ganz abgeht. Die meiſten haben die Eigenthümlichkeit, ſich bei der geringſten Gefahr in eine Kugel zuſammenzurollen, um auf dieſe Weiſe ihre weichen Theile gegen etwaige Angriffe zu ſchützen. Jn dieſer Stellung ſchlafen ſie auch. Die, welche in den nördlichen Gegenden wohnen, bringen die kalte Zeit in einem ununterbrochenen Winterſchlaf zu, und diejenigen, welche unter den Wendekreiſen leben, ſchlafen während der Zeit der Dürre.
Der unmittelbare Nutzen, welchen ſie den Menſchen bringen, iſt gering; denn gegenwärtig wenigſtens weiß man aus einem erlegten Jgel kaum noch Etwas zu machen. Größer aber wird der mittelbare Nutzen, welchen ſie durch Vertilgung einer Maſſe ſchädlicher Thiere leiſten, und aus dieſem Grunde verdienen ſämmtliche Jgel, anſtatt der ſie gewöhnlich treffenden Verachtung, unſere vollſte Theilnahme und den ausgedehnteſten Schutz.
Die Familie zerfällt in mehrere Sippen, welche ſich ebenſowohl durch den Leibesbau, als durch die Fähigkeiten unterſcheiden.
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Allgemeines über Verbreitung, Lebensweiſe ꝛc.
Nach ihrem Leibesbau und ihrer Lebensweiſe ſcheiden ſich die Kerbthierfreſſer in drei ſcharf-
begrenzte Familien, welche Jedermann bekannt ſind, weil wir alle bei uns wohnenden Vertreter der-
ſelben, den Jgel, die Spitzmaus und den Maulwurf, kennen oder wenigſtens kennen ſollten.
An dieſe drei bekannten Geſtalten wollen wir die übrigen hierhergehörigen und von ihnen in mancher
Hinſicht ſehr abweichenden Kerfräuber anreihen.
Die Thiere, welche die ſechſte Familie unſerer Ordnung bilden, ſind ſo ausgezeichnet, daß auch
die kürzeſte Beſchreibung genügt, um ſie zu kennzeichnen. Ein echtes Raubthiergebiß und ein Stachel-
kleid ſind ihre hervorragendſten Merkmale, und ſie finden wir bei allen Arten wieder, welche die Familie
aufweiſt. Ob die Stacheln weich und biegſam oder hart, ob ſie gerade oder etwas gebogen ſind, iſt
gleichgiltig: ſie ſind immer vorhanden, und das Gebiß bleibt immer mehr oder weniger daſſelbe. Der
Leibesbau der Jgel iſt plump. Die Beine ſind niedrig, der Schwanz iſt ſehr kurz oder fehlt; die
Ohren dagegen ſind ziemlich, bei einigen Arten ſogar ſehr groß, und die Schnauze iſt zum Rüſſel um-
gebildet. An den Füßen ſitzen regelmäßig fünf und nur ausnahmsweiſe vier Zehen.
Die Familie hatte ihre Vertreter ſchon in der Tertiärzeit; gegenwärtig iſt ſie über Europa,
Afrika und Aſien verbreitet. Alle Jgel leben hauptſächlich in Ebenen und am liebſten in trockenen
Gegenden (obwohl ſie auch vereinzelt in den Gebirgen emporſteigen) oder in der Nähe des Waſſers,
an den Ufern der Flüſſe und des Meeres. Wälder und Auen, Felder und Gärten, ausgedehnte
Steppen ſind ihre hauptſächlichſten Aufenthaltsorte. Hier ſchlagen ſie in den dichteſten Gebüſchen,
unter Hecken, hohlen Bäumen, Wurzeln, in Felſen, Geklüft, in verlaſſenen Thierbauen und anderen
Orten ihren Wohnſitz auf oder graben ſich ſelbſt kurze Höhlen. Sie leben den größten Theil des
Jahres hindurch einzeln oder paarweiſe und führen ein vollkommen nächtliches Leben. Erſt nach
Sonnenuntergang ermuntern ſie ſich von ihrem Tagesſchlummer und gehen ihrer Nahrung nach, die
bei den meiſten in Pflanzen und Thieren, bei einigen aber ausſchließlich in den Letzteren beſteht.
Früchte, Obſt und ſaftige Wurzeln, Samen, kleine Sängethiere, Vögel, Lurche, Kerfe und deren
Larven, Nacktſchnecken, Regenwürmer ꝛc. ſind die Stoffe, mit welchen die freigebige Natur ihren Tiſch
deckt. Ausnahmsweiſe wagen ſich einzelne auch an größere Thiere und ſtellen z. B. den Hühner-
arten, ja ſelbſt jungen Haſen nach. Die Jgel ſind langſame, ſchwerfällige und ziemlich träge
Burſchen. Sie halten ſich alle am Boden auf; kein einziger kann klettern oder ſpringen. Beim
Gehen treten ſie mit der ganzen Sohle auf. Unter ihren Sinnen ſteht der Geruch oben an; aber auch
das Gehör iſt ſcharf, während Geſicht und Geſchmack ſehr wenig ausgebildet ſind, und das Gefühl
eine Stumpfheit erreicht, die geradezu ohne Beiſpiel daſteht. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind ſehr
gering. Alle Jgel ſind furchtſam, ſcheu und dumm, aber ziemlich gutmüthig oder beſſer gleichgiltig
gegen die Verhältniſſe, in denen ſie leben, und deshalb ſind ſie leicht zu zähmen. Die Mütter werfen
drei bis acht blinde Junge, pflegen ſie ſorglich und zeigen bei der Vertheidigung derſelben ſogar einen
gewiſſen Grad von Muth, welcher ihnen ſonſt ganz abgeht. Die meiſten haben die Eigenthümlichkeit,
ſich bei der geringſten Gefahr in eine Kugel zuſammenzurollen, um auf dieſe Weiſe ihre weichen
Theile gegen etwaige Angriffe zu ſchützen. Jn dieſer Stellung ſchlafen ſie auch. Die, welche in
den nördlichen Gegenden wohnen, bringen die kalte Zeit in einem ununterbrochenen Winterſchlaf zu,
und diejenigen, welche unter den Wendekreiſen leben, ſchlafen während der Zeit der Dürre.
Der unmittelbare Nutzen, welchen ſie den Menſchen bringen, iſt gering; denn gegenwärtig
wenigſtens weiß man aus einem erlegten Jgel kaum noch Etwas zu machen. Größer aber wird der
mittelbare Nutzen, welchen ſie durch Vertilgung einer Maſſe ſchädlicher Thiere leiſten, und aus dieſem
Grunde verdienen ſämmtliche Jgel, anſtatt der ſie gewöhnlich treffenden Verachtung, unſere vollſte
Theilnahme und den ausgedehnteſten Schutz.
Die Familie zerfällt in mehrere Sippen, welche ſich ebenſowohl durch den Leibesbau, als durch
die Fähigkeiten unterſcheiden.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/725>, abgerufen am 24.11.2024.
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