Ein Mittelglied. Beschreibung. Heimat. Nahrung. Benehmen Gefangener.
festhalten und so gut an einen Baum klammern, daß er mit dem Kopf voran zur Erde herabzusteigen vermag. Beim Gehen tritt er mit der ganzen Sohle auf.
Seine Nahrung besteht in kleinen Säugethieren, Vögeln und deren Eiern, Kerbthieren und deren Larven, Honig und süßen Früchten, namentlich Bauanen oder Paradiesfeigen. Dem Honig soll er mit besonderer Liebhaberei nachstellen und viele wilde Bienenstöcke zerstören, weshalb er von den Judianern gehaßt wird und von den Missionären den Namen Oso melero -- Honigbär -- erhalten hat. Zur Ausbeutung der Bienenstöcke beuutzt er seine merkwürdig lange und vorstreckbare Zunge, mit welcher er in die schmalste Ritze, in das kleinste Loch greifen und die dort befindlichen Gegenstände herausholen kann. Diese Zunge soll er durch die Fluglöcher der Bienen bis tief in den Stock stecken, mit ihr die Waben zertrümmern und dann den Honig auflecken; sie soll ihm gleichsam den Rüssel des Elefanten ersetzen. Jn der Freiheit ist das Thier ziemlich blutgierig und grausam, scheint aber dennoch Pflanzennahrung dem Fleische vorzuziehen.
Ueber die Fortpflanzung des sonderbaren Gesellen wissen wir noch gar Nichts; doch schließt man aus seinen zwei Zitzen, daß er höchstens zwei Junge werfen kann. Jn der Gefangenschaft hat er sich noch nirgends fortgepflanzt.
Alle Naturforscher, welche den Wickelbären bis jetzt beobachteten, sind darin einstimmig, daß er dem Menschen gegenüber sanft und gutmüthig ist und sehr bald sich ebenso zutraulich und schmeichelhaft zeigt, wie ein Hund, Liebkosungen gern annimmt, die Stimme seines Herrn erkennt und die Gesellschaft des Menschen der feiner eignen Art vorzieht. Er fordert seinen Pfleger geradezu auf, mit ihm zu spielen und sich mit ihm zu unterhalten. Deshalb gehörte er in den gemäßigtsten Theilen von Neu- Granada ehemals zu den beliebtesten Hausthieren der Eingebornen. Auch in der Gefangenschaft schläft er fast den ganzen Tag. Er deckt dabei seinen Leib, vor allem aber den Kopf, mit dem Schwanze zu. Legt man ihm Nahrung vor, so erwacht er wohl, bleibt aber blos solange munter, als er frißt. Nach Niedergang der Sonne wird er wach, tappt anfangs mit lechzender Zunge unsichern Schrittes umher, späht nach Wasser, trinkt, putzt sich und wird nun lustig und aufgeräumt, springt, klettert, treibt Possen, spielt mit seinem Herrn, läßt das saufte Pfeifen ertönen, aus welchem seine Stimme besteht, oder knurrt kläffend, wenn er erzürut wird, wie ein junger Hund. Oft sitzt er auf den Hinter- beinen und frißt, wie die Affen, mit Hilfe der Tatzen, wie er überhaupt in seinem Betragen ein merkwürdiges Gemisch von den Sitten der Bären, Hunde, Affen und Zibetthiere zur Schau trägt. Auch seinen Wickelschwanz benutzt er nach Affenart und zieht mit ihm Gegenstände an sich heran, welche er mit den Pfoten nicht erreichen kann. Gegen das Licht ist er sehr empfindlich. Schon beim ersten Tagesdämmern sucht er einen dunkeln Ort auf und sein Augenstern zieht sich zu einem ganz kleinen Punkte zusammen. Reizt man das Auge durch vorgehaltenes Licht, so giebt er sein Mißbehagen durch eine eigenthümliche Unruhe in allen seinen Bewegungen zu erkennen. Er frißt Alles, was man ihm reicht: Brod, Fleisch, Obst, gekochte Kartoffeln, Gemüse, Zucker, eingemachte Sachen; er trinkt Milch, Kaffee, Wasser, Wein, sogar Branntwein, wird von geistigen Getränken betrunken und mehrere Tage krank. Ab und zu greift er auch einmal Geflügel an, tödtet es, saugt ihm das Blut aus und läßt es liegen. Nach recht lebhafter Bewegung nießt er zuweilen öfters hinter einander. Jm Zorn zischt er, wie eine Gaus, und schreit endlich heftig. So zahm er auch wird, so eifrig ist er bedacht, seine Freiheit wiederzuerlangen. Ein alter Wickelbär, welchen Humboldt besaß, entfloh während der Nacht in einem Walde, erwürgte aber noch vorher zwei Felsenhühner, welche zu der Thiersammlung des großen Forschers gehörten, und nahm sie gleich als Nahrungsmittel für die nächste Zeit mit sich fort.
Jch kann vorstehende Schilderung, welche im Wesentlichen Humboldt nacherzählt ist, durchaus bestätigen. Der Hamburger Thiergarten besitzt seit vorigem Frühjahre (1863) einen Wickelbären, welcher dem eben Mitgetheilten in allen Stücken entspricht. Er ist ein höchst liebenswürdiges Ge- schöpf. Jch kaufte ihn in einer Thierbude und gewann mir bald seine Zuneigung, weil ich ihn lieb- koste, so oft ich zu ihm kam. Er erkannte meine Freundschaft bald an und gestattete mir ohne Wider-
Brehm, Thierleben. 41
Ein Mittelglied. Beſchreibung. Heimat. Nahrung. Benehmen Gefangener.
feſthalten und ſo gut an einen Baum klammern, daß er mit dem Kopf voran zur Erde herabzuſteigen vermag. Beim Gehen tritt er mit der ganzen Sohle auf.
Seine Nahrung beſteht in kleinen Säugethieren, Vögeln und deren Eiern, Kerbthieren und deren Larven, Honig und ſüßen Früchten, namentlich Bauanen oder Paradiesfeigen. Dem Honig ſoll er mit beſonderer Liebhaberei nachſtellen und viele wilde Bienenſtöcke zerſtören, weshalb er von den Judianern gehaßt wird und von den Miſſionären den Namen Oso melero — Honigbär — erhalten hat. Zur Ausbeutung der Bienenſtöcke beuutzt er ſeine merkwürdig lange und vorſtreckbare Zunge, mit welcher er in die ſchmalſte Ritze, in das kleinſte Loch greifen und die dort befindlichen Gegenſtände herausholen kann. Dieſe Zunge ſoll er durch die Fluglöcher der Bienen bis tief in den Stock ſtecken, mit ihr die Waben zertrümmern und dann den Honig auflecken; ſie ſoll ihm gleichſam den Rüſſel des Elefanten erſetzen. Jn der Freiheit iſt das Thier ziemlich blutgierig und grauſam, ſcheint aber dennoch Pflanzennahrung dem Fleiſche vorzuziehen.
Ueber die Fortpflanzung des ſonderbaren Geſellen wiſſen wir noch gar Nichts; doch ſchließt man aus ſeinen zwei Zitzen, daß er höchſtens zwei Junge werfen kann. Jn der Gefangenſchaft hat er ſich noch nirgends fortgepflanzt.
Alle Naturforſcher, welche den Wickelbären bis jetzt beobachteten, ſind darin einſtimmig, daß er dem Menſchen gegenüber ſanft und gutmüthig iſt und ſehr bald ſich ebenſo zutraulich und ſchmeichelhaft zeigt, wie ein Hund, Liebkoſungen gern annimmt, die Stimme ſeines Herrn erkennt und die Geſellſchaft des Menſchen der feiner eignen Art vorzieht. Er fordert ſeinen Pfleger geradezu auf, mit ihm zu ſpielen und ſich mit ihm zu unterhalten. Deshalb gehörte er in den gemäßigtſten Theilen von Neu- Granada ehemals zu den beliebteſten Hausthieren der Eingebornen. Auch in der Gefangenſchaft ſchläft er faſt den ganzen Tag. Er deckt dabei ſeinen Leib, vor allem aber den Kopf, mit dem Schwanze zu. Legt man ihm Nahrung vor, ſo erwacht er wohl, bleibt aber blos ſolange munter, als er frißt. Nach Niedergang der Sonne wird er wach, tappt anfangs mit lechzender Zunge unſichern Schrittes umher, ſpäht nach Waſſer, trinkt, putzt ſich und wird nun luſtig und aufgeräumt, ſpringt, klettert, treibt Poſſen, ſpielt mit ſeinem Herrn, läßt das ſaufte Pfeifen ertönen, aus welchem ſeine Stimme beſteht, oder knurrt kläffend, wenn er erzürut wird, wie ein junger Hund. Oft ſitzt er auf den Hinter- beinen und frißt, wie die Affen, mit Hilfe der Tatzen, wie er überhaupt in ſeinem Betragen ein merkwürdiges Gemiſch von den Sitten der Bären, Hunde, Affen und Zibetthiere zur Schau trägt. Auch ſeinen Wickelſchwanz benutzt er nach Affenart und zieht mit ihm Gegenſtände an ſich heran, welche er mit den Pfoten nicht erreichen kann. Gegen das Licht iſt er ſehr empfindlich. Schon beim erſten Tagesdämmern ſucht er einen dunkeln Ort auf und ſein Augenſtern zieht ſich zu einem ganz kleinen Punkte zuſammen. Reizt man das Auge durch vorgehaltenes Licht, ſo giebt er ſein Mißbehagen durch eine eigenthümliche Unruhe in allen ſeinen Bewegungen zu erkennen. Er frißt Alles, was man ihm reicht: Brod, Fleiſch, Obſt, gekochte Kartoffeln, Gemüſe, Zucker, eingemachte Sachen; er trinkt Milch, Kaffee, Waſſer, Wein, ſogar Branntwein, wird von geiſtigen Getränken betrunken und mehrere Tage krank. Ab und zu greift er auch einmal Geflügel an, tödtet es, ſaugt ihm das Blut aus und läßt es liegen. Nach recht lebhafter Bewegung nießt er zuweilen öfters hinter einander. Jm Zorn ziſcht er, wie eine Gaus, und ſchreit endlich heftig. So zahm er auch wird, ſo eifrig iſt er bedacht, ſeine Freiheit wiederzuerlangen. Ein alter Wickelbär, welchen Humboldt beſaß, entfloh während der Nacht in einem Walde, erwürgte aber noch vorher zwei Felſenhühner, welche zu der Thierſammlung des großen Forſchers gehörten, und nahm ſie gleich als Nahrungsmittel für die nächſte Zeit mit ſich fort.
Jch kann vorſtehende Schilderung, welche im Weſentlichen Humboldt nacherzählt iſt, durchaus beſtätigen. Der Hamburger Thiergarten beſitzt ſeit vorigem Frühjahre (1863) einen Wickelbären, welcher dem eben Mitgetheilten in allen Stücken entſpricht. Er iſt ein höchſt liebenswürdiges Ge- ſchöpf. Jch kaufte ihn in einer Thierbude und gewann mir bald ſeine Zuneigung, weil ich ihn lieb- koſte, ſo oft ich zu ihm kam. Er erkannte meine Freundſchaft bald an und geſtattete mir ohne Wider-
Brehm, Thierleben. 41
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Ein Mittelglied. Beſchreibung. Heimat. Nahrung. Benehmen Gefangener.
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vermag. Beim Gehen tritt er mit der ganzen Sohle auf.
Seine Nahrung beſteht in kleinen Säugethieren, Vögeln und deren Eiern, Kerbthieren und
deren Larven, Honig und ſüßen Früchten, namentlich Bauanen oder Paradiesfeigen. Dem Honig ſoll
er mit beſonderer Liebhaberei nachſtellen und viele wilde Bienenſtöcke zerſtören, weshalb er von den
Judianern gehaßt wird und von den Miſſionären den Namen Oso melero — Honigbär — erhalten
hat. Zur Ausbeutung der Bienenſtöcke beuutzt er ſeine merkwürdig lange und vorſtreckbare Zunge, mit
welcher er in die ſchmalſte Ritze, in das kleinſte Loch greifen und die dort befindlichen Gegenſtände
herausholen kann. Dieſe Zunge ſoll er durch die Fluglöcher der Bienen bis tief in den Stock ſtecken,
mit ihr die Waben zertrümmern und dann den Honig auflecken; ſie ſoll ihm gleichſam den Rüſſel des
Elefanten erſetzen. Jn der Freiheit iſt das Thier ziemlich blutgierig und grauſam, ſcheint aber
dennoch Pflanzennahrung dem Fleiſche vorzuziehen.
Ueber die Fortpflanzung des ſonderbaren Geſellen wiſſen wir noch gar Nichts; doch ſchließt man
aus ſeinen zwei Zitzen, daß er höchſtens zwei Junge werfen kann. Jn der Gefangenſchaft hat er ſich
noch nirgends fortgepflanzt.
Alle Naturforſcher, welche den Wickelbären bis jetzt beobachteten, ſind darin einſtimmig, daß er
dem Menſchen gegenüber ſanft und gutmüthig iſt und ſehr bald ſich ebenſo zutraulich und ſchmeichelhaft
zeigt, wie ein Hund, Liebkoſungen gern annimmt, die Stimme ſeines Herrn erkennt und die Geſellſchaft
des Menſchen der feiner eignen Art vorzieht. Er fordert ſeinen Pfleger geradezu auf, mit ihm zu
ſpielen und ſich mit ihm zu unterhalten. Deshalb gehörte er in den gemäßigtſten Theilen von Neu-
Granada ehemals zu den beliebteſten Hausthieren der Eingebornen. Auch in der Gefangenſchaft
ſchläft er faſt den ganzen Tag. Er deckt dabei ſeinen Leib, vor allem aber den Kopf, mit dem Schwanze
zu. Legt man ihm Nahrung vor, ſo erwacht er wohl, bleibt aber blos ſolange munter, als er frißt.
Nach Niedergang der Sonne wird er wach, tappt anfangs mit lechzender Zunge unſichern Schrittes
umher, ſpäht nach Waſſer, trinkt, putzt ſich und wird nun luſtig und aufgeräumt, ſpringt, klettert,
treibt Poſſen, ſpielt mit ſeinem Herrn, läßt das ſaufte Pfeifen ertönen, aus welchem ſeine Stimme
beſteht, oder knurrt kläffend, wenn er erzürut wird, wie ein junger Hund. Oft ſitzt er auf den Hinter-
beinen und frißt, wie die Affen, mit Hilfe der Tatzen, wie er überhaupt in ſeinem Betragen ein
merkwürdiges Gemiſch von den Sitten der Bären, Hunde, Affen und Zibetthiere zur Schau trägt.
Auch ſeinen Wickelſchwanz benutzt er nach Affenart und zieht mit ihm Gegenſtände an ſich heran,
welche er mit den Pfoten nicht erreichen kann. Gegen das Licht iſt er ſehr empfindlich. Schon beim
erſten Tagesdämmern ſucht er einen dunkeln Ort auf und ſein Augenſtern zieht ſich zu einem ganz
kleinen Punkte zuſammen. Reizt man das Auge durch vorgehaltenes Licht, ſo giebt er ſein Mißbehagen
durch eine eigenthümliche Unruhe in allen ſeinen Bewegungen zu erkennen. Er frißt Alles, was man
ihm reicht: Brod, Fleiſch, Obſt, gekochte Kartoffeln, Gemüſe, Zucker, eingemachte Sachen; er trinkt
Milch, Kaffee, Waſſer, Wein, ſogar Branntwein, wird von geiſtigen Getränken betrunken und
mehrere Tage krank. Ab und zu greift er auch einmal Geflügel an, tödtet es, ſaugt ihm das Blut
aus und läßt es liegen. Nach recht lebhafter Bewegung nießt er zuweilen öfters hinter einander. Jm
Zorn ziſcht er, wie eine Gaus, und ſchreit endlich heftig. So zahm er auch wird, ſo eifrig iſt er
bedacht, ſeine Freiheit wiederzuerlangen. Ein alter Wickelbär, welchen Humboldt beſaß, entfloh
während der Nacht in einem Walde, erwürgte aber noch vorher zwei Felſenhühner, welche zu der
Thierſammlung des großen Forſchers gehörten, und nahm ſie gleich als Nahrungsmittel für die
nächſte Zeit mit ſich fort.
Jch kann vorſtehende Schilderung, welche im Weſentlichen Humboldt nacherzählt iſt, durchaus
beſtätigen. Der Hamburger Thiergarten beſitzt ſeit vorigem Frühjahre (1863) einen Wickelbären,
welcher dem eben Mitgetheilten in allen Stücken entſpricht. Er iſt ein höchſt liebenswürdiges Ge-
ſchöpf. Jch kaufte ihn in einer Thierbude und gewann mir bald ſeine Zuneigung, weil ich ihn lieb-
koſte, ſo oft ich zu ihm kam. Er erkannte meine Freundſchaft bald an und geſtattete mir ohne Wider-
Brehm, Thierleben. 41
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 641. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/719>, abgerufen am 24.11.2024.
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