erwachsene Männchen, welche ich zusammenbrachte, bewiesen wenigstens durch Zähnefletschen, Knurren und Kläffen, daß sie gegenfeitig nicht besonders erfreut waren über den ihnen gewordenen Gesell- schafter. Zu wirklichen Thätlichkeiten kam es allerdings nicht, Lust dazu aber zeigten sie entschieden.
Neuerdings hat L. Beckmann andere, so anmuthig geschilderte Beobachtungen über den Schupp mitgetheilt, daß ich sie meinen Lesern unmöglich vorenthalten darf.
"Zu den hervorstechendsten Eigenschaften des Rakoon oder Schupp zählt seine grenzenlose Neu- gierde und Habsucht, sein Eigensinn und der Hang zum Durchstöbern aller Ecken und Winkel. Jm schroffsten Gegensatz hierzu besitzt er zugleich eine Kaltblütigkeit, Selbstbeherrschung und viel Humor. Aus dem beständigen Kampfe dieser Gegensätze gehen selbstverständlich oft die sonderbarsten Ergebnisse hervor. Sobald er die Unmöglichkeit einsieht, seine Zwecke zu erreichen, macht die brennendste Neu- gierde sofort einer stumpfen Gleichgiltigkeit, hartnäckiger Eigensinn einer entsagenden Fügsamkeit Platz. Umgekehrt geht er aus träger Verdrossenheit oft ganz unerwartet mittelst eines Purzelbaums zur ausgelassensten Fröhlichkeit über, und trotz aller Selbstbeherrschung und Klugheit begeht er die einfältigsten Streiche, sobald seine Begierden einmal aufgestachelt sind."
"Jn den zahlreichen Mußestunden, welche jeder gefangene Schupp hat, treibt er tausenderlei Dinge, um sich die Langeweile zu verschenchen. Bald sitzt er aufrecht in einem einsamen Winkel und ist mit dem ernsthaftesten Gesichtsausdruck beschäftigt, sich einen Strohhalm über die Nase zu binden, bald spielt er nachdenklich mit den Zehen seines Hinterfußes oder hascht nach der wedelnden Spitze der langen Ruthe. Ein anderes Mal liegt er auf dem Rücken, hat sich einen ganzen Haufen Heu oder dürre Blätter auf den Bauch gepackt und versucht nun, diese lockere Masse niederzuschnüren, indem er die Ruthe mit den Vorderpfoten fest darüberzieht. Kann er zum Mauerwerk gelangen, so kratzt er mit seinen scharfen Nägeln den Mörtel aus den Fugen und richtet in kurzer Zeit unglaubliche Ver- wüstung an. Wie Jeremias auf den Trümmern Jerusalems, hockt er dann mitten auf seinem Schutt- haufen nieder, schaut finstern Blicks um sich und lüftet sich, erschöpft von der harten Arbeit, das Hals- band mit den Vorderpfoten."
"Nach langer Dürre kann ihn der Anblick einer gefüllten Wasserbütte in Begeisterung versetzen, und er wird Alles aufbieten, um in ihre Nähe zu gelangen. Zunächst wird nun die Höhe des Wasser- standes vorsichtig untersucht; denn nur seine Pfoten taucht er gern ins Wasser, um spielend verschiedene Dinge zu waschen: er selbst liebt es keineswegs, bis zum Hals im Wasser zu stehen. Nach der Prüfung steigt er mit sichtlichem Behagen in das nasse Element und tastet im Grunde nach irgend einem wasch- baren Körper umher. Ein alter Topfhenkel, ein Stückchen Porzellan, ein Schneckengehäuse sind beliebte Gegeustände und werden sofort in Augriff genommen. Jetzt erblickt er in einiger Entfernung eine alte Flasche, welche ihm der Wäsche höchst bedürftig erscheint; sofort ist er draußen: allein die Kürze der Kette hindert ihn, den Gegenstand seiner Sehnsucht zu erreichen. Ohne Zaudern dreht er sich um, genau wie es die Affen auch thun, gewinnt dadurch eine Körperlänge Raum und rollt die Flasche nun mit dem weit ausgestreckten Hinterfuße herbei. Jm nächsten Augenblicke sehen wir ihn, auf den Hinterbeinen aufgerichtet, mühsam zum Wasser zurückwatscheln, mit den Vorderpfoten die große Flasche umschlingend und krampfhaft gegen die Brust drückend. Stört man ihn in seinem Vor- haben, so geberdet er sich wie ein eigensinniges, verzogenes Kind, wirft sich auf den Rücken und um- klammert seine geliebte Flasche mit allen Vieren so fest, daß man ihn mit derselben vom Boden heben kann. Jst er der Arbeit im Wasser endlich überdrüssig, so wirft er sein Spielzeug heraus, setzt sich quer mit den Hinterschenkeln darauf und rollt sich in dieser Weise langsam hin und her, während die Vorderpfoten beständig in der engen Mündung des Flaschenhalses fingern und bohren."
"Um sein eigenthümliches Wesen gebührend würdigen zu können, muß man ihn im freien Um- gang mit Menschen und verschiedenen Thierarten beobachten. Sein übergroßes Selbstständigkeitsgefühl gestattet ihm keine besondere Anhänglichkeit, weder an seinen Herrn, noch an andere Thiere. Doch befreundet er sich ausnahmsweise mit dem einen, wie mit den anderen. Sobald es sich um Verabfolgung einer Mahlzeit, um Erlösung von der Kette oder ähnliche Anliegen handelt, kennt und liebt er seinen
Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Waſchbär.
erwachſene Männchen, welche ich zuſammenbrachte, bewieſen wenigſtens durch Zähnefletſchen, Knurren und Kläffen, daß ſie gegenfeitig nicht beſonders erfreut waren über den ihnen gewordenen Geſell- ſchafter. Zu wirklichen Thätlichkeiten kam es allerdings nicht, Luſt dazu aber zeigten ſie entſchieden.
Neuerdings hat L. Beckmann andere, ſo anmuthig geſchilderte Beobachtungen über den Schupp mitgetheilt, daß ich ſie meinen Leſern unmöglich vorenthalten darf.
„Zu den hervorſtechendſten Eigenſchaften des Rakoon oder Schupp zählt ſeine grenzenloſe Neu- gierde und Habſucht, ſein Eigenſinn und der Hang zum Durchſtöbern aller Ecken und Winkel. Jm ſchroffſten Gegenſatz hierzu beſitzt er zugleich eine Kaltblütigkeit, Selbſtbeherrſchung und viel Humor. Aus dem beſtändigen Kampfe dieſer Gegenſätze gehen ſelbſtverſtändlich oft die ſonderbarſten Ergebniſſe hervor. Sobald er die Unmöglichkeit einſieht, ſeine Zwecke zu erreichen, macht die brennendſte Neu- gierde ſofort einer ſtumpfen Gleichgiltigkeit, hartnäckiger Eigenſinn einer entſagenden Fügſamkeit Platz. Umgekehrt geht er aus träger Verdroſſenheit oft ganz unerwartet mittelſt eines Purzelbaums zur ausgelaſſenſten Fröhlichkeit über, und trotz aller Selbſtbeherrſchung und Klugheit begeht er die einfältigſten Streiche, ſobald ſeine Begierden einmal aufgeſtachelt ſind.‟
„Jn den zahlreichen Mußeſtunden, welche jeder gefangene Schupp hat, treibt er tauſenderlei Dinge, um ſich die Langeweile zu verſchenchen. Bald ſitzt er aufrecht in einem einſamen Winkel und iſt mit dem ernſthafteſten Geſichtsausdruck beſchäftigt, ſich einen Strohhalm über die Naſe zu binden, bald ſpielt er nachdenklich mit den Zehen ſeines Hinterfußes oder haſcht nach der wedelnden Spitze der langen Ruthe. Ein anderes Mal liegt er auf dem Rücken, hat ſich einen ganzen Haufen Heu oder dürre Blätter auf den Bauch gepackt und verſucht nun, dieſe lockere Maſſe niederzuſchnüren, indem er die Ruthe mit den Vorderpfoten feſt darüberzieht. Kann er zum Mauerwerk gelangen, ſo kratzt er mit ſeinen ſcharfen Nägeln den Mörtel aus den Fugen und richtet in kurzer Zeit unglaubliche Ver- wüſtung an. Wie Jeremias auf den Trümmern Jeruſalems, hockt er dann mitten auf ſeinem Schutt- haufen nieder, ſchaut finſtern Blicks um ſich und lüftet ſich, erſchöpft von der harten Arbeit, das Hals- band mit den Vorderpfoten.‟
„Nach langer Dürre kann ihn der Anblick einer gefüllten Waſſerbütte in Begeiſterung verſetzen, und er wird Alles aufbieten, um in ihre Nähe zu gelangen. Zunächſt wird nun die Höhe des Waſſer- ſtandes vorſichtig unterſucht; denn nur ſeine Pfoten taucht er gern ins Waſſer, um ſpielend verſchiedene Dinge zu waſchen: er ſelbſt liebt es keineswegs, bis zum Hals im Waſſer zu ſtehen. Nach der Prüfung ſteigt er mit ſichtlichem Behagen in das naſſe Element und taſtet im Grunde nach irgend einem waſch- baren Körper umher. Ein alter Topfhenkel, ein Stückchen Porzellan, ein Schneckengehäuſe ſind beliebte Gegeuſtände und werden ſofort in Augriff genommen. Jetzt erblickt er in einiger Entfernung eine alte Flaſche, welche ihm der Wäſche höchſt bedürftig erſcheint; ſofort iſt er draußen: allein die Kürze der Kette hindert ihn, den Gegenſtand ſeiner Sehnſucht zu erreichen. Ohne Zaudern dreht er ſich um, genau wie es die Affen auch thun, gewinnt dadurch eine Körperlänge Raum und rollt die Flaſche nun mit dem weit ausgeſtreckten Hinterfuße herbei. Jm nächſten Augenblicke ſehen wir ihn, auf den Hinterbeinen aufgerichtet, mühſam zum Waſſer zurückwatſcheln, mit den Vorderpfoten die große Flaſche umſchlingend und krampfhaft gegen die Bruſt drückend. Stört man ihn in ſeinem Vor- haben, ſo geberdet er ſich wie ein eigenſinniges, verzogenes Kind, wirft ſich auf den Rücken und um- klammert ſeine geliebte Flaſche mit allen Vieren ſo feſt, daß man ihn mit derſelben vom Boden heben kann. Jſt er der Arbeit im Waſſer endlich überdrüſſig, ſo wirft er ſein Spielzeug heraus, ſetzt ſich quer mit den Hinterſchenkeln darauf und rollt ſich in dieſer Weiſe langſam hin und her, während die Vorderpfoten beſtändig in der engen Mündung des Flaſchenhalſes fingern und bohren.‟
„Um ſein eigenthümliches Weſen gebührend würdigen zu können, muß man ihn im freien Um- gang mit Menſchen und verſchiedenen Thierarten beobachten. Sein übergroßes Selbſtſtändigkeitsgefühl geſtattet ihm keine beſondere Anhänglichkeit, weder an ſeinen Herrn, noch an andere Thiere. Doch befreundet er ſich ausnahmsweiſe mit dem einen, wie mit den anderen. Sobald es ſich um Verabfolgung einer Mahlzeit, um Erlöſung von der Kette oder ähnliche Anliegen handelt, kennt und liebt er ſeinen
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0706"n="628"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Bären. —<hirendition="#g">Gemeiner Waſchbär.</hi></fw><lb/>
erwachſene Männchen, welche ich zuſammenbrachte, bewieſen wenigſtens durch Zähnefletſchen, Knurren<lb/>
und Kläffen, daß ſie gegenfeitig nicht beſonders erfreut waren über den ihnen gewordenen Geſell-<lb/>ſchafter. Zu wirklichen Thätlichkeiten kam es allerdings nicht, Luſt dazu aber zeigten ſie entſchieden.</p><lb/><p>Neuerdings hat L. <hirendition="#g">Beckmann</hi> andere, ſo anmuthig geſchilderte Beobachtungen über den Schupp<lb/>
mitgetheilt, daß ich ſie meinen Leſern unmöglich vorenthalten darf.</p><lb/><p>„Zu den hervorſtechendſten Eigenſchaften des Rakoon oder Schupp zählt ſeine grenzenloſe Neu-<lb/>
gierde und Habſucht, ſein Eigenſinn und der Hang zum Durchſtöbern aller Ecken und Winkel. Jm<lb/>ſchroffſten Gegenſatz hierzu beſitzt er zugleich eine Kaltblütigkeit, Selbſtbeherrſchung und viel Humor.<lb/>
Aus dem beſtändigen Kampfe dieſer Gegenſätze gehen ſelbſtverſtändlich oft die ſonderbarſten Ergebniſſe<lb/>
hervor. Sobald er die Unmöglichkeit einſieht, ſeine Zwecke zu erreichen, macht die brennendſte Neu-<lb/>
gierde ſofort einer ſtumpfen Gleichgiltigkeit, hartnäckiger Eigenſinn einer entſagenden Fügſamkeit<lb/>
Platz. Umgekehrt geht er aus träger Verdroſſenheit oft ganz unerwartet mittelſt eines Purzelbaums<lb/>
zur ausgelaſſenſten Fröhlichkeit über, und trotz aller Selbſtbeherrſchung und Klugheit begeht er die<lb/>
einfältigſten Streiche, ſobald ſeine Begierden einmal aufgeſtachelt ſind.‟</p><lb/><p>„Jn den zahlreichen Mußeſtunden, welche jeder gefangene Schupp hat, treibt er tauſenderlei<lb/>
Dinge, um ſich die Langeweile zu verſchenchen. Bald ſitzt er aufrecht in einem einſamen Winkel und<lb/>
iſt mit dem ernſthafteſten Geſichtsausdruck beſchäftigt, ſich einen Strohhalm über die Naſe zu binden,<lb/>
bald ſpielt er nachdenklich mit den Zehen ſeines Hinterfußes oder haſcht nach der wedelnden Spitze<lb/>
der langen Ruthe. Ein anderes Mal liegt er auf dem Rücken, hat ſich einen ganzen Haufen Heu oder<lb/>
dürre Blätter auf den Bauch gepackt und verſucht nun, dieſe lockere Maſſe niederzuſchnüren, indem<lb/>
er die Ruthe mit den Vorderpfoten feſt darüberzieht. Kann er zum Mauerwerk gelangen, ſo kratzt er<lb/>
mit ſeinen ſcharfen Nägeln den Mörtel aus den Fugen und richtet in kurzer Zeit unglaubliche Ver-<lb/>
wüſtung an. Wie Jeremias auf den Trümmern Jeruſalems, hockt er dann mitten auf ſeinem Schutt-<lb/>
haufen nieder, ſchaut finſtern Blicks um ſich und lüftet ſich, erſchöpft von der harten Arbeit, das Hals-<lb/>
band mit den Vorderpfoten.‟</p><lb/><p>„Nach langer Dürre kann ihn der Anblick einer gefüllten Waſſerbütte in Begeiſterung verſetzen,<lb/>
und er wird Alles aufbieten, um in ihre Nähe zu gelangen. Zunächſt wird nun die Höhe des Waſſer-<lb/>ſtandes vorſichtig unterſucht; denn nur ſeine Pfoten taucht er gern ins Waſſer, um ſpielend verſchiedene<lb/>
Dinge zu waſchen: er ſelbſt liebt es keineswegs, bis zum Hals im Waſſer zu ſtehen. Nach der Prüfung<lb/>ſteigt er mit ſichtlichem Behagen in das naſſe Element und taſtet im Grunde nach irgend einem waſch-<lb/>
baren Körper umher. Ein alter Topfhenkel, ein Stückchen Porzellan, ein Schneckengehäuſe ſind<lb/>
beliebte Gegeuſtände und werden ſofort in Augriff genommen. Jetzt erblickt er in einiger Entfernung<lb/>
eine alte Flaſche, welche ihm der Wäſche höchſt bedürftig erſcheint; ſofort iſt er draußen: allein die<lb/>
Kürze der Kette hindert ihn, den Gegenſtand ſeiner Sehnſucht zu erreichen. Ohne Zaudern dreht er<lb/>ſich um, genau wie es die Affen auch thun, gewinnt dadurch eine Körperlänge Raum und rollt die<lb/>
Flaſche nun mit dem weit ausgeſtreckten Hinterfuße herbei. Jm nächſten Augenblicke ſehen wir ihn,<lb/>
auf den Hinterbeinen aufgerichtet, mühſam zum Waſſer zurückwatſcheln, mit den Vorderpfoten die<lb/>
große Flaſche umſchlingend und krampfhaft gegen die Bruſt drückend. Stört man ihn in ſeinem Vor-<lb/>
haben, ſo geberdet er ſich wie ein eigenſinniges, verzogenes Kind, wirft ſich auf den Rücken und um-<lb/>
klammert ſeine geliebte Flaſche mit allen Vieren ſo feſt, daß man ihn mit derſelben vom Boden heben<lb/>
kann. Jſt er der Arbeit im Waſſer endlich überdrüſſig, ſo wirft er ſein Spielzeug heraus, ſetzt ſich<lb/>
quer mit den Hinterſchenkeln darauf und rollt ſich in dieſer Weiſe langſam hin und her, während die<lb/>
Vorderpfoten beſtändig in der engen Mündung des Flaſchenhalſes fingern und bohren.‟</p><lb/><p>„Um ſein eigenthümliches Weſen gebührend würdigen zu können, muß man ihn im freien Um-<lb/>
gang mit Menſchen und verſchiedenen Thierarten beobachten. Sein übergroßes Selbſtſtändigkeitsgefühl<lb/>
geſtattet ihm keine beſondere Anhänglichkeit, weder an ſeinen Herrn, noch an andere Thiere. Doch<lb/>
befreundet er ſich ausnahmsweiſe mit dem einen, wie mit den anderen. Sobald es ſich um Verabfolgung<lb/>
einer Mahlzeit, um Erlöſung von der Kette oder ähnliche Anliegen handelt, kennt und liebt er ſeinen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[628/0706]
Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Waſchbär.
erwachſene Männchen, welche ich zuſammenbrachte, bewieſen wenigſtens durch Zähnefletſchen, Knurren
und Kläffen, daß ſie gegenfeitig nicht beſonders erfreut waren über den ihnen gewordenen Geſell-
ſchafter. Zu wirklichen Thätlichkeiten kam es allerdings nicht, Luſt dazu aber zeigten ſie entſchieden.
Neuerdings hat L. Beckmann andere, ſo anmuthig geſchilderte Beobachtungen über den Schupp
mitgetheilt, daß ich ſie meinen Leſern unmöglich vorenthalten darf.
„Zu den hervorſtechendſten Eigenſchaften des Rakoon oder Schupp zählt ſeine grenzenloſe Neu-
gierde und Habſucht, ſein Eigenſinn und der Hang zum Durchſtöbern aller Ecken und Winkel. Jm
ſchroffſten Gegenſatz hierzu beſitzt er zugleich eine Kaltblütigkeit, Selbſtbeherrſchung und viel Humor.
Aus dem beſtändigen Kampfe dieſer Gegenſätze gehen ſelbſtverſtändlich oft die ſonderbarſten Ergebniſſe
hervor. Sobald er die Unmöglichkeit einſieht, ſeine Zwecke zu erreichen, macht die brennendſte Neu-
gierde ſofort einer ſtumpfen Gleichgiltigkeit, hartnäckiger Eigenſinn einer entſagenden Fügſamkeit
Platz. Umgekehrt geht er aus träger Verdroſſenheit oft ganz unerwartet mittelſt eines Purzelbaums
zur ausgelaſſenſten Fröhlichkeit über, und trotz aller Selbſtbeherrſchung und Klugheit begeht er die
einfältigſten Streiche, ſobald ſeine Begierden einmal aufgeſtachelt ſind.‟
„Jn den zahlreichen Mußeſtunden, welche jeder gefangene Schupp hat, treibt er tauſenderlei
Dinge, um ſich die Langeweile zu verſchenchen. Bald ſitzt er aufrecht in einem einſamen Winkel und
iſt mit dem ernſthafteſten Geſichtsausdruck beſchäftigt, ſich einen Strohhalm über die Naſe zu binden,
bald ſpielt er nachdenklich mit den Zehen ſeines Hinterfußes oder haſcht nach der wedelnden Spitze
der langen Ruthe. Ein anderes Mal liegt er auf dem Rücken, hat ſich einen ganzen Haufen Heu oder
dürre Blätter auf den Bauch gepackt und verſucht nun, dieſe lockere Maſſe niederzuſchnüren, indem
er die Ruthe mit den Vorderpfoten feſt darüberzieht. Kann er zum Mauerwerk gelangen, ſo kratzt er
mit ſeinen ſcharfen Nägeln den Mörtel aus den Fugen und richtet in kurzer Zeit unglaubliche Ver-
wüſtung an. Wie Jeremias auf den Trümmern Jeruſalems, hockt er dann mitten auf ſeinem Schutt-
haufen nieder, ſchaut finſtern Blicks um ſich und lüftet ſich, erſchöpft von der harten Arbeit, das Hals-
band mit den Vorderpfoten.‟
„Nach langer Dürre kann ihn der Anblick einer gefüllten Waſſerbütte in Begeiſterung verſetzen,
und er wird Alles aufbieten, um in ihre Nähe zu gelangen. Zunächſt wird nun die Höhe des Waſſer-
ſtandes vorſichtig unterſucht; denn nur ſeine Pfoten taucht er gern ins Waſſer, um ſpielend verſchiedene
Dinge zu waſchen: er ſelbſt liebt es keineswegs, bis zum Hals im Waſſer zu ſtehen. Nach der Prüfung
ſteigt er mit ſichtlichem Behagen in das naſſe Element und taſtet im Grunde nach irgend einem waſch-
baren Körper umher. Ein alter Topfhenkel, ein Stückchen Porzellan, ein Schneckengehäuſe ſind
beliebte Gegeuſtände und werden ſofort in Augriff genommen. Jetzt erblickt er in einiger Entfernung
eine alte Flaſche, welche ihm der Wäſche höchſt bedürftig erſcheint; ſofort iſt er draußen: allein die
Kürze der Kette hindert ihn, den Gegenſtand ſeiner Sehnſucht zu erreichen. Ohne Zaudern dreht er
ſich um, genau wie es die Affen auch thun, gewinnt dadurch eine Körperlänge Raum und rollt die
Flaſche nun mit dem weit ausgeſtreckten Hinterfuße herbei. Jm nächſten Augenblicke ſehen wir ihn,
auf den Hinterbeinen aufgerichtet, mühſam zum Waſſer zurückwatſcheln, mit den Vorderpfoten die
große Flaſche umſchlingend und krampfhaft gegen die Bruſt drückend. Stört man ihn in ſeinem Vor-
haben, ſo geberdet er ſich wie ein eigenſinniges, verzogenes Kind, wirft ſich auf den Rücken und um-
klammert ſeine geliebte Flaſche mit allen Vieren ſo feſt, daß man ihn mit derſelben vom Boden heben
kann. Jſt er der Arbeit im Waſſer endlich überdrüſſig, ſo wirft er ſein Spielzeug heraus, ſetzt ſich
quer mit den Hinterſchenkeln darauf und rollt ſich in dieſer Weiſe langſam hin und her, während die
Vorderpfoten beſtändig in der engen Mündung des Flaſchenhalſes fingern und bohren.‟
„Um ſein eigenthümliches Weſen gebührend würdigen zu können, muß man ihn im freien Um-
gang mit Menſchen und verſchiedenen Thierarten beobachten. Sein übergroßes Selbſtſtändigkeitsgefühl
geſtattet ihm keine beſondere Anhänglichkeit, weder an ſeinen Herrn, noch an andere Thiere. Doch
befreundet er ſich ausnahmsweiſe mit dem einen, wie mit den anderen. Sobald es ſich um Verabfolgung
einer Mahlzeit, um Erlöſung von der Kette oder ähnliche Anliegen handelt, kennt und liebt er ſeinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/706>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.