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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Eisbär. Gemeiner Waschbär.
man kann ihnen keine größere Freude machen, als wenn man ihnen erlaubt, sich im Schnee herumzu-
wälzen und auf dem Eise sich abzukühlen. Bei uns zu Lande scheint sich der Eisbär, selbst wenn in
jeder Hinsicht für ihn gesorgt wird, wahrhaft unglücklich zu fühlen. Die Wärme kann er gar nicht
vertragen und muß deshalb täglich mehrmals mit kaltem Wasser übergossen werden oder einen Käfig
besitzen, von welchem aus er, so oft es ihm beliebt, in ein Wasserbecken hinabsteigen kann. Aber auch,
wenn ihm diese Erleichterungsmittel gewährt sind, merkt man ihm das große Mißbehagen, ja selbst
die Traurigkeit an, und wahrhaft kläglich sieht es aus, wenn das edle Thier mit einer seiner Tatzen
oder mit dem Maule die starken Eisenstangen seines Käfigs faßt und an ihnen unaufhörlich auf- und
niedergleitet, oft ganze Viertelstunden lang, als wolle er sich die ihm fehlende Bewegung ersetzen, als
wolle er sich gewaltsam frei träumen. Jn größeren Räumen mit tiefen und weiten Wasserbecken, wie
solche jetzt in Thiergärten für ihn hergerichtet werden, befindet er sich ungleich wohler. Er spielt
dann stundenlang im Wasser mit seinen Mitgefangenen oder auch mit Klötzen, Kugeln und dergleichen.
Hinsichtlich der Nahrung hat man keine Noth mit ihm. Jn der Jugend giebt man ihm Milch und Brod
und im Alter Fleisch, Fische oder auch Brod allein, von welchem sechs Pfund täglich vollkommen hin-
reichen, um ihn zu erhalten. Er schläft bei uns in der Nacht und ist bei Tage munter, ruht jedoch
ab und zu ausgestreckt auf dem Bauche liegend, oder wie ein Hund auf dem Hintern sitzend. Mit
zunehmendem Alter wird er reizbar und heftig; gegen andere seiner Art zeigt er sich, sobald das Fressen
in Frage kommt, sehr unverträglich und übellaunig, obwohl nur selten ein wirklicher Streit zwischen
zwei gleichstarken Eisbären ausbricht, der gegenseitige Zorn vielmehr durch wüthendes Anbrüllen be-
kundet wird. Zwei junge Männchen unsers Thiergartens zanken sich um jeden Bissen, so gut sie sich
sonst auch vertragen. Sie brüllen dann fürchterlich, benehmen sich aber sonst sehr feig; denn keiner
wagt es, den andern ernstlich anzugreifen. Bei sehr guter Pflege ist es möglich, den Eisbären mehrere
Jahre lang zu erhalten. Man weiß ein Beispiel, daß ein jung eingefangener und im mittlern Europa
aufgezogener zweiundzwanzig Jahre in der Gefangenschaft gelebt hat. An Krankheiten haben die
Gefangenen wenig zu leiden; dagegen verlieren sie oft ihr Augenlicht, wahrscheinlich aus Mangel an
hinreichendem Wasser zum Baden und Reinigen ihres Leibes.

Der getödtete Bär wird vielfach benutzt und ist für die nordischen Völker eines ihrer gewinn-
bringendsten Jagdthiere. Man verwerthet ebensowohl das Fell, wie das Fett und das Fleisch.
Ersteres liefert herrliche Decken zu Lagerstätten, außerdem warme Stiefel und Handschuhe, ja selbst
Sohlenleder. Jn den kleinen Holzkirchen Jslands sieht man vor den Altären gewöhnlich Eis-
bärenfelle liegen, welche die Fischer ihren Priestern verehrten, um sie bei Amtshandlungen im Winter
etwas vor der Kälte zu schützen. Fleisch und Speck werden von allen Bewohnern des hohen Nordens
gern gegessen. Auch die Walfischfahrer genießen es, nachdem sie es vom Fett gereinigt haben, und
finden es nicht unangenehm, namentlich, wenn es vorher geräuchert worden ist. Doch behaupten alle
Walfischfahrer einstimmig, daß der Genuß des Eisbärenfleisches im Anfange Unwohlsein errege;
zumal die Leber des Thieres soll sehr schädlich wirken. "Wenn Schiffer," sagt Scoresby, "unvor-
sichtiger Weise von der Leber des Eisbären gegessen haben, so sind sie fast immer krank geworden und
zuweilen gar gestorben; bei Anderen hat der Genuß die Wirkung gehabt, daß sich die Haut von ihrem
Körper schälte." Auch Kane bestätigt diese Angabe. Er ließ sich die Leber eines frisch getödteten Eis-
bären zubereiten, obgleich er gehört hatte, daß sie giftig sei, und wurde, nachdem er kaum die Speise
genossen hatte, ernstlich krank. Unter den Fischern besteht der Glaube, daß man durch den Genuß des
Eisbärenfleisches, obgleich es sonst nicht schadet, wenigstens frühzeitig ergraue. Die Eskimos haben
fast dieselben Ansichten, wissen auch, daß die Leber schädlich ist, und füttern deshalb blos ihre Hunde
mit ihr. Das Fett benutzt man zum Brennen; es hat vor dem Walfischthrane den großen Vorzug,
daß es keinen üblen Geruch verbreitet. Aus dem Fette der Sohlen erzeugen sich die Nordländer sehr
geschätzte Heilmittel; aus den Sehnen verfertigen sie Zwirn und Bindfaden.



Die Raubthiere. Bären. — Eisbär. Gemeiner Waſchbär.
man kann ihnen keine größere Freude machen, als wenn man ihnen erlaubt, ſich im Schnee herumzu-
wälzen und auf dem Eiſe ſich abzukühlen. Bei uns zu Lande ſcheint ſich der Eisbär, ſelbſt wenn in
jeder Hinſicht für ihn geſorgt wird, wahrhaft unglücklich zu fühlen. Die Wärme kann er gar nicht
vertragen und muß deshalb täglich mehrmals mit kaltem Waſſer übergoſſen werden oder einen Käfig
beſitzen, von welchem aus er, ſo oft es ihm beliebt, in ein Waſſerbecken hinabſteigen kann. Aber auch,
wenn ihm dieſe Erleichterungsmittel gewährt ſind, merkt man ihm das große Mißbehagen, ja ſelbſt
die Traurigkeit an, und wahrhaft kläglich ſieht es aus, wenn das edle Thier mit einer ſeiner Tatzen
oder mit dem Maule die ſtarken Eiſenſtangen ſeines Käfigs faßt und an ihnen unaufhörlich auf- und
niedergleitet, oft ganze Viertelſtunden lang, als wolle er ſich die ihm fehlende Bewegung erſetzen, als
wolle er ſich gewaltſam frei träumen. Jn größeren Räumen mit tiefen und weiten Waſſerbecken, wie
ſolche jetzt in Thiergärten für ihn hergerichtet werden, befindet er ſich ungleich wohler. Er ſpielt
dann ſtundenlang im Waſſer mit ſeinen Mitgefangenen oder auch mit Klötzen, Kugeln und dergleichen.
Hinſichtlich der Nahrung hat man keine Noth mit ihm. Jn der Jugend giebt man ihm Milch und Brod
und im Alter Fleiſch, Fiſche oder auch Brod allein, von welchem ſechs Pfund täglich vollkommen hin-
reichen, um ihn zu erhalten. Er ſchläft bei uns in der Nacht und iſt bei Tage munter, ruht jedoch
ab und zu ausgeſtreckt auf dem Bauche liegend, oder wie ein Hund auf dem Hintern ſitzend. Mit
zunehmendem Alter wird er reizbar und heftig; gegen andere ſeiner Art zeigt er ſich, ſobald das Freſſen
in Frage kommt, ſehr unverträglich und übellaunig, obwohl nur ſelten ein wirklicher Streit zwiſchen
zwei gleichſtarken Eisbären ausbricht, der gegenſeitige Zorn vielmehr durch wüthendes Anbrüllen be-
kundet wird. Zwei junge Männchen unſers Thiergartens zanken ſich um jeden Biſſen, ſo gut ſie ſich
ſonſt auch vertragen. Sie brüllen dann fürchterlich, benehmen ſich aber ſonſt ſehr feig; denn keiner
wagt es, den andern ernſtlich anzugreifen. Bei ſehr guter Pflege iſt es möglich, den Eisbären mehrere
Jahre lang zu erhalten. Man weiß ein Beiſpiel, daß ein jung eingefangener und im mittlern Europa
aufgezogener zweiundzwanzig Jahre in der Gefangenſchaft gelebt hat. An Krankheiten haben die
Gefangenen wenig zu leiden; dagegen verlieren ſie oft ihr Augenlicht, wahrſcheinlich aus Mangel an
hinreichendem Waſſer zum Baden und Reinigen ihres Leibes.

Der getödtete Bär wird vielfach benutzt und iſt für die nordiſchen Völker eines ihrer gewinn-
bringendſten Jagdthiere. Man verwerthet ebenſowohl das Fell, wie das Fett und das Fleiſch.
Erſteres liefert herrliche Decken zu Lagerſtätten, außerdem warme Stiefel und Handſchuhe, ja ſelbſt
Sohlenleder. Jn den kleinen Holzkirchen Jslands ſieht man vor den Altären gewöhnlich Eis-
bärenfelle liegen, welche die Fiſcher ihren Prieſtern verehrten, um ſie bei Amtshandlungen im Winter
etwas vor der Kälte zu ſchützen. Fleiſch und Speck werden von allen Bewohnern des hohen Nordens
gern gegeſſen. Auch die Walfiſchfahrer genießen es, nachdem ſie es vom Fett gereinigt haben, und
finden es nicht unangenehm, namentlich, wenn es vorher geräuchert worden iſt. Doch behaupten alle
Walfiſchfahrer einſtimmig, daß der Genuß des Eisbärenfleiſches im Anfange Unwohlſein errege;
zumal die Leber des Thieres ſoll ſehr ſchädlich wirken. „Wenn Schiffer,‟ ſagt Scoresby, „unvor-
ſichtiger Weiſe von der Leber des Eisbären gegeſſen haben, ſo ſind ſie faſt immer krank geworden und
zuweilen gar geſtorben; bei Anderen hat der Genuß die Wirkung gehabt, daß ſich die Haut von ihrem
Körper ſchälte.‟ Auch Kane beſtätigt dieſe Angabe. Er ließ ſich die Leber eines friſch getödteten Eis-
bären zubereiten, obgleich er gehört hatte, daß ſie giftig ſei, und wurde, nachdem er kaum die Speiſe
genoſſen hatte, ernſtlich krank. Unter den Fiſchern beſteht der Glaube, daß man durch den Genuß des
Eisbärenfleiſches, obgleich es ſonſt nicht ſchadet, wenigſtens frühzeitig ergraue. Die Eskimos haben
faſt dieſelben Anſichten, wiſſen auch, daß die Leber ſchädlich iſt, und füttern deshalb blos ihre Hunde
mit ihr. Das Fett benutzt man zum Brennen; es hat vor dem Walfiſchthrane den großen Vorzug,
daß es keinen üblen Geruch verbreitet. Aus dem Fette der Sohlen erzeugen ſich die Nordländer ſehr
geſchätzte Heilmittel; aus den Sehnen verfertigen ſie Zwirn und Bindfaden.



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[622/0700] Die Raubthiere. Bären. — Eisbär. Gemeiner Waſchbär. man kann ihnen keine größere Freude machen, als wenn man ihnen erlaubt, ſich im Schnee herumzu- wälzen und auf dem Eiſe ſich abzukühlen. Bei uns zu Lande ſcheint ſich der Eisbär, ſelbſt wenn in jeder Hinſicht für ihn geſorgt wird, wahrhaft unglücklich zu fühlen. Die Wärme kann er gar nicht vertragen und muß deshalb täglich mehrmals mit kaltem Waſſer übergoſſen werden oder einen Käfig beſitzen, von welchem aus er, ſo oft es ihm beliebt, in ein Waſſerbecken hinabſteigen kann. Aber auch, wenn ihm dieſe Erleichterungsmittel gewährt ſind, merkt man ihm das große Mißbehagen, ja ſelbſt die Traurigkeit an, und wahrhaft kläglich ſieht es aus, wenn das edle Thier mit einer ſeiner Tatzen oder mit dem Maule die ſtarken Eiſenſtangen ſeines Käfigs faßt und an ihnen unaufhörlich auf- und niedergleitet, oft ganze Viertelſtunden lang, als wolle er ſich die ihm fehlende Bewegung erſetzen, als wolle er ſich gewaltſam frei träumen. Jn größeren Räumen mit tiefen und weiten Waſſerbecken, wie ſolche jetzt in Thiergärten für ihn hergerichtet werden, befindet er ſich ungleich wohler. Er ſpielt dann ſtundenlang im Waſſer mit ſeinen Mitgefangenen oder auch mit Klötzen, Kugeln und dergleichen. Hinſichtlich der Nahrung hat man keine Noth mit ihm. Jn der Jugend giebt man ihm Milch und Brod und im Alter Fleiſch, Fiſche oder auch Brod allein, von welchem ſechs Pfund täglich vollkommen hin- reichen, um ihn zu erhalten. Er ſchläft bei uns in der Nacht und iſt bei Tage munter, ruht jedoch ab und zu ausgeſtreckt auf dem Bauche liegend, oder wie ein Hund auf dem Hintern ſitzend. Mit zunehmendem Alter wird er reizbar und heftig; gegen andere ſeiner Art zeigt er ſich, ſobald das Freſſen in Frage kommt, ſehr unverträglich und übellaunig, obwohl nur ſelten ein wirklicher Streit zwiſchen zwei gleichſtarken Eisbären ausbricht, der gegenſeitige Zorn vielmehr durch wüthendes Anbrüllen be- kundet wird. Zwei junge Männchen unſers Thiergartens zanken ſich um jeden Biſſen, ſo gut ſie ſich ſonſt auch vertragen. Sie brüllen dann fürchterlich, benehmen ſich aber ſonſt ſehr feig; denn keiner wagt es, den andern ernſtlich anzugreifen. Bei ſehr guter Pflege iſt es möglich, den Eisbären mehrere Jahre lang zu erhalten. Man weiß ein Beiſpiel, daß ein jung eingefangener und im mittlern Europa aufgezogener zweiundzwanzig Jahre in der Gefangenſchaft gelebt hat. An Krankheiten haben die Gefangenen wenig zu leiden; dagegen verlieren ſie oft ihr Augenlicht, wahrſcheinlich aus Mangel an hinreichendem Waſſer zum Baden und Reinigen ihres Leibes. Der getödtete Bär wird vielfach benutzt und iſt für die nordiſchen Völker eines ihrer gewinn- bringendſten Jagdthiere. Man verwerthet ebenſowohl das Fell, wie das Fett und das Fleiſch. Erſteres liefert herrliche Decken zu Lagerſtätten, außerdem warme Stiefel und Handſchuhe, ja ſelbſt Sohlenleder. Jn den kleinen Holzkirchen Jslands ſieht man vor den Altären gewöhnlich Eis- bärenfelle liegen, welche die Fiſcher ihren Prieſtern verehrten, um ſie bei Amtshandlungen im Winter etwas vor der Kälte zu ſchützen. Fleiſch und Speck werden von allen Bewohnern des hohen Nordens gern gegeſſen. Auch die Walfiſchfahrer genießen es, nachdem ſie es vom Fett gereinigt haben, und finden es nicht unangenehm, namentlich, wenn es vorher geräuchert worden iſt. Doch behaupten alle Walfiſchfahrer einſtimmig, daß der Genuß des Eisbärenfleiſches im Anfange Unwohlſein errege; zumal die Leber des Thieres ſoll ſehr ſchädlich wirken. „Wenn Schiffer,‟ ſagt Scoresby, „unvor- ſichtiger Weiſe von der Leber des Eisbären gegeſſen haben, ſo ſind ſie faſt immer krank geworden und zuweilen gar geſtorben; bei Anderen hat der Genuß die Wirkung gehabt, daß ſich die Haut von ihrem Körper ſchälte.‟ Auch Kane beſtätigt dieſe Angabe. Er ließ ſich die Leber eines friſch getödteten Eis- bären zubereiten, obgleich er gehört hatte, daß ſie giftig ſei, und wurde, nachdem er kaum die Speiſe genoſſen hatte, ernſtlich krank. Unter den Fiſchern beſteht der Glaube, daß man durch den Genuß des Eisbärenfleiſches, obgleich es ſonſt nicht ſchadet, wenigſtens frühzeitig ergraue. Die Eskimos haben faſt dieſelben Anſichten, wiſſen auch, daß die Leber ſchädlich iſt, und füttern deshalb blos ihre Hunde mit ihr. Das Fett benutzt man zum Brennen; es hat vor dem Walfiſchthrane den großen Vorzug, daß es keinen üblen Geruch verbreitet. Aus dem Fette der Sohlen erzeugen ſich die Nordländer ſehr geſchätzte Heilmittel; aus den Sehnen verfertigen ſie Zwirn und Bindfaden.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/700>, abgerufen am 22.11.2024.