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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Ertrag der Jagd. Abrichtung junger, Benehmen gezähmter Bären.
Belecken ihrer Tatzen, welches stets unter lautem Gesumm geschieht, die Zeit zu vertreiben. Die
Freude an ihnen währt aber nur kurze Zeit. Schon wenn sie ein halbes Jahr alt geworden sind,
bricht ihre Bärennatur durch. Sie verlieren ihre Anhänglichkeit an den Menschen, werden roh, bissig,
reizbar, mißhandeln die schwachen Hausthiere ungeachtet ihrer erbärmlichen Feigheit, beißen oder
kratzen sogar den eigenen Gebieter und können nur durch wiederholte Prügel in Ordnung gehalten
werden. Auf die Stimme ihres Pflegers achten sie gar nicht; dagegen rennen sie Jedem, welcher rasch
läuft, blindlings nach, ohne zwischen Bekannten und Unbekannten zu unterscheiden. Mit zunehmendem
Alter werden sie immer roher, freß- und raubgieriger, ungeschickter und gefährlicher. Doch können
sie noch demungeachtet zu gewissen, höchst einfachen Kunststücken abgerichtet werden, und im vorigen
Jahrhundert wurde ja, wie bekannt, aus dieser Abrichtung förmlich ein Erwerbszweig gemacht.

Leider sind dem jetzigen Geschlecht die Bärenführer fast nur noch vom Hörensagen bekannt. Die hoch
wohlweise Polizei hat ihre väterliche Fürsorge auch auf die Kamele, Bären und Affen, welche sonst
von Dorf zu Dorf zogen, ausdehnt und in ihnen Wesen erkannt, welche, wenn auch nicht zum Umsturz
des Bestehenden beitragen, so doch mancherlei Unfug und Unheil anstiften könnten; sie hat ihnen deshalb
ihre Wanderungen durch die gesegneten Gauen unsers Vaterlandes verboten. Am meisten scheint man
sich darüber erbost zu haben, daß einstmals ein Bär, welcher in dem Schweinestalle eines Wirthes seine
Nachtherberge aufgeschlagen hatte, in die Gerechtsame der hochlöblichen Polizei selbst unberechtigt sich
einmischte. Derselbe erlaubte sich nämlich, einen Dieb festzuhalten und zu verzehren, welcher das erst
vor wenigen Stunden geschlachtete fette Schwein stehlen wollte, dessen Gefängniß Braun jetzt bewohnte.
Diese Eigenmächtigkeit konnte eine auf Zucht und Ordnung haltende Polizei natürlich nie verzeihen, und
somit wurde es auch den drei genannten vierfüßigen Landstreichern verboten, fortan die liebe Jugend
und das liebe Alter der Dorfschaften zu unterhalten. Die von den Bärenführern gezeigten Petze waren
unter dem Namen "Tanzbär" bekannt und übten die edle Kunst auch in drolliger Weise aus. Der
Unterricht, welchen sie in der Jugend erhalten, ist nur ein Beweis mehr von der Schändlichkeit, mit
welcher der Mensch alle ihm unterworfenen Geschöpfe behandelt. Da die Annahme und Erhaltung
der aufrechten Stellung schon in der Natur des Bären liegt, war es nicht schwer, ihn zum Tanzen
abzurichten. Man setzte den Lehrling in einen Käfig, dessen Boden aus Eisenplatten bestand, welche
man ziemlich stark erwärmte. Um der Hitze wenigstens theilweise zu entgehen, richtete sich der ein-
gesperrte Bär auf den Hinterpfoten auf und begann auch etwas zu hüpfen und in seinem Behältnisse
herumzuspringen. Dabei wurde getrommelt und gepfiffen, und dem Bären mochte später immer noch
die Erinnerung an die erlittene Unbill kommen, wenn er dieselben Töne wieder vernahm, welche bei
jener Marter erschollen waren; kurz, er erhob sich später beim Trommelschall und tanzte, als ob er
sich noch auf den heißen Platten befände. An einem Ringe, welcher ihm durch die Nase gezogen
war, wurde er gelenkt und gebändigt. Außerdem richteten die Bärenführer ihre Thiere aber auch
noch dazu ab, sich zu überschlagen, Affen auf sich reiten zu lassen, einen Stock im Maul und auf den
Armen zu tragen und von der gaffenden Volksmenge Geld einzusammeln, wobei sie einen Teller
in der Pfote haltend, im Kreise umhergingen und auf ein gegebenes Zeichen ihres Führers zu brummen
begannen, wenn die Gabe nicht genügend ausfiel. Manche führten auch mit ihrem Herrn gewisse
Wettkämpfe auf und zeigten dabei wirklichen Verstand. Von einem solchen berichtet Scheitlin
Folgendes:

"Ein Appenzeller aus Jnner-Rhoden sah einen Bärenführer einen Kampf mit seinem gezähmten,
alten, magern Bären gleichsam zu verabredeter Belustigung der Zuschauer thun. Der Führer trug
lederne, von oben bis unten, wie die Haut, knapp anpassende Kleidung; der Bär hatte einen Maul-
korb um. Der Führer mußte immer unterliegen; aber der Bär legte ihn nur fein sauft auf den
Boden. Der Appenzeller begriff die Schwäche des Führers nicht und wünschte, ebenfalls mit dem
Bären einen "Hosenlupf" zu thun. Ungern gestattete es ihm der Herr. Aufgerichtet ging der Bär
augenblicklich auf ihn los und -- schmiß ihn ebenso schnell zu Boden. Trieb er früher Spaß mit
dem niedergeworfenen Führer, als ob er ihn auffressen wolle, so stürzte er sich nun auf den Appen-

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Ertrag der Jagd. Abrichtung junger, Benehmen gezähmter Bären.
Belecken ihrer Tatzen, welches ſtets unter lautem Geſumm geſchieht, die Zeit zu vertreiben. Die
Freude an ihnen währt aber nur kurze Zeit. Schon wenn ſie ein halbes Jahr alt geworden ſind,
bricht ihre Bärennatur durch. Sie verlieren ihre Anhänglichkeit an den Menſchen, werden roh, biſſig,
reizbar, mißhandeln die ſchwachen Hausthiere ungeachtet ihrer erbärmlichen Feigheit, beißen oder
kratzen ſogar den eigenen Gebieter und können nur durch wiederholte Prügel in Ordnung gehalten
werden. Auf die Stimme ihres Pflegers achten ſie gar nicht; dagegen rennen ſie Jedem, welcher raſch
läuft, blindlings nach, ohne zwiſchen Bekannten und Unbekannten zu unterſcheiden. Mit zunehmendem
Alter werden ſie immer roher, freß- und raubgieriger, ungeſchickter und gefährlicher. Doch können
ſie noch demungeachtet zu gewiſſen, höchſt einfachen Kunſtſtücken abgerichtet werden, und im vorigen
Jahrhundert wurde ja, wie bekannt, aus dieſer Abrichtung förmlich ein Erwerbszweig gemacht.

Leider ſind dem jetzigen Geſchlecht die Bärenführer faſt nur noch vom Hörenſagen bekannt. Die hoch
wohlweiſe Polizei hat ihre väterliche Fürſorge auch auf die Kamele, Bären und Affen, welche ſonſt
von Dorf zu Dorf zogen, ausdehnt und in ihnen Weſen erkannt, welche, wenn auch nicht zum Umſturz
des Beſtehenden beitragen, ſo doch mancherlei Unfug und Unheil anſtiften könnten; ſie hat ihnen deshalb
ihre Wanderungen durch die geſegneten Gauen unſers Vaterlandes verboten. Am meiſten ſcheint man
ſich darüber erboſt zu haben, daß einſtmals ein Bär, welcher in dem Schweineſtalle eines Wirthes ſeine
Nachtherberge aufgeſchlagen hatte, in die Gerechtſame der hochlöblichen Polizei ſelbſt unberechtigt ſich
einmiſchte. Derſelbe erlaubte ſich nämlich, einen Dieb feſtzuhalten und zu verzehren, welcher das erſt
vor wenigen Stunden geſchlachtete fette Schwein ſtehlen wollte, deſſen Gefängniß Braun jetzt bewohnte.
Dieſe Eigenmächtigkeit konnte eine auf Zucht und Ordnung haltende Polizei natürlich nie verzeihen, und
ſomit wurde es auch den drei genannten vierfüßigen Landſtreichern verboten, fortan die liebe Jugend
und das liebe Alter der Dorfſchaften zu unterhalten. Die von den Bärenführern gezeigten Petze waren
unter dem Namen „Tanzbär‟ bekannt und übten die edle Kunſt auch in drolliger Weiſe aus. Der
Unterricht, welchen ſie in der Jugend erhalten, iſt nur ein Beweis mehr von der Schändlichkeit, mit
welcher der Menſch alle ihm unterworfenen Geſchöpfe behandelt. Da die Annahme und Erhaltung
der aufrechten Stellung ſchon in der Natur des Bären liegt, war es nicht ſchwer, ihn zum Tanzen
abzurichten. Man ſetzte den Lehrling in einen Käfig, deſſen Boden aus Eiſenplatten beſtand, welche
man ziemlich ſtark erwärmte. Um der Hitze wenigſtens theilweiſe zu entgehen, richtete ſich der ein-
geſperrte Bär auf den Hinterpfoten auf und begann auch etwas zu hüpfen und in ſeinem Behältniſſe
herumzuſpringen. Dabei wurde getrommelt und gepfiffen, und dem Bären mochte ſpäter immer noch
die Erinnerung an die erlittene Unbill kommen, wenn er dieſelben Töne wieder vernahm, welche bei
jener Marter erſchollen waren; kurz, er erhob ſich ſpäter beim Trommelſchall und tanzte, als ob er
ſich noch auf den heißen Platten befände. An einem Ringe, welcher ihm durch die Naſe gezogen
war, wurde er gelenkt und gebändigt. Außerdem richteten die Bärenführer ihre Thiere aber auch
noch dazu ab, ſich zu überſchlagen, Affen auf ſich reiten zu laſſen, einen Stock im Maul und auf den
Armen zu tragen und von der gaffenden Volksmenge Geld einzuſammeln, wobei ſie einen Teller
in der Pfote haltend, im Kreiſe umhergingen und auf ein gegebenes Zeichen ihres Führers zu brummen
begannen, wenn die Gabe nicht genügend ausfiel. Manche führten auch mit ihrem Herrn gewiſſe
Wettkämpfe auf und zeigten dabei wirklichen Verſtand. Von einem ſolchen berichtet Scheitlin
Folgendes:

„Ein Appenzeller aus Jnner-Rhoden ſah einen Bärenführer einen Kampf mit ſeinem gezähmten,
alten, magern Bären gleichſam zu verabredeter Beluſtigung der Zuſchauer thun. Der Führer trug
lederne, von oben bis unten, wie die Haut, knapp anpaſſende Kleidung; der Bär hatte einen Maul-
korb um. Der Führer mußte immer unterliegen; aber der Bär legte ihn nur fein ſauft auf den
Boden. Der Appenzeller begriff die Schwäche des Führers nicht und wünſchte, ebenfalls mit dem
Bären einen „Hoſenlupf‟ zu thun. Ungern geſtattete es ihm der Herr. Aufgerichtet ging der Bär
augenblicklich auf ihn los und — ſchmiß ihn ebenſo ſchnell zu Boden. Trieb er früher Spaß mit
dem niedergeworfenen Führer, als ob er ihn auffreſſen wolle, ſo ſtürzte er ſich nun auf den Appen-

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[595/0671] Ertrag der Jagd. Abrichtung junger, Benehmen gezähmter Bären. Belecken ihrer Tatzen, welches ſtets unter lautem Geſumm geſchieht, die Zeit zu vertreiben. Die Freude an ihnen währt aber nur kurze Zeit. Schon wenn ſie ein halbes Jahr alt geworden ſind, bricht ihre Bärennatur durch. Sie verlieren ihre Anhänglichkeit an den Menſchen, werden roh, biſſig, reizbar, mißhandeln die ſchwachen Hausthiere ungeachtet ihrer erbärmlichen Feigheit, beißen oder kratzen ſogar den eigenen Gebieter und können nur durch wiederholte Prügel in Ordnung gehalten werden. Auf die Stimme ihres Pflegers achten ſie gar nicht; dagegen rennen ſie Jedem, welcher raſch läuft, blindlings nach, ohne zwiſchen Bekannten und Unbekannten zu unterſcheiden. Mit zunehmendem Alter werden ſie immer roher, freß- und raubgieriger, ungeſchickter und gefährlicher. Doch können ſie noch demungeachtet zu gewiſſen, höchſt einfachen Kunſtſtücken abgerichtet werden, und im vorigen Jahrhundert wurde ja, wie bekannt, aus dieſer Abrichtung förmlich ein Erwerbszweig gemacht. Leider ſind dem jetzigen Geſchlecht die Bärenführer faſt nur noch vom Hörenſagen bekannt. Die hoch wohlweiſe Polizei hat ihre väterliche Fürſorge auch auf die Kamele, Bären und Affen, welche ſonſt von Dorf zu Dorf zogen, ausdehnt und in ihnen Weſen erkannt, welche, wenn auch nicht zum Umſturz des Beſtehenden beitragen, ſo doch mancherlei Unfug und Unheil anſtiften könnten; ſie hat ihnen deshalb ihre Wanderungen durch die geſegneten Gauen unſers Vaterlandes verboten. Am meiſten ſcheint man ſich darüber erboſt zu haben, daß einſtmals ein Bär, welcher in dem Schweineſtalle eines Wirthes ſeine Nachtherberge aufgeſchlagen hatte, in die Gerechtſame der hochlöblichen Polizei ſelbſt unberechtigt ſich einmiſchte. Derſelbe erlaubte ſich nämlich, einen Dieb feſtzuhalten und zu verzehren, welcher das erſt vor wenigen Stunden geſchlachtete fette Schwein ſtehlen wollte, deſſen Gefängniß Braun jetzt bewohnte. Dieſe Eigenmächtigkeit konnte eine auf Zucht und Ordnung haltende Polizei natürlich nie verzeihen, und ſomit wurde es auch den drei genannten vierfüßigen Landſtreichern verboten, fortan die liebe Jugend und das liebe Alter der Dorfſchaften zu unterhalten. Die von den Bärenführern gezeigten Petze waren unter dem Namen „Tanzbär‟ bekannt und übten die edle Kunſt auch in drolliger Weiſe aus. Der Unterricht, welchen ſie in der Jugend erhalten, iſt nur ein Beweis mehr von der Schändlichkeit, mit welcher der Menſch alle ihm unterworfenen Geſchöpfe behandelt. Da die Annahme und Erhaltung der aufrechten Stellung ſchon in der Natur des Bären liegt, war es nicht ſchwer, ihn zum Tanzen abzurichten. Man ſetzte den Lehrling in einen Käfig, deſſen Boden aus Eiſenplatten beſtand, welche man ziemlich ſtark erwärmte. Um der Hitze wenigſtens theilweiſe zu entgehen, richtete ſich der ein- geſperrte Bär auf den Hinterpfoten auf und begann auch etwas zu hüpfen und in ſeinem Behältniſſe herumzuſpringen. Dabei wurde getrommelt und gepfiffen, und dem Bären mochte ſpäter immer noch die Erinnerung an die erlittene Unbill kommen, wenn er dieſelben Töne wieder vernahm, welche bei jener Marter erſchollen waren; kurz, er erhob ſich ſpäter beim Trommelſchall und tanzte, als ob er ſich noch auf den heißen Platten befände. An einem Ringe, welcher ihm durch die Naſe gezogen war, wurde er gelenkt und gebändigt. Außerdem richteten die Bärenführer ihre Thiere aber auch noch dazu ab, ſich zu überſchlagen, Affen auf ſich reiten zu laſſen, einen Stock im Maul und auf den Armen zu tragen und von der gaffenden Volksmenge Geld einzuſammeln, wobei ſie einen Teller in der Pfote haltend, im Kreiſe umhergingen und auf ein gegebenes Zeichen ihres Führers zu brummen begannen, wenn die Gabe nicht genügend ausfiel. Manche führten auch mit ihrem Herrn gewiſſe Wettkämpfe auf und zeigten dabei wirklichen Verſtand. Von einem ſolchen berichtet Scheitlin Folgendes: „Ein Appenzeller aus Jnner-Rhoden ſah einen Bärenführer einen Kampf mit ſeinem gezähmten, alten, magern Bären gleichſam zu verabredeter Beluſtigung der Zuſchauer thun. Der Führer trug lederne, von oben bis unten, wie die Haut, knapp anpaſſende Kleidung; der Bär hatte einen Maul- korb um. Der Führer mußte immer unterliegen; aber der Bär legte ihn nur fein ſauft auf den Boden. Der Appenzeller begriff die Schwäche des Führers nicht und wünſchte, ebenfalls mit dem Bären einen „Hoſenlupf‟ zu thun. Ungern geſtattete es ihm der Herr. Aufgerichtet ging der Bär augenblicklich auf ihn los und — ſchmiß ihn ebenſo ſchnell zu Boden. Trieb er früher Spaß mit dem niedergeworfenen Führer, als ob er ihn auffreſſen wolle, ſo ſtürzte er ſich nun auf den Appen- 38*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/671>, abgerufen am 22.11.2024.