Wie wenig der winterliche Rückzug des Bären als Winterschlaf gedeutet werden kann, geht auch daraus hervor, daß die Geburt der Jungen regelmäßig in den Januar fällt. Bei Erwähnung der Fortpflanzungsgeschichte des Bären muß ich im voraus bemerken, daß über diese die Meinungen noch sehr getheilt sind. Linne giebt den Oktober als Bärzeit an und rechnet die Trächtigkeit der Bärin zu 112 Tagen. Ein illyrischer Waidmann, dem wir gute Nachrichten über das Freileben des Bären ver- danken, behauptet ebenfalls, daß die Paarung im Oktober, der Wurf jedoch im März stattfinde. Noch in den neuesten Werken der Naturforscher herrscht über die eine wie die andere Zeit eine um so auf- fallendere Unsicherheit, als der Bär ja doch zu den Raubthieren gehört, welche so oft zahm gehalten werden. Jener illyrische Jäger versichert, daß wenigstens der kleine rothe Bär, welchen man in Süd- osteuropa im allgemeinen von dem braunen unterscheidet, im September oder Oktober der Bärin nach- zieht, während der Bärzeit sehr aufgeregt sich zeigt, seiner Gemahlin die allerdrolligsten und komischsten Liebeserklärungen macht, mit anderen männlichen Bären tüchtige Kämpfe besteht und selbst für den Menschen, welcher ihn in seinen Liebkosungen stört, gefährlich wird. "Vermißt er seine Geliebte," sagt unser Gewährsmann, "so folgt er mit der Nase auf der Erde ihrer Fährte brummend nach und schlägt Alles nieder, was ihm in den Weg kommt und nicht sogleich die Flucht ergreift." Die Be- gattung selbst soll liegend in zärtlicher Umarmung geschehen, wobei von beiden Seiten ein artiger Zweifang gebrummt wird. Vorher soll der Bär durch mächtige Schläge mit den Vorderbranten der Bärin seine Liebe an den Tag legen. Unser Waidmann führt sogar einen Jäger als Zeugen solcher Liebesspiele auf.
Jch muß leider glauben, daß diese Angaben Muthmaßungen sind, nicht aber auf Thatsachen sich gründen. Wenn man von gefangenen Bären auf freilebende schließen darf, verhält sich die Sache ganz anders, als Linne und alle Waidmänner, viele der neueren Naturforscher inbegriffen, angegeben haben. Es liegen jetzt über die Bärzeit, die Begattung und über den Wurf der Bären eine Reihe von Beobachtungen vor, welche allerdings sämmtlich in der Gefangenschaft gemacht wurden, aber unter sich so übereinstimmend sind, daß sie es rechtfertigen, wenn man von ihnen auf die freilebenden schließt. Die Bärzeit ist der Mai und der Anfang des Juni; denn die Aufregung der Geschlechter währt einen ganzen Monat lang. Die Bären im Zwinger unsers Thiergartens begatteten sich im vorigen Jahre (1863) zum ersten Male am 14. Mai, von nun an aber täglich zu wiederholten Malen bis zur Mitte Junis. Es wurde kein Zweifang gebrummt; es wurden auch vom Bären seiner Schönen keine Brantenschläge zuertheilt, und die Begattung endlich geschah nicht liegend, sondern nach Hundeart sitzend. Bär und Bärin machten dabei ein möglichst dummes Gesicht; von Sprödethun ihrerseits war keine Rede, ebensowenig auch von allzu großen Zudringlichkeiten seitens des Bären. Ganz falsch ist es, wenn gesagt wird, daß der Bär in strenger Ehe lebe und sich eine Untreue gegen die einmal gewählte Bärin nicht zu Schulden kommen lasse. Unter unseren Bären herrschte scheinbar ein sehr treues und zärtliches Verhältniß. Als ich jedoch ein zweites Bärenpaar in den Zwinger bringen ließ, welchen bisher das erste eingenommen hatte, entstand zwischen den Männern sofort ein ernsthafter Kampf, keineswegs aber um die Liebe einer Bärin, sondern einzig und allein um die Herrschaft über beide zusammen. Der stärkere Bär, welcher den andern bald besiegte, begattete auch die zweite Bärin und zwar vor den Augen seiner rechtmäßigen Gemahlin, welche, oben auf dem Baume sitzend, dem Schauspiele zusehen mußte und dabei ärgerlich schnaufte.
Sehr unterhaltend waren die Kämpfe zwischen den beiden Bären. Sie bewiesen die Feigheit "Meister Brauns" schlagend genug. Beide Recken gingen vorsichtig gegen einander los, beschnüffelten sich mit zur Seite gesenkten Köpfen, schielten vorsichtig auf einander hin und zogen sich gleichzeitig zurück, sobald einer die Tatze erhob. Die Bärin des ursprünglich im Zwinger haufenden Paares mußte ihren Herrn Gemahl förmlich zum Kampfe treiben. Das Gefecht selbst wurde durch einige blitzschnell gegebene Brantenschläge eröffnet, bei welchen der empfangende Theil sich jedesmal scheu zur Seite bog, dann aber ebenso rasch zum angreifenden wurde. Hierauf richteten sich beide Bären gegen einander empor, packten sich wie zwei ringende Männer und brüllten sich mit weit geöffneten Rachen an, ohne
Angebliches Tatzenſaugen. Begattung.
Wie wenig der winterliche Rückzug des Bären als Winterſchlaf gedeutet werden kann, geht auch daraus hervor, daß die Geburt der Jungen regelmäßig in den Januar fällt. Bei Erwähnung der Fortpflanzungsgeſchichte des Bären muß ich im voraus bemerken, daß über dieſe die Meinungen noch ſehr getheilt ſind. Linné giebt den Oktober als Bärzeit an und rechnet die Trächtigkeit der Bärin zu 112 Tagen. Ein illyriſcher Waidmann, dem wir gute Nachrichten über das Freileben des Bären ver- danken, behauptet ebenfalls, daß die Paarung im Oktober, der Wurf jedoch im März ſtattfinde. Noch in den neueſten Werken der Naturforſcher herrſcht über die eine wie die andere Zeit eine um ſo auf- fallendere Unſicherheit, als der Bär ja doch zu den Raubthieren gehört, welche ſo oft zahm gehalten werden. Jener illyriſche Jäger verſichert, daß wenigſtens der kleine rothe Bär, welchen man in Süd- oſteuropa im allgemeinen von dem braunen unterſcheidet, im September oder Oktober der Bärin nach- zieht, während der Bärzeit ſehr aufgeregt ſich zeigt, ſeiner Gemahlin die allerdrolligſten und komiſchſten Liebeserklärungen macht, mit anderen männlichen Bären tüchtige Kämpfe beſteht und ſelbſt für den Menſchen, welcher ihn in ſeinen Liebkoſungen ſtört, gefährlich wird. „Vermißt er ſeine Geliebte,‟ ſagt unſer Gewährsmann, „ſo folgt er mit der Naſe auf der Erde ihrer Fährte brummend nach und ſchlägt Alles nieder, was ihm in den Weg kommt und nicht ſogleich die Flucht ergreift.‟ Die Be- gattung ſelbſt ſoll liegend in zärtlicher Umarmung geſchehen, wobei von beiden Seiten ein artiger Zweifang gebrummt wird. Vorher ſoll der Bär durch mächtige Schläge mit den Vorderbranten der Bärin ſeine Liebe an den Tag legen. Unſer Waidmann führt ſogar einen Jäger als Zeugen ſolcher Liebesſpiele auf.
Jch muß leider glauben, daß dieſe Angaben Muthmaßungen ſind, nicht aber auf Thatſachen ſich gründen. Wenn man von gefangenen Bären auf freilebende ſchließen darf, verhält ſich die Sache ganz anders, als Linné und alle Waidmänner, viele der neueren Naturforſcher inbegriffen, angegeben haben. Es liegen jetzt über die Bärzeit, die Begattung und über den Wurf der Bären eine Reihe von Beobachtungen vor, welche allerdings ſämmtlich in der Gefangenſchaft gemacht wurden, aber unter ſich ſo übereinſtimmend ſind, daß ſie es rechtfertigen, wenn man von ihnen auf die freilebenden ſchließt. Die Bärzeit iſt der Mai und der Anfang des Juni; denn die Aufregung der Geſchlechter währt einen ganzen Monat lang. Die Bären im Zwinger unſers Thiergartens begatteten ſich im vorigen Jahre (1863) zum erſten Male am 14. Mai, von nun an aber täglich zu wiederholten Malen bis zur Mitte Junis. Es wurde kein Zweifang gebrummt; es wurden auch vom Bären ſeiner Schönen keine Brantenſchläge zuertheilt, und die Begattung endlich geſchah nicht liegend, ſondern nach Hundeart ſitzend. Bär und Bärin machten dabei ein möglichſt dummes Geſicht; von Sprödethun ihrerſeits war keine Rede, ebenſowenig auch von allzu großen Zudringlichkeiten ſeitens des Bären. Ganz falſch iſt es, wenn geſagt wird, daß der Bär in ſtrenger Ehe lebe und ſich eine Untreue gegen die einmal gewählte Bärin nicht zu Schulden kommen laſſe. Unter unſeren Bären herrſchte ſcheinbar ein ſehr treues und zärtliches Verhältniß. Als ich jedoch ein zweites Bärenpaar in den Zwinger bringen ließ, welchen bisher das erſte eingenommen hatte, entſtand zwiſchen den Männern ſofort ein ernſthafter Kampf, keineswegs aber um die Liebe einer Bärin, ſondern einzig und allein um die Herrſchaft über beide zuſammen. Der ſtärkere Bär, welcher den andern bald beſiegte, begattete auch die zweite Bärin und zwar vor den Augen ſeiner rechtmäßigen Gemahlin, welche, oben auf dem Baume ſitzend, dem Schauſpiele zuſehen mußte und dabei ärgerlich ſchnaufte.
Sehr unterhaltend waren die Kämpfe zwiſchen den beiden Bären. Sie bewieſen die Feigheit „Meiſter Brauns‟ ſchlagend genug. Beide Recken gingen vorſichtig gegen einander los, beſchnüffelten ſich mit zur Seite geſenkten Köpfen, ſchielten vorſichtig auf einander hin und zogen ſich gleichzeitig zurück, ſobald einer die Tatze erhob. Die Bärin des urſprünglich im Zwinger haufenden Paares mußte ihren Herrn Gemahl förmlich zum Kampfe treiben. Das Gefecht ſelbſt wurde durch einige blitzſchnell gegebene Brantenſchläge eröffnet, bei welchen der empfangende Theil ſich jedesmal ſcheu zur Seite bog, dann aber ebenſo raſch zum angreifenden wurde. Hierauf richteten ſich beide Bären gegen einander empor, packten ſich wie zwei ringende Männer und brüllten ſich mit weit geöffneten Rachen an, ohne
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[585/0661]
Angebliches Tatzenſaugen. Begattung.
Wie wenig der winterliche Rückzug des Bären als Winterſchlaf gedeutet werden kann, geht auch
daraus hervor, daß die Geburt der Jungen regelmäßig in den Januar fällt. Bei Erwähnung der
Fortpflanzungsgeſchichte des Bären muß ich im voraus bemerken, daß über dieſe die Meinungen noch
ſehr getheilt ſind. Linné giebt den Oktober als Bärzeit an und rechnet die Trächtigkeit der Bärin
zu 112 Tagen. Ein illyriſcher Waidmann, dem wir gute Nachrichten über das Freileben des Bären ver-
danken, behauptet ebenfalls, daß die Paarung im Oktober, der Wurf jedoch im März ſtattfinde. Noch
in den neueſten Werken der Naturforſcher herrſcht über die eine wie die andere Zeit eine um ſo auf-
fallendere Unſicherheit, als der Bär ja doch zu den Raubthieren gehört, welche ſo oft zahm gehalten
werden. Jener illyriſche Jäger verſichert, daß wenigſtens der kleine rothe Bär, welchen man in Süd-
oſteuropa im allgemeinen von dem braunen unterſcheidet, im September oder Oktober der Bärin nach-
zieht, während der Bärzeit ſehr aufgeregt ſich zeigt, ſeiner Gemahlin die allerdrolligſten und komiſchſten
Liebeserklärungen macht, mit anderen männlichen Bären tüchtige Kämpfe beſteht und ſelbſt für den
Menſchen, welcher ihn in ſeinen Liebkoſungen ſtört, gefährlich wird. „Vermißt er ſeine Geliebte,‟
ſagt unſer Gewährsmann, „ſo folgt er mit der Naſe auf der Erde ihrer Fährte brummend nach und
ſchlägt Alles nieder, was ihm in den Weg kommt und nicht ſogleich die Flucht ergreift.‟ Die Be-
gattung ſelbſt ſoll liegend in zärtlicher Umarmung geſchehen, wobei von beiden Seiten ein artiger
Zweifang gebrummt wird. Vorher ſoll der Bär durch mächtige Schläge mit den Vorderbranten der
Bärin ſeine Liebe an den Tag legen. Unſer Waidmann führt ſogar einen Jäger als Zeugen ſolcher
Liebesſpiele auf.
Jch muß leider glauben, daß dieſe Angaben Muthmaßungen ſind, nicht aber auf Thatſachen ſich
gründen. Wenn man von gefangenen Bären auf freilebende ſchließen darf, verhält ſich die Sache ganz
anders, als Linné und alle Waidmänner, viele der neueren Naturforſcher inbegriffen, angegeben
haben. Es liegen jetzt über die Bärzeit, die Begattung und über den Wurf der Bären eine Reihe
von Beobachtungen vor, welche allerdings ſämmtlich in der Gefangenſchaft gemacht wurden, aber
unter ſich ſo übereinſtimmend ſind, daß ſie es rechtfertigen, wenn man von ihnen auf die freilebenden
ſchließt. Die Bärzeit iſt der Mai und der Anfang des Juni; denn die Aufregung der Geſchlechter
währt einen ganzen Monat lang. Die Bären im Zwinger unſers Thiergartens begatteten ſich im
vorigen Jahre (1863) zum erſten Male am 14. Mai, von nun an aber täglich zu wiederholten Malen
bis zur Mitte Junis. Es wurde kein Zweifang gebrummt; es wurden auch vom Bären ſeiner Schönen
keine Brantenſchläge zuertheilt, und die Begattung endlich geſchah nicht liegend, ſondern nach Hundeart
ſitzend. Bär und Bärin machten dabei ein möglichſt dummes Geſicht; von Sprödethun ihrerſeits
war keine Rede, ebenſowenig auch von allzu großen Zudringlichkeiten ſeitens des Bären. Ganz falſch
iſt es, wenn geſagt wird, daß der Bär in ſtrenger Ehe lebe und ſich eine Untreue gegen die einmal
gewählte Bärin nicht zu Schulden kommen laſſe. Unter unſeren Bären herrſchte ſcheinbar ein ſehr
treues und zärtliches Verhältniß. Als ich jedoch ein zweites Bärenpaar in den Zwinger bringen ließ,
welchen bisher das erſte eingenommen hatte, entſtand zwiſchen den Männern ſofort ein ernſthafter
Kampf, keineswegs aber um die Liebe einer Bärin, ſondern einzig und allein um die Herrſchaft über
beide zuſammen. Der ſtärkere Bär, welcher den andern bald beſiegte, begattete auch die zweite Bärin
und zwar vor den Augen ſeiner rechtmäßigen Gemahlin, welche, oben auf dem Baume ſitzend, dem
Schauſpiele zuſehen mußte und dabei ärgerlich ſchnaufte.
Sehr unterhaltend waren die Kämpfe zwiſchen den beiden Bären. Sie bewieſen die Feigheit
„Meiſter Brauns‟ ſchlagend genug. Beide Recken gingen vorſichtig gegen einander los, beſchnüffelten
ſich mit zur Seite geſenkten Köpfen, ſchielten vorſichtig auf einander hin und zogen ſich gleichzeitig
zurück, ſobald einer die Tatze erhob. Die Bärin des urſprünglich im Zwinger haufenden Paares mußte
ihren Herrn Gemahl förmlich zum Kampfe treiben. Das Gefecht ſelbſt wurde durch einige blitzſchnell
gegebene Brantenſchläge eröffnet, bei welchen der empfangende Theil ſich jedesmal ſcheu zur Seite bog,
dann aber ebenſo raſch zum angreifenden wurde. Hierauf richteten ſich beide Bären gegen einander
empor, packten ſich wie zwei ringende Männer und brüllten ſich mit weit geöffneten Rachen an, ohne
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/661>, abgerufen am 25.11.2024.
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