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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere Bären. -- Gemeiner Bär.
eigentlichen Jagdgebiet. Der Wolf macht oft, besonders im Herbst und Winter, Streifzüge von
40 bis 50 Meilen; der Bär geht selten 10 bis 15 Meilen weit von seiner Höhle. Doch macht man
sich öfters von ihm, in Bezug auf seine Langsamkeit, unrichtige Vorstellungen, und namentlich wenn
er in Gefahr geräth, verändert sich sein ganzes Naturell bis zur reißendsten Wuth."

Jch vermag es nicht, mich dieser Charakterzeichnung des Bären vollständig anzuschließen. Er
erscheint allerdings komisch, ist aber nichts weniger, als gutmüthig oder liebenswürdig. Er ist
auch nur dann muthig, wenn er keinen andern Ausweg sieht. Er ist geistig wenig begabt, ziemlich
dumm, gleichgiltig und träge. Alle Katzen und Hunde sind gescheiter, als er. Seine Gutmüthigkeit
ist einzig und allein in seiner geringen Raubfertigkeit begründet, sein drolliges Wesen vorzugsweise
durch seine Gestalt bedingt. Die Katze ist muthig, der Hund listig fein; der Bär ist grob und unge-
schliffen. Sein Gedächtniß ist schwach; berechnenden Verstand besitzt er nicht. Sein Gebiß weist ihm
gemischte Nahrung an; er raubt daher selten und nur in beschränktem Grade. Dieses Verdienst ist
gering und nicht ihm zuzurechnen. Lehre und Unterricht nimmt er nur in geringem Maße an;
wirklicher Freundschaft zu dem Menschen ist er nicht fähig. Den Fraß liebt er mehr, als seinen
Pfleger. Er bleibt auch diesem gegenüber immer grob -- und gefährlich. Der Wolf steht ganz
entschieden höher, als er, und muß also edler genannt werden. --

Vor dem Eintritte des Winters bereitet sich der Bär eine Schlafstätte, oft zwischen Felsen oder
in Höhlen, welche er vorfindet oder sich selber gräbt, oft auch in einer dunklen Dickung, wo er dann
mit Zweigen und Blättern sich ein hüttenähnliches Obdach zurecht macht. Das Lager wird forg-
fältig, aber kunstlos mit Mos, Laub, Gras und Zweigen ausgepolstert und ist in der That ein sehr
bequemes, hübsches Bett. Mit Eintritt strengerer Kälte bezieht er seinen Winterschlupfwinkel und
verweilt hier während der kalten Jahreszeit. Er hält Winterschlaf; derselbe unterscheidet sich jedoch
wesentlich von dem anderer Thiere: denn der Bär schläft blos den größten Theil des Winters,
keineswegs aber in einem Zuge, sondern in Absätzen, und nicht einmal das Männchen verfällt in einen
ähnlichen, todtengleichen Schlaf, wie das Murmelthier oder der Siebenschläfer. Schinz sagt
von den Bären im Stadtgraben zu Bern hierüber Folgendes: "Wochen oder Monate durch dauert
der Winterschlaf nicht. Die Bären, welche in ihrem Stall einen warmen Rückzug haben, fressen
im Januar und Februar sehr wenig, kaum ein Brod des Tages, und kommen zwar selten, aber
doch zuweilen im freien Graben zum Vorschein; besonders erscheinen sie täglich, um zu saufen. Sie
schlafen dabei mehr und tiefer, als gewöhnlich."

Jch kann nach den Beobachtungen, welche ich an den Bären unsers Thiergartens angestellt habe,
behaupten, daß gefangene Bären sich im Winter kaum anders benehmen, als im Sommer. So-
lange ihnen regelmäßig Nahrung gereicht wird, fressen sie fast eben soviel wie sonst, und in milden
Wintern schlafen sie auch nicht mehr, als im Sommer. Jedenfalls sind sie, wenn die Zeit des Ge-
bärens herannaht, vollständig wach und munter. Es ist mir wahrscheinlich, daß der Winterschlaf
der Bären nicht mehr als eine Sage ist, deren Ursprung in der gerade im Winter sich besonders
zeigenden Faulheit der Thiere seinen hauptsächlichsten Grund haben mag.

Bei milder Witterung verläßt der freilebende Bär oft schon im Januar seine Höhle ab und zu,
und streift umher, um sich, so gut es geht, zu äsen oder um zu trinken. Bei erneuter Kälte zieht er
sich wieder in sein Lager zurück und verbirgt sich wieder. Da er sich während des Sommers und
Herbstes gewöhnlich gut genährt hat, bezieht er sein Winterlager regelmäßig sehr fett, und von diesem
Fette zehrt er zum Theil während des Winters. Jm Frühjahre ist er, wie die meisten anderen Thiere,
sehr abgemagert. Die Alten, denen Dies bekannt war, bemerkten auch, daß sich der ruhende Bär,
wie es seine Gewohnheit überhaupt ist, zuweilen seine Pfoten beleckt, und glaubten deshalb annehmen
zu müssen, daß er sich das Fett aus seinen Tatzen sauge. Daß Dies unwahr ist, sieht jedes Kind
ein; gleichwohl giebt es große Kinder genug, welche selbst heutigen Tages noch das Märchen gläubig
aufnehmen und weitererzählen. Jn milderen Himmelsstrichen kommt der Bär im Winter blos in die
Niederung herab und schläft gar nicht, sondern lebt wie im Sommer.

Die Raubthiere Bären. — Gemeiner Bär.
eigentlichen Jagdgebiet. Der Wolf macht oft, beſonders im Herbſt und Winter, Streifzüge von
40 bis 50 Meilen; der Bär geht ſelten 10 bis 15 Meilen weit von ſeiner Höhle. Doch macht man
ſich öfters von ihm, in Bezug auf ſeine Langſamkeit, unrichtige Vorſtellungen, und namentlich wenn
er in Gefahr geräth, verändert ſich ſein ganzes Naturell bis zur reißendſten Wuth.‟

Jch vermag es nicht, mich dieſer Charakterzeichnung des Bären vollſtändig anzuſchließen. Er
erſcheint allerdings komiſch, iſt aber nichts weniger, als gutmüthig oder liebenswürdig. Er iſt
auch nur dann muthig, wenn er keinen andern Ausweg ſieht. Er iſt geiſtig wenig begabt, ziemlich
dumm, gleichgiltig und träge. Alle Katzen und Hunde ſind geſcheiter, als er. Seine Gutmüthigkeit
iſt einzig und allein in ſeiner geringen Raubfertigkeit begründet, ſein drolliges Weſen vorzugsweiſe
durch ſeine Geſtalt bedingt. Die Katze iſt muthig, der Hund liſtig fein; der Bär iſt grob und unge-
ſchliffen. Sein Gedächtniß iſt ſchwach; berechnenden Verſtand beſitzt er nicht. Sein Gebiß weiſt ihm
gemiſchte Nahrung an; er raubt daher ſelten und nur in beſchränktem Grade. Dieſes Verdienſt iſt
gering und nicht ihm zuzurechnen. Lehre und Unterricht nimmt er nur in geringem Maße an;
wirklicher Freundſchaft zu dem Menſchen iſt er nicht fähig. Den Fraß liebt er mehr, als ſeinen
Pfleger. Er bleibt auch dieſem gegenüber immer grob — und gefährlich. Der Wolf ſteht ganz
entſchieden höher, als er, und muß alſo edler genannt werden. —

Vor dem Eintritte des Winters bereitet ſich der Bär eine Schlafſtätte, oft zwiſchen Felſen oder
in Höhlen, welche er vorfindet oder ſich ſelber gräbt, oft auch in einer dunklen Dickung, wo er dann
mit Zweigen und Blättern ſich ein hüttenähnliches Obdach zurecht macht. Das Lager wird forg-
fältig, aber kunſtlos mit Mos, Laub, Gras und Zweigen ausgepolſtert und iſt in der That ein ſehr
bequemes, hübſches Bett. Mit Eintritt ſtrengerer Kälte bezieht er ſeinen Winterſchlupfwinkel und
verweilt hier während der kalten Jahreszeit. Er hält Winterſchlaf; derſelbe unterſcheidet ſich jedoch
weſentlich von dem anderer Thiere: denn der Bär ſchläft blos den größten Theil des Winters,
keineswegs aber in einem Zuge, ſondern in Abſätzen, und nicht einmal das Männchen verfällt in einen
ähnlichen, todtengleichen Schlaf, wie das Murmelthier oder der Siebenſchläfer. Schinz ſagt
von den Bären im Stadtgraben zu Bern hierüber Folgendes: „Wochen oder Monate durch dauert
der Winterſchlaf nicht. Die Bären, welche in ihrem Stall einen warmen Rückzug haben, freſſen
im Januar und Februar ſehr wenig, kaum ein Brod des Tages, und kommen zwar ſelten, aber
doch zuweilen im freien Graben zum Vorſchein; beſonders erſcheinen ſie täglich, um zu ſaufen. Sie
ſchlafen dabei mehr und tiefer, als gewöhnlich.‟

Jch kann nach den Beobachtungen, welche ich an den Bären unſers Thiergartens angeſtellt habe,
behaupten, daß gefangene Bären ſich im Winter kaum anders benehmen, als im Sommer. So-
lange ihnen regelmäßig Nahrung gereicht wird, freſſen ſie faſt eben ſoviel wie ſonſt, und in milden
Wintern ſchlafen ſie auch nicht mehr, als im Sommer. Jedenfalls ſind ſie, wenn die Zeit des Ge-
bärens herannaht, vollſtändig wach und munter. Es iſt mir wahrſcheinlich, daß der Winterſchlaf
der Bären nicht mehr als eine Sage iſt, deren Urſprung in der gerade im Winter ſich beſonders
zeigenden Faulheit der Thiere ſeinen hauptſächlichſten Grund haben mag.

Bei milder Witterung verläßt der freilebende Bär oft ſchon im Januar ſeine Höhle ab und zu,
und ſtreift umher, um ſich, ſo gut es geht, zu äſen oder um zu trinken. Bei erneuter Kälte zieht er
ſich wieder in ſein Lager zurück und verbirgt ſich wieder. Da er ſich während des Sommers und
Herbſtes gewöhnlich gut genährt hat, bezieht er ſein Winterlager regelmäßig ſehr fett, und von dieſem
Fette zehrt er zum Theil während des Winters. Jm Frühjahre iſt er, wie die meiſten anderen Thiere,
ſehr abgemagert. Die Alten, denen Dies bekannt war, bemerkten auch, daß ſich der ruhende Bär,
wie es ſeine Gewohnheit überhaupt iſt, zuweilen ſeine Pfoten beleckt, und glaubten deshalb annehmen
zu müſſen, daß er ſich das Fett aus ſeinen Tatzen ſauge. Daß Dies unwahr iſt, ſieht jedes Kind
ein; gleichwohl giebt es große Kinder genug, welche ſelbſt heutigen Tages noch das Märchen gläubig
aufnehmen und weitererzählen. Jn milderen Himmelsſtrichen kommt der Bär im Winter blos in die
Niederung herab und ſchläft gar nicht, ſondern lebt wie im Sommer.

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[584/0660] Die Raubthiere Bären. — Gemeiner Bär. eigentlichen Jagdgebiet. Der Wolf macht oft, beſonders im Herbſt und Winter, Streifzüge von 40 bis 50 Meilen; der Bär geht ſelten 10 bis 15 Meilen weit von ſeiner Höhle. Doch macht man ſich öfters von ihm, in Bezug auf ſeine Langſamkeit, unrichtige Vorſtellungen, und namentlich wenn er in Gefahr geräth, verändert ſich ſein ganzes Naturell bis zur reißendſten Wuth.‟ Jch vermag es nicht, mich dieſer Charakterzeichnung des Bären vollſtändig anzuſchließen. Er erſcheint allerdings komiſch, iſt aber nichts weniger, als gutmüthig oder liebenswürdig. Er iſt auch nur dann muthig, wenn er keinen andern Ausweg ſieht. Er iſt geiſtig wenig begabt, ziemlich dumm, gleichgiltig und träge. Alle Katzen und Hunde ſind geſcheiter, als er. Seine Gutmüthigkeit iſt einzig und allein in ſeiner geringen Raubfertigkeit begründet, ſein drolliges Weſen vorzugsweiſe durch ſeine Geſtalt bedingt. Die Katze iſt muthig, der Hund liſtig fein; der Bär iſt grob und unge- ſchliffen. Sein Gedächtniß iſt ſchwach; berechnenden Verſtand beſitzt er nicht. Sein Gebiß weiſt ihm gemiſchte Nahrung an; er raubt daher ſelten und nur in beſchränktem Grade. Dieſes Verdienſt iſt gering und nicht ihm zuzurechnen. Lehre und Unterricht nimmt er nur in geringem Maße an; wirklicher Freundſchaft zu dem Menſchen iſt er nicht fähig. Den Fraß liebt er mehr, als ſeinen Pfleger. Er bleibt auch dieſem gegenüber immer grob — und gefährlich. Der Wolf ſteht ganz entſchieden höher, als er, und muß alſo edler genannt werden. — Vor dem Eintritte des Winters bereitet ſich der Bär eine Schlafſtätte, oft zwiſchen Felſen oder in Höhlen, welche er vorfindet oder ſich ſelber gräbt, oft auch in einer dunklen Dickung, wo er dann mit Zweigen und Blättern ſich ein hüttenähnliches Obdach zurecht macht. Das Lager wird forg- fältig, aber kunſtlos mit Mos, Laub, Gras und Zweigen ausgepolſtert und iſt in der That ein ſehr bequemes, hübſches Bett. Mit Eintritt ſtrengerer Kälte bezieht er ſeinen Winterſchlupfwinkel und verweilt hier während der kalten Jahreszeit. Er hält Winterſchlaf; derſelbe unterſcheidet ſich jedoch weſentlich von dem anderer Thiere: denn der Bär ſchläft blos den größten Theil des Winters, keineswegs aber in einem Zuge, ſondern in Abſätzen, und nicht einmal das Männchen verfällt in einen ähnlichen, todtengleichen Schlaf, wie das Murmelthier oder der Siebenſchläfer. Schinz ſagt von den Bären im Stadtgraben zu Bern hierüber Folgendes: „Wochen oder Monate durch dauert der Winterſchlaf nicht. Die Bären, welche in ihrem Stall einen warmen Rückzug haben, freſſen im Januar und Februar ſehr wenig, kaum ein Brod des Tages, und kommen zwar ſelten, aber doch zuweilen im freien Graben zum Vorſchein; beſonders erſcheinen ſie täglich, um zu ſaufen. Sie ſchlafen dabei mehr und tiefer, als gewöhnlich.‟ Jch kann nach den Beobachtungen, welche ich an den Bären unſers Thiergartens angeſtellt habe, behaupten, daß gefangene Bären ſich im Winter kaum anders benehmen, als im Sommer. So- lange ihnen regelmäßig Nahrung gereicht wird, freſſen ſie faſt eben ſoviel wie ſonſt, und in milden Wintern ſchlafen ſie auch nicht mehr, als im Sommer. Jedenfalls ſind ſie, wenn die Zeit des Ge- bärens herannaht, vollſtändig wach und munter. Es iſt mir wahrſcheinlich, daß der Winterſchlaf der Bären nicht mehr als eine Sage iſt, deren Urſprung in der gerade im Winter ſich beſonders zeigenden Faulheit der Thiere ſeinen hauptſächlichſten Grund haben mag. Bei milder Witterung verläßt der freilebende Bär oft ſchon im Januar ſeine Höhle ab und zu, und ſtreift umher, um ſich, ſo gut es geht, zu äſen oder um zu trinken. Bei erneuter Kälte zieht er ſich wieder in ſein Lager zurück und verbirgt ſich wieder. Da er ſich während des Sommers und Herbſtes gewöhnlich gut genährt hat, bezieht er ſein Winterlager regelmäßig ſehr fett, und von dieſem Fette zehrt er zum Theil während des Winters. Jm Frühjahre iſt er, wie die meiſten anderen Thiere, ſehr abgemagert. Die Alten, denen Dies bekannt war, bemerkten auch, daß ſich der ruhende Bär, wie es ſeine Gewohnheit überhaupt iſt, zuweilen ſeine Pfoten beleckt, und glaubten deshalb annehmen zu müſſen, daß er ſich das Fett aus ſeinen Tatzen ſauge. Daß Dies unwahr iſt, ſieht jedes Kind ein; gleichwohl giebt es große Kinder genug, welche ſelbſt heutigen Tages noch das Märchen gläubig aufnehmen und weitererzählen. Jn milderen Himmelsſtrichen kommt der Bär im Winter blos in die Niederung herab und ſchläft gar nicht, ſondern lebt wie im Sommer.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/660>, abgerufen am 22.11.2024.