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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Seine Jagden. Bewegungen. Sinne. Charakterzeichnung von Tschudi.

Wahrscheinlich sind die Bären am Ausflusse des Amur auch so gemüthliche Burschen und verdienen
daher die Hochachtung, welche man ihnen dort zollt. Die Jakuten halten den Bären für einen höchst
gerechten Gesellen und einen Rächer der Lüge; sie sehen daher auch diejenigen Eide als ganz besonders
kräftige oder heilige an, bei denen der Schwörende in ein Bärenfell beißt! Dabei sind sie der festen
Ueberzeugung, daß der Bär ihre Sprache verstehe und wagen es nie, Schlechtes von ihm zu reden,
sondern lobhudeln ihn fortwährend in der erbärmlichsten Weise, wie Höflinge den Fürsten oder
Pfaffen ihren Gott. -- Jn anderen Gegenden werden die Bären wirklich als Götter angesehen und
mit Fischen wohl gemästet. Freilich behauptet man auch, daß die guten Leute ihre Götter, wenn sie
recht fett geworden sind, abschlachten und aufzehren, und Das würde sich freilich mit der Anbetung
nicht eben gut vertragen.

Jn den übrigen Ländern benimmt sich Freund Petz, wie wir später sehen werden, etwas anders,
als in Nord- und Ostasien, obgleich er den Menschen immer nur selten, und ungereizt wohl nie-
mals angreift.

Die Bewegungen des Bären erscheinen plumper, als sie wirklich sind; denn das Thier läuft,
trotz seines gemächlichen Ganges auf ruhigen Streifzügen, bei Erregung sehr schnell und ist jeden-
falls im Stande, auf ebenem Boden einen Menschen bald einzuholen. Bergauf geht sein Lauf ver-
hältnißmäßig noch schneller, als auf der Ebene, weil ihm seine langen Hinterbeine hier trefflich
zustattenkommen; bergunter dagegen kann er nur langsam laufen, weil er sich sonst leicht überpurzeln
würde. Blos im Februar, in welcher Zeit sich seine Sohlen häuten, geht er nicht gut. Außerdem
versteht er, recht tüchtig zu schwimmen und geschickt zu klettern. Schon ganz junge Bären werden von
ihren Müttern gelehrt, die Bäume zu besteigen; sie lernen diese Fertigkeit aber auch ganz von selbst,
wie ich an Gefangenen vielfach beobachten konnte. Es ist höchst spaßhaft anzusehen, wie sie von den
Bäumen rücklings wieder herunterkriechen; denn alle Bären klammern sich beim Klettern mit größter
Sorgfalt an die Aeste an und zeigen eine große Furcht vor dem Herunterfallen. Die gewaltige Kraft
und die starken, harten Nägel erleichtern dem Bären das Klettern ungemein; er vermag selbst an
steilen Felsenwänden hinanzusteigen, wenn er nur irgend einen Anhaltspunkt an denselben findet.
Vor dem Wasser scheut er sich gar nicht; er sucht es häufig im Sommer auf, um sich zu kühlen, und
verweilt dann lange Zeit und gern darin. Bei Verfolgung wirft er sich dreist in einen Strom
und setzt schnurgerade über.

Unter seinen Sinnen scheint der Geruch am vorzüglichsten zu sein, und wahrscheinlich dient
dieser ihm am besten beim Aufsuchen der Beute. Er soll einen sich ihm nähernden Menschen auf
zwei-bis dreihundert Schritte Entfernung wittern und eine Fährte sicher verfolgen können. Auch das
Gehör ist trotz der kurzen Lauscher scharf, das Gesicht dagegen ziemlich schlecht, wenn auch die Bären-
augen nicht blöde genannt werden dürfen; der Geschmack ist, wie schon erwähnt, eigenthümlich
ausgebildet.

Das geistige Wesen des Bären ist von jeher sehr günstig beurtheilt worden.

"Kein anderes Raubthier," sagt Tschudi, "ist so drollig, von so gemüthlichem Humor, so liebens-
würdig, als der gute Meister Petz. Er hat ein gerades, offenes Naturell ohne Tücke und Falsch.
Seine List und Erfindungsgabe ist ziemlich schwach. Was der Fuchs mit Klugheit, der Adler mit
Schnelligkeit zu erreichen sucht, erstrebt er mit gerader, offener Gewalt. An Plumpheit dem Wolfe
ähnlich, ist er doch von ganz anderer Art, nicht so gierig, reißend, häßlich und widerwärtig. Er
lauert nicht lange, sucht den Jäger nicht zu umgehen oder von hinten zu überfallen, verläßt sich nicht
in erster Linie auf sein furchtbares Gebiß, mit dem er Alles zerreißt, sondern sucht die Beute erst
mit seinen mächtigen Armen zu erwürgen und beißt nur nöthigenfalls mit, ohne daß er am Zer-
fleischen eine blutgierige Mordlust bewiese, wie er ja überhaupt, als von sanfterer Art, gern Pflanzen-
stoffe frißt. Seine ganze Erscheinung hat etwas Edleres, Zutraulicheres, Menschenfreundlicheres, als
die des mißfarbigen Wolfes. Er rührt keine Menscheuleiche an, frißt nicht seines Gleichen, lungert
nicht des Nachts in dem Dorfe herum, um ein Kind zu erhaschen, sondern bleibt im Wald, als seinem

Seine Jagden. Bewegungen. Sinne. Charakterzeichnung von Tſchudi.

Wahrſcheinlich ſind die Bären am Ausfluſſe des Amur auch ſo gemüthliche Burſchen und verdienen
daher die Hochachtung, welche man ihnen dort zollt. Die Jakuten halten den Bären für einen höchſt
gerechten Geſellen und einen Rächer der Lüge; ſie ſehen daher auch diejenigen Eide als ganz beſonders
kräftige oder heilige an, bei denen der Schwörende in ein Bärenfell beißt! Dabei ſind ſie der feſten
Ueberzeugung, daß der Bär ihre Sprache verſtehe und wagen es nie, Schlechtes von ihm zu reden,
ſondern lobhudeln ihn fortwährend in der erbärmlichſten Weiſe, wie Höflinge den Fürſten oder
Pfaffen ihren Gott. — Jn anderen Gegenden werden die Bären wirklich als Götter angeſehen und
mit Fiſchen wohl gemäſtet. Freilich behauptet man auch, daß die guten Leute ihre Götter, wenn ſie
recht fett geworden ſind, abſchlachten und aufzehren, und Das würde ſich freilich mit der Anbetung
nicht eben gut vertragen.

Jn den übrigen Ländern benimmt ſich Freund Petz, wie wir ſpäter ſehen werden, etwas anders,
als in Nord- und Oſtaſien, obgleich er den Menſchen immer nur ſelten, und ungereizt wohl nie-
mals angreift.

Die Bewegungen des Bären erſcheinen plumper, als ſie wirklich ſind; denn das Thier läuft,
trotz ſeines gemächlichen Ganges auf ruhigen Streifzügen, bei Erregung ſehr ſchnell und iſt jeden-
falls im Stande, auf ebenem Boden einen Menſchen bald einzuholen. Bergauf geht ſein Lauf ver-
hältnißmäßig noch ſchneller, als auf der Ebene, weil ihm ſeine langen Hinterbeine hier trefflich
zuſtattenkommen; bergunter dagegen kann er nur langſam laufen, weil er ſich ſonſt leicht überpurzeln
würde. Blos im Februar, in welcher Zeit ſich ſeine Sohlen häuten, geht er nicht gut. Außerdem
verſteht er, recht tüchtig zu ſchwimmen und geſchickt zu klettern. Schon ganz junge Bären werden von
ihren Müttern gelehrt, die Bäume zu beſteigen; ſie lernen dieſe Fertigkeit aber auch ganz von ſelbſt,
wie ich an Gefangenen vielfach beobachten konnte. Es iſt höchſt ſpaßhaft anzuſehen, wie ſie von den
Bäumen rücklings wieder herunterkriechen; denn alle Bären klammern ſich beim Klettern mit größter
Sorgfalt an die Aeſte an und zeigen eine große Furcht vor dem Herunterfallen. Die gewaltige Kraft
und die ſtarken, harten Nägel erleichtern dem Bären das Klettern ungemein; er vermag ſelbſt an
ſteilen Felſenwänden hinanzuſteigen, wenn er nur irgend einen Anhaltspunkt an denſelben findet.
Vor dem Waſſer ſcheut er ſich gar nicht; er ſucht es häufig im Sommer auf, um ſich zu kühlen, und
verweilt dann lange Zeit und gern darin. Bei Verfolgung wirft er ſich dreiſt in einen Strom
und ſetzt ſchnurgerade über.

Unter ſeinen Sinnen ſcheint der Geruch am vorzüglichſten zu ſein, und wahrſcheinlich dient
dieſer ihm am beſten beim Aufſuchen der Beute. Er ſoll einen ſich ihm nähernden Menſchen auf
zwei-bis dreihundert Schritte Entfernung wittern und eine Fährte ſicher verfolgen können. Auch das
Gehör iſt trotz der kurzen Lauſcher ſcharf, das Geſicht dagegen ziemlich ſchlecht, wenn auch die Bären-
augen nicht blöde genannt werden dürfen; der Geſchmack iſt, wie ſchon erwähnt, eigenthümlich
ausgebildet.

Das geiſtige Weſen des Bären iſt von jeher ſehr günſtig beurtheilt worden.

„Kein anderes Raubthier,‟ ſagt Tſchudi, „iſt ſo drollig, von ſo gemüthlichem Humor, ſo liebens-
würdig, als der gute Meiſter Petz. Er hat ein gerades, offenes Naturell ohne Tücke und Falſch.
Seine Liſt und Erfindungsgabe iſt ziemlich ſchwach. Was der Fuchs mit Klugheit, der Adler mit
Schnelligkeit zu erreichen ſucht, erſtrebt er mit gerader, offener Gewalt. An Plumpheit dem Wolfe
ähnlich, iſt er doch von ganz anderer Art, nicht ſo gierig, reißend, häßlich und widerwärtig. Er
lauert nicht lange, ſucht den Jäger nicht zu umgehen oder von hinten zu überfallen, verläßt ſich nicht
in erſter Linie auf ſein furchtbares Gebiß, mit dem er Alles zerreißt, ſondern ſucht die Beute erſt
mit ſeinen mächtigen Armen zu erwürgen und beißt nur nöthigenfalls mit, ohne daß er am Zer-
fleiſchen eine blutgierige Mordluſt bewieſe, wie er ja überhaupt, als von ſanfterer Art, gern Pflanzen-
ſtoffe frißt. Seine ganze Erſcheinung hat etwas Edleres, Zutraulicheres, Menſchenfreundlicheres, als
die des mißfarbigen Wolfes. Er rührt keine Menſcheuleiche an, frißt nicht ſeines Gleichen, lungert
nicht des Nachts in dem Dorfe herum, um ein Kind zu erhaſchen, ſondern bleibt im Wald, als ſeinem

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[583/0659] Seine Jagden. Bewegungen. Sinne. Charakterzeichnung von Tſchudi. Wahrſcheinlich ſind die Bären am Ausfluſſe des Amur auch ſo gemüthliche Burſchen und verdienen daher die Hochachtung, welche man ihnen dort zollt. Die Jakuten halten den Bären für einen höchſt gerechten Geſellen und einen Rächer der Lüge; ſie ſehen daher auch diejenigen Eide als ganz beſonders kräftige oder heilige an, bei denen der Schwörende in ein Bärenfell beißt! Dabei ſind ſie der feſten Ueberzeugung, daß der Bär ihre Sprache verſtehe und wagen es nie, Schlechtes von ihm zu reden, ſondern lobhudeln ihn fortwährend in der erbärmlichſten Weiſe, wie Höflinge den Fürſten oder Pfaffen ihren Gott. — Jn anderen Gegenden werden die Bären wirklich als Götter angeſehen und mit Fiſchen wohl gemäſtet. Freilich behauptet man auch, daß die guten Leute ihre Götter, wenn ſie recht fett geworden ſind, abſchlachten und aufzehren, und Das würde ſich freilich mit der Anbetung nicht eben gut vertragen. Jn den übrigen Ländern benimmt ſich Freund Petz, wie wir ſpäter ſehen werden, etwas anders, als in Nord- und Oſtaſien, obgleich er den Menſchen immer nur ſelten, und ungereizt wohl nie- mals angreift. Die Bewegungen des Bären erſcheinen plumper, als ſie wirklich ſind; denn das Thier läuft, trotz ſeines gemächlichen Ganges auf ruhigen Streifzügen, bei Erregung ſehr ſchnell und iſt jeden- falls im Stande, auf ebenem Boden einen Menſchen bald einzuholen. Bergauf geht ſein Lauf ver- hältnißmäßig noch ſchneller, als auf der Ebene, weil ihm ſeine langen Hinterbeine hier trefflich zuſtattenkommen; bergunter dagegen kann er nur langſam laufen, weil er ſich ſonſt leicht überpurzeln würde. Blos im Februar, in welcher Zeit ſich ſeine Sohlen häuten, geht er nicht gut. Außerdem verſteht er, recht tüchtig zu ſchwimmen und geſchickt zu klettern. Schon ganz junge Bären werden von ihren Müttern gelehrt, die Bäume zu beſteigen; ſie lernen dieſe Fertigkeit aber auch ganz von ſelbſt, wie ich an Gefangenen vielfach beobachten konnte. Es iſt höchſt ſpaßhaft anzuſehen, wie ſie von den Bäumen rücklings wieder herunterkriechen; denn alle Bären klammern ſich beim Klettern mit größter Sorgfalt an die Aeſte an und zeigen eine große Furcht vor dem Herunterfallen. Die gewaltige Kraft und die ſtarken, harten Nägel erleichtern dem Bären das Klettern ungemein; er vermag ſelbſt an ſteilen Felſenwänden hinanzuſteigen, wenn er nur irgend einen Anhaltspunkt an denſelben findet. Vor dem Waſſer ſcheut er ſich gar nicht; er ſucht es häufig im Sommer auf, um ſich zu kühlen, und verweilt dann lange Zeit und gern darin. Bei Verfolgung wirft er ſich dreiſt in einen Strom und ſetzt ſchnurgerade über. Unter ſeinen Sinnen ſcheint der Geruch am vorzüglichſten zu ſein, und wahrſcheinlich dient dieſer ihm am beſten beim Aufſuchen der Beute. Er ſoll einen ſich ihm nähernden Menſchen auf zwei-bis dreihundert Schritte Entfernung wittern und eine Fährte ſicher verfolgen können. Auch das Gehör iſt trotz der kurzen Lauſcher ſcharf, das Geſicht dagegen ziemlich ſchlecht, wenn auch die Bären- augen nicht blöde genannt werden dürfen; der Geſchmack iſt, wie ſchon erwähnt, eigenthümlich ausgebildet. Das geiſtige Weſen des Bären iſt von jeher ſehr günſtig beurtheilt worden. „Kein anderes Raubthier,‟ ſagt Tſchudi, „iſt ſo drollig, von ſo gemüthlichem Humor, ſo liebens- würdig, als der gute Meiſter Petz. Er hat ein gerades, offenes Naturell ohne Tücke und Falſch. Seine Liſt und Erfindungsgabe iſt ziemlich ſchwach. Was der Fuchs mit Klugheit, der Adler mit Schnelligkeit zu erreichen ſucht, erſtrebt er mit gerader, offener Gewalt. An Plumpheit dem Wolfe ähnlich, iſt er doch von ganz anderer Art, nicht ſo gierig, reißend, häßlich und widerwärtig. Er lauert nicht lange, ſucht den Jäger nicht zu umgehen oder von hinten zu überfallen, verläßt ſich nicht in erſter Linie auf ſein furchtbares Gebiß, mit dem er Alles zerreißt, ſondern ſucht die Beute erſt mit ſeinen mächtigen Armen zu erwürgen und beißt nur nöthigenfalls mit, ohne daß er am Zer- fleiſchen eine blutgierige Mordluſt bewieſe, wie er ja überhaupt, als von ſanfterer Art, gern Pflanzen- ſtoffe frißt. Seine ganze Erſcheinung hat etwas Edleres, Zutraulicheres, Menſchenfreundlicheres, als die des mißfarbigen Wolfes. Er rührt keine Menſcheuleiche an, frißt nicht ſeines Gleichen, lungert nicht des Nachts in dem Dorfe herum, um ein Kind zu erhaſchen, ſondern bleibt im Wald, als ſeinem

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/659>, abgerufen am 25.11.2024.