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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. Bären. -- Gemeiner Bär.
Pyrenäen und die asturischen Gebirge, die ganze Alpenkette, die Abruzzen, Karpathen, das sieben-
bürgische Erzgebirge und der Balkan, die skandinavischen Alpen, der Kaukasus und Ural sind aller-
dings noch hübsche Zufluchtsorte für den einsiedlerischen Gesellen; doch "die Kultur, die alle Welt
beleckt", stört auch hier bereits in der empfindlichsten Weise sein behäbiges Dasein. Außer den ge-
nannten Ländern sind noch ganz Sibirien und Persien Aufenthaltsorte unsers Bären. Jn Afrika hat
man ihn mit Bestimmtheit nicht beobachtet. Ehrenberg behauptet zwar, einen schwarzen Bären in
Abissinien gesehen zu haben, und Plinius führt an, daß in Rom numidische Bären in der Arena
gekämpft hätten; neuere Reisende wollen auch im Atlas einen dunkelfarbigen Bären gesehen haben:
allein alle diese Nachrichten bedürfen noch sehr der Bestätigung. Jn der Schweiz findet sich der
Bär besonders in Wallis und Graubünden; außerdem trifft man ihn in Tirol, im bairischen Hoch-
lande, bei Salzburg und in Kärnten an; doch sind das eigentlich blos Ueberläufer von den betreffen-
den Gebirgen in der Nähe und keine ständigen Bewohner des niedern Landes. Jn Oberschlesien wurde
der letzte im Jahre 1770 erlegt, und auf dem Böhmerwalde sollen auch noch jetzt ab und zu Bären
geschossen werden: weiter entfernt sich das Thier aber nicht von dem eigentlichen Hochgebirge.

Hier bieten ihm die dichten, einsamen Wälder, welche die steilen und unzugänglichen Felsthäler
umgeben und dunkle Schluchten und unbesuchte kleine Steinthäler in sich bergen, noch immer einen
Zufluchtsort und zugleich ein erträglich gutes Auskommen. Weit lieber sind dem Meister Petz natür-
lich jene ungeheuren Waldungen in Rußland, Polen, Galizien und Skandinavien, in welche sich der
naseweise Mensch nur selten wagt, um dem dort hausenden Räubergezücht und Gewild seine Herr-
schaft aufzuzwingen. Dort erfreut sich jener noch eines recht annehmlichen und behaglichen Lebens;
dort troddelt er unbehelligt von dem Gebieter der Erde als Fürst und Herr des Landes von Wald zu
Wald, von Berg zu Berg, um seiner Aesung nachzugehen.

Einsame, düstere Felsgegenden, Brüche und Höhlen, alte verwitterte Baumstämme, Höhlen im
Geklüft oder unter Baumwurzeln, dunkle, undurchdringliche Dickungen bieten ihm ein Obdach und
die ihm so nothwendige, stille Zurückgezogenheit von dem lärmenden Treiben der Welt. Da bummelt
er denn ebensowohl bei Tag, als bei Nacht umher, dem Wild ein Schrecken, dem Räubergezücht ein
unerwünschter Beeinträchtiger des Gewerbes.

Jn seiner Jugend freilich fügt der Bär dem Wolf oder Luchs, dem schlauen Fuchs oder dem
Vielfraß, welche hier oder dort als Miträuber auftreten, nicht eben großen Schaden zu. Er begnügt
sich mit Pflanzennahrung, äst sich wie ein Rind von jung aufkeimendem Korn oder von fettem Grase,
welches er in der plumpsten Weise abweidet, frißt Knospen, Obst, Waldbeeren, Schwämme und der-
gleichen, wühlt einen Ameisenhaufen auf und erlabt sich an den Larven desselben oder wohl auch an
den Alten, deren eigenthümliche Säure seinem Gaumen behagen mag; er wittert, zumal im Süden,
auch einen Bienenstock aus, welcher ihm dann gar leckere und dem Süßmaul höchst willkommene Kost
gewährt. Und wenn auch die erbosten Bienen ihre mühselig zusammengetragenen Schätze mit Macht
vertheidigen und ihm Stich auf Stich beibringen; er macht sich daraus nicht viel: sein Zottelpelz ist
der beste Schild, und nur dann, wenn die zudringlichen Jmmen sich in Scharen auf seine Nase setzen,
und an dieser empfindlichen Stelle den Giftstachel einbohren, schüttelt er brummend und ärgerlich das
Haupt. Anders bestellt er seinen Tisch freilich, wenn er alt wird. Jrgend ein zufällig in seine
Gewalt gerathenes Säugethier hat ihn belehrt, daß der Genuß von Fleisch auch nicht zu ver-
achten und dabei noch etwas ergiebiger ist, als die mühsam zu erwerbenden Waldbeeren, Kastanien
oder auch der Honig, und von diesem Augenblicke an wird Meister Petz zum Raubthiere in der eigent-
lichen Bedeutung des Wortes. Jetzt stellt er allen größeren Thieren nach, am liebsten Schafen, doch
auch Ochsen, Pferden und verschiedenem Wild. Größeres Vieh greift der starke Räuber von hinten
an, nachdem er es durch langes Umherjagen ermüdet hat, oder sucht dasselbe, zumal wenn es auf
höheren Bergen weidet, durch das schreckerregende Brüllen zu versprengen und es zu vermögen, sich
freiwillig in den Abgrund zu stürzen. Dann klettert er behutsam nach und frißt sich satt da unten.
Glückliche Erfolge mehren seinen Muth oder seine Dreistigkeit. Er unternimmt größere und immer

Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär.
Pyrenäen und die aſturiſchen Gebirge, die ganze Alpenkette, die Abruzzen, Karpathen, das ſieben-
bürgiſche Erzgebirge und der Balkan, die ſkandinaviſchen Alpen, der Kaukaſus und Ural ſind aller-
dings noch hübſche Zufluchtsorte für den einſiedleriſchen Geſellen; doch „die Kultur, die alle Welt
beleckt‟, ſtört auch hier bereits in der empfindlichſten Weiſe ſein behäbiges Daſein. Außer den ge-
nannten Ländern ſind noch ganz Sibirien und Perſien Aufenthaltsorte unſers Bären. Jn Afrika hat
man ihn mit Beſtimmtheit nicht beobachtet. Ehrenberg behauptet zwar, einen ſchwarzen Bären in
Abiſſinien geſehen zu haben, und Plinius führt an, daß in Rom numidiſche Bären in der Arena
gekämpft hätten; neuere Reiſende wollen auch im Atlas einen dunkelfarbigen Bären geſehen haben:
allein alle dieſe Nachrichten bedürfen noch ſehr der Beſtätigung. Jn der Schweiz findet ſich der
Bär beſonders in Wallis und Graubünden; außerdem trifft man ihn in Tirol, im bairiſchen Hoch-
lande, bei Salzburg und in Kärnten an; doch ſind das eigentlich blos Ueberläufer von den betreffen-
den Gebirgen in der Nähe und keine ſtändigen Bewohner des niedern Landes. Jn Oberſchleſien wurde
der letzte im Jahre 1770 erlegt, und auf dem Böhmerwalde ſollen auch noch jetzt ab und zu Bären
geſchoſſen werden: weiter entfernt ſich das Thier aber nicht von dem eigentlichen Hochgebirge.

Hier bieten ihm die dichten, einſamen Wälder, welche die ſteilen und unzugänglichen Felsthäler
umgeben und dunkle Schluchten und unbeſuchte kleine Steinthäler in ſich bergen, noch immer einen
Zufluchtsort und zugleich ein erträglich gutes Auskommen. Weit lieber ſind dem Meiſter Petz natür-
lich jene ungeheuren Waldungen in Rußland, Polen, Galizien und Skandinavien, in welche ſich der
naſeweiſe Menſch nur ſelten wagt, um dem dort hauſenden Räubergezücht und Gewild ſeine Herr-
ſchaft aufzuzwingen. Dort erfreut ſich jener noch eines recht annehmlichen und behaglichen Lebens;
dort troddelt er unbehelligt von dem Gebieter der Erde als Fürſt und Herr des Landes von Wald zu
Wald, von Berg zu Berg, um ſeiner Aeſung nachzugehen.

Einſame, düſtere Felsgegenden, Brüche und Höhlen, alte verwitterte Baumſtämme, Höhlen im
Geklüft oder unter Baumwurzeln, dunkle, undurchdringliche Dickungen bieten ihm ein Obdach und
die ihm ſo nothwendige, ſtille Zurückgezogenheit von dem lärmenden Treiben der Welt. Da bummelt
er denn ebenſowohl bei Tag, als bei Nacht umher, dem Wild ein Schrecken, dem Räubergezücht ein
unerwünſchter Beeinträchtiger des Gewerbes.

Jn ſeiner Jugend freilich fügt der Bär dem Wolf oder Luchs, dem ſchlauen Fuchs oder dem
Vielfraß, welche hier oder dort als Miträuber auftreten, nicht eben großen Schaden zu. Er begnügt
ſich mit Pflanzennahrung, äſt ſich wie ein Rind von jung aufkeimendem Korn oder von fettem Graſe,
welches er in der plumpſten Weiſe abweidet, frißt Knoſpen, Obſt, Waldbeeren, Schwämme und der-
gleichen, wühlt einen Ameiſenhaufen auf und erlabt ſich an den Larven deſſelben oder wohl auch an
den Alten, deren eigenthümliche Säure ſeinem Gaumen behagen mag; er wittert, zumal im Süden,
auch einen Bienenſtock aus, welcher ihm dann gar leckere und dem Süßmaul höchſt willkommene Koſt
gewährt. Und wenn auch die erboſten Bienen ihre mühſelig zuſammengetragenen Schätze mit Macht
vertheidigen und ihm Stich auf Stich beibringen; er macht ſich daraus nicht viel: ſein Zottelpelz iſt
der beſte Schild, und nur dann, wenn die zudringlichen Jmmen ſich in Scharen auf ſeine Naſe ſetzen,
und an dieſer empfindlichen Stelle den Giftſtachel einbohren, ſchüttelt er brummend und ärgerlich das
Haupt. Anders beſtellt er ſeinen Tiſch freilich, wenn er alt wird. Jrgend ein zufällig in ſeine
Gewalt gerathenes Säugethier hat ihn belehrt, daß der Genuß von Fleiſch auch nicht zu ver-
achten und dabei noch etwas ergiebiger iſt, als die mühſam zu erwerbenden Waldbeeren, Kaſtanien
oder auch der Honig, und von dieſem Augenblicke an wird Meiſter Petz zum Raubthiere in der eigent-
lichen Bedeutung des Wortes. Jetzt ſtellt er allen größeren Thieren nach, am liebſten Schafen, doch
auch Ochſen, Pferden und verſchiedenem Wild. Größeres Vieh greift der ſtarke Räuber von hinten
an, nachdem er es durch langes Umherjagen ermüdet hat, oder ſucht daſſelbe, zumal wenn es auf
höheren Bergen weidet, durch das ſchreckerregende Brüllen zu verſprengen und es zu vermögen, ſich
freiwillig in den Abgrund zu ſtürzen. Dann klettert er behutſam nach und frißt ſich ſatt da unten.
Glückliche Erfolge mehren ſeinen Muth oder ſeine Dreiſtigkeit. Er unternimmt größere und immer

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[580/0656] Die Raubthiere. Bären. — Gemeiner Bär. Pyrenäen und die aſturiſchen Gebirge, die ganze Alpenkette, die Abruzzen, Karpathen, das ſieben- bürgiſche Erzgebirge und der Balkan, die ſkandinaviſchen Alpen, der Kaukaſus und Ural ſind aller- dings noch hübſche Zufluchtsorte für den einſiedleriſchen Geſellen; doch „die Kultur, die alle Welt beleckt‟, ſtört auch hier bereits in der empfindlichſten Weiſe ſein behäbiges Daſein. Außer den ge- nannten Ländern ſind noch ganz Sibirien und Perſien Aufenthaltsorte unſers Bären. Jn Afrika hat man ihn mit Beſtimmtheit nicht beobachtet. Ehrenberg behauptet zwar, einen ſchwarzen Bären in Abiſſinien geſehen zu haben, und Plinius führt an, daß in Rom numidiſche Bären in der Arena gekämpft hätten; neuere Reiſende wollen auch im Atlas einen dunkelfarbigen Bären geſehen haben: allein alle dieſe Nachrichten bedürfen noch ſehr der Beſtätigung. Jn der Schweiz findet ſich der Bär beſonders in Wallis und Graubünden; außerdem trifft man ihn in Tirol, im bairiſchen Hoch- lande, bei Salzburg und in Kärnten an; doch ſind das eigentlich blos Ueberläufer von den betreffen- den Gebirgen in der Nähe und keine ſtändigen Bewohner des niedern Landes. Jn Oberſchleſien wurde der letzte im Jahre 1770 erlegt, und auf dem Böhmerwalde ſollen auch noch jetzt ab und zu Bären geſchoſſen werden: weiter entfernt ſich das Thier aber nicht von dem eigentlichen Hochgebirge. Hier bieten ihm die dichten, einſamen Wälder, welche die ſteilen und unzugänglichen Felsthäler umgeben und dunkle Schluchten und unbeſuchte kleine Steinthäler in ſich bergen, noch immer einen Zufluchtsort und zugleich ein erträglich gutes Auskommen. Weit lieber ſind dem Meiſter Petz natür- lich jene ungeheuren Waldungen in Rußland, Polen, Galizien und Skandinavien, in welche ſich der naſeweiſe Menſch nur ſelten wagt, um dem dort hauſenden Räubergezücht und Gewild ſeine Herr- ſchaft aufzuzwingen. Dort erfreut ſich jener noch eines recht annehmlichen und behaglichen Lebens; dort troddelt er unbehelligt von dem Gebieter der Erde als Fürſt und Herr des Landes von Wald zu Wald, von Berg zu Berg, um ſeiner Aeſung nachzugehen. Einſame, düſtere Felsgegenden, Brüche und Höhlen, alte verwitterte Baumſtämme, Höhlen im Geklüft oder unter Baumwurzeln, dunkle, undurchdringliche Dickungen bieten ihm ein Obdach und die ihm ſo nothwendige, ſtille Zurückgezogenheit von dem lärmenden Treiben der Welt. Da bummelt er denn ebenſowohl bei Tag, als bei Nacht umher, dem Wild ein Schrecken, dem Räubergezücht ein unerwünſchter Beeinträchtiger des Gewerbes. Jn ſeiner Jugend freilich fügt der Bär dem Wolf oder Luchs, dem ſchlauen Fuchs oder dem Vielfraß, welche hier oder dort als Miträuber auftreten, nicht eben großen Schaden zu. Er begnügt ſich mit Pflanzennahrung, äſt ſich wie ein Rind von jung aufkeimendem Korn oder von fettem Graſe, welches er in der plumpſten Weiſe abweidet, frißt Knoſpen, Obſt, Waldbeeren, Schwämme und der- gleichen, wühlt einen Ameiſenhaufen auf und erlabt ſich an den Larven deſſelben oder wohl auch an den Alten, deren eigenthümliche Säure ſeinem Gaumen behagen mag; er wittert, zumal im Süden, auch einen Bienenſtock aus, welcher ihm dann gar leckere und dem Süßmaul höchſt willkommene Koſt gewährt. Und wenn auch die erboſten Bienen ihre mühſelig zuſammengetragenen Schätze mit Macht vertheidigen und ihm Stich auf Stich beibringen; er macht ſich daraus nicht viel: ſein Zottelpelz iſt der beſte Schild, und nur dann, wenn die zudringlichen Jmmen ſich in Scharen auf ſeine Naſe ſetzen, und an dieſer empfindlichen Stelle den Giftſtachel einbohren, ſchüttelt er brummend und ärgerlich das Haupt. Anders beſtellt er ſeinen Tiſch freilich, wenn er alt wird. Jrgend ein zufällig in ſeine Gewalt gerathenes Säugethier hat ihn belehrt, daß der Genuß von Fleiſch auch nicht zu ver- achten und dabei noch etwas ergiebiger iſt, als die mühſam zu erwerbenden Waldbeeren, Kaſtanien oder auch der Honig, und von dieſem Augenblicke an wird Meiſter Petz zum Raubthiere in der eigent- lichen Bedeutung des Wortes. Jetzt ſtellt er allen größeren Thieren nach, am liebſten Schafen, doch auch Ochſen, Pferden und verſchiedenem Wild. Größeres Vieh greift der ſtarke Räuber von hinten an, nachdem er es durch langes Umherjagen ermüdet hat, oder ſucht daſſelbe, zumal wenn es auf höheren Bergen weidet, durch das ſchreckerregende Brüllen zu verſprengen und es zu vermögen, ſich freiwillig in den Abgrund zu ſtürzen. Dann klettert er behutſam nach und frißt ſich ſatt da unten. Glückliche Erfolge mehren ſeinen Muth oder ſeine Dreiſtigkeit. Er unternimmt größere und immer

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/656>, abgerufen am 22.11.2024.