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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Allgemeines. Nahrung. Sinne und Geist.

Die Bären sind Allesfresser. Mehr, als die übrigen Raubthiere scheinen sie befähigt zu fein,
sich zuweilen lange Zeit allein aus dem Pflanzenreiche zu ernähren; und nicht nur eßbare Früchte und
Beeren werden dann von ihnen verzehrt, sondern auch Körner, Getreide im reifen und halbreifen
Zustande, Wurzeln, saftige Gräser, Baumknospen, Blüthenkätzchen u. s. w. Jn der Gefangenschaft
hat man sie zuweilen längere Zeit blos mit Hafer gefüttert, ohne daß man eine Abnahme ihres
Wohlbefindens bemerkt hätte. Jn der Jugend dürften sie ihre Nahrung ausschließlich aus dem
Pflanzenreiche wählen, und auch später ziehen sie Pflanzennahrung dem Fleische noch vor. Sie sind
keine Kostverächter, denn sie fressen fast Alles, was genießbar ist: außer den angeführten Pflanzen
auch Thiere, und zwar Krebse und Muscheln, Würmer, Kerbthiere und deren Larven, Fische, Vögel
und deren Eier, Säugethiere und Aas. Gleichwohl sind sie auch wiederum wahre Leckermäuler: --
weiß ja doch fast jedes Kind von ihren Honigdiebstählen und den vielen Unannehmlichkeiten, welche sie
dabei erleiden müssen, zu berichten. Jn der Nähe menschlicher Wohnsitze fügen sie dem Haushalte
Schaden zu; Mitglieder der größeren Arten werden zuweilen höchst gefährliche Raubthiere, welche,
wenn sie der Hunger quält, selbst größere Thiere anfallen und namentlich unter unseren Hausthieren
oft bedeutende Verwüstungen anrichten. Einzelne sind dabei so dreist, daß sie selbst in die Dörfer
hineinkommen, um Hausgeflügel zu würgen und Eier zu verzehren oder sogar Ställe aufzubrechen,
um dort sich mit leichter Mühe Beute zu holen. Dem Menschen werden die größten blos dann
gefährlich, wenn er sich mit ihnen in Kampf einläßt und ihren Zorn reizt.

Man irrt, wenn man die Bewegungen der Bären für plump und langsam hält. Die großen
Arten sind zwar nicht besonders schnell und auch nicht geschickt, aber im hohen Grade ausdauernd
und demnach fähig, den Mangel an Beweglichkeit zu ersetzen, und auf die kleinen Arten leidet jene
Meinung gar keine Anwendung; denn sie bewegen sich außerordentlich behend und rasch. Der Gang
auf der Erde ist fast immer langsam. Die Bären treten mit ganzer Sohle auf und setzen bedächtig
ein Bein hübsch vor das andere; gerathen sie aber in Aufregung, so können sie gar prächtig zulaufen,
und dabei sind einige fähig, auf kurze Strecken hin allein auf den Hinterbeinen einherzugehen. Das
Klettern verstehen sie fast alle ziemlich gut, wenn sie es ihrer Schwere wegen auch nur in unter-
geordneter Weise ausüben können. Viele meiden das Wasser, während die anderen ganz vortrefflich
schwimmen und tauchen. Den Eisbären z. B. trifft man oft viele Meilen weit vom Lande entfernt,
mitten im Meere schwimmend, und hat dann Gelegenheit, seine Fertigkeit und erstaunliche Ausdauer
zu beobachten. Eine große Kraft erleichtert den Bären die Bewegungen und läßt sie Hindernisse
überwinden, welche anderen Thieren im höchsten Grade störend sein würden. Diese Kraft kommt
ihnen auch bei ihren Räubereien sehr wohl zustatten; sie sind im Stande, eine geraubte Kuh oder
ein Pferd mit Leichtigkeit fortzuschleppen oder aber einem andern Thiere durch eine kräftige Um-
armung alle Rippen im Leibe zu zerbrechen. Unter ihren Sinnen ist der Geruch entschieden am
meisten ausgebildet und nach ihm das Gehör. Das Gesicht ist nur mittelmäßig, der Geschmack nicht
besonders und das Gefühl wohl auch ziemlich untergeordnet, obwohl einige in ihrer verlängerten
Schnauze ein förmliches Tastwerkzeug besitzen. Die Mehrzahl von ihnen zeigt ziemlich hohe geistige
Fähigkeiten. Viele sind verständig und klug; doch fehlt allen die Gabe, listig Etwas zu berechnen
und das einmal Beschlossene schlau auszuführen. Sie lassen sich in gewissem Grade zu irgend
Etwas abrichten, erreichen jedoch nicht entfernt die geistige Ausbildung welche wir bei unserm klügsten
Hausthiere, dem Hunde, zu bewundern gelernt haben. Zwar lassen sie sich ziemlich leicht zähmen,
jedoch zeigen nur wenige Arten eine besondere Anhänglichkeit an den Herrn und Pfleger. Dazu
kommt, daß sich das Vieh im Alter immermehr herauskehrt, d. h. daß sie tückisch und reizbar,
zornig und boshaft werden und dann oft großen Schaden anrichten können. Die unbedeutenden
Kunststücke, zu denen man die eine oder die andere Art abrichten kann, sind gar nicht in Betracht zu
ziehen, und bei vielen ist von einer Abrichtung überhaupt keine Rede. Jhre Gemüthsstimmung
geben sie durch verschiedene Betonung ihrer an und für sich merkwürdigen Stimme zu erkennen.

Brehm, Thierleben. 37
Allgemeines. Nahrung. Sinne und Geiſt.

Die Bären ſind Allesfreſſer. Mehr, als die übrigen Raubthiere ſcheinen ſie befähigt zu fein,
ſich zuweilen lange Zeit allein aus dem Pflanzenreiche zu ernähren; und nicht nur eßbare Früchte und
Beeren werden dann von ihnen verzehrt, ſondern auch Körner, Getreide im reifen und halbreifen
Zuſtande, Wurzeln, ſaftige Gräſer, Baumknospen, Blüthenkätzchen u. ſ. w. Jn der Gefangenſchaft
hat man ſie zuweilen längere Zeit blos mit Hafer gefüttert, ohne daß man eine Abnahme ihres
Wohlbefindens bemerkt hätte. Jn der Jugend dürften ſie ihre Nahrung ausſchließlich aus dem
Pflanzenreiche wählen, und auch ſpäter ziehen ſie Pflanzennahrung dem Fleiſche noch vor. Sie ſind
keine Koſtverächter, denn ſie freſſen faſt Alles, was genießbar iſt: außer den angeführten Pflanzen
auch Thiere, und zwar Krebſe und Muſcheln, Würmer, Kerbthiere und deren Larven, Fiſche, Vögel
und deren Eier, Säugethiere und Aas. Gleichwohl ſind ſie auch wiederum wahre Leckermäuler: —
weiß ja doch faſt jedes Kind von ihren Honigdiebſtählen und den vielen Unannehmlichkeiten, welche ſie
dabei erleiden müſſen, zu berichten. Jn der Nähe menſchlicher Wohnſitze fügen ſie dem Haushalte
Schaden zu; Mitglieder der größeren Arten werden zuweilen höchſt gefährliche Raubthiere, welche,
wenn ſie der Hunger quält, ſelbſt größere Thiere anfallen und namentlich unter unſeren Hausthieren
oft bedeutende Verwüſtungen anrichten. Einzelne ſind dabei ſo dreiſt, daß ſie ſelbſt in die Dörfer
hineinkommen, um Hausgeflügel zu würgen und Eier zu verzehren oder ſogar Ställe aufzubrechen,
um dort ſich mit leichter Mühe Beute zu holen. Dem Menſchen werden die größten blos dann
gefährlich, wenn er ſich mit ihnen in Kampf einläßt und ihren Zorn reizt.

Man irrt, wenn man die Bewegungen der Bären für plump und langſam hält. Die großen
Arten ſind zwar nicht beſonders ſchnell und auch nicht geſchickt, aber im hohen Grade ausdauernd
und demnach fähig, den Mangel an Beweglichkeit zu erſetzen, und auf die kleinen Arten leidet jene
Meinung gar keine Anwendung; denn ſie bewegen ſich außerordentlich behend und raſch. Der Gang
auf der Erde iſt faſt immer langſam. Die Bären treten mit ganzer Sohle auf und ſetzen bedächtig
ein Bein hübſch vor das andere; gerathen ſie aber in Aufregung, ſo können ſie gar prächtig zulaufen,
und dabei ſind einige fähig, auf kurze Strecken hin allein auf den Hinterbeinen einherzugehen. Das
Klettern verſtehen ſie faſt alle ziemlich gut, wenn ſie es ihrer Schwere wegen auch nur in unter-
geordneter Weiſe ausüben können. Viele meiden das Waſſer, während die anderen ganz vortrefflich
ſchwimmen und tauchen. Den Eisbären z. B. trifft man oft viele Meilen weit vom Lande entfernt,
mitten im Meere ſchwimmend, und hat dann Gelegenheit, ſeine Fertigkeit und erſtaunliche Ausdauer
zu beobachten. Eine große Kraft erleichtert den Bären die Bewegungen und läßt ſie Hinderniſſe
überwinden, welche anderen Thieren im höchſten Grade ſtörend ſein würden. Dieſe Kraft kommt
ihnen auch bei ihren Räubereien ſehr wohl zuſtatten; ſie ſind im Stande, eine geraubte Kuh oder
ein Pferd mit Leichtigkeit fortzuſchleppen oder aber einem andern Thiere durch eine kräftige Um-
armung alle Rippen im Leibe zu zerbrechen. Unter ihren Sinnen iſt der Geruch entſchieden am
meiſten ausgebildet und nach ihm das Gehör. Das Geſicht iſt nur mittelmäßig, der Geſchmack nicht
beſonders und das Gefühl wohl auch ziemlich untergeordnet, obwohl einige in ihrer verlängerten
Schnauze ein förmliches Taſtwerkzeug beſitzen. Die Mehrzahl von ihnen zeigt ziemlich hohe geiſtige
Fähigkeiten. Viele ſind verſtändig und klug; doch fehlt allen die Gabe, liſtig Etwas zu berechnen
und das einmal Beſchloſſene ſchlau auszuführen. Sie laſſen ſich in gewiſſem Grade zu irgend
Etwas abrichten, erreichen jedoch nicht entfernt die geiſtige Ausbildung welche wir bei unſerm klügſten
Hausthiere, dem Hunde, zu bewundern gelernt haben. Zwar laſſen ſie ſich ziemlich leicht zähmen,
jedoch zeigen nur wenige Arten eine beſondere Anhänglichkeit an den Herrn und Pfleger. Dazu
kommt, daß ſich das Vieh im Alter immermehr herauskehrt, d. h. daß ſie tückiſch und reizbar,
zornig und boshaft werden und dann oft großen Schaden anrichten können. Die unbedeutenden
Kunſtſtücke, zu denen man die eine oder die andere Art abrichten kann, ſind gar nicht in Betracht zu
ziehen, und bei vielen iſt von einer Abrichtung überhaupt keine Rede. Jhre Gemüthsſtimmung
geben ſie durch verſchiedene Betonung ihrer an und für ſich merkwürdigen Stimme zu erkennen.

Brehm, Thierleben. 37
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[577/0653] Allgemeines. Nahrung. Sinne und Geiſt. Die Bären ſind Allesfreſſer. Mehr, als die übrigen Raubthiere ſcheinen ſie befähigt zu fein, ſich zuweilen lange Zeit allein aus dem Pflanzenreiche zu ernähren; und nicht nur eßbare Früchte und Beeren werden dann von ihnen verzehrt, ſondern auch Körner, Getreide im reifen und halbreifen Zuſtande, Wurzeln, ſaftige Gräſer, Baumknospen, Blüthenkätzchen u. ſ. w. Jn der Gefangenſchaft hat man ſie zuweilen längere Zeit blos mit Hafer gefüttert, ohne daß man eine Abnahme ihres Wohlbefindens bemerkt hätte. Jn der Jugend dürften ſie ihre Nahrung ausſchließlich aus dem Pflanzenreiche wählen, und auch ſpäter ziehen ſie Pflanzennahrung dem Fleiſche noch vor. Sie ſind keine Koſtverächter, denn ſie freſſen faſt Alles, was genießbar iſt: außer den angeführten Pflanzen auch Thiere, und zwar Krebſe und Muſcheln, Würmer, Kerbthiere und deren Larven, Fiſche, Vögel und deren Eier, Säugethiere und Aas. Gleichwohl ſind ſie auch wiederum wahre Leckermäuler: — weiß ja doch faſt jedes Kind von ihren Honigdiebſtählen und den vielen Unannehmlichkeiten, welche ſie dabei erleiden müſſen, zu berichten. Jn der Nähe menſchlicher Wohnſitze fügen ſie dem Haushalte Schaden zu; Mitglieder der größeren Arten werden zuweilen höchſt gefährliche Raubthiere, welche, wenn ſie der Hunger quält, ſelbſt größere Thiere anfallen und namentlich unter unſeren Hausthieren oft bedeutende Verwüſtungen anrichten. Einzelne ſind dabei ſo dreiſt, daß ſie ſelbſt in die Dörfer hineinkommen, um Hausgeflügel zu würgen und Eier zu verzehren oder ſogar Ställe aufzubrechen, um dort ſich mit leichter Mühe Beute zu holen. Dem Menſchen werden die größten blos dann gefährlich, wenn er ſich mit ihnen in Kampf einläßt und ihren Zorn reizt. Man irrt, wenn man die Bewegungen der Bären für plump und langſam hält. Die großen Arten ſind zwar nicht beſonders ſchnell und auch nicht geſchickt, aber im hohen Grade ausdauernd und demnach fähig, den Mangel an Beweglichkeit zu erſetzen, und auf die kleinen Arten leidet jene Meinung gar keine Anwendung; denn ſie bewegen ſich außerordentlich behend und raſch. Der Gang auf der Erde iſt faſt immer langſam. Die Bären treten mit ganzer Sohle auf und ſetzen bedächtig ein Bein hübſch vor das andere; gerathen ſie aber in Aufregung, ſo können ſie gar prächtig zulaufen, und dabei ſind einige fähig, auf kurze Strecken hin allein auf den Hinterbeinen einherzugehen. Das Klettern verſtehen ſie faſt alle ziemlich gut, wenn ſie es ihrer Schwere wegen auch nur in unter- geordneter Weiſe ausüben können. Viele meiden das Waſſer, während die anderen ganz vortrefflich ſchwimmen und tauchen. Den Eisbären z. B. trifft man oft viele Meilen weit vom Lande entfernt, mitten im Meere ſchwimmend, und hat dann Gelegenheit, ſeine Fertigkeit und erſtaunliche Ausdauer zu beobachten. Eine große Kraft erleichtert den Bären die Bewegungen und läßt ſie Hinderniſſe überwinden, welche anderen Thieren im höchſten Grade ſtörend ſein würden. Dieſe Kraft kommt ihnen auch bei ihren Räubereien ſehr wohl zuſtatten; ſie ſind im Stande, eine geraubte Kuh oder ein Pferd mit Leichtigkeit fortzuſchleppen oder aber einem andern Thiere durch eine kräftige Um- armung alle Rippen im Leibe zu zerbrechen. Unter ihren Sinnen iſt der Geruch entſchieden am meiſten ausgebildet und nach ihm das Gehör. Das Geſicht iſt nur mittelmäßig, der Geſchmack nicht beſonders und das Gefühl wohl auch ziemlich untergeordnet, obwohl einige in ihrer verlängerten Schnauze ein förmliches Taſtwerkzeug beſitzen. Die Mehrzahl von ihnen zeigt ziemlich hohe geiſtige Fähigkeiten. Viele ſind verſtändig und klug; doch fehlt allen die Gabe, liſtig Etwas zu berechnen und das einmal Beſchloſſene ſchlau auszuführen. Sie laſſen ſich in gewiſſem Grade zu irgend Etwas abrichten, erreichen jedoch nicht entfernt die geiſtige Ausbildung welche wir bei unſerm klügſten Hausthiere, dem Hunde, zu bewundern gelernt haben. Zwar laſſen ſie ſich ziemlich leicht zähmen, jedoch zeigen nur wenige Arten eine beſondere Anhänglichkeit an den Herrn und Pfleger. Dazu kommt, daß ſich das Vieh im Alter immermehr herauskehrt, d. h. daß ſie tückiſch und reizbar, zornig und boshaft werden und dann oft großen Schaden anrichten können. Die unbedeutenden Kunſtſtücke, zu denen man die eine oder die andere Art abrichten kann, ſind gar nicht in Betracht zu ziehen, und bei vielen iſt von einer Abrichtung überhaupt keine Rede. Jhre Gemüthsſtimmung geben ſie durch verſchiedene Betonung ihrer an und für ſich merkwürdigen Stimme zu erkennen. Brehm, Thierleben. 37

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/653>, abgerufen am 22.11.2024.