Die Raubthiere. Marder. -- Gemeiner Bielfraß. Tayra.
Der Eskimo legt sich vor der Höhle des Vielfraßes auf den Bauch und wartet, bis er heraus- kommt; dann springt er sofort hin, verstopft das Loch und läßt nun seine Hunde los, welche zwar ungern auf solches Wild gehen, es aber doch festmachen. Nunmehr eilt der Jäger hinzu, zieht dem Vielfraß eine Schlinge über den Kopf und tödtet ihn. Jn Norwegen und Lappland wird er mit dem Feuergewehr erlegt.
Trotz seiner geringen Größe ist der Vielfraß kein zu verachtender Gegner. Er ist nämlich außer- ordentlich wild, ganz unverhältnißmäßig stark und versteht es vortrefflich, Widerstand zu leisten. Man versichert, daß selbst Bären und Wölfe ihm aus dem Wege gehen. Die Letzteren sollen ihn überhaupt nicht anrühren, wahrscheinlich seines Gestankes wegen. Gegen den Menschen wehrt er sich blos dann, wenn er gar nicht mehr weichen kann. Gewöhnlich rettet er sich, sobald er einen Jäger gewahrt, durch die Flucht, und wenn er verfolgt wird, auf einen Baum oder auf die höchsten Felsspitzen, wohin ihm seine Feinde nicht nachfolgen können. Von raschen Hunden wird er in ebenen, baumlosen Gegenden bald eingeholt, vertheidigt sich aber mit Ausdauer und Muth gegen dieselben und beißt wüthend um sich. Ein einziger Hund überwältigt ihn niemals, und nicht selten wird es selbst mehreren schwer, ihn zu besiegen. Wenn er vor seinen Verfolgern nicht auf einen Baum ent- kommen kann, wirft er sich auf den Rücken, faßt den Hund mit seinen scharfen Krallen, wirft ihn zu Boden und zerfleischt ihn mit dem Gebisse derart, daß jener an den ihm beigebrachten Wunden oft zu Grunde geht.
Die Rollzeit des Vielfraßes fällt in den Herbst oder Winter; in Norwegen, wie Erik mir erzählte, in den Januar. Nach vier Monaten Tragzeit, gewöhnlich also im Mai, wirft das Weibchen, in einer einsamen Schlucht des Gebirges oder in den dichtesten Wäldern, zwei bis drei, selten auch vier Junge auf ein weiches und warmes Lager, welches sie entweder in hohlen Bäumen oder in tiefen Felsen- höhlen angelegt hat.
Es hält sehr schwer, das weiche Bett eines Vielfraßes aufzufinden. Bekommt man aber Junge, welche noch klein sind, so kann man sie ohne große Mühe zähmen. Genberg zog einen Vielfraß mit Milch und Fleisch auf und gewöhnte ihn so an sich, daß er ihm wie ein Hund auf das Feld nachlief. Er war beständig in Thätigkeit, spielte artig mit allerlei Dingen, wälzte sich im Sande, scharrte sich im Boden ein und kletterte auf Bäume. Schon als er drei Monate war, wußte er sich mit Erfolg gegen die ihn angreifenden Hunde zu vertheidigen. Er fraß nie unmäßig, war gutmüthig, erlaubte Schweinen, die Mahlzeit mit ihm zu theilen, litt aber niemals Hunde um sich. Jmmer hielt er sich reinlich und stank gar nicht, außer, wenn mehrere Hunde auf ihn los- gingen, welche er wahrscheinlich durch die Entleerung seiner Stinkdrüsen zurückschrecken wollte. Ge- wöhnlich schlief er bei Tage und lief bei Nacht umher. Er lag lieber im Freien, als in seinem Stalle und liebte überhaupt den Schatten und die Kälte. Als er ein halbes Jahr alt war, wurde er wilder, blieb jedoch immer noch gegen Menschen zutraulich, und als er einmal in den Wald entflohen war, sprang er einer alten Magd auf den Schlitten und ließ sich von ihr nach Hause fahren. Mit zu- nehmendem Alter wurde er immer wilder, und einmal biß er sich mit einem großen Hunde derart herum, daß man dem Letzteren zu Hilfe eilen mußte, weil man für sein Leben fürchtete. Aber auch im Alter spielte er immer noch mit den bekannten Leuten; hielten ihm jedoch Unbekannte einen Stock vor, so knirschte er mit den Zähnen und ergriff ihn wüthend mit den Klauen.
Solange ein gefangener Vielfraß jung ist, zeigt er sich höchst lustig, fast wie ein junger Bär. Wenn man ihn an einen Pfahl gebunden hat, läuft er immer in einem Halbkreise herum, schüttelt dabei den Kopf und stößt grunzende Töne aus. Vor dem Eintritt schlechter Witterung wird er launisch und mürrisch. Ein sehr schöner Vielfraß befindet sich gegenwärtig im Londoner Thiergarten. Er ist sehr zahm und gemüthlich und sieht, wenn er nicht seinen Mund öffnet und die blendend weißen Zähne zeigt, ganz harmlos und gutartig aus. Obgleich nicht eben schnell in seinen Bewegungen, ist er doch fortwährend in Thätigkeit, und blos, wenn er schläft, liegt er still auf ein und derselben Stelle. Einen Baum, welchen man in seinem Käfig angebracht hat, besteigt er mit Leichtigkeit und scheint sich
Die Raubthiere. Marder. — Gemeiner Bielfraß. Tayra.
Der Eskimo legt ſich vor der Höhle des Vielfraßes auf den Bauch und wartet, bis er heraus- kommt; dann ſpringt er ſofort hin, verſtopft das Loch und läßt nun ſeine Hunde los, welche zwar ungern auf ſolches Wild gehen, es aber doch feſtmachen. Nunmehr eilt der Jäger hinzu, zieht dem Vielfraß eine Schlinge über den Kopf und tödtet ihn. Jn Norwegen und Lappland wird er mit dem Feuergewehr erlegt.
Trotz ſeiner geringen Größe iſt der Vielfraß kein zu verachtender Gegner. Er iſt nämlich außer- ordentlich wild, ganz unverhältnißmäßig ſtark und verſteht es vortrefflich, Widerſtand zu leiſten. Man verſichert, daß ſelbſt Bären und Wölfe ihm aus dem Wege gehen. Die Letzteren ſollen ihn überhaupt nicht anrühren, wahrſcheinlich ſeines Geſtankes wegen. Gegen den Menſchen wehrt er ſich blos dann, wenn er gar nicht mehr weichen kann. Gewöhnlich rettet er ſich, ſobald er einen Jäger gewahrt, durch die Flucht, und wenn er verfolgt wird, auf einen Baum oder auf die höchſten Felsſpitzen, wohin ihm ſeine Feinde nicht nachfolgen können. Von raſchen Hunden wird er in ebenen, baumloſen Gegenden bald eingeholt, vertheidigt ſich aber mit Ausdauer und Muth gegen dieſelben und beißt wüthend um ſich. Ein einziger Hund überwältigt ihn niemals, und nicht ſelten wird es ſelbſt mehreren ſchwer, ihn zu beſiegen. Wenn er vor ſeinen Verfolgern nicht auf einen Baum ent- kommen kann, wirft er ſich auf den Rücken, faßt den Hund mit ſeinen ſcharfen Krallen, wirft ihn zu Boden und zerfleiſcht ihn mit dem Gebiſſe derart, daß jener an den ihm beigebrachten Wunden oft zu Grunde geht.
Die Rollzeit des Vielfraßes fällt in den Herbſt oder Winter; in Norwegen, wie Erik mir erzählte, in den Januar. Nach vier Monaten Tragzeit, gewöhnlich alſo im Mai, wirft das Weibchen, in einer einſamen Schlucht des Gebirges oder in den dichteſten Wäldern, zwei bis drei, ſelten auch vier Junge auf ein weiches und warmes Lager, welches ſie entweder in hohlen Bäumen oder in tiefen Felſen- höhlen angelegt hat.
Es hält ſehr ſchwer, das weiche Bett eines Vielfraßes aufzufinden. Bekommt man aber Junge, welche noch klein ſind, ſo kann man ſie ohne große Mühe zähmen. Genberg zog einen Vielfraß mit Milch und Fleiſch auf und gewöhnte ihn ſo an ſich, daß er ihm wie ein Hund auf das Feld nachlief. Er war beſtändig in Thätigkeit, ſpielte artig mit allerlei Dingen, wälzte ſich im Sande, ſcharrte ſich im Boden ein und kletterte auf Bäume. Schon als er drei Monate war, wußte er ſich mit Erfolg gegen die ihn angreifenden Hunde zu vertheidigen. Er fraß nie unmäßig, war gutmüthig, erlaubte Schweinen, die Mahlzeit mit ihm zu theilen, litt aber niemals Hunde um ſich. Jmmer hielt er ſich reinlich und ſtank gar nicht, außer, wenn mehrere Hunde auf ihn los- gingen, welche er wahrſcheinlich durch die Entleerung ſeiner Stinkdrüſen zurückſchrecken wollte. Ge- wöhnlich ſchlief er bei Tage und lief bei Nacht umher. Er lag lieber im Freien, als in ſeinem Stalle und liebte überhaupt den Schatten und die Kälte. Als er ein halbes Jahr alt war, wurde er wilder, blieb jedoch immer noch gegen Menſchen zutraulich, und als er einmal in den Wald entflohen war, ſprang er einer alten Magd auf den Schlitten und ließ ſich von ihr nach Hauſe fahren. Mit zu- nehmendem Alter wurde er immer wilder, und einmal biß er ſich mit einem großen Hunde derart herum, daß man dem Letzteren zu Hilfe eilen mußte, weil man für ſein Leben fürchtete. Aber auch im Alter ſpielte er immer noch mit den bekannten Leuten; hielten ihm jedoch Unbekannte einen Stock vor, ſo knirſchte er mit den Zähnen und ergriff ihn wüthend mit den Klauen.
Solange ein gefangener Vielfraß jung iſt, zeigt er ſich höchſt luſtig, faſt wie ein junger Bär. Wenn man ihn an einen Pfahl gebunden hat, läuft er immer in einem Halbkreiſe herum, ſchüttelt dabei den Kopf und ſtößt grunzende Töne aus. Vor dem Eintritt ſchlechter Witterung wird er launiſch und mürriſch. Ein ſehr ſchöner Vielfraß befindet ſich gegenwärtig im Londoner Thiergarten. Er iſt ſehr zahm und gemüthlich und ſieht, wenn er nicht ſeinen Mund öffnet und die blendend weißen Zähne zeigt, ganz harmlos und gutartig aus. Obgleich nicht eben ſchnell in ſeinen Bewegungen, iſt er doch fortwährend in Thätigkeit, und blos, wenn er ſchläft, liegt er ſtill auf ein und derſelben Stelle. Einen Baum, welchen man in ſeinem Käfig angebracht hat, beſteigt er mit Leichtigkeit und ſcheint ſich
<TEI><text><body><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0594"n="520"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Die Raubthiere.</hi> Marder. —<hirendition="#g">Gemeiner Bielfraß. Tayra.</hi></fw><lb/><p>Der Eskimo legt ſich vor der Höhle des Vielfraßes auf den Bauch und wartet, bis er heraus-<lb/>
kommt; dann ſpringt er ſofort hin, verſtopft das Loch und läßt nun ſeine Hunde los, welche zwar<lb/>
ungern auf ſolches Wild gehen, es aber doch feſtmachen. Nunmehr eilt der Jäger hinzu, zieht dem<lb/>
Vielfraß eine Schlinge über den Kopf und tödtet ihn. Jn Norwegen und Lappland wird er mit dem<lb/>
Feuergewehr erlegt.</p><lb/><p>Trotz ſeiner geringen Größe iſt der Vielfraß kein zu verachtender Gegner. Er iſt nämlich außer-<lb/>
ordentlich wild, ganz unverhältnißmäßig ſtark und verſteht es vortrefflich, Widerſtand zu leiſten.<lb/>
Man verſichert, daß ſelbſt Bären und Wölfe ihm aus dem Wege gehen. Die Letzteren ſollen ihn<lb/>
überhaupt nicht anrühren, wahrſcheinlich ſeines Geſtankes wegen. Gegen den Menſchen wehrt er<lb/>ſich blos dann, wenn er gar nicht mehr weichen kann. Gewöhnlich rettet er ſich, ſobald er einen<lb/>
Jäger gewahrt, durch die Flucht, und wenn er verfolgt wird, auf einen Baum oder auf die höchſten<lb/>
Felsſpitzen, wohin ihm ſeine Feinde nicht nachfolgen können. Von raſchen Hunden wird er in ebenen,<lb/>
baumloſen Gegenden bald eingeholt, vertheidigt ſich aber mit Ausdauer und Muth gegen dieſelben<lb/>
und beißt wüthend um ſich. Ein einziger Hund überwältigt ihn niemals, und nicht ſelten wird es<lb/>ſelbſt mehreren ſchwer, ihn zu beſiegen. Wenn er vor ſeinen Verfolgern nicht auf einen Baum ent-<lb/>
kommen kann, wirft er ſich auf den Rücken, faßt den Hund mit ſeinen ſcharfen Krallen, wirft ihn<lb/>
zu Boden und zerfleiſcht ihn mit dem Gebiſſe derart, daß jener an den ihm beigebrachten Wunden oft<lb/>
zu Grunde geht.</p><lb/><p>Die Rollzeit des Vielfraßes fällt in den Herbſt oder Winter; in Norwegen, wie <hirendition="#g">Erik</hi> mir erzählte,<lb/>
in den Januar. Nach vier Monaten Tragzeit, gewöhnlich alſo im Mai, wirft das Weibchen, in einer<lb/>
einſamen Schlucht des Gebirges oder in den dichteſten Wäldern, zwei bis drei, ſelten auch vier Junge<lb/>
auf ein weiches und warmes Lager, welches ſie entweder in hohlen Bäumen oder in tiefen Felſen-<lb/>
höhlen angelegt hat.</p><lb/><p>Es hält ſehr ſchwer, das weiche Bett eines Vielfraßes aufzufinden. Bekommt man aber<lb/>
Junge, welche noch klein ſind, ſo kann man ſie ohne große Mühe zähmen. <hirendition="#g">Genberg</hi> zog einen<lb/>
Vielfraß mit Milch und Fleiſch auf und gewöhnte ihn ſo an ſich, daß er ihm wie ein Hund auf<lb/>
das Feld nachlief. Er war beſtändig in Thätigkeit, ſpielte artig mit allerlei Dingen, wälzte ſich<lb/>
im Sande, ſcharrte ſich im Boden ein und kletterte auf Bäume. Schon als er drei Monate war,<lb/>
wußte er ſich mit Erfolg gegen die ihn angreifenden Hunde zu vertheidigen. Er fraß nie unmäßig,<lb/>
war gutmüthig, erlaubte Schweinen, die Mahlzeit mit ihm zu theilen, litt aber niemals Hunde um<lb/>ſich. Jmmer hielt er ſich reinlich und ſtank gar nicht, außer, wenn mehrere Hunde auf ihn los-<lb/>
gingen, welche er wahrſcheinlich durch die Entleerung ſeiner Stinkdrüſen zurückſchrecken wollte. Ge-<lb/>
wöhnlich ſchlief er bei Tage und lief bei Nacht umher. Er lag lieber im Freien, als in ſeinem Stalle<lb/>
und liebte überhaupt den Schatten und die Kälte. Als er ein halbes Jahr alt war, wurde er wilder,<lb/>
blieb jedoch immer noch gegen Menſchen zutraulich, und als er einmal in den Wald entflohen war,<lb/>ſprang er einer alten Magd auf den Schlitten und ließ ſich von ihr nach Hauſe fahren. Mit zu-<lb/>
nehmendem Alter wurde er immer wilder, und einmal biß er ſich mit einem großen Hunde derart<lb/>
herum, daß man dem Letzteren zu Hilfe eilen mußte, weil man für ſein Leben fürchtete. Aber auch<lb/>
im Alter ſpielte er immer noch mit den bekannten Leuten; hielten ihm jedoch Unbekannte einen Stock<lb/>
vor, ſo knirſchte er mit den Zähnen und ergriff ihn wüthend mit den Klauen.</p><lb/><p>Solange ein gefangener Vielfraß jung iſt, zeigt er ſich höchſt luſtig, faſt wie ein junger <hirendition="#g">Bär.</hi><lb/>
Wenn man ihn an einen Pfahl gebunden hat, läuft er immer in einem Halbkreiſe herum, ſchüttelt<lb/>
dabei den Kopf und ſtößt grunzende Töne aus. Vor dem Eintritt ſchlechter Witterung wird er launiſch<lb/>
und mürriſch. Ein ſehr ſchöner Vielfraß befindet ſich gegenwärtig im Londoner Thiergarten. Er iſt<lb/>ſehr zahm und gemüthlich und ſieht, wenn er nicht ſeinen Mund öffnet und die blendend weißen<lb/>
Zähne zeigt, ganz harmlos und gutartig aus. Obgleich nicht eben ſchnell in ſeinen Bewegungen, iſt<lb/>
er doch fortwährend in Thätigkeit, und blos, wenn er ſchläft, liegt er ſtill auf ein und derſelben Stelle.<lb/>
Einen Baum, welchen man in ſeinem Käfig angebracht hat, beſteigt er mit Leichtigkeit und ſcheint ſich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[520/0594]
Die Raubthiere. Marder. — Gemeiner Bielfraß. Tayra.
Der Eskimo legt ſich vor der Höhle des Vielfraßes auf den Bauch und wartet, bis er heraus-
kommt; dann ſpringt er ſofort hin, verſtopft das Loch und läßt nun ſeine Hunde los, welche zwar
ungern auf ſolches Wild gehen, es aber doch feſtmachen. Nunmehr eilt der Jäger hinzu, zieht dem
Vielfraß eine Schlinge über den Kopf und tödtet ihn. Jn Norwegen und Lappland wird er mit dem
Feuergewehr erlegt.
Trotz ſeiner geringen Größe iſt der Vielfraß kein zu verachtender Gegner. Er iſt nämlich außer-
ordentlich wild, ganz unverhältnißmäßig ſtark und verſteht es vortrefflich, Widerſtand zu leiſten.
Man verſichert, daß ſelbſt Bären und Wölfe ihm aus dem Wege gehen. Die Letzteren ſollen ihn
überhaupt nicht anrühren, wahrſcheinlich ſeines Geſtankes wegen. Gegen den Menſchen wehrt er
ſich blos dann, wenn er gar nicht mehr weichen kann. Gewöhnlich rettet er ſich, ſobald er einen
Jäger gewahrt, durch die Flucht, und wenn er verfolgt wird, auf einen Baum oder auf die höchſten
Felsſpitzen, wohin ihm ſeine Feinde nicht nachfolgen können. Von raſchen Hunden wird er in ebenen,
baumloſen Gegenden bald eingeholt, vertheidigt ſich aber mit Ausdauer und Muth gegen dieſelben
und beißt wüthend um ſich. Ein einziger Hund überwältigt ihn niemals, und nicht ſelten wird es
ſelbſt mehreren ſchwer, ihn zu beſiegen. Wenn er vor ſeinen Verfolgern nicht auf einen Baum ent-
kommen kann, wirft er ſich auf den Rücken, faßt den Hund mit ſeinen ſcharfen Krallen, wirft ihn
zu Boden und zerfleiſcht ihn mit dem Gebiſſe derart, daß jener an den ihm beigebrachten Wunden oft
zu Grunde geht.
Die Rollzeit des Vielfraßes fällt in den Herbſt oder Winter; in Norwegen, wie Erik mir erzählte,
in den Januar. Nach vier Monaten Tragzeit, gewöhnlich alſo im Mai, wirft das Weibchen, in einer
einſamen Schlucht des Gebirges oder in den dichteſten Wäldern, zwei bis drei, ſelten auch vier Junge
auf ein weiches und warmes Lager, welches ſie entweder in hohlen Bäumen oder in tiefen Felſen-
höhlen angelegt hat.
Es hält ſehr ſchwer, das weiche Bett eines Vielfraßes aufzufinden. Bekommt man aber
Junge, welche noch klein ſind, ſo kann man ſie ohne große Mühe zähmen. Genberg zog einen
Vielfraß mit Milch und Fleiſch auf und gewöhnte ihn ſo an ſich, daß er ihm wie ein Hund auf
das Feld nachlief. Er war beſtändig in Thätigkeit, ſpielte artig mit allerlei Dingen, wälzte ſich
im Sande, ſcharrte ſich im Boden ein und kletterte auf Bäume. Schon als er drei Monate war,
wußte er ſich mit Erfolg gegen die ihn angreifenden Hunde zu vertheidigen. Er fraß nie unmäßig,
war gutmüthig, erlaubte Schweinen, die Mahlzeit mit ihm zu theilen, litt aber niemals Hunde um
ſich. Jmmer hielt er ſich reinlich und ſtank gar nicht, außer, wenn mehrere Hunde auf ihn los-
gingen, welche er wahrſcheinlich durch die Entleerung ſeiner Stinkdrüſen zurückſchrecken wollte. Ge-
wöhnlich ſchlief er bei Tage und lief bei Nacht umher. Er lag lieber im Freien, als in ſeinem Stalle
und liebte überhaupt den Schatten und die Kälte. Als er ein halbes Jahr alt war, wurde er wilder,
blieb jedoch immer noch gegen Menſchen zutraulich, und als er einmal in den Wald entflohen war,
ſprang er einer alten Magd auf den Schlitten und ließ ſich von ihr nach Hauſe fahren. Mit zu-
nehmendem Alter wurde er immer wilder, und einmal biß er ſich mit einem großen Hunde derart
herum, daß man dem Letzteren zu Hilfe eilen mußte, weil man für ſein Leben fürchtete. Aber auch
im Alter ſpielte er immer noch mit den bekannten Leuten; hielten ihm jedoch Unbekannte einen Stock
vor, ſo knirſchte er mit den Zähnen und ergriff ihn wüthend mit den Klauen.
Solange ein gefangener Vielfraß jung iſt, zeigt er ſich höchſt luſtig, faſt wie ein junger Bär.
Wenn man ihn an einen Pfahl gebunden hat, läuft er immer in einem Halbkreiſe herum, ſchüttelt
dabei den Kopf und ſtößt grunzende Töne aus. Vor dem Eintritt ſchlechter Witterung wird er launiſch
und mürriſch. Ein ſehr ſchöner Vielfraß befindet ſich gegenwärtig im Londoner Thiergarten. Er iſt
ſehr zahm und gemüthlich und ſieht, wenn er nicht ſeinen Mund öffnet und die blendend weißen
Zähne zeigt, ganz harmlos und gutartig aus. Obgleich nicht eben ſchnell in ſeinen Bewegungen, iſt
er doch fortwährend in Thätigkeit, und blos, wenn er ſchläft, liegt er ſtill auf ein und derſelben Stelle.
Einen Baum, welchen man in ſeinem Käfig angebracht hat, beſteigt er mit Leichtigkeit und ſcheint ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/594>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.