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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Leben und Nahrung. Schätzung seines Felles.
wähut in seiner Reisebeschreibung von Nordland, daß er dort Schaden unter den Schafherden an-
richte, und Erman erfuhr von den Ostjaken, daß er dem Elenthiere auf den Nacken springe und es
durch Bisse tödte. Erik erzählte mir, daß er sich, zumal im tiefen Schnee, leise unter dem Winde
an die vergrabenen Schneehühner heranmacht, sie in den Höhlen, welche sich die Bögel ausscharren,
verfolgt und dann mit Leichtigkeit tödtet. Den Jägern ist er ein höchst verhaßtes Thier. Mein Be-
gleiter versicherte mich, daß ein jedes erlegte Renthier, welches er nicht sorgfältig unter Steinen ver-
borgen habe, während seiner Abwesenheit von dem Vielfraß angefressen worden sei. Sehr häufig
stiehlt er auch die Köder von den Fallen weg oder frißt die darin gefangenen Thiere an. Jn den
Hütten der Lappen richtet er oft bedeutende Verwüstungen an. Er bahnt sich mit seinen Klauen
einen Weg durch Thüren und Dächer und raubt Fleisch, Käse, getrockneten Fisch u. dergl., zerreißt
aber auch die dort aufbewahrten Thierfelle und frißt selbst, bei großem Hunger, einen Theil derselben.
Während des Winters ist er Tag und Nacht auf den Beinen, und wenn er ermüdet ist, gräbt er
sich einfach ein Loch in den Schnee, läßt sich dort verschneien und ruht in dem nun ganz warmen
Lager behaglich aus.

Daß er auch in ganz baumlosen Gebirgsgegenden, dem ausschließlichen Aufenthalt der wilden
Renthiere, diesen großen Schaden zufügt, habe ich nicht blos aus dem Munde meiner Jäger ver-
nommen, sondern auch aus dem Benehmen einer von ihm bedrohten Reuthierherde schließen können.
Jch bemerkte einen Vielfraß, welcher auf einer mit wenig Steinen bedeckten Ebene hinter einem größern
Blocke saß und die Renthiere mit größter Theilnahme betrachtete. Jedenfalls gedachte er, ein unvor-
sichtiges Kalb bei Gelegenheit zu überraschen. Sein Standpunkt war vortrefflich gewählt. Er hatte den
Wind mit derselben Gewissenhaftigkeit beobachtet, wie wir. Die schlauen Renthiere bekamen jedoch
bei einer Wendung, welche das sich äsende Rudel machte, Witterung und stiebten augenblicklich in die
Weite. Jetzt mochte er einsehen, daß für heute seine Jagd erfolglos bleiben würde, und wandte sich,
trottelnd und Purzelbäume schlagend, den Kopf und Schwanz zur Erde gesenkt, dem höhern Gebirge
zu, lauschte plötzlich, sprang seitwärts, fing einen Lemming, verspeiste denselben mit bewunderungs-
würdiger Schnelligkeit und setzte dann seinen Weg weiter fort. Jch war leider zu entfernt von ihm,
um meinen Grimm an der gestörten Jagd kräftig bezeigen zu können; er aber nahm sich in der Folge
wohl in Acht, uns wieder zu nahe zu kommen.

Eine kleine Beute, die der Vielfraß gemacht hat, verzehrt er auf der Stelle mit Haut und Haaren,
eine größere aber vergräbt er sehr sorgfältig und hält dann noch eine zweite Mahlzeit davon. Die
Samojeden behaupten, daß er auch Menschenleichen aus der Erde scharre und sich zeitweilig von
diesen nähre. Aus allen diesen Gründen steht der Vielfraß bei sämmtlichen nordischen Völkerschaften
keineswegs in besonderer Achtung, und hierin möchten die verschiedenen Fabeln theilweise wohl auch
ihren Grund haben. Man jagt, verfolgt und tödtet ihn, wo man nur immer kann, obgleich sein Fell
keineswegs überall benutzt wird. Die Kamtschadalen freilich schätzen es sehr hoch und glauben, daß
es kein schöneres Rauchwerk geben kann, als eben dieses Fell. Gerade die weißgelben Felle, welche
von den Europäern für die schlechtesten gehalten werden, sind, nach ihrer Einbildung, die aller-
schönsten, und sie sind fest überzeugt, daß der Gott des Himmels, Bulutschei, Rosomaka- oder
Vielfraßkleider trage. Die gefallsüchtige Jtelmänin trägt zwei Stück Vielfraßfelle von Handgröße
über dem Kopf, oberhalb der Ohren. Man kann sich nicht besser seine Frau oder Geliebte ver-
bindlich machen, als wenn man ihr derartige Rosomakenfleckchen kauft, deren Preis unter den
Leuten dem eines Biberfelles gleichgeachtet wird. Vor Stellers Zeiten konnte man von den
Kamtschadalen für einen Vielfraß eine Menge andere Felle eintauschen, welche zusammen nicht selten
dreißig bis sechzig Rubel werth waren. Die Liebhaberei für diese Fleckchen geht soweit, daß die
Frauen, welche keine besitzen, gefärbte Fellstücke aus dem Balg einer Seeente tragen. Steller fügt
hinzu, daß trotz des hohen Werthes gedachter Felle Vielfraße in Kamtschatka häufig sind, weil die
Einwohner es nicht verstehen, sie zu fangen, und blos zufällig einen erbeuten, welcher sich in die
Fuchsfallen verirrt.

Leben und Nahrung. Schätzung ſeines Felles.
wähut in ſeiner Reiſebeſchreibung von Nordland, daß er dort Schaden unter den Schafherden an-
richte, und Erman erfuhr von den Oſtjaken, daß er dem Elenthiere auf den Nacken ſpringe und es
durch Biſſe tödte. Erik erzählte mir, daß er ſich, zumal im tiefen Schnee, leiſe unter dem Winde
an die vergrabenen Schneehühner heranmacht, ſie in den Höhlen, welche ſich die Bögel ausſcharren,
verfolgt und dann mit Leichtigkeit tödtet. Den Jägern iſt er ein höchſt verhaßtes Thier. Mein Be-
gleiter verſicherte mich, daß ein jedes erlegte Renthier, welches er nicht ſorgfältig unter Steinen ver-
borgen habe, während ſeiner Abweſenheit von dem Vielfraß angefreſſen worden ſei. Sehr häufig
ſtiehlt er auch die Köder von den Fallen weg oder frißt die darin gefangenen Thiere an. Jn den
Hütten der Lappen richtet er oft bedeutende Verwüſtungen an. Er bahnt ſich mit ſeinen Klauen
einen Weg durch Thüren und Dächer und raubt Fleiſch, Käſe, getrockneten Fiſch u. dergl., zerreißt
aber auch die dort aufbewahrten Thierfelle und frißt ſelbſt, bei großem Hunger, einen Theil derſelben.
Während des Winters iſt er Tag und Nacht auf den Beinen, und wenn er ermüdet iſt, gräbt er
ſich einfach ein Loch in den Schnee, läßt ſich dort verſchneien und ruht in dem nun ganz warmen
Lager behaglich aus.

Daß er auch in ganz baumloſen Gebirgsgegenden, dem ausſchließlichen Aufenthalt der wilden
Renthiere, dieſen großen Schaden zufügt, habe ich nicht blos aus dem Munde meiner Jäger ver-
nommen, ſondern auch aus dem Benehmen einer von ihm bedrohten Reuthierherde ſchließen können.
Jch bemerkte einen Vielfraß, welcher auf einer mit wenig Steinen bedeckten Ebene hinter einem größern
Blocke ſaß und die Renthiere mit größter Theilnahme betrachtete. Jedenfalls gedachte er, ein unvor-
ſichtiges Kalb bei Gelegenheit zu überraſchen. Sein Standpunkt war vortrefflich gewählt. Er hatte den
Wind mit derſelben Gewiſſenhaftigkeit beobachtet, wie wir. Die ſchlauen Renthiere bekamen jedoch
bei einer Wendung, welche das ſich äſende Rudel machte, Witterung und ſtiebten augenblicklich in die
Weite. Jetzt mochte er einſehen, daß für heute ſeine Jagd erfolglos bleiben würde, und wandte ſich,
trottelnd und Purzelbäume ſchlagend, den Kopf und Schwanz zur Erde geſenkt, dem höhern Gebirge
zu, lauſchte plötzlich, ſprang ſeitwärts, fing einen Lemming, verſpeiſte denſelben mit bewunderungs-
würdiger Schnelligkeit und ſetzte dann ſeinen Weg weiter fort. Jch war leider zu entfernt von ihm,
um meinen Grimm an der geſtörten Jagd kräftig bezeigen zu können; er aber nahm ſich in der Folge
wohl in Acht, uns wieder zu nahe zu kommen.

Eine kleine Beute, die der Vielfraß gemacht hat, verzehrt er auf der Stelle mit Haut und Haaren,
eine größere aber vergräbt er ſehr ſorgfältig und hält dann noch eine zweite Mahlzeit davon. Die
Samojeden behaupten, daß er auch Menſchenleichen aus der Erde ſcharre und ſich zeitweilig von
dieſen nähre. Aus allen dieſen Gründen ſteht der Vielfraß bei ſämmtlichen nordiſchen Völkerſchaften
keineswegs in beſonderer Achtung, und hierin möchten die verſchiedenen Fabeln theilweiſe wohl auch
ihren Grund haben. Man jagt, verfolgt und tödtet ihn, wo man nur immer kann, obgleich ſein Fell
keineswegs überall benutzt wird. Die Kamtſchadalen freilich ſchätzen es ſehr hoch und glauben, daß
es kein ſchöneres Rauchwerk geben kann, als eben dieſes Fell. Gerade die weißgelben Felle, welche
von den Europäern für die ſchlechteſten gehalten werden, ſind, nach ihrer Einbildung, die aller-
ſchönſten, und ſie ſind feſt überzeugt, daß der Gott des Himmels, Bulutſchei, Roſomaka- oder
Vielfraßkleider trage. Die gefallſüchtige Jtelmänin trägt zwei Stück Vielfraßfelle von Handgröße
über dem Kopf, oberhalb der Ohren. Man kann ſich nicht beſſer ſeine Frau oder Geliebte ver-
bindlich machen, als wenn man ihr derartige Roſomakenfleckchen kauft, deren Preis unter den
Leuten dem eines Biberfelles gleichgeachtet wird. Vor Stellers Zeiten konnte man von den
Kamtſchadalen für einen Vielfraß eine Menge andere Felle eintauſchen, welche zuſammen nicht ſelten
dreißig bis ſechzig Rubel werth waren. Die Liebhaberei für dieſe Fleckchen geht ſoweit, daß die
Frauen, welche keine beſitzen, gefärbte Fellſtücke aus dem Balg einer Seeente tragen. Steller fügt
hinzu, daß trotz des hohen Werthes gedachter Felle Vielfraße in Kamtſchatka häufig ſind, weil die
Einwohner es nicht verſtehen, ſie zu fangen, und blos zufällig einen erbeuten, welcher ſich in die
Fuchsfallen verirrt.

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[519/0593] Leben und Nahrung. Schätzung ſeines Felles. wähut in ſeiner Reiſebeſchreibung von Nordland, daß er dort Schaden unter den Schafherden an- richte, und Erman erfuhr von den Oſtjaken, daß er dem Elenthiere auf den Nacken ſpringe und es durch Biſſe tödte. Erik erzählte mir, daß er ſich, zumal im tiefen Schnee, leiſe unter dem Winde an die vergrabenen Schneehühner heranmacht, ſie in den Höhlen, welche ſich die Bögel ausſcharren, verfolgt und dann mit Leichtigkeit tödtet. Den Jägern iſt er ein höchſt verhaßtes Thier. Mein Be- gleiter verſicherte mich, daß ein jedes erlegte Renthier, welches er nicht ſorgfältig unter Steinen ver- borgen habe, während ſeiner Abweſenheit von dem Vielfraß angefreſſen worden ſei. Sehr häufig ſtiehlt er auch die Köder von den Fallen weg oder frißt die darin gefangenen Thiere an. Jn den Hütten der Lappen richtet er oft bedeutende Verwüſtungen an. Er bahnt ſich mit ſeinen Klauen einen Weg durch Thüren und Dächer und raubt Fleiſch, Käſe, getrockneten Fiſch u. dergl., zerreißt aber auch die dort aufbewahrten Thierfelle und frißt ſelbſt, bei großem Hunger, einen Theil derſelben. Während des Winters iſt er Tag und Nacht auf den Beinen, und wenn er ermüdet iſt, gräbt er ſich einfach ein Loch in den Schnee, läßt ſich dort verſchneien und ruht in dem nun ganz warmen Lager behaglich aus. Daß er auch in ganz baumloſen Gebirgsgegenden, dem ausſchließlichen Aufenthalt der wilden Renthiere, dieſen großen Schaden zufügt, habe ich nicht blos aus dem Munde meiner Jäger ver- nommen, ſondern auch aus dem Benehmen einer von ihm bedrohten Reuthierherde ſchließen können. Jch bemerkte einen Vielfraß, welcher auf einer mit wenig Steinen bedeckten Ebene hinter einem größern Blocke ſaß und die Renthiere mit größter Theilnahme betrachtete. Jedenfalls gedachte er, ein unvor- ſichtiges Kalb bei Gelegenheit zu überraſchen. Sein Standpunkt war vortrefflich gewählt. Er hatte den Wind mit derſelben Gewiſſenhaftigkeit beobachtet, wie wir. Die ſchlauen Renthiere bekamen jedoch bei einer Wendung, welche das ſich äſende Rudel machte, Witterung und ſtiebten augenblicklich in die Weite. Jetzt mochte er einſehen, daß für heute ſeine Jagd erfolglos bleiben würde, und wandte ſich, trottelnd und Purzelbäume ſchlagend, den Kopf und Schwanz zur Erde geſenkt, dem höhern Gebirge zu, lauſchte plötzlich, ſprang ſeitwärts, fing einen Lemming, verſpeiſte denſelben mit bewunderungs- würdiger Schnelligkeit und ſetzte dann ſeinen Weg weiter fort. Jch war leider zu entfernt von ihm, um meinen Grimm an der geſtörten Jagd kräftig bezeigen zu können; er aber nahm ſich in der Folge wohl in Acht, uns wieder zu nahe zu kommen. Eine kleine Beute, die der Vielfraß gemacht hat, verzehrt er auf der Stelle mit Haut und Haaren, eine größere aber vergräbt er ſehr ſorgfältig und hält dann noch eine zweite Mahlzeit davon. Die Samojeden behaupten, daß er auch Menſchenleichen aus der Erde ſcharre und ſich zeitweilig von dieſen nähre. Aus allen dieſen Gründen ſteht der Vielfraß bei ſämmtlichen nordiſchen Völkerſchaften keineswegs in beſonderer Achtung, und hierin möchten die verſchiedenen Fabeln theilweiſe wohl auch ihren Grund haben. Man jagt, verfolgt und tödtet ihn, wo man nur immer kann, obgleich ſein Fell keineswegs überall benutzt wird. Die Kamtſchadalen freilich ſchätzen es ſehr hoch und glauben, daß es kein ſchöneres Rauchwerk geben kann, als eben dieſes Fell. Gerade die weißgelben Felle, welche von den Europäern für die ſchlechteſten gehalten werden, ſind, nach ihrer Einbildung, die aller- ſchönſten, und ſie ſind feſt überzeugt, daß der Gott des Himmels, Bulutſchei, Roſomaka- oder Vielfraßkleider trage. Die gefallſüchtige Jtelmänin trägt zwei Stück Vielfraßfelle von Handgröße über dem Kopf, oberhalb der Ohren. Man kann ſich nicht beſſer ſeine Frau oder Geliebte ver- bindlich machen, als wenn man ihr derartige Roſomakenfleckchen kauft, deren Preis unter den Leuten dem eines Biberfelles gleichgeachtet wird. Vor Stellers Zeiten konnte man von den Kamtſchadalen für einen Vielfraß eine Menge andere Felle eintauſchen, welche zuſammen nicht ſelten dreißig bis ſechzig Rubel werth waren. Die Liebhaberei für dieſe Fleckchen geht ſoweit, daß die Frauen, welche keine beſitzen, gefärbte Fellſtücke aus dem Balg einer Seeente tragen. Steller fügt hinzu, daß trotz des hohen Werthes gedachter Felle Vielfraße in Kamtſchatka häufig ſind, weil die Einwohner es nicht verſtehen, ſie zu fangen, und blos zufällig einen erbeuten, welcher ſich in die Fuchsfallen verirrt.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/593>, abgerufen am 25.11.2024.