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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864.

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Die Raubthiere. -- Marder. Gemeiner Vielfraß.
Gesellen. Jch selbst habe ihn auf meiner Reise in Skandinavien blos ein einziges Mal zu Gesicht
bekommen und zwar auf einer Renthierjagd, welche wir gemeinschaftlich, d. h. ich und der Vielfraß,
unternahmen. Mein alter Erik Swenson, einer der naturkundigsten Jäger, welche ich überhaupt
angetroffen habe, konnte mir viel über die Lebensweise mittheilen; ich vermag also auch nach eigenen
Forschungen über ihn zu berichten.

Der Vielfraß bewohnt die gebirgigen Gegenden des Nordens und zieht die nackten Höhen der
skandinavischen Alpen den ungeheueren Wäldern des niedern Gebirges vor, obwohl er auch in
diesen zu finden ist. Die ödeste Wildniß ist sein Aufenthalt. Er hat keine feststehenden Wohnungen,
sondern wechselt sie nach dem Bedürfnisse und verbirgt sich, wenn die Nacht hereinbricht, an jedem
beliebigen Orte, der ihm einen Schlupfwinkel gewährt, sei es im Dickicht der Wälder oder im Geklüft
der Felsen, in einem verlassenen Fuchsbau oder in einer andern, natürlichen Höhle. Wie alle Marder
eigentlich mehr Nacht- als Tagthier, schleicht er doch in seiner so wenig von den Menschen beunruhig-
ten Heimat ganz nach Belieben umher und zeigt sich auch im Lichte der Sonne. -- Ja, er würde Dieses
unter allen Umständen thun müssen, da ja bekanntlich in seinem Vaterlande während des Sommers die
Sonne ein Vierteljahr lang Tag und Nacht am Himmel steht. Jn seinen Bewegungen ist er plump und
ungeschickt, weiß aber doch durch Ausdauer sich seiner Beute zu bemächtigen, und da er kein Kostverächter
ist, führt er ein sehr behagliches und gemüthliches Leben, ohne jemals in große Noth zu kommen. Seine
Bewegungen sind sehr eigenthümlicher Art und namentlich der Gang zeichnet sich vor dem aller übrigen
mir bekannten Thiere aus. Der Vielfraß wälzt sich nämlich in lauter großen Bogensätzen dahin,
ganz merkwürdig humpelnd und Purzelbäume schlagend. Doch fördert diese Gangart immer noch so
rasch, daß er kleine Säugethiere bequem dabei einholt und auch größeren bei längerer Verfolgung
nahe genug auf den Leib rücken kann. Jm tiefen Schnee zeigt sich seine Fährte, diesem Gang ent-
sprechend, in lauter tiefen Löchern, in welche er mit allen vier Beinen gesprungen ist. Aber gerade
sein eigenthümlicher Gang ist dann ganz geeignet, ihn leicht zu fördern, während das von ihm verfolgte
Wild mit dem tiefen Schnee sehr zu kämpfen hat. Trotz seiner Ungeschicklichkeit versteht er es, niedere
Bäume zu besteigen. Auf deren Aesten liegt er, dicht an den Stamm gedrückt, auf der Lauer und
wartet, bis ein Wild unter ihm weggeht. Dem springt er dann mit einem kräftigen Satze auf den
Rücken, hängt sich an den Hals fest, beißt ihm blos die Schlagadern durch und wartet, bis es sich
verblutet hat. Unter seinen Sinnen steht der Geruch oben an; doch ist auch sein Gesicht und Gehör
hinlänglich scharf.

Die Lebens- und Jagdweise des Thieres hat gar viele widersprechende Berichte hervorgerufen.
Einige Schriftsteller behaupten, daß es blos von solchen Thieren lebe, welche zufällig getödtet worden
sind, und Aas jeder übrigen Nahrung vorziehe. Nur im Sommer soll er Murmelthiere und Mäuse
ausgraben oder die Fallen, welche Jäger gestellt haben, und selbst die Häuser der Nordländer plündern.
Dem ist jedoch nicht so, sondern die uns von Pallas gegebene Beschreibung seiner Lebensweise ist
durchaus richtig. Er sieht schläfrig und plump aus, weiß aber seine Jagd mit hinlänglichem Erfolg
zu betreiben. Seine Hauptnahrung bilden die Mäusearten des Nordens und namentlich die Lem-
minge,
von denen er eine erstaunliche Menge vertilgt. Bei der großen Häusigkeit dieser Thiere in
gewissen Jahren, braucht er sich kaum um ein andres Wild zu bekümmern. Den Wölfen und Füchsen
folgt er auf ihren Streifzügen nach, in der Hoffnung, Etwas von ihrem Raube zu erwischen. Jm
Nothfalle aber betreibt er selbst die höhere Jagd. Steller erzählt, daß er das Renthier mit List zu
sich heranlocke, indem er auf einen Baum klettere und von dort aus in Absätzen Renthiermos herab-
würfe, welches dann von den Thieren gesehen und aufgefressen würde und ihm somit Gelegenheit gäbe,
einen guten Sprung zu machen. Dann soll er dem Wild die Augen auskratzen und auf ihm sitzen
bleiben, bis sich der geängstete Hirsch an Bäumen zu Tode stößt. Allein diese Angaben scheinen blos
auf Erzählungen zu beruhen und dürsten unrichtig sein. Gewiß aber ist es, daß er Renthiere, ja selbst
Elenthiere angreift und niedermacht. Thunberg erfuhr, daß er sogar Kühe tödte, indem er ihnen
die Gurgel abbeißt. Auch Steller berichtet, daß er an der Lena Pferde anfalle; Löwenhjelm er-

Die Raubthiere. — Marder. Gemeiner Vielfraß.
Geſellen. Jch ſelbſt habe ihn auf meiner Reiſe in Skandinavien blos ein einziges Mal zu Geſicht
bekommen und zwar auf einer Renthierjagd, welche wir gemeinſchaftlich, d. h. ich und der Vielfraß,
unternahmen. Mein alter Erik Swenſon, einer der naturkundigſten Jäger, welche ich überhaupt
angetroffen habe, konnte mir viel über die Lebensweiſe mittheilen; ich vermag alſo auch nach eigenen
Forſchungen über ihn zu berichten.

Der Vielfraß bewohnt die gebirgigen Gegenden des Nordens und zieht die nackten Höhen der
ſkandinaviſchen Alpen den ungeheueren Wäldern des niedern Gebirges vor, obwohl er auch in
dieſen zu finden iſt. Die ödeſte Wildniß iſt ſein Aufenthalt. Er hat keine feſtſtehenden Wohnungen,
ſondern wechſelt ſie nach dem Bedürfniſſe und verbirgt ſich, wenn die Nacht hereinbricht, an jedem
beliebigen Orte, der ihm einen Schlupfwinkel gewährt, ſei es im Dickicht der Wälder oder im Geklüft
der Felſen, in einem verlaſſenen Fuchsbau oder in einer andern, natürlichen Höhle. Wie alle Marder
eigentlich mehr Nacht- als Tagthier, ſchleicht er doch in ſeiner ſo wenig von den Menſchen beunruhig-
ten Heimat ganz nach Belieben umher und zeigt ſich auch im Lichte der Sonne. — Ja, er würde Dieſes
unter allen Umſtänden thun müſſen, da ja bekanntlich in ſeinem Vaterlande während des Sommers die
Sonne ein Vierteljahr lang Tag und Nacht am Himmel ſteht. Jn ſeinen Bewegungen iſt er plump und
ungeſchickt, weiß aber doch durch Ausdauer ſich ſeiner Beute zu bemächtigen, und da er kein Koſtverächter
iſt, führt er ein ſehr behagliches und gemüthliches Leben, ohne jemals in große Noth zu kommen. Seine
Bewegungen ſind ſehr eigenthümlicher Art und namentlich der Gang zeichnet ſich vor dem aller übrigen
mir bekannten Thiere aus. Der Vielfraß wälzt ſich nämlich in lauter großen Bogenſätzen dahin,
ganz merkwürdig humpelnd und Purzelbäume ſchlagend. Doch fördert dieſe Gangart immer noch ſo
raſch, daß er kleine Säugethiere bequem dabei einholt und auch größeren bei längerer Verfolgung
nahe genug auf den Leib rücken kann. Jm tiefen Schnee zeigt ſich ſeine Fährte, dieſem Gang ent-
ſprechend, in lauter tiefen Löchern, in welche er mit allen vier Beinen geſprungen iſt. Aber gerade
ſein eigenthümlicher Gang iſt dann ganz geeignet, ihn leicht zu fördern, während das von ihm verfolgte
Wild mit dem tiefen Schnee ſehr zu kämpfen hat. Trotz ſeiner Ungeſchicklichkeit verſteht er es, niedere
Bäume zu beſteigen. Auf deren Aeſten liegt er, dicht an den Stamm gedrückt, auf der Lauer und
wartet, bis ein Wild unter ihm weggeht. Dem ſpringt er dann mit einem kräftigen Satze auf den
Rücken, hängt ſich an den Hals feſt, beißt ihm blos die Schlagadern durch und wartet, bis es ſich
verblutet hat. Unter ſeinen Sinnen ſteht der Geruch oben an; doch iſt auch ſein Geſicht und Gehör
hinlänglich ſcharf.

Die Lebens- und Jagdweiſe des Thieres hat gar viele widerſprechende Berichte hervorgerufen.
Einige Schriftſteller behaupten, daß es blos von ſolchen Thieren lebe, welche zufällig getödtet worden
ſind, und Aas jeder übrigen Nahrung vorziehe. Nur im Sommer ſoll er Murmelthiere und Mäuſe
ausgraben oder die Fallen, welche Jäger geſtellt haben, und ſelbſt die Häuſer der Nordländer plündern.
Dem iſt jedoch nicht ſo, ſondern die uns von Pallas gegebene Beſchreibung ſeiner Lebensweiſe iſt
durchaus richtig. Er ſieht ſchläfrig und plump aus, weiß aber ſeine Jagd mit hinlänglichem Erfolg
zu betreiben. Seine Hauptnahrung bilden die Mäuſearten des Nordens und namentlich die Lem-
minge,
von denen er eine erſtaunliche Menge vertilgt. Bei der großen Häuſigkeit dieſer Thiere in
gewiſſen Jahren, braucht er ſich kaum um ein andres Wild zu bekümmern. Den Wölfen und Füchſen
folgt er auf ihren Streifzügen nach, in der Hoffnung, Etwas von ihrem Raube zu erwiſchen. Jm
Nothfalle aber betreibt er ſelbſt die höhere Jagd. Steller erzählt, daß er das Renthier mit Liſt zu
ſich heranlocke, indem er auf einen Baum klettere und von dort aus in Abſätzen Renthiermos herab-
würfe, welches dann von den Thieren geſehen und aufgefreſſen würde und ihm ſomit Gelegenheit gäbe,
einen guten Sprung zu machen. Dann ſoll er dem Wild die Augen auskratzen und auf ihm ſitzen
bleiben, bis ſich der geängſtete Hirſch an Bäumen zu Tode ſtößt. Allein dieſe Angaben ſcheinen blos
auf Erzählungen zu beruhen und dürſten unrichtig ſein. Gewiß aber iſt es, daß er Renthiere, ja ſelbſt
Elenthiere angreift und niedermacht. Thunberg erfuhr, daß er ſogar Kühe tödte, indem er ihnen
die Gurgel abbeißt. Auch Steller berichtet, daß er an der Lena Pferde anfalle; Löwenhjelm er-

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[518/0592] Die Raubthiere. — Marder. Gemeiner Vielfraß. Geſellen. Jch ſelbſt habe ihn auf meiner Reiſe in Skandinavien blos ein einziges Mal zu Geſicht bekommen und zwar auf einer Renthierjagd, welche wir gemeinſchaftlich, d. h. ich und der Vielfraß, unternahmen. Mein alter Erik Swenſon, einer der naturkundigſten Jäger, welche ich überhaupt angetroffen habe, konnte mir viel über die Lebensweiſe mittheilen; ich vermag alſo auch nach eigenen Forſchungen über ihn zu berichten. Der Vielfraß bewohnt die gebirgigen Gegenden des Nordens und zieht die nackten Höhen der ſkandinaviſchen Alpen den ungeheueren Wäldern des niedern Gebirges vor, obwohl er auch in dieſen zu finden iſt. Die ödeſte Wildniß iſt ſein Aufenthalt. Er hat keine feſtſtehenden Wohnungen, ſondern wechſelt ſie nach dem Bedürfniſſe und verbirgt ſich, wenn die Nacht hereinbricht, an jedem beliebigen Orte, der ihm einen Schlupfwinkel gewährt, ſei es im Dickicht der Wälder oder im Geklüft der Felſen, in einem verlaſſenen Fuchsbau oder in einer andern, natürlichen Höhle. Wie alle Marder eigentlich mehr Nacht- als Tagthier, ſchleicht er doch in ſeiner ſo wenig von den Menſchen beunruhig- ten Heimat ganz nach Belieben umher und zeigt ſich auch im Lichte der Sonne. — Ja, er würde Dieſes unter allen Umſtänden thun müſſen, da ja bekanntlich in ſeinem Vaterlande während des Sommers die Sonne ein Vierteljahr lang Tag und Nacht am Himmel ſteht. Jn ſeinen Bewegungen iſt er plump und ungeſchickt, weiß aber doch durch Ausdauer ſich ſeiner Beute zu bemächtigen, und da er kein Koſtverächter iſt, führt er ein ſehr behagliches und gemüthliches Leben, ohne jemals in große Noth zu kommen. Seine Bewegungen ſind ſehr eigenthümlicher Art und namentlich der Gang zeichnet ſich vor dem aller übrigen mir bekannten Thiere aus. Der Vielfraß wälzt ſich nämlich in lauter großen Bogenſätzen dahin, ganz merkwürdig humpelnd und Purzelbäume ſchlagend. Doch fördert dieſe Gangart immer noch ſo raſch, daß er kleine Säugethiere bequem dabei einholt und auch größeren bei längerer Verfolgung nahe genug auf den Leib rücken kann. Jm tiefen Schnee zeigt ſich ſeine Fährte, dieſem Gang ent- ſprechend, in lauter tiefen Löchern, in welche er mit allen vier Beinen geſprungen iſt. Aber gerade ſein eigenthümlicher Gang iſt dann ganz geeignet, ihn leicht zu fördern, während das von ihm verfolgte Wild mit dem tiefen Schnee ſehr zu kämpfen hat. Trotz ſeiner Ungeſchicklichkeit verſteht er es, niedere Bäume zu beſteigen. Auf deren Aeſten liegt er, dicht an den Stamm gedrückt, auf der Lauer und wartet, bis ein Wild unter ihm weggeht. Dem ſpringt er dann mit einem kräftigen Satze auf den Rücken, hängt ſich an den Hals feſt, beißt ihm blos die Schlagadern durch und wartet, bis es ſich verblutet hat. Unter ſeinen Sinnen ſteht der Geruch oben an; doch iſt auch ſein Geſicht und Gehör hinlänglich ſcharf. Die Lebens- und Jagdweiſe des Thieres hat gar viele widerſprechende Berichte hervorgerufen. Einige Schriftſteller behaupten, daß es blos von ſolchen Thieren lebe, welche zufällig getödtet worden ſind, und Aas jeder übrigen Nahrung vorziehe. Nur im Sommer ſoll er Murmelthiere und Mäuſe ausgraben oder die Fallen, welche Jäger geſtellt haben, und ſelbſt die Häuſer der Nordländer plündern. Dem iſt jedoch nicht ſo, ſondern die uns von Pallas gegebene Beſchreibung ſeiner Lebensweiſe iſt durchaus richtig. Er ſieht ſchläfrig und plump aus, weiß aber ſeine Jagd mit hinlänglichem Erfolg zu betreiben. Seine Hauptnahrung bilden die Mäuſearten des Nordens und namentlich die Lem- minge, von denen er eine erſtaunliche Menge vertilgt. Bei der großen Häuſigkeit dieſer Thiere in gewiſſen Jahren, braucht er ſich kaum um ein andres Wild zu bekümmern. Den Wölfen und Füchſen folgt er auf ihren Streifzügen nach, in der Hoffnung, Etwas von ihrem Raube zu erwiſchen. Jm Nothfalle aber betreibt er ſelbſt die höhere Jagd. Steller erzählt, daß er das Renthier mit Liſt zu ſich heranlocke, indem er auf einen Baum klettere und von dort aus in Abſätzen Renthiermos herab- würfe, welches dann von den Thieren geſehen und aufgefreſſen würde und ihm ſomit Gelegenheit gäbe, einen guten Sprung zu machen. Dann ſoll er dem Wild die Augen auskratzen und auf ihm ſitzen bleiben, bis ſich der geängſtete Hirſch an Bäumen zu Tode ſtößt. Allein dieſe Angaben ſcheinen blos auf Erzählungen zu beruhen und dürſten unrichtig ſein. Gewiß aber iſt es, daß er Renthiere, ja ſelbſt Elenthiere angreift und niedermacht. Thunberg erfuhr, daß er ſogar Kühe tödte, indem er ihnen die Gurgel abbeißt. Auch Steller berichtet, daß er an der Lena Pferde anfalle; Löwenhjelm er-

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/592>, abgerufen am 25.11.2024.