Frei- und Gefangenleben des Honigdachses. Kennzeichen des Vielfraßes.
Das Gleiche gilt für den asiatischen oder indischen Gattungsverwandten (Ratelus indicus). Dieser ist, wie ich oben bemerkte, oft mit seinem afrikanischen Vetter verwechselt worden und hat auch wirklich so große Aehnlichkeit mit ihm, daß seine Artselbstständigkeit noch sehr in Frage gestellt wird. Bennett unterscheidet ihn, weil ihm die weißen Seitenstreifen fehlen und der Schwanz kürzer ist. Jn der Größe und Gestalt ähnelt er jenem vollkommen. Der lange, lockere und rauhe Pelz ist auf dem Rücken aschgrau, auf der Unterseite und an der Schwanzspitze, sowie in der Ohrengegend aber schwarz. Die Körperlänge beträgt etwas über zwei Fuß, die Länge des Schwanzes dagegen wenig über einen halben Fuß.
Nach Hardwicks Bericht findet sich das Thier in verschiedenen Theilen von Jndien und zumal auf den Höhen in der Nähe des Ganges und der Dschumna. Bei Tage läßt er sich wenig sehen, bei Nacht aber schleicht er um die Wohnungen der Einwohner umher und weiß sich selbst durch die dichten Dornenzäune, welche die Leute gegen ihn errichtet haben, hindurchzuzwängen oder versteht es, dieselben in kürzester Zeit vermittelst einer darunter weggegrabenen Höhle zu umgehen. Jn einem Zeitraum von zehn Minuten soll er derartige Röhren, welche ihn in ein Hühnerparadies bringen, aus- arbeiten können. Die Eingebornen fangen zuweilen alte Ratels und halten sie eine Zeitlang lebendig. Diese halten die Gefangenschaft selten lange aus; Junge aber sind augenblicklich zutraulich, gelehrig und spiellustig. Jhr angenehmstes Futter ist Fleisch aller Art; doch scheinen Vögel, noch mehr aber lebende Ratten, besonders bevorzugt zu werden. Die Ratels sollen sogar nach Vögeln auf die Bäume steigen, und es ist sicher, daß sie etwas zu klettern verstehen, wenn auch in sehr plumper Weise. Während des Tages schlafen sie stets; mit Einbruch der Nacht ermuntern sie sich und beweisen Dies durch ein tiefes Gemurmel oder Geknurr, welches aus der innersten Brust zu kommen scheint. Die Ratels, welche nach England gebracht wurden, lebten dort viele Jahre in dem Thiergarten.
Linne stellt den Vielfraß zu den Mardern; die nordamerikanische Wolverene aber, welche von den neueren Naturforschern gar nicht als besondere Art, sondern nur als "Abart" des Vielfraßes angesehen wird, zu den Bären. Hierdurch beweist der ausgezeichnete Naturforscher deutlich genug, was der Vielfraß ist: ein Mittelglied zwischen den genannten Familien. Den in Europa lebenden Vielfraß hatte er selbst beobachtet und war deshalb über sein Leben und Wesen ganz ins Klare gekommen.
Der Vielfraß ist ein großer Marder, denn er ähnelt den übrigen Sippschaftsgenossen dieser Fa- milie in seinem Gebiß vollkommen, und dieses gilt bekanntlich bei allen Naturforschern als das wesentlich bestimmende Merkmal, um ein Säugethier irgendwo einzuordnen. Aber der Vielfraß ähnelt auch dem Bären in seiner Gestalt und seinem Wesen, und selbst der geübte Blick kommt in Versuchung, einen Vielfraß, welcher in der Ferne sich zeigt, für einen Bären zu halten. Unser Thier ist eine der plumpesten Gestalten der ganzen Marderfamilie, eine plumpere noch, als die Dachse und dachsartigen Thiere. Die Kennzeichen der Sippe, welche er bildet, bestehen hauptsächlich in Folgendem: der Körperbau ist plump und gedrungen, der Hals dick und kurz, der Rücken gewölbt, der Kopf groß, die Schnauze länglich, ziemlich stumpf abgeschnitten, die Ohren sind kurz und abgerundet, die Beine kurz und kräftig, die Pfoten fünfzehig und mit scharf gekrümmten und zusammengedrückten Krallen bewehrt; der Schwanz ist kurz und sehr buschig. Der Schädel ähnelt dem des Dachses, ist aber doch etwas breiter, gedrungener und sehr gebogen, so daß die Stirn und der Nasenrücken stark hervor- treten. Das Gebiß ist sehr kräftig, der Reißzahn oben und unten stark entwickelt, der Höckerzahn im Oberkiefer quer gestellt und doppelt so breit als lang, während der untere Höckerzahn etwas länger als breit ist. Achtunddreißig Zähne bilden das Gebiß. Die Zahl der rippentragenden Wirbel beträgt funfzehn oder sechzehn, vier oder fünf sind rippenlos, vier bilden das Kreuzbein und vierzehn den Schwanz. Da man gegenwärtig nur eine einzige Art annimmt, so können wir die Beschreibung der- selben sogleich hier folgen lassen.
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Frei- und Gefangenleben des Honigdachſes. Kennzeichen des Vielfraßes.
Das Gleiche gilt für den aſiatiſchen oder indiſchen Gattungsverwandten (Ratelus indicus). Dieſer iſt, wie ich oben bemerkte, oft mit ſeinem afrikaniſchen Vetter verwechſelt worden und hat auch wirklich ſo große Aehnlichkeit mit ihm, daß ſeine Artſelbſtſtändigkeit noch ſehr in Frage geſtellt wird. Bennett unterſcheidet ihn, weil ihm die weißen Seitenſtreifen fehlen und der Schwanz kürzer iſt. Jn der Größe und Geſtalt ähnelt er jenem vollkommen. Der lange, lockere und rauhe Pelz iſt auf dem Rücken aſchgrau, auf der Unterſeite und an der Schwanzſpitze, ſowie in der Ohrengegend aber ſchwarz. Die Körperlänge beträgt etwas über zwei Fuß, die Länge des Schwanzes dagegen wenig über einen halben Fuß.
Nach Hardwicks Bericht findet ſich das Thier in verſchiedenen Theilen von Jndien und zumal auf den Höhen in der Nähe des Ganges und der Dſchumna. Bei Tage läßt er ſich wenig ſehen, bei Nacht aber ſchleicht er um die Wohnungen der Einwohner umher und weiß ſich ſelbſt durch die dichten Dornenzäune, welche die Leute gegen ihn errichtet haben, hindurchzuzwängen oder verſteht es, dieſelben in kürzeſter Zeit vermittelſt einer darunter weggegrabenen Höhle zu umgehen. Jn einem Zeitraum von zehn Minuten ſoll er derartige Röhren, welche ihn in ein Hühnerparadies bringen, aus- arbeiten können. Die Eingebornen fangen zuweilen alte Ratels und halten ſie eine Zeitlang lebendig. Dieſe halten die Gefangenſchaft ſelten lange aus; Junge aber ſind augenblicklich zutraulich, gelehrig und ſpielluſtig. Jhr angenehmſtes Futter iſt Fleiſch aller Art; doch ſcheinen Vögel, noch mehr aber lebende Ratten, beſonders bevorzugt zu werden. Die Ratels ſollen ſogar nach Vögeln auf die Bäume ſteigen, und es iſt ſicher, daß ſie etwas zu klettern verſtehen, wenn auch in ſehr plumper Weiſe. Während des Tages ſchlafen ſie ſtets; mit Einbruch der Nacht ermuntern ſie ſich und beweiſen Dies durch ein tiefes Gemurmel oder Geknurr, welches aus der innerſten Bruſt zu kommen ſcheint. Die Ratels, welche nach England gebracht wurden, lebten dort viele Jahre in dem Thiergarten.
Linné ſtellt den Vielfraß zu den Mardern; die nordamerikaniſche Wolverene aber, welche von den neueren Naturforſchern gar nicht als beſondere Art, ſondern nur als „Abart‟ des Vielfraßes angeſehen wird, zu den Bären. Hierdurch beweiſt der ausgezeichnete Naturforſcher deutlich genug, was der Vielfraß iſt: ein Mittelglied zwiſchen den genannten Familien. Den in Europa lebenden Vielfraß hatte er ſelbſt beobachtet und war deshalb über ſein Leben und Weſen ganz ins Klare gekommen.
Der Vielfraß iſt ein großer Marder, denn er ähnelt den übrigen Sippſchaftsgenoſſen dieſer Fa- milie in ſeinem Gebiß vollkommen, und dieſes gilt bekanntlich bei allen Naturforſchern als das weſentlich beſtimmende Merkmal, um ein Säugethier irgendwo einzuordnen. Aber der Vielfraß ähnelt auch dem Bären in ſeiner Geſtalt und ſeinem Weſen, und ſelbſt der geübte Blick kommt in Verſuchung, einen Vielfraß, welcher in der Ferne ſich zeigt, für einen Bären zu halten. Unſer Thier iſt eine der plumpeſten Geſtalten der ganzen Marderfamilie, eine plumpere noch, als die Dachſe und dachsartigen Thiere. Die Kennzeichen der Sippe, welche er bildet, beſtehen hauptſächlich in Folgendem: der Körperbau iſt plump und gedrungen, der Hals dick und kurz, der Rücken gewölbt, der Kopf groß, die Schnauze länglich, ziemlich ſtumpf abgeſchnitten, die Ohren ſind kurz und abgerundet, die Beine kurz und kräftig, die Pfoten fünfzehig und mit ſcharf gekrümmten und zuſammengedrückten Krallen bewehrt; der Schwanz iſt kurz und ſehr buſchig. Der Schädel ähnelt dem des Dachſes, iſt aber doch etwas breiter, gedrungener und ſehr gebogen, ſo daß die Stirn und der Naſenrücken ſtark hervor- treten. Das Gebiß iſt ſehr kräftig, der Reißzahn oben und unten ſtark entwickelt, der Höckerzahn im Oberkiefer quer geſtellt und doppelt ſo breit als lang, während der untere Höckerzahn etwas länger als breit iſt. Achtunddreißig Zähne bilden das Gebiß. Die Zahl der rippentragenden Wirbel beträgt funfzehn oder ſechzehn, vier oder fünf ſind rippenlos, vier bilden das Kreuzbein und vierzehn den Schwanz. Da man gegenwärtig nur eine einzige Art annimmt, ſo können wir die Beſchreibung der- ſelben ſogleich hier folgen laſſen.
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Frei- und Gefangenleben des Honigdachſes. Kennzeichen des Vielfraßes.
Das Gleiche gilt für den aſiatiſchen oder indiſchen Gattungsverwandten (Ratelus indicus). Dieſer
iſt, wie ich oben bemerkte, oft mit ſeinem afrikaniſchen Vetter verwechſelt worden und hat auch wirklich
ſo große Aehnlichkeit mit ihm, daß ſeine Artſelbſtſtändigkeit noch ſehr in Frage geſtellt wird. Bennett
unterſcheidet ihn, weil ihm die weißen Seitenſtreifen fehlen und der Schwanz kürzer iſt. Jn der Größe
und Geſtalt ähnelt er jenem vollkommen. Der lange, lockere und rauhe Pelz iſt auf dem Rücken
aſchgrau, auf der Unterſeite und an der Schwanzſpitze, ſowie in der Ohrengegend aber ſchwarz.
Die Körperlänge beträgt etwas über zwei Fuß, die Länge des Schwanzes dagegen wenig über
einen halben Fuß.
Nach Hardwicks Bericht findet ſich das Thier in verſchiedenen Theilen von Jndien und zumal
auf den Höhen in der Nähe des Ganges und der Dſchumna. Bei Tage läßt er ſich wenig ſehen,
bei Nacht aber ſchleicht er um die Wohnungen der Einwohner umher und weiß ſich ſelbſt durch die
dichten Dornenzäune, welche die Leute gegen ihn errichtet haben, hindurchzuzwängen oder verſteht es,
dieſelben in kürzeſter Zeit vermittelſt einer darunter weggegrabenen Höhle zu umgehen. Jn einem
Zeitraum von zehn Minuten ſoll er derartige Röhren, welche ihn in ein Hühnerparadies bringen, aus-
arbeiten können. Die Eingebornen fangen zuweilen alte Ratels und halten ſie eine Zeitlang lebendig.
Dieſe halten die Gefangenſchaft ſelten lange aus; Junge aber ſind augenblicklich zutraulich, gelehrig und
ſpielluſtig. Jhr angenehmſtes Futter iſt Fleiſch aller Art; doch ſcheinen Vögel, noch mehr aber lebende
Ratten, beſonders bevorzugt zu werden. Die Ratels ſollen ſogar nach Vögeln auf die Bäume ſteigen,
und es iſt ſicher, daß ſie etwas zu klettern verſtehen, wenn auch in ſehr plumper Weiſe. Während
des Tages ſchlafen ſie ſtets; mit Einbruch der Nacht ermuntern ſie ſich und beweiſen Dies durch ein
tiefes Gemurmel oder Geknurr, welches aus der innerſten Bruſt zu kommen ſcheint. Die Ratels,
welche nach England gebracht wurden, lebten dort viele Jahre in dem Thiergarten.
Linné ſtellt den Vielfraß zu den Mardern; die nordamerikaniſche Wolverene aber, welche
von den neueren Naturforſchern gar nicht als beſondere Art, ſondern nur als „Abart‟ des Vielfraßes
angeſehen wird, zu den Bären. Hierdurch beweiſt der ausgezeichnete Naturforſcher deutlich genug,
was der Vielfraß iſt: ein Mittelglied zwiſchen den genannten Familien. Den in Europa lebenden
Vielfraß hatte er ſelbſt beobachtet und war deshalb über ſein Leben und Weſen ganz ins Klare
gekommen.
Der Vielfraß iſt ein großer Marder, denn er ähnelt den übrigen Sippſchaftsgenoſſen dieſer Fa-
milie in ſeinem Gebiß vollkommen, und dieſes gilt bekanntlich bei allen Naturforſchern als das
weſentlich beſtimmende Merkmal, um ein Säugethier irgendwo einzuordnen. Aber der Vielfraß
ähnelt auch dem Bären in ſeiner Geſtalt und ſeinem Weſen, und ſelbſt der geübte Blick kommt in
Verſuchung, einen Vielfraß, welcher in der Ferne ſich zeigt, für einen Bären zu halten. Unſer Thier
iſt eine der plumpeſten Geſtalten der ganzen Marderfamilie, eine plumpere noch, als die Dachſe und
dachsartigen Thiere. Die Kennzeichen der Sippe, welche er bildet, beſtehen hauptſächlich in Folgendem:
der Körperbau iſt plump und gedrungen, der Hals dick und kurz, der Rücken gewölbt, der Kopf groß,
die Schnauze länglich, ziemlich ſtumpf abgeſchnitten, die Ohren ſind kurz und abgerundet, die Beine
kurz und kräftig, die Pfoten fünfzehig und mit ſcharf gekrümmten und zuſammengedrückten Krallen
bewehrt; der Schwanz iſt kurz und ſehr buſchig. Der Schädel ähnelt dem des Dachſes, iſt aber doch
etwas breiter, gedrungener und ſehr gebogen, ſo daß die Stirn und der Naſenrücken ſtark hervor-
treten. Das Gebiß iſt ſehr kräftig, der Reißzahn oben und unten ſtark entwickelt, der Höckerzahn
im Oberkiefer quer geſtellt und doppelt ſo breit als lang, während der untere Höckerzahn etwas länger
als breit iſt. Achtunddreißig Zähne bilden das Gebiß. Die Zahl der rippentragenden Wirbel beträgt
funfzehn oder ſechzehn, vier oder fünf ſind rippenlos, vier bilden das Kreuzbein und vierzehn den
Schwanz. Da man gegenwärtig nur eine einzige Art annimmt, ſo können wir die Beſchreibung der-
ſelben ſogleich hier folgen laſſen.
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 1. Hildburghausen, 1864, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben01_1864/589>, abgerufen am 25.11.2024.
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